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26.08.2012

Die Wirtschaft muss brummen

 

WELT am SONNTAG: Herr Scholz, der Hamburger Hafen ist auch ein Gradmesser für den Zustand der Wirtschaft. Was erkennen Sie, wenn Sie unten an der Elbe sind?

Olaf Scholz: Die Wirtschaft wächst wenn auch nicht so stark, wie viele das erhofft haben. Wir müssen uns keine Sorgen machen, dürfen uns aber auch nicht in Sicherheit wiegen.

 

WELT am SONNTAG: Die ersten Großunternehmen  Opel etwa  melden Kurzarbeit an.

Scholz: Wir müssen vorbereitet sein. Die schwarz-gelbe Regierung hat einen Fehler gemacht, als sie die Kurzarbeitsregelung der Großen Koalition außer Kraft gesetzt hat. Die Kanzlerin und ihre Arbeitsministerin wären gut beraten, diese Entscheidung jetzt rückgängig zu machen. Dieses Instrument hat uns schon in der Krise 2008/09 sehr geholfen.


WELT am SONNTAG: Sehen Sie einen Ausweg aus der Euro-Krise?

Scholz: Europa ist dabei, auf eine Weise zusammenzuwachsen, wie das in guten Zeiten gar nicht gelingen kann. Der europäische Fiskalpakt, der die Neuverschuldung begrenzen soll, ist ein großer Fortschritt. Politik muss so gemacht werden, dass sie nicht auf Schulden setzt. Wir brauchen auch auf anderen Feldern mehr Europa. Besonders wichtig ist eine gemeinsame Bankenaufsicht.


WELT am SONNTAG: Können Sie sich Vereinigte Staaten von Europa vorstellen?

Scholz: Die Perspektive liegt in weiterer Integration. Die Frage ist, wo und wie. Es gibt Aspekte der Gesetzgebung, die in der Europäischen Union bereits einheitlicher geregelt sind als in den USA. Wir brauchen eine detaillierte Debatte, was gemeinsam geregelt werden sollte und was nicht.


WELT am SONNTAG: Welche Zukunft hat Griechenland in der Euro-Zone?

Scholz: Griechenland darf nicht aus der Währungsunion hinausgetrieben werden auch nicht durch die Reden deutscher Politiker. Griechenland hat Anspruch auf unsere Solidarität.


WELT am SONNTAG: Verdient Athen weiteres Entgegenkommen?

Scholz: Am schädlichsten sind innenpolitische Reden aus durchschaubaren Motiven. Das verschärft die Vertrauenskrise und macht die Rettung des Euro nur noch teurer. Im Augenblick melden sich zu viele zu Wort, die zu wenig Ahnung haben. Ich teile die Haltung der deutschen Regierungschefin, des französischen Präsidenten und des Präsidenten der Europäischen Zentralbank: Wir verteidigen den Euro mit allen Mitteln. Und jeder, der gegen unsere Währung spekuliert, verspekuliert sich.

Europa hat weniger Schulden als die USA und Japan, Europa hat eine große Wirtschaftskraft. An unserer währungspolitischen Kampffähigkeit und unserem Kampfwillen sollte kein Zweifel bestehen.


WELT am SONNTAG: Was bedeutet das für den Wunsch der Griechen, mehr Zeit für Reformen zu bekommen?

Scholz: Griechenland muss eine Gegenleistung erbringen für die Solidarität, die es erfährt: die Stabilisierung der Staatsfinanzen, eine größere Steuerehrlichkeit und eine funktionsfähige Verwaltung. An der Frage, ob das geschieht oder nicht, entscheidet sich, ob Europa Athen noch ein Stück entgegenkommen kann. Es ist Sache der EU, das zu beurteilen.


WELT am SONNTAG: Im ersten Halbjahr hat der deutsche Staat einen Milliardenüberschuss erzielt. Was soll mit dem Geld geschehen?

Scholz: Deutschland muss die Verschuldungspolitik der vergangenen Jahrzehnte beenden. Deshalb haben wir eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Deshalb hat sich Hamburg entschieden, die Ausgabensteigerung von Jahr zu Jahr auf ein Prozent zu begrenzen. Wir lassen uns von den aktuellen Einnahmen nicht verführen. Wir Hamburger sind vorsichtig kalkulierende Kaufleute.


WELT am SONNTAG: Die SPD fordert Steuererhöhungen. Passt das in die Zeit?

Scholz: Moderate Einnahmeverbesserungen, wie sie die SPD zur Sprache bringt, stoßen auf große Akzeptanz auch bei denen, die stärker herangezogen werden sollen.

WELT am SONNTAG: Das muss ein Hamburg-Phänomen sein.

Scholz: Die Schuldenbremse garantiert, dass Steuern nicht in ein Fass ohne Boden fließen. Ich begegne sehr gut verdienenden Managern und sehr vermögenden Bürgern, die großes Verständnis für Einnahmeverbesserungen zur Haushaltskonsolidierung haben. Nicht nur in Hamburg.


WELT am SONNTAG: Ist die Zeit für neue, tief greifende Reformen gekommen für eine Agenda 2020?

Scholz: Das wäre ja mehr ein Schlagwort als ein Konzept. Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir zur Verfügung haben. Das ist das Entscheidende. Die Schuldenbremse wird überall Konsequenzen haben.


WELT am SONNTAG: Liegt es an Schröders Agenda 2010, dass es Deutschland in der Krise besser geht als anderen in Europa?

Scholz: Ja.


WELT am SONNTAG: Woran genau?

Scholz: Es ist uns zum Beispiel gelungen, die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme wiederherzustellen. Wir merken das an den aktuellen Überschüssen. In anderen Ländern heißt es: Hätten wir das nur auch gemacht!


WELT am SONNTAG: Nordrhein-Westfalen geht einen besonderen Weg, um seine Einnahmen zu verbessern: Ihre Amtskollegin Hannelore Kraft lässt gestohlene Daten von Steuerbetrügern in der Schweiz kaufen

Scholz: Der Ankauf von Daten betrifft Bürger unseres Landes, die sich ihrer Steuerpflicht entziehen. Hamburg hat sich auch schon an der Finanzierung solcher Käufe beteiligt. Bürger, die sich nicht an die Gesetze halten, dürfen keinen Vorteil haben.

WELT am SONNTAG: Der Ankauf solcher Daten gefährdet das Steuerabkommen mit der Schweiz.

Scholz: Es kann kein Abkommen geben, das den Ankauf von Steuer-CDs untersagt. Wir müssen dafür sorgen, dass Gesetze eingehalten werden. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.


WELT am SONNTAG: Und nun?

Scholz: Das Steuerabkommen hat viele Mängel. Wenn alles bleibt, wie es ist, kann es nicht in Kraft treten.


WELT am SONNTAG: Wie denken Sie über die Kritik von Sigmar Gabriel an Banken, die angeblich Staaten erpressen und Kunden abzocken?

Scholz: Man tut meinem Bundesvorsitzenden unrecht, wenn man unterstellt, er kritisiere die Banken pauschal. Er differenziert zu Recht. In Hamburg gibt es eine Reihe traditionsreicher Banken, die über viele Jahrzehnte eine sehr verantwortungsvolle Geschäftspolitik entwickelt haben. Es empfiehlt sich der genaue Blick.


WELT am SONNTAG: Eignet sich die Verteufelung von Banken für den Bundestagswahlkampf?

Scholz: Eine Politik, die sich nur taktisch versteht, wird keinen Erfolg haben. Die Geschäftspolitik mancher Banken ist allerdings ein Thema, das in unserem Land diskutiert wird.


WELT am SONNTAG: Sie regieren in Hamburg mit absoluter Mehrheit und haben Ihren Wahlkampf bestritten mit Wirtschaftsnähe. Was kann die Bundespartei von Ihnen lernen?

Scholz: Was in Hamburg zum Erfolg geführt hat, wird von vielen für richtig gehalten. Bei uns hat die gute Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und sozialdemokratischen Senaten eine lange Tradition. Wirtschaftlicher Pragmatismus und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Das gilt nicht nur für Hamburg. Die Erkenntnis, dass die Wirtschaft brummen muss, ist eine sehr sozialdemokratische.


WELT am SONNTAG: Welcher Kanzlerkandidat passt am ehesten zu wirtschaftlichem Pragmatismus?

Scholz: Wir haben viele Talente und drei ganz besondere.


WELT am SONNTAG: Können Sie mit der Kandidatenkür bis zum nächsten Frühjahr warten?

Scholz: Wir haben Zeit.


WELT am SONNTAG: Haben Sie sich über die Intervention Ihres schleswig-holsteinischen Amtskollegen Torsten Albig zugunsten von Frank-Walter Steinmeier heimlich gefreut?

Scholz: Wir bestimmen gemeinsam unseren Kanzlerkandidaten, wenn es so weit ist.


WELT am SONNTAG: In Berlin ist es kein Geheimnis, dass Sie Steinmeier favorisieren.

Scholz: Es ist das Geheimnis der SPD, dass sie immer klug genug war, den richtigen Kandidaten zu nominieren.


WELT am SONNTAG: Wen wollen Sie in die Regierungskoalition holen, wenn es mit den Grünen nicht reicht Piraten, Linke oder FDP?

Scholz: Sie haben offenbar eine Vorliebe für exotische Fragen. Ich will Ihnen eine bodenständige Antwort geben: Ich bin sicher, dass es mit den Grünen für einen Regierungswechsel reicht.


WELT am SONNTAG: Und wenn nicht, gibt es immer noch Angela Merkel.

Scholz: Einige in der Union mögen sich eine Neuauflage der Großen Koalition wünschen. Die SPD setzt auf Sieg.


WELT am SONNTAG: Hannelore Kraft hat eine Kanzlerkandidatur nicht nur für 2013, sondern auch für 2017 ausgeschlossen. Wie halten Sie das?

Scholz: Ich bin sehr gerne Hamburger Bürgermeister und möchte, dass die Bürgerinnen und Bürger mir dazu 2015 ein neues Mandat geben. Wir wollen, dass 2013 ein Sozialdemokrat Kanzler wird, der 2017 um seine Wiederwahl kämpfen wird.

 

Artikel in der WELT am Sonntag