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30.07.2002

Im interview mit der WELT

 

DIE WELT: Herr Scholz, Sie machen auf Mallorca Urlaub und können innerhalb von drei Stunden in Deutschland sein. Rechnen Sie mit weiteren Rücktritten in Berlin?

 

OlafScholz: Nein, keineswegs. Aber im Fall des ehemaligen Verteidigungsministers haben sich Dinge ereignet, die man nicht erklären kann. Deshalb war es notwendig, dass der Kanzler eine so schnelle Entscheidung getroffen hat.

 

 

Die Entscheidung war notwendig. War sie — so kurz vor Bundestagswahlen— auch richtig?

 

Ja, das Markenzeichen von Gerhard Schröder ist Entscheidungsfreude. Das hat er wieder einmal gezeigt.

 

 

Die Umfrageergebnisse der SPD sind nicht gut. Woher rührt Ihr Optimismus, dass sie am 22. Sep­tember gut abschneidet?

 

Dem Unionskanzlerkandidaten Edmund Stoiber ist es bislang noch nicht gelungen, einen einzigen SPD-Wähler zu gewinnen. Die guten Umfrageergebnisse rühren nur aus der Mobilisierung der eigenen Anhängerschafther. Wir hingegen haben unsere Anhänger noch nicht alle mobilisiert.

 

 

Wann wollen Sie damit anfangen?

 

Viele Wähler haben sich noch nicht entschieden, schauen genauer hin und sparen sich ihre Entscheidung bis kurz vor den Wahltag auf. Wir müssen jetzt kämpfen. Dann werden wir noch aufholen.

 

 

Was ist wichtiger: die Bilanz oder Wahlversprechen?

 

Wenn man Regierungsverantwortung getragen hat, dann ist sicher die Bilanz wichtiger. Man soll sich da nicht herausreden dürfen. Allerdings ist es auch nötig, realistische Versprechungen zu machen. Das beklage ich an den Entwürfen von FDP und CDU...

 

 

... die beide in den Umfragen vorn liegen.

 

Deren Programme sind so konzipiert, dass man jetzt schon eines weiß: Nichts wird in dem Umfang, wie es dort steht, realisiert. Wer rund 100 Milliarden Euro mehr ausgeben will, kann das nicht alles mit einerbesseren Konjunktur erklären.Wer die Steuern vor allem für Spitzenverdiener senken will, wird am Ende einen desolaten Haushalt vorweisen müssen.

 

 

Die Union sieht das anders. Sie will den rot-grünen Spuk" möglichst bald beenden ...

 

...und hat weder neue Leute noch ein neues Programm. Mit Horst Seehofer und Wolfgang Schäuble wird die Reformunfähigkeit in den Jahren von Kohl gleich wieder mit Kabinettsrang versehen.

 

 

DasAbschneiden der SPD hängt stark vom Abbau der Arbeitslosigkeit ab. Hier sieht es schlecht aus.

 

Keine Frage, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben wir bislang nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Aber die Richtung stimmt. Wir haben nach 20 Jahren Stillstand begonnen, die Bundesanstalt für Arbeit zu modernisieren. Wir fördern die Beschäftigung mit dem Job-Aktiv-Gesetz, das den Schwerpunkt auf Vermittlung legt. Und jetzt setzen wir auf Vorschläge der Hartz-Kommission.

 

 

Kritiker halten Deutschlands Arbeitsmarkt für zu unflexibel.

 

Da wird auch übertrieben. Sicher, wir haben — zu Recht — einen guten Kündigungsschutz. Aber wir haben in den vergangenen vier Jahren befristete Beschäftigung dauerhaft ermöglicht. Zudem können Arbeitnehmer jetzt bis zu zwei Jahre in ein Unternehmen entliehen werden. Mit dem Anspruch auf Teilzeitarbeit wurde mehr Flexibilität auch für die Beschäftigten geschaffen.

 

 

Wie wichtig können die von der Hartz-Kommission vorgeschlagenen Personalserviceagenturen sein?

 

Personalserviceagenturen, die Langzeitarbeitslose in Unternehmen entleihen, sollen Vorurteile bei den Arbeitgebern abbauen. Die Arbeitslosen hingegen bekommen eine Chance, sich am Arbeitsplatz zu beweisen.

 

 

Die Gewerkschaften befürchten, dass dadurch reguläre Arbeitsplätze verloren gehen.

 

Ich befürchte das nicht. Es wird genügend Regelungen geben, die Lohndumping verhindern. Außerdem zeigen Erfahrungen, dass viele Unternehmen einen Langzeit­arbeitslosen selbst dann nicht ungeprüft einstellen, wenn man viel teures Geld dazugibt.

 

 

Sollte man auf Arbeitslose mehr Druck ausüben?

 

Unsere Gesellschaft sollte jedem eine Chance bieten. Es ist aber auch die Pflicht des Betroffenen, diese Chance wahrzunehmen. Fordern und Fördern" ist sehr gut mit sozialdemokratischen Grundsätzen vereinbar.

 

 

Die Schill-Partei will bei der Bundestagswahl antreten. Kann Ihre Partei davon profitieren?

 

Niemand auf Bundesebene braucht diese Partei. Der Erfolg in Hamburg war ein Resultat des Versagens von SPD und CDU gleichermaßen. Allerdings zeigt sich jetzt, wer alles in der Schill-Partei Unterschlupf gefunden hat. Dass sich vom Verfassungsschutz beobachtete Rechtsextreme auf den Kandidatenlisten wiederfinden, ist ein Problem.

 

 

Rot-Grünhat weder in Hamburg noch in Berlin eine Mehrheit. Hat sich das Modell überlebt?

 

Ich habe nie von einem Modell gesprochen. Rot-Grün ist eine sinnvolle Regierungsoption. In erster Linie tritt die SPD aber für sich selber an und will möglichst viele Stimmen erreichen. Nur wenn wir am 22.September stärkste Partei werden, bleibt Gerhard Schröder Bundeskanzler. In Hamburg sind die nächsten Bürgerschaftswahlen zwar noch weitweg. Aber da wollen wir auf über 40 Prozent kommen.

 

 

Und am 22, September?

 

Wir wollen zwischen 44 und 45 Prozent erreichen.

 

 

Die Koalition in Hamburg hat sich stabilisiert. Wie viel Zeit geben Sie dem Bündnis?

 

Es mag sein, dass der eine oder andere Senator vorher über Bord geht. Grundsätzlich haben wir uns aber darauf eingerichtet, dass diese Koalition die gesamte Legisla­turperiode hält. Die drei Parteien verfügen in der Bürgerschaft über eine ganz ordentliche Mehrheit. Da kann auch etwas abschmelzen, ohne dass es ganz schief geht.

 

 

Wäre es vorstellbar, dass die Hamburger SPD nach der Bundestagswahl auf die CDU zugeht und ihr eine Große Koalition unter Ole vonBeust anbietet?

 

Das ist eine spannende Frage. Wenn eine derartige Situation da ist, werden wir angemessene Vorschläge machen. Wir dürfen aber nicht vergessen,dass Ole von Beust dieses Re­gierungsbündnis eingegangen ist und er auch Rudolf Lange zum Bildungssenator sowie Ronald Schill zum Innensenator gemacht hat.

 

 

Wie bewerten Sie die Arbeit des Bürgermeisters?

 

Ole von Beust ist bisher nicht in die Rolle eines Ministerpräsidenten hineingewachsen. Er beschränkt sich auf die Rolle eines kommunalen Bürgermeisters. Außerdem nimmt er gesellschaftliche Veränderungen nicht ausreichend zur Kenntnis. Der von ihm mitverantwortete Koalitionsvertrag kennt das Thema Arbeitslosigkeit nicht. Deshalb verwundert es nicht, dass jetzt die Maßnahmen für aktive Arbeitsmarktpolitik zusammengestrichen werden, obwohl die Arbeitslosigkeit steigt.

 

 

Ole von Beust lässt seine Senatoren eigenständig agieren. Der richtige Regierungsstil?

 

Eine kollegiale Führung ist sicher richtig. Es darf aber nicht vergessen werden, dass Ole von Beust die Gesamtverantwortung trägt. So haben der Bürgermeister und sein unpolitischer Finanzsenator Wolfgang Peiner das bildungspolitische Desaster mitverursacht. Sie waren es, die Rudolf Lange die Lehrerstellen zusammengestrichen haben.

 

 

Überrascht sie die Stabilität der Regierung?

 

Man sollte Phasen der Beruhigung nicht mit Stabilität verwechseln. Die Regierung ist schlecht gestartet, mit Skandalen und Fällen von Parteienfilz. Sie hat nicht gehalten, was sich die Wähler von einem Wechsel versprochen haben. Bei Polizei, Verkehr und Bildung ist nichts besser geworden. Schlimmer noch: Wir haben jetzt mit Rudolf Lange einen Bildungssenator, der dafür sorgt, dass es schlechter wird.

 

 

Wo sehen Sie die Knackpunkte der Koalition?

 

Es gibt bei CDU und FDP eine Reihe von Abgeordneten, die seriöse Politik machen und anspruchsvoll regieren wollen. Die werden es mit der Schill-Partei immer weniger aushalten.

 

 

Vor dem Hauptbahnhof gibt es keine Rauschgiftszene mehr im Schanzenviertel ist es ruhiger geworden. Der Regierungswechsel hat einiges bewirkt.

 

Sicher hat es bei uns Defizite im Bereich der offenen Drogenszene und bei der Bekämpfung der Jugendgewalt gegeben. Das zu ändern, dafür habe ich in meiner Zeit als Innensenator die Weichen gestellt. Die Polizeiwache am Hauptbahnhof wurde vor der Wahl errichtet, die Zahl der Drogenpolizisten aufgestockt, ebenso der Brechmittelein­satz schon zu meiner Zeit eingeführt. Es ist zwar schade, dass jetzt andere davon profitieren. Wenn diese das Konzept aber fortsetzen, ist das in Ordnung.Allerdings unternimmt die Regierung zu wenig für Vorbeugung und Hilfe. Sicher müssen jene, die öffentlich Drogen konsumieren, mit Härte verfolgt werden. Aber man kann einen Drogenabhängigen niemals mit einer Polizeiuniform allein gesund machen. Außerdem spielt bei der bürgerlichen Regierung das Vorurteil eine große Rolle.

 

 

Trifft das auch auf die Absicht zu, erneut geschlossene Heime für straffällige Jugendliche einzu­richten?

 

Gegen jene Jugendlichen, die völlig uneinsichtig sind, muss mit streng erzieherischen Maßnahmen in geschlossenen Heimen vorgegangen werden. Aber mit der geplanten Ein­richtung von 90 Plätzen hat die Regierung aus Gründen des martialischen Auftritts jedes Maß verloren. So viele potenzielle Insassen" gibt es gar nicht in Hamburg. Das jetzt so viele teure Plätze vorgehalten werden sollen, ist ein Fall für den Landesrechnungshof und den Bund der Steuerzahler.

 

 

Wie viele Plätze wären aus Ihrer Sicht nötig?

 

Zehn bis 20 reichen aus.

 

 

Im Bereich der Bildung stellt Hamburg viel Geld zur Verfügung. Warum kommt da so wenig heraus?

 

Wir müssen Wege finden, mehr aus dem Geld zu machen. Es ist richtig, Vergleichsarbeiten einzuführen, und zwar in allen Jahrgangsstufen. Dadurch kann man den Leistungsstand der einzelnen Schüler und Schulen herausfinden. Diese Erkenntnisse müssen auch zu Konsequenzen im Management der Schulen führen.

 

 

Sollten Schulen einen eigenen Haushalt und eigene Personalhoheit haben?

 

Darüber sollten wir diskutieren und dann entsprechende Vorkehrungen treffen. Viele Schulen sind größer als manches mittelständische Unternehmen,wenn man Umsatz" und Zahl der Beschäftigten" betrachtet. Dementsprechend muss man auch über die Einstellung bezahlter Schulmanager diskutieren.

 

 

Der Regierungsverlust der SPD nach 44 Jahren hat vieles in Bewegung gebracht. Können Sie der Wahlniederlage inzwischen etwas Positives abgewinnen?

 

Regierungswechsel gehören zur Demokratie. Wir haben den Gang in die Opposition rasch akzeptiert und uns nicht lamentierend an der Vergangenheit festgehalten. Viele gute und neue Politiker können jetzt zeigen, was sie können. Zudem diskutieren wir über eine Neuausrichtung von Teilen unserer Politik. Es liegen drei Diskussionspapiere zu den Themen Innere Sicherheit, Bildung und Jugendpolitik vor. Auf Parteitagen im November und im kommenden Frühjahr werden wir darüber entscheiden.

 

 

Hat der Machtverlust die Reformbemühungen beschleunigt?

 

Er hatsie jedenfalls nicht behindert. Allerdings wussten wirschon vor der Wahl um unseren Reformbedarf. Auch bei einem Erfolg hätten wir uns nicht zurücklehnen können.

 

 

Wie groß ist der innerparteiliche Widerstand?

 

Die SPD ist eine große Partei mit vielen Meinungen. Es wäre komisch,wenn jetzt alles von allen richtig gefunden würde. Man muss nicht alles gut finden, was vorgeschlagen wird. Aber man muss das auch sagen. Es gibt aber an der Parteibasis eine große Unterstützung für die Neuausrichtung.

 

 

Sie sind als Parteichef nicht unumstritten. Kritiker werfen Ihnen vor, ihr Mäntelchen manchmal nach dem Wind zu hängen. Wofür steht Olaf Scholz?

 

Für soziale Gerechtigkeit. Ich stehe sicher auch für eine moderne SPD, die unbefangen auch mit komplizierten Themen umgeht. Zudem sollten Politiker pragmatisch sein, weil sie etwas bewirken sollen.

 

 

Gab es schonmal so viel innerparteilichen Gestaltungsspielraum für einen Vorsitzenden der Hamburger SPD wie derzeit?

 

Sichergibt es derzeit viele Gestaltungsmöglichkeiten und ich zähle zu Politikern, die sie gerne wahrnehmen. Ich habe mich vor Führungsverantwortung nie gedrückt und finde auch, dass sie bewertet werden darf. Man muss aber so führen, dass die ganze Partei mitkommen möchte. Eine Partei mit 15 000 Mitgliedern als One-Man­Show: Das geht nicht.

 

 

Wir haben jetzt eine Diskussion über Nebeneinnahmen von Politikern. Sollten Politiker alles aufdecken?

 

Es sollte jedenfalls alles erkennbar sein, was für Einkünfte existieren. Die Wähler sollen wissen, dass kein Politiker seine Meinung nach seinen Nebeneinkünften ausrichtet.

 

 

Werden Politiker in Deutschland zu schlecht bezahlt?

 

Niemand ist gezwungen, Politiker zu sein. Vor allem, wenn sie im Bundestag sitzen, Minister oder Senator sind, verdienen Politiker ordentliches Geld. Vielleicht sollten wir darüber diskutieren, das "Gehalt" sowie die Aufwandspauschale zu erhöhen und dabei gleichzeitig die Altersversorgung von Abgeordneten zu reduzieren. Die fällt nach meiner Meinung zu üppig aus.

 

 

Das Interview führte Oliver Schirg.