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Symbolbild: Olaf Scholz
Stephan Guthahn
16.10.2022 | Berlin

Rede anlässlich des 175. Geburtstages der Siemens AG

Sehr geehrte Frau Dr. von Siemens,

sehr geehrter Herr Dr. Busch,

sehr geehrter Herr Snabe,

sehr geehrte Frau Regierende Bürgermeisterin, liebe Franziska,

sehr geehrte Exzellenzen,

liebe Siemensianerinnen und Siemensianer,

verehrte Gäste!

Am 28. März 1849 wählte die Nationalversammlung in der Paulskirche Friedrich Wilhelm IV. zum „Kaiser der Deutschen“. Die Nachricht aus Frankfurt erreichte den Gewählten im 550 Kilometer entfernten Berlin – innerhalb nur einer Stunde! Per Pferdeboten hätte die Übermittlung anderthalb Tage gedauert. Die demokratische Wahl eines Kaisers war eine politische Sensation, verbunden mit einer technischen – sozusagen zwei Revolutionen in einer. Die technische Seite dieses historischen Moments verdanken wir Werner von Siemens.

Im Auftrag der Telegrafenkommission hatte er erst wenige Monate zuvor die seinerzeit längste Telegrafenlinie verlegt, damit man in Berlin möglichst rasch über die Ereignisse in der Paulskirche informiert sei. Am politischen Lauf der Dinge hat diese bahnbrechende Innovation gleichwohl nichts geändert: Wie Sie wissen, nahm Friedrich Wilhelm IV. die Wahl nicht an. Was blieb, war Deutschlands erste Begegnung mit dem Parlamentarismus – und natürlich die revolutionäre Erfindung des Werner von Siemens.

Die Momentaufnahme zeigt: Das, was Werner von Siemens und die – wie wir gerade gehört haben – über die ganze Zeit vier Millionen Siemensianerinnen und Siemensianer in den zurückliegenden 175 Jahren geschaffen haben, ist eng mit der Geschichte unseres Landes verbunden; in guten wie in schlechten Zeiten, muss man wohl hinzufügen. Während des Nationalsozialismus beutete auch Siemens Zwangsarbeiter auf grausame Weise aus. Dass Ihr Unternehmen diesen dunklen Teil seiner Geschichte nicht verdrängt und Verantwortung dafür übernommen hat, auch das zeichnet Siemens aus.

Sie haben gerade das Sich-Immer-Wieder-Neu-Erfinden beschrieben, lieber Herr Busch, als Siemens Markenkern von Anfang an. Die einzige Kontinuität ist der Wandel – so lassen sich 175 Jahre Siemens, 175 Jahre deutscher Industriegeschichte vielleicht ganz gut auf den Punkt bringen.

Zunächst hat Siemens die Welt elektrifiziert. Seine Telegrafenlinien verbanden Städte in Russland, rückten Europa und Amerika näher zueinander. Eine Zeitlang gab es wohl in fast jedem deutschen Haushalt mindestens ein Siemens-Elektrogerät: Bügeleisen, Radios, Fernseher, Computer, Staubsauger, Waschmaschinen, Handys. Sogar bei den Elektroautos war Siemens ganz vorne mit dabei – wohlgemerkt bei den allerersten, schon vor über hundert Jahren.

Siemens hat unsere Mobilität immer wieder revolutioniert, seit die erste elektrische Tram durch Berlin ruckelte oder in Budapest die erste U-Bahn Europas unterwegs war. Heute arbeiten Sie an batterie- und wasserstoffbetriebenen Zügen und Schiffen für eine emissionsfreie Zukunft.

Sie haben den „Suez-Kanal auf Schienen“ bereits erwähnt, lieber Herr Busch, ein 2.000 Kilometer langes, voll elektrifiziertes Bahnnetz für Ägypten, das die wirtschaftliche Entwicklung des Landes beschleunigt, Städte und ihre Bewohnerinnen und Bewohner miteinander verbindet und die CO2-Emissionen gegenüber herkömmlichen Transportmitteln um 70 Prozent sinken lässt.

Inzwischen sind Sie dabei, die Welt auch zu kopieren. Dieses beeindruckende Gebäude, in dem wir heute feiern, gehört zur Siemensstadt. Mit deren Aufbau vor 125 Jahren entstand ein städtebauliches Phänomen: eine ideale Verbindung von Arbeitsgebäuden und finanzierbaren, modernen Wohnungen für Arbeiter. Bald schon wird der Name „Siemensstadt“ nicht nur historische Assoziationen hervorrufen: Denn eine neue, reale Siemensstadt bekommt einen digitalen Zwilling, der dabei hilft, Zusammenhänge zu erkennen, Probleme zu identifizieren und Lösungen dafür zu finden, auch mithilfe Künstlicher Intelligenz. Was für Chancen das birgt – etwa für die ressourcenschonende Nutzung von Energie, für die Planung öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistungen und letztlich für eine wissensbasierte, vorausschauende Politik –, kann man sich kaum ausmalen. Die Innovations- und Schaffenskraft, die hinter solchen technologischen Meisterleistungen steht, ist ein großes Glück für unser Land. Das gilt gerade in diesen Zeiten.

Sie haben Putins brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine angesprochen, lieber Herr Busch. Und ich will an dieser Stelle sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass Siemens die von uns und unseren Partnern weltweit verhängten Sanktionen auch durch seinen Rückzug aus dem russischen Markt mitträgt. Auch die von Russland inszenierte Posse um die Siemens-Turbinen macht sehr deutlich: Auf Russland ist als Geschäftspartner und Energielieferant kein Verlass mehr.

Umso wichtiger, umso drängender ist es, unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden. „Jetzt erst recht!“ lautet die Devise. Jetzt erst recht setzen wir alles daran, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen und zugleich ein führendes Industrieland zu bleiben. Damit uns das gelingt, sind drei Dinge entscheidend.

Erstens: Pioniergeist, wie er bei Siemens seit 1847 zu Hause ist. Warum, das verrät ein Brief Ihres Gründers Werner von Siemens an seine Frau Mathilde. Als er mal wieder in der Welt unterwegs war, um für bessere Kommunikation, schnelleren Transport oder hellere Häuser und Straßen zu sorgen, da schrieb er über das, was ihn antrieb, Folgendes: „In dem ‚Ich will‘ liegt eine mächtige Zauberkraft, wenn es ernst damit ist und Tatkraft dahintersteht! Freilich darf man Hindernisse und Umwege nicht scheuen und darf in keinem Augenblick sein Ziel aus dem Auge lassen!“

Diese Sätze Ihres Gründers haben sich in die DNA Ihres Unternehmens eingeschrieben. Dafür stehen zum Beispiel digitale Innovationen wie der Product Carbon Footprint, der Ihren Kunden hilft, die Energiewende in den eigenen Unternehmen zu meistern. Und zugleich sind die Tugenden, die Werner von Siemens beschreibt – Tatkraft und Mut –, auch eine gute Richtschnur bei der anstehenden Transformation unseres Landes.

Was zweitens hinzukommen muss, um diese Transformation gut zu bewältigen, sind Schnelligkeit und Tatkraft. Wir waren in den letzten Jahren zu schwerfällig, sei es beim Bau neuer Infrastrukturen, bei der Genehmigung neuer Windkraft- oder Photovoltaikanlagen oder beim Bau von Übertragungsnetzen und Speichern. Das ändern wir gerade. Bis Ende des Jahrzehnts wollen wir in Deutschland rund 800 Terawattstunden Strom produzieren – rund 200 mehr als heute. 80 Prozent davon sollen aus erneuerbaren Energien kommen. Um das zu schaffen, machen wir jetzt Tempo.

Als ich im August Siemens Gamesa besuchte, die in Cuxhaven hochmoderne Windkraftturbinen bauen, habe ich versprochen: Noch in diesem Jahr steht der gesetzliche Rahmen für die Transformation hin zu erneuerbaren Energien, und dieses Versprechen gilt! Deshalb haben wir Genehmigungsverfahren vereinfacht und verkürzt, neue Ausbauziele festgeschrieben und dem Ausbau erneuerbarer Energien auch gesetzlich Vorrang vor anderen Belangen eingeräumt.

Wir lassen uns von den Bedenkenträgern den Schneid nicht abkaufen! Schließlich geht es um die Zukunft unseres Landes, die eine industrielle Zukunft sein wird – mit guten Arbeitsplätzen und innovativen, wettbewerbsfähigen Unternehmen.

Diesem Ziel dient übrigens auch der 200 Milliarden Euro schwere Schutzschirm, den wir aufspannen, um unsere Energieversorgung zu sichern und die Energiepreise für die Bürgerinnen und Bürger und unsere Unternehmen zu deckeln. Wir reden dabei über einen überschaubaren Zeitraum von einem, maximal zwei Jahren. Denn schon in diesem Winter gehen die ersten Flüssiggasterminals ans Netz. Weitere folgen im Laufe des kommenden Jahres.

Wir haben neue Liefervereinbarungen geschlossen, zuletzt mit Staaten in der Golfregion. Den Ausbau der erneuerbaren Energien treiben wir mit Hochdruck voran. All das wird für Entspannung beim Energieangebot und bei den Preisen sorgen. Bis es aber soweit ist, wird der Staat die wirtschaftliche Substanz unseres Landes schützen und erhalten. Deutschland ist dazu in der Lage, weil wir ein starkes Land sind.

Manchmal werden wir Deutschen ja etwas belächelt für unsere Konsenskultur, für die komplexen Abstimmungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, für die ausgeprägte Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unseren Betrieben. Dabei ist es genau diese Kultur des Zusammenhalts, die unser Land in Krisen wie dieser stark macht, die dafür sorgt, dass wir Schwierigkeiten gemeinsam meistern.

Das ist auch mein dritter und letzter Punkt: Wenn wir uns diesen Zusammenhalt bewahren, dann werden wir die vor uns liegende Transformation bewältigen. Mehr noch: Dann wird unser Land gestärkt daraus hervorgehen.

Siemens hat das für sich auf einen ganz interessanten Slogan gebracht: „Transforming the everyday“ lautet er, und dann folgt, wohlgemerkt auf Deutsch, das Wort „gemeinsam“. That’s the spirit, kann ich da nur hinzufügen. Und dieser Spirit wird bei Siemens gelebt, und zwar schon von Beginn an.

Heute vor 150 Jahren, zum 25. Firmenjubiläum, führte Siemens eigene Pensions-, Witwen- und Waisenkassen ein – zu einer Zeit, als eine vernünftige soziale Absicherung noch völlig unbekannt war; ein Pionier auch in Sachen Zusammenhalt eben!

Und auch heute versteht sich Siemens als verantwortungsbewusster, moderner Arbeitgeber. Sie bilden aus, Sie investieren in die Weiterbildung Ihrer Kolleginnen und Kollegen – hier in Deutschland und weltweit. In der Coronapandemie haben Sie schnell flexible Arbeitsmodelle entwickelt, die Sie nun weiterführen. Das alles macht Siemens attraktiv für qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und die sind entscheidend für den Erfolg eines jeden Unternehmens.

Bleibt mir nur noch, Ihnen von ganzem Herzen zu gratulieren: zu 175 Jahren, in denen Siemens nicht nur Grundsteine für das Industriezeitalter gelegt hat, sondern mit seinen Innovationen auch gleich die zweite industrielle Revolution mit anschiebt. Zu 175 Jahren, in denen Siemens die Welt elektrifiziert, bewegt, verbunden und immer wieder neu erfunden hat. Kurzum: zu 175 Jahren Erfolg made by Siemens, made in Germany!

Für Ihren Anteil daran möchte ich Ihnen und all Ihren Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken. Und was die Zukunft angeht, so halte ich es einfach mit Werner von Siemens: Weiterhin mächtige Zauberkraft – und ebenso viel Tatkraft!

Schönen Dank.