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Symbolbild: Olaf Scholz

24.10.2022 | Berlin

Rede anlässlich des fünften Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforums

Sehr geehrter Herr Premierminister Schmyhal,

sehr geehrter Herr Adrian,

sehr geehrter Herr Engel,

laskáwo prósymo, ein herzliches Willkommen hier in Berlin, Herr Premierminister, lieber Denys, an Dich und an unsere ukrainischen Gäste! Dass Sie alle hierhergekommen sind, ehrt uns sehr. Auf den Tag genau heute vor acht Monaten überfiel Russland die Ukraine. Dieser 24.Februar 2022 markiert eine furchtbare Zäsur zuallererst natürlich im Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie kämpfen um ihr Land, um ihre Freiheit und um ihr Leben. Mit welch großem Mut, welcher Entschlossenheit sie das tun, das beeindruckt uns alle, Tag für Tag.

Mehr noch: Wir stehen in diesem Kampf, der auch ein Kampf um die Sicherheit und die Friedensordnung Europas ist, fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Wir unterstützen ihr Land politisch, finanziell, wirtschaftlich, humanitär und auch mit Waffen.

Auch das gehört hierher, meine Damen und Herren, auf diese Wirtschaftskonferenz. Denn der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht erst stattfinden muss. Die rücksichtslosen Raketenangriffe Russlands auf die Infrastruktur zeigen, dass wir alles unternehmen müssen, um ukrainische Städte und Dörfer, Häfen, Brücken, Straßen und Eisenbahnlinien, Fabriken und Wohnhäuser vor der Zerstörung durch russische Bomben und Raketen zu schützen.

Deshalb bin ich froh, dass neben unseren Flugabwehrraketen und Flakpanzern inzwischen auch ein hochmodernes Luftverteidigungssystem aus deutscher Produktion vor Ort in der Ukraine ist. Sie haben darüber berichtet, wie effektiv es wirkt. IRIS-T kann eine ganze Großstadt gegen Raketen und Drohnen verteidigen. Drei weitere davon werden so schnell es geht geliefert. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir die Ukraine unterstützen, solange das nötig ist.

Das gilt für die Zeit des Krieges. Das gilt darüber hinaus für den Wiederaufbau. Dabei können Sie sich auf Deutschland, auf die Europäische Union und auf viele Freunde in der Welt verlassen, sehr geehrter Herr Premierminister! Schon jetzt ist klar: Der Wiederaufbau Ihres Landes wird eine Generationenaufgabe. Kein Land, kein Geber, keine internationale Institution kann das alleine stemmen. Umso wichtiger ist, dass wir jetzt gemeinsam die Weichen stellen, damit der Wiederaufbau gelingt.

Darum wird es morgen gehen, auf einer internationalen Expertenkonferenz hier in Berlin, zu der Kommissionspräsidentin von der Leyen und ich als G7-Vorsitzender internationale Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Europa, G7, G20, internationalen Organisationen, der Zivilgesellschaft und insbesondere der Ukraine selbst eingeladen haben. Ziel ist es, gemeinsam die internationale Unterstützung zu mobilisieren, die die Ukraine am dringendsten braucht. Je koordinierter und transparenter das geschieht, desto größer wird international die Bereitschaft zu helfen sein, desto mehr private Unternehmen werden in den Wiederaufbau der Ukraine investieren.

Am 23.Juni dieses Jahres haben wir im Europäischen Rat eine Entscheidung getroffen, die eine wichtige Weichenstellung ist für die Ukraine und für die Europäische Union. Wir haben entschieden, der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Damit tragen wir dem Rechnung, was spätestens seit den Protesten auf dem Maidan allen klar ist: Die Ukraine ist Teil der europäischen Familie. Ich meine diese Zusage sehr ernst in all ihrer Konsequenz. Wir wollen, dass die Ukraine Teil der Europäischen Union wird.

Diese Entscheidung sendet auch ein Signal an private Investoren: Wer heute in den Wiederaufbau der Ukraine investiert, der investiert in ein künftiges EU-Mitgliedsland, das Teil unserer Rechtsgemeinschaft und unseres Binnenmarkts sein wird.

Auch für den Wiederaufbau hat diese Entscheidung Konsequenzen: Wenn wir die Ukraine wiederaufbauen, dann tun wir das mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf. Das heißt, den Logistik- und Transportsektor sowie die Verkehrsinfrastruktur gleich so aufzubauen, dass die Ukraine vollständig an den EU-Binnenmarkt angebunden wird. Das heißt, Exportwege für ukrainische Produkte offenzuhalten, ukrainische Unternehmen zu stärken und gleichzeitig die begonnene Entwicklung hin zu einer nachhaltig produktiven Industrie und Landwirtschaft voranzutreiben. Das heißt, den ukrainischen Gesundheitssektor zu unterstützen, um Leben zu retten so wie deutsche Unternehmen es etwa durch Spenden von Medizinprodukten und Arzneimitteln bereits tun und zugleich das Gesundheitswesen dauerhaft zu stärken. Ich denke da an moderne Ausstattung, Ausbildung und Digitalisierung.

Schließlich heißt Wiederaufbau, zerstörte Energiewerke und -netze nicht nur wieder funktionstüchtig zu machen so prioritär das derzeit ist , sondern auch deren Effizienz zu erhöhen, um Stromexporte aus der Ukraine in die EU weiter auszubauen und das Energiesystem der Ukraine Schritt für Schritt klimaneutral aufzustellen. Schließlich hat die Ukraine dank Sonne, Wind und vorhandener Netze allerbeste Voraussetzungen, künftig nicht nur Transitland, sondern Exporteur von nachhaltig produzierter Energie zu werden. Dass hierzu schon erste Abkommen zwischen deutschen und ukrainischen Unternehmen in Arbeit sind, zeigt das enorme Potenzial.

Ich bin überzeugt: Unser Treffen heute kann der Beginn einer Wirtschafts- und Transformationspartnerschaft zwischen unseren Ländern werden, die tiefer und weiter geht als alles bisher eine Partnerschaft, die heute schon die großen Chancen in den Blick nimmt, die sich in der Ukraine künftig bieten.

Über 2000 deutsche Unternehmen sind in der Ukraine aktiv viele davon in Zukunftsbranchen wie IT, Digitalisierung oder dem Ausbau erneuerbarer Energien. Einige von ihnen weiten ihr Geschäft sogar während des Krieges aus. Andere Unternehmen warten nur darauf, schnellstmöglich zurückzukehren. Wenn man mit deutschen Wirtschaftsvertretern spricht, die in der Ukraine tätig sind, dann loben alle die guten Bedingungen dort, vor allem die hervorragend ausgebildeten, motivierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zugleich wünschen sich alle mehr Verlässlichkeit des Rechtsstaats, mehr Transparenz und einen noch entschiedeneren Kampf gegen die Korruption.

Ich weiß, sehr geehrter Herr Premierminister, lieber Denys, auch Ihr wisst um die Bedeutung dieser Themen. Natürlich wird Euer Weg in die EU mit vielen Reformen, gerade auch mit Blick auf die Judikative und den Kampf gegen Korruption, verbunden sein, ja, verbunden sein müssen. Diese Hoffnung setzen auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer in eine EU-Mitgliedschaft ihres Landes so hat Präsident Selensky es mir immer wieder berichtet.

Denn die Achtung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit ist der entscheidende Wesenszug der Europäischen Union. Das und die Demokratie sind die Basis für das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander. Auch für diese Reformen wird die EU, wird Deutschland, ein zuverlässiger Partner für die Ukraine sein.

Noch etwas kommt uns zugute, wenn wir heute eine neue ukrainisch-deutsche Wirtschaftspartnerschaft begründen: die persönlichen Verbindungen zwischen Ukrainern und Deutschen. Sie sind die wohl stärkste Brücke zwischen unseren Ländern. Eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer haben seit dem 24. Februar Zuflucht hier bei uns gefunden zusätzlich zu ihren Landsleuten, die schon vorher hier in Deutschland lebten. Sie alle sind und bleiben uns herzlich willkommen!

Es war richtig, den Geflüchteten von Beginn an die Möglichkeit zu geben, hier zu arbeiten. Mein Dank gilt den Unternehmen, die das so schnell möglich gemacht haben. Und mein Dank gilt auch den Lehrerinnen und Lehrern, die die mittlerweile fast 200.000 ukrainischen Kinder an den deutschen Schulen willkommen heißen.

Viele der Ukrainerinnen und Ukrainer wünschen sich trotzdem nichts sehnlicher, als möglichst bald in die alte Heimat zurückzukehren. Wer könnte das nicht verstehen? Doch auch dann davon bin ich überzeugt bleiben sie auch in Zukunft eine Brücke zwischen unseren Ländern, weil sie Deutschland kennengelernt haben, weil sie vielleicht Deutsch sprechen, weil sie Verbindungen geknüpft haben, die bleiben.

Wenn es in diesen schweren Zeiten also eine hoffnungsvolle Botschaft gibt, dann doch diese: Putins Krieg hat uns zusammengeschweißt. Nie zuvor waren die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine enger. Nie zuvor war die europäische Zukunft der Ukraine klarer. Nie zuvor war auch das Interesse der deutschen und europäischen Wirtschaft größer, sich in der Ukraine zu engagieren. Das zeigt übrigens bereits der Blick in diesen Raum.

Vielen Dank, dass Sie hier sind!