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Foto: Olaf Scholz hält eine Rede
dpa
06.07.2022

Rede anlässlich des Sommerfestes des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V.

Mittwoch, 6. Juli 2022, Berlin

Liebe Simone Peter,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es ist schön, dass wir an diesem Sommerabend hier zusammenkommen. Ich sage das sehr bewusst, obwohl das nicht die Zeit für ausgelassene Sommerfeste ist. Einige hundert Kilometer östlich von hier herrscht Krieg. Das können wir nicht vergessen ‑ auch nicht in diesen Minuten. Und das kann ich auch nicht vergessen. Dieser Krieg bestimmt die politische Agenda. Und nicht nur das. Auch für Ihre Branche hat er die Vorzeichen radikal verändert. Deshalb ist es gut, sich zu treffen, zusammenzukommen und sich auch auszutauschen.

Das hat hier in Berlin übrigens weit über die heutige Berliner Republik hinaus eine lange Tradition. Schon im vorletzten Jahrhundert traf man sich, um über Kunst, Literatur und die neuesten Forschungsergebnisse zu diskutieren. Einige dieser Gesprächsrunden gibt es heute noch, beispielsweise die Physikalische Gesellschaft zu Berlin, gegründet 1845. Genau dort hielt im Juli vor 175 Jahren Hermann von Helmholtz seinen wegweisenden Vortrag über die Erhaltung der Kraft. Darin formulierte er den sogenannten Energieerhaltungssatz, eines der fundamentalen Prinzipien der Physik. Sie alle kennen das: „Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Sie kann nur von einer Form in andere Formen umgewandelt werden.“ Salopp gesagt: Von nichts kommt nichts. Es geht aber auch nichts verloren.

Die Idee war damals ein ziemlicher Knaller, zumindest unter den jüngeren Wissenschaftlern. Sie gilt bis heute. Von nichts kommt nichts heißt gerade in diesen Zeiten, dass wir mit ganz neuer Dringlichkeit Lösungen finden müssen, woher die Energie kommt, die wir brauchen. Das gilt genauso für die Frage, was mit den Umwandlungsprodukten passiert; gerade mit denen, die unser Klima und unsere Umwelt schädigen.

Deshalb führt unser Weg irgendwie auch zurück in die Zukunft. Die allerersten Energiequellen der Menschheit waren Sonne, Wasser und Wind. Kohle, Erdöl, Erdgas als fossile Energien kamen erst sehr viel später hinzu, dafür umso intensiver. Die Verbrennung fossiler Energieressourcen wurde zu unserer wichtigsten Energiequelle. Mittlerweile wissen wir, dass diese Ressourcen endlich sind. Vor allem haben Sie aber in 250 Jahren seit Beginn der industriellen Revolution unser Klima und unsere Umwelt massiv geschädigt. Deshalb müssen wir zurück zu Sonne, Wind und Wasser.

Die Bundesregierung hat sich dabei ehrgeizige Ziele gesetzt. Wir wollen bis 2045 als erstes großes Industrieland klimaneutral werden. Wir wollen 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs bis 2030 aus erneuerbaren Energien beziehen. Wir wollen 50 Prozent Wärme bis 2030 klimaneutral erzeugen. Das war von Anfang an der Plan. Und das bleibt weiterhin der Plan. Nun müssen wir ihn unter den geänderten Vorzeichen seit dem 24. Februar noch schneller, noch entschlossener und noch mutiger umsetzen. Und das werden wir auch tun.

Ich habe mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine von einer Zeitenwende gesprochen. Inzwischen spüren wir, dass ein so fundamentaler Angriff auf die europäische und internationale Friedensordnung nicht spurlos an unserem Land vorbeigeht. Nirgendwo wird das so deutlich wie im Energiebereich. Der Krieg in der Ukraine hat uns allen in seiner Brutalität gezeigt, dass Energiepolitik nicht nur eine Frage des Preises ist. Energiepolitik ist auch Sicherheitspolitik.

Deutschland hat sich zu lange und zu einseitig auf Energielieferungen aus Russland verlassen. Heute müssen wir feststellen, dass Russland Energie als Waffe einsetzt. Niemand glaubt doch, dass Russland seine Gaslieferungen allein aus technischen Gründen reduziert. Deshalb geht es jetzt darum, so schnell wie möglich die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren, ohne unsere Versorgungssicherheit aufs Spiel zu setzen.

Bei Kohle ist der Lieferstopp ab Herbst beschlossen. Bis Ende des Jahres wollen wir aus russischem Öl aussteigen. Bei Gas schaffen wir mit Hochdruck Alternativen. Wir haben bereits frühzeitig damit begonnen, für den „worst case“ zu planen: Wir befüllen die Gasspeicher. Wir investieren in neue Infrastruktur wie LNG-Terminals, die künftig dann auch für grünen Wasserstoff bereitstehen sollen.

Ja, für unsere Abhängigkeit von russischen Energieimporten zahlen wir aktuell einen sehr, sehr hohen Preis. Das spüren unsere Bürgerinnen und Bürger genauso wie unsere Unternehmen. Deshalb haben wir weit über 30 Milliarden Euro in die Hand genommen, um die Preissteigerungen abzumildern, zum Beispiel mit dem 9-Euro-Ticket ‑ das will ich einmal herausgreifen und das andere lasse ich weg.Aber zum Beispiel auch mit dem Wegfall der EEG-Umlage auf den Strompreis seit dem 1. Juli. Das sind pro Jahr immerhin 20 Milliarden Euro, die auf dem Strompreis lasten.

Es wird eine große, große Aufgabe, dass wir das möglich machen, und dass wir die Haushaltsbelastungen, die da kommen, refinanzieren. Wir machen das jetzt über unseren Fonds und dann über steigende Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, wie jeder weiß. Aber es ist ein Weg, den wir eingeschlagen haben und der jetzt richtig ist. Und natürlich helfen wir ‑ auch das muss in einem Kreis wie hier gesagt werden ‑ auch den Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten, mit Bürgschaften und Krediten der KfW.

Mit all diesen Maßnahmen ‑ und auch vielen, die ich jetzt nicht genannt habe ‑ können wir einen großen Teil der gestiegenen Preise in diesem Jahr, soweit man das jetzt kalkulieren kann, auffangen. Aber viele Experten gehen davon aus, dass vermutlich im kommenden Jahr die Belastungen durch höhere Preise noch einmal zunehmen werden, und das kann sich ja auch in diesem Jahr noch einmal steigern.

Deshalb habe ich vorgestern Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik zu einer Auftaktsitzung einer „Konzertierten Aktion“ ins Bundeskanzleramt geladen. In den kommenden Monaten werden wir weiter konkret darüber sprechen, was jede Seite in ihrem Verantwortungsbereich dafür tun kann, dass wir gut durch diese Zeit kommen. Und wie wir gemeinsam Lösungen finden, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten ‑ insbesondere bei den Energiekosten. Denn wenn beispielsweise die Heizrechnung plötzlich um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das etwas, das sich viele nicht einfach leisten können und das sie auch nicht bewältigen können. Die Rücklagen sind nicht groß genug dafür.

Klar ist allerdings auch: Wenn Energie dauerhaft bezahlbar bleiben soll, wenn wir Versorgungssicherheit und Klimaschutz unter einen Hut kriegen wollen, dann geht das nur mit den erneuerbaren Energien. Deshalb müssen wir jetzt den Turbogang beim Ausbau der erneuerbaren Energien einlegen. Bei Ihnen renne ich da sicherlich offene Türen ein. Aber inzwischen hat sich das ja auch anderswo herumgesprochen: Jedes Windrad, jede Fotovoltaikanlage, jede Biomasseanlage ist ein Schritt auf dem Weg dahin, dass unsere Energieversorgung unabhängiger und nachhaltiger wird, dass sie sicher ist und bezahlbar bleibt.

Und auch hier gilt: Von nichts kommt nichts. Deshalb hat die Bundesregierung in den vergangenen Woche die größte Gesetzesnovelle im Energiebereich in der Geschichte dieses Landes auf den Weg gebracht. Mit dem Frühjahrs- und Sommerpaket haben wir die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass der Ausbau der Photovoltaik und von Wind-an-Land und Wind-auf-See verbessert und massiv beschleunigt wird.

Wir haben ehrgeizige Ziele. Wir wissen, wir brauchen nicht nur den heutigen Strom aus erneuerbaren Quellen. Sondern wir brauchen mehr Strom bis zum Ende des Jahrzehnts und noch einmal die doppelte Menge bis zum übernächsten. Denn es geht ja nicht nur darum, das, was wir heute mit Strom machen, durch eine andere Produktionsquelle zu ersetzen. Sondern wir müssen tief eingreifen in die heutige Art und Weise des Produzierens. Es geht um industrielle Prozesse, bei denen Strom und mit erneuerbaren Quellen erzeugter Wasserstoff eine ganz zentrale Rolle spielen. Deshalb brauchen wir eine massive Steigerung, einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien in diesem Land.

Noch ein Argument für diejenigen, die vielleicht nicht hier versammelt sind, aber auch irgendwie zuhören: Deutschland hat eine Wette abgeschlossen ‑ eine Wette, die übrigens schon in der letzten Legislaturperiode eingegangen wurde und mit dem Kohleausstieg und dem schon zweimal beschlossenen und sich nun endgültig realisierenden Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie verbunden ist. Wir haben die Wette abgeschlossen, dass wir etwas anderes an diese Stelle setzen. Und ich verstehe nicht, dass, nachdem dieses Land ‑ übrigens mit unterschiedlichen politischen Mehrheiten ‑ diese Ausstiege beschlossen hat, so viele ‑ selbst wenn sie Zweifel haben, ob das wohl richtig war ‑ nirgendwo einsteigen wollen. Das geht wirklich nicht auf, und deshalb müssen wir das jetzt zustande bringen.

Dafür brauchen wir natürlich Flächen und vor allem Akzeptanz vor Ort. Und wir müssen die Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen. Das tun wir mit den jetzigen Gesetzesvorhaben. Und im Herbst kommt noch einmal ein Paket an Gesetzen, mit dem wir das unbedingt voranbringen wollen. Schon jetzt haben wir gesetzlich festgeschrieben, bzw. diese Woche werden wir wohl gesetzlich festschreiben ‑ der Bundestag beschließt das hoffentlich diese Woche ‑, dass der Ausbau erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt. Das wird die Planungsverfahren beschleunigen. Ganz klar ist, dass wir uns von den Bedenkenträgern und den Verteidigern des Status quo nicht aufhalten lassen dürfen. Wir haben schlichtweg auch keine Zeit mehr, um Dinge aufzuschieben nach dem Motto: Morgen, morgen, nur nicht heute. Dafür steht viel zu viel auf dem Spiel.

Eines möchte ich noch hinzufügen. Wir tun das alles nicht im Alleingang, sondern eng koordiniert mit unseren Partnern in Europa und weltweit. Wir haben uns in der EU darauf verständigt, dass wir die Energiepolitik resilienter machen müssen, und dass wir uns noch besser koordinieren. Wir sind auf einem guten Weg. Viele Gesetzesvorhaben Europas sind jetzt auf den Weg gebracht. Auch darüber hat es Verständigung gegeben. Jetzt gibt es auch noch neue Initiativen der Kommission, mit denen wir die Planungsverfahren noch einmal beschleunigen. „Go-to“ heißt das. Mal sehen, ob das auch klappt. Aber ich bin ganz zuversichtlich.

Natürlich geht es auch darum, dass wir eine effiziente Nutzung von Energie und den Ausbau alternativer Produktionskapazitäten überall voranbringen. Wir wollen die Energiewende zu einem globalen Projekt machen. Deshalb haben wir zum Beispiel vor, mit vielen Ländern des globalen Südens „energy transition partnerships“ zu vereinbaren. Eine haben wir schon vereinbart, und zwar mit Südafrika. Aber wir wollen viele, viele andere Länder mit einbeziehen. Indien, Indonesien, Vietnam und Senegal sind Partner, die bereitstehen und mit denen wir das intensiv vorbereiten.

Auch auf dem G7-Gipfel in Elmau hier in Deutschland haben wir uns darauf verständigt, dass wir mit der Dekarbonisierung schneller vorankommen müssen. Wir haben uns vor allem auf einen Klimaclub geeinigt, den wir voranbringen wollen. Einen Club, in dem es vor allem darum geht, dass unterschiedliche Wege immer zu dem gleichen Ziel führen, nämlich um die Mitte dieses Jahrhunderts klimaneutral zu wirtschaften. Das ist das, was wir machen müssen. Die Industrieländer müssen vorangehen. Denn das ist doch entscheidend.

Wir können jetzt die CO2-Emissionen einiger Länder des globalen Südens hochrechnen. Wenn sie groß sind und Milliarden Einwohner haben, sind das ziemlich viele. Aber wenn wir sie pro Kopf umrechnen, ist der Vergleich nicht günstig für uns. Das weiß fast jeder und jede. Aber es muss für uns klar sein, dass es deshalb unsere Aufgabe ist, zu zeigen, dass es Alternativen gibt. Wir werden nicht zu diesen Ländern hingehen und sagen: Wir hatten jetzt zweihundert Jahre eine super Party mit der Industrialisierung. Wir haben ziemlich viele fossile Ressourcen verbraucht. Ihr wisst schon, dass das kein so guter Gedanke ist. Ihr macht das nicht! Sondern sie werden nur dann sagen: „Wir machen das nicht“, wenn hier entwickelte, vorangebrachte, in der Praxis bewährte billige Alternativen zur Verfügung stehen. Diese Aufgabe ist mit den erneuerbaren Energien verbunden. Wenn wir vorangehen, dann gehen wir auch woanders voran, weil wir es zeigen müssen.

Ach ja! Ich wollte hier noch das Big Business ansprechen. Ich meine die hier Anwesenden. Aber die Wahrheit ist ‑ insofern möchte ich auch noch auf die freundliche Ansprache reagieren ‑ die Perspektive ist: Die erneuerbaren Energien sind die Art und Weise, wie wir unsere Energie erzeugen. Deshalb wird man sich schon an den Gedanken gewöhnen müssen, dass das - wenn man allein auf dem Platz ist - kein Geschäftsmodell ist, das wir subventionieren. Sondern das ist ein Geschäftsmodell, das sich spätestens dann selbst tragen muss. Ehrlicherweise muss ich im Hinblick auf meinen dann regierenden Nachfolger oder meine dann regierende Nachfolgerin sagen: Wir wollen auch Steuern haben. Wenn man schon das Geschäftsmodell der Zukunft vertritt, dann muss man sich von dem Gedanken lösen, dass man auch im Jahre 2050 noch irgendeine Subvention bekäme. Das Gegenteil wird richtig sein. Trotzdem soll es billig und gut für die Umwelt sein. Das ist die Aufgabe, die Sie alle haben.

Mir liegt das ganze Vorhaben hier sehr am Herzen, weil es uns dem Ziel näherbringt, dass wir als Land in weniger als 25 Jahren erreichen, klimaneutral zu werden und zugleich Industrieland zu bleiben - und zwar auf eine Art und Weise, die unser Leben besser und unsere Wirtschaft leistungsfähiger macht, die Arbeitsplätze schafft und Zukunft sichert. Das wird ein unglaublicher Kraftakt. Aber zum Glück wissen wir ja auch dank Hermann von Helmholtz, dass die Energie, die wir dort hineinstecken, nicht verloren geht. Dieser Weg wird sich lohnen. Deshalb: Packen wir’s an!

Schönen Dank!