arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

30.08.2017

"Alle wichtigen Regierungserfolge dieser Legislaturperiode gehen auf die SPD zurück" Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"

"Alle wichtigen Regierungserfolge dieser Legislaturperiode gehen auf die SPD zurück" Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"

 

"FAZ": Herr Bürgermeister, ein autonomes Kulturzentrum will das Haus sein, ein Baudenkmal ist es, Zentrum eines hippen Viertels, das Touristen aus aller Welt anzieht. Vor ein paar Jahren haben sie es als Stadt sogar von einem Investor zurückgekauft. Waren Sie eigentlich schon einmal selbst in der Roten Flora?


Olaf Scholz: Nein, auch wenn das Gebäude in meinem Bundestagswahlkreis lag, war ich nie in der Roten Flora.

"FAZ": Nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel im Schanzenviertel rund um das Zentrum der Autonomen haben Sie gesagt, es kann bei der Roten Flora nicht so bleiben wie es ist, es muss etwas passiert. Ist denn schon etwas passiert und was erwarten Sie?

 

Olaf Scholz: Mir ist das Signal wichtig: Die Zeit ist gekommen, darüber nachzudenken, wie es mit der Roten Flora weitergehen soll. Und darüber sollten sich auch jene Gedanken machen, die hinter der Roten Flora stehen. Wir brauchen einen Klärungsprozess, an dessen Ende das Bekenntnis stehen muss, dass Gewalt keine Handlungsoption ist.

"FAZ": Liegen alle Optionen auf dem Tisch ist also auch eine Räumung der Flora möglich?

 

Olaf Scholz: Es beginnt jetzt ein Gesprächsprozess. Das ist der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger in der gesamten Stadt. Niemand sollte sich diesem Prozess entziehen. Das wäre ein großer Fehler.

"FAZ": Der Innenminister hat gerade erst die linksextreme Internetseite linksunten.indymedia verboten, die auch im Vorfeld der G20-Ausschreitungen eine Rolle gespielt haben soll. Begrüßen Sie dieses Verbot?

 

Olaf Scholz: Ich halte das Verbot für eine richtige Entscheidung.

"FAZ": In dieser Woche nimmt die juristische Aufarbeitung der G20-Ausschreitungen mit den ersten beiden Prozessen gegen mutmaßliche Gewalttäter Fahrt auf und ebenso die politische mit dem Sonderausschuss, der sich am Donnerstag konstituiert und vor dem Sie den Abgeordneten mindestens drei Mal Rede und Antwort stehen sollen. Wie blicken Sie nun mit fast zwei Monaten Abstand auf diese Tage im Sommer, was ist schiefgelaufen?


Olaf Scholz: Die Ereignisse um den G20-Gipfel haben in Hamburg niemanden kalt gelassen, mich auch nicht. Unser Ziel ist es immer gewesen, alle Sicherheitsanforderungen, die mit einem solchen Ereignis einhergehen, zu erfüllen. Leider ist das nicht überall und zu jeder Zeit in der Stadt gelungen. Der Aufarbeitungsprozess, der jetzt beginnt, dient dazu, all diese Dinge zu verstehen und zu lernen, was man in Zukunft besser machen kann. Unverändert bin ich aber der Überzeugung, dass solche Zusammenkünfte von Staats- und Regierungschefs notwendig sind. Und ich bin dafür, dass solche Treffen auch in unseren westlichen Demokratien stattfinden, angesichts der großen Teilnehmerzahl auch in großen Städten.

"FAZ": Auch über Verfehlungen der Polizei wird in Hamburg gesprochen. 60 Ermittlungsverfahren gegen Beamte laufen in einer Kommission der Innenbehörde. Sie haben die Polizei für ihren Einsatz früh gelobt. Bleibt es dabei?


Olaf Scholz: Ja, dabei bleibt es. Die Polizei hatte einen sehr schwierigen Einsatz zu bewältigen. Wir hatten Beamtinnen und Beamte aus ganz Deutschland in Hamburg, deutlich mehr als 20.000 Polizisten in der festen Überzeugung, damit die Sicherheitsanforderungen erfüllen zu können. Es ist angemessen, dass wir diesen Männern und Frauen großen Respekt zollen für die schwere Arbeit, die sie professionell geleistet haben. Ich habe viel Dankbarkeit in der Stadt wahrgenommen. Zur Professionalität gehört selbstverständlich, dass geklärt wird, ob sich einzelne nicht korrekt verhalten haben.

"FAZ": Im Sommer waren die Hamburger Sicherheitsbehörden nicht nur wegen des Gipfels im Fokus der Öffentlichkeit. Ende Juli erstach ein abgelehnter Asylbewerber in Hamburg einen Mann aus islamistischen Motiven. Die Sicherheitsbehörden hatten ihn lange im Blick, doch schätzten ihn nicht als gefährlich ein. Wie konnte das passieren?


Olaf Scholz: Immer wieder gelingt es Einzeltätern in Europa, auch bei uns in Deutschland, solche schrecklichen Taten zu begehen. Es muss unser Ehrgeiz sein, so etwas zu verhindern, indem die Sicherheitsbehörden die Gewalttäter frühzeitig identifizieren und im Blick behalten. Im konkreten Fall deutet manches darauf hin, dass nicht alles, was hätte getan werden können, auch getan worden ist. Das wird aufgearbeitet. Leider spricht einiges dafür, dass selbst wenn alles ordentlich abgelaufen wäre, diese Tat vielleicht nicht hätte verhindert werden können.

"FAZ": Stoßen die Sicherheitsbehörden also an ihre Grenzen, wenn selbst dann, wenn man alles richtig macht, so etwas nicht verhindert werden kann?


Olaf Scholz: Ich bin dagegen, dass wir uns gewissermaßen unserem Schicksal ergeben. Der Staat muss alles tun, um mit den Hinweisen und Möglichkeiten, die er hat, solche Taten zu verhindern. Wir sollten uns als Gesellschaft niemals daran gewöhnen, dass solche Anschläge passieren.

"FAZ": Ist die Innere Sicherheit die Schwachstelle der SPD im Bundestagswahlkampf?


Olaf Scholz: Überhaupt nicht in den Ländern stellt die SPD viele erfolgreiche und konsequente Innenminister. Tatsächlich ist es doch so, dass die Sozialdemokratische Partei dafür gesorgt hat, dass die Bundespolizei 15.000 zusätzliche Beamte bekommt, nicht der christdemokratische Bundesinnenminister. Als ich 2011 in Hamburg das Amt des Ersten Bürgermeisters übernommen habe, habe ich dafür gesorgt, dass es keine Einsparungen im Polizeivollzugsdienst mehr gibt. Wir brauchen mehr Personal bei den Sicherheitsbehörden und da ist Hamburg vorbildlich.

"FAZ": Die SPD stand im Frühjahr dieses Jahres bei 32 Prozent in den Umfragen. Dreieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl liegt sie nun bei 22 Prozent. Warum?


Olaf Scholz: Ich bin zuversichtlich, dass das Wahlergebnis deutlich über den aktuellen Umfragen liegen wird. Und dennoch ist ihr Hinweis auf die Zahlen im Frühjahr wichtig, weil er belegt, dass die SPD, anders als viele annehmen, das Potential hat, bundesweit mehr als 30 Prozent der Stimmen zu bekommen. Die SPD hat das Zeug, bundesweit stärkste Partei zu werden. Unser ganzer Ehrgeiz ist es, mit einem guten Wahlkampf all jene, die jetzt überlegen, wen sie am 24. September wählen wollen, davon zu überzeugen, Martin Schulz ihre Stimme zu geben.

"FAZ": Aber die Frage war: Was ist schiefgelaufen in den vergangenen Monaten?


Olaf Scholz: Mit der Frage halte ich mich nicht auf. Hauptaufgabe ist jetzt, bis zum 24. September dafür zu kämpfen, dass die Bürger uns die Führung der Regierung zutrauen.

"FAZ": In der SPD-Führung wird, wenn es um die Wahlkampfstrategie geht, immer gesagt, man werde nicht für Geleistetes gewählt, sondern für ein Zukunftsangebot. Beweist Angela Merkel nicht gerade das Gegenteil.


Olaf Scholz: Selbst außenstehende Beobachter stellen fest: Alle wichtigen Regierungserfolge dieser Legislaturperiode gehen auf die SPD zurück, deshalb ist unsere Leistungsbilanz gut und spielt im Übrigen auch eine große Rolle in unserem Wahlkampf. Gleichzeitig stellen wir uns den Herausforderungen, die auf uns zukommen und die niemand unterschätzen sollte. Da sehe ich einen deutlichen Unterschied zur Konkurrenz. Wir haben großen wirtschaftlichen Erfolg an dem aber auch alle teilhaben müssen. Globalisierung und Digitalisierung stellen unsere Gesellschaften vor große Veränderungen, viele Bürgerinnen und Bürger sind dadurch heute schon verunsichert. Darauf müssen wir kluge Antworten geben. Andernfalls werden jene gewählt, die auf Populismus setzen.

"FAZ": Schulz erwähnt zwar den Mindestlohn in seinen Reden. Breiten Raum nehmen aber andere Themen ein: Etwa die kühne Behauptung, am 24. September gehe es um die Alternative Investitionen in die Bildung mit der SPD oder Aufrüstung á la Trump mit der CDU


Olaf Scholz: Ich teile Ihre Beobachtung nicht. Martin Schulz betont immer wieder, dass ein großer Teil der Erfolge, die mit der aktuellen Koalition verbunden werden, von der SPD stammen.

"FAZ": Fanden Sie es klug, dass Schulz gesagt hat, er fühle sich an die Beschlüsse des Nato-Gipfels von Wales, die nationalen Verteidigungsausgaben binnen zehn Jahren zwei Prozent der Wirtschaftsleistung anzunähern, nicht gebunden. Diese wurde vor allem von Frank-Walter Steinmeier ausgehandelt.


Olaf Scholz: Sie machen einen künstlichen Gegensatz auf: Martin Schulz hat klar gesagt, er sei bereit, Milliarden in die Bundeswehr zu investieren, um die Truppe besser auszurüsten. Zugleich hat er deutlich gemacht, was es bedeuten würde, das Zwei-Prozent-Ziel einfach so umzusetzen. Da hat nicht nur er das Gefühl, dass das zu weit gehen könnte. Am Ende hätte Deutschland die größte Armee Europas.

"FAZ": Das sagen auch Schulz und Sigmar Gabriel und spielen dabei mit angeblichen Ängsten der europäischen Nachbarn. Tatsächlich fordern aber Polen und Franzosen einen größeren deutschen Militärbeitrag ein.

 

Olaf Scholz: Deutschland übernimmt doch längst viel mehr Verantwortung in Europa, auch militärisch und zu dieser Verantwortung steht die SPD. Trotzdem muss man darüber diskutieren, wie unsere Streitkräfte künftig aussehen sollen.

"FAZ": Sie haben kürzlich im Fernsehen die Vorsitzende der Linke-Fraktion und Spitzenkandidatin der Partei Sahra Wagenknecht eine Verschwörungstheoretikerin wie Donald Trump genannt. War das auch eine Botschaft an die SPD: Hört auf mit dem Gerede über ein Linksbündnis?

 

Olaf Scholz: Ich habe mir in einer Fernsehrunde ununterbrochen haltlose Vorwürfe von Frau Wagenknecht anhören müssen. Da kann man schlecht erwarten, dass ich das unwidersprochen lasse. Und im Übrigen: In allen klassischen Industriestaaten gibt es angesichts der Globalisierung und des technischen Wandels wachsende Sorgen bei großen Teilen der Bevölkerung. Ich halte den Hinweis für wichtig, dass diese Entwicklung ein globales strukturelles Problem ist, das neue Antworten verlangt. Und es ist Unsinn, dass es in jedem Land jemanden gibt, der die Erklärung für diese Probleme in einer politischen Verschwörung sieht.

"FAZ": In der SPD blicken jetzt alle auf das TV-Duell vom Sonntag. Wird das die Wende im Wahlkampf werden?

 

Olaf Scholz: Das TV-Duell ist eine gute Chance, auch wenn ein Wahlkampf sich nicht an einem Abend entscheidet. Martin Schulz wird die Chance nutzen. Viele Wähler sind sich nicht sicher, ob ein Weiter-so wirklich ausreicht. Meine Hoffnung ist, dass Martin Schulz deshalb viele überzeugen kann, auf ihn zu setzen.

"FAZ": Erwarten Sie am Abend des 24. September klare Verhältnisse?

 

Olaf Scholz: Ich erwarte eine lange Phase der Regierungsbildung.

 

Das Interview erschien am 30. August in der "FAZ".