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20.03.2003

Brief an die SPD Mitglieder zum Irak Konflikt


Liebe Genossinnen und Genossen,

die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts sind gescheitert. Unsere Gefühle sind bei den Menschen, ihren Sorgen, ihren Ängsten, ihren Leiden. Wir haben diesen Krieg nicht gewollt, und deutsche Soldaten werden sich nicht daran beteiligen.

Unsere Grundüberzeugung ist mit dem Beginn des Krieges keineswegs widerlegt: Krieg ist keine Lösung. Nicht, so lange nicht alle friedlichen Möglichkeiten restlos ausgeschöpft sind. Dafür hat die Bundesregierung, dafür hat sich insbesondere Bundeskanzler Gerhard Schröder mit großem Engagement eingesetzt. Die SPD und ihre Mitglieder haben sie darin tatkräftig unterstützt. Wir wissen uns dabei einig mit der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Der diplomatische Weg, den wir in Zusammenarbeit mit Frankreich und Russland und mit Unterstützung der Mehrheit der Völkergemeinschaft weiter gehen wollten, ist versperrt. Dies ist ein Rückschlag für unsere Bemühungen um eine friedliche Lösung. Es ist keine Widerlegung unserer Friedenspolitik. Wir werden uns nicht entmutigen lassen.

Am Unrechts-Charakter der Saddam-Diktatur hat die SPD nie Zweifel aufkom-men lassen. Dennoch und aus guten Gründen steht es nach den Regeln des Völkerrechts keinem Staat zu, in eigener Machtvollkommenheit die Regierung eines anderen Landes abzusetzen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner Resolution 1441 einstimmig also auch mit  Unterstützung der Regierung der USA die Entwaffnung des Irak, nicht den "Regimewechsel" verlangt.

Das Ziel war die Abwendung einer möglichen Bedrohung durch Zerstörung eventuell vorhandener Vorräte an atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Diesem Ziel sehen sich die Bundesregierung und die SPD weiterhin verpflichtet. Die Inspektoren haben daher volle Unterstützung von deutscher Seite erhalten: sowohl Informationen als auch Gerät und Experten. Die Zwischenberichte der Chefinspektoren Blix und El Baradai belegten die wachsende Wirksamkeit der Inspektionen. Wir bedauern zutiefst, dass die USA und einige andere Staaten sich nicht bereit fanden, diesen erfolgreichen Weg mit uns weiterzugehen.


(Bild?)
Olaf Scholz war einer der Redner bei der Hamburger Kundgebung gegen den drohenden Irak-Krieg am 1. März 2003 auf dem Hamburger Gänsemarkt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und die SPD sind in der Irak-Diskussion von politischen Gegnern des Anti-Amerikanismus beschuldigt worden. Ihr wisst es, und ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Das ist dummes Zeug. Wir teilen mit den USA, den Staaten Europas und vielen anderen Ländern der Welt die gleichen Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Wir bewahren unsere Anerkennung und Dankbarkeit für die große und dauerhafte Unterstützung der Amerikaner für die Deutschen bis hin zur rückhaltlosen Unterstützung der  Wiedervereinigung. Aber Freundschaft ist nicht bedingungslose Gefolgschaft.

Wir sind in einer wichtigen Frage unterschiedlicher Meinung. Die deutsch-amerikanische Freundschaft wird trotzdem fortbestehen. Wir werden das Unsere dazu tun. Und wir werden jedem platten Anti-Amerikanismus entgegentreten. Unser großes Engagement im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite der USA unterstreicht das Fortbestehen der engen Zusammenarbeit. Nach den USA selbst stellt Deutschland das bei weitem größte Kontingent bei der internationalen Friedenssicherung, vom Balkan bis Afghanistan, wo wir mit den Niederländern gemeinsam die Führungsrolle übernommen haben.

Deutschland wird sich nicht mit Soldaten am Krieg im Irak beteiligen. Aber selbstverständlich hält sich die Bundesregierung auch im Hinblick auf die unveränderte Freundschaft zu den USA an ihre Bündnisverpflichtungen und die entsprechenden Zusagen gegenüber unseren Alliierten.

Ich sichere Euch zu, dass die SPD und die von ihr geführte Bundesregierung alles tun werden, was möglich ist, um auf den Weg einer friedlichen Lösung zurückzukehren.

Wir haben diesen Krieg nicht gewollt, und wir haben gemeinsam mit Frankreich und Russland und mit der Unterstützung zahlreicher anderer Staaten alles getan, um ihn zu verhindern.

Und doch haben wir auch die Pflicht, jetzt über den Tag "danach" nachzudenken. Wie können wir deutsche Friedenspolitik noch wirksamer betreiben? Wie können wir gemeinsam mit Frankreich, Russland und vielen anderen, aber eben auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika die Rolle der Vereinten Nationen stärken? Wie können wir eine gemeinsame Außenpolitik der erweiterten EU voranbringen, um unserem Kontinent das politische Gewicht zu geben, das ihm nach seiner Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl zukommt? Diese Fragen müssen wir in den kommenden Monaten in unserer Partei intensiv diskutieren.

Eine andere Aufgabe liegt mir besonders am Herzen: die Hilfe für die Menschen im Irak. Nach dem Ende der Kämpfe brauchen die Menschen unsere Solidarität, als humanitäre Hilfe und als Unterstützung zum Wiederaufbau. Ich bitte Euch alle: Gebt den Hilfsorganisationen Eure Spende und denkt darüber nach, was Ihr persönlich darüber hinaus tun könnt.


Euer Olaf Scholz
Generalsekretär der SPD