arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
21.10.2023

Bundeskanzler Olaf Scholz im Interview mit dem Spiegel

Herr Bundeskanzler, wir führen dieses Gespräch wenige Stunden, nachdem Sie von einer Reise nach Israel und Ägypten zurückgekehrt sind. In Tel Aviv haben Sie sich mit Angehörigen der deutschen Geiseln getroffen. Was haben Sie ihnen gesagt?

Das Gespräch mit den Angehörigen der Entführten war sehr bewegend. Sie haben natürlich Angst um ihre Liebsten, die sich in den Händen der Hamas und anderer Terrorgruppen im Gaza-Gebiet befinden. Die Familien setzen sehr viel Hoffnung darauf, dass Deutschland in dieser schrecklichen Lage helfen kann. Ich habe ihnen gesagt, dass wir alles unternehmen, um die Freilassung der Verschleppten zu erreichen.

Was unternehmen Sie?

Ich bitte um Verständnis, dass ich mich dazu öffentlich nicht äußern werde – auch um diese Bemühungen nicht zu erschweren. Klar ist: Es geht um eine Freilassung ohne Bedingungen, und sie muss möglichst schnell geschehen.

Sie mussten kurz vor Ihrem Abflug in Tel Aviv das Regierungsflugzeug verlassen und sich wegen eines Raketenalarms in Sicherheit bringen. Hatten Sie Angst?

Nein, Israel verfügt mit dem „Iron Dome“ über ein hervorragendes Abwehrsystem, darauf habe ich vertraut. Für die Bürgerinnen und Bürger in Israel sind solche Situationen schrecklicher Alltag – daran habe ich gedacht.

Was war Ihr Eindruck von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu?

Wir hatten in den vergangenen Tagen schon mehrfach miteinander telefoniert. Es war gut, ihn jetzt persönlich zu treffen. Für alle in Israel, auch für ihn, ist das unverändert ein schwerer Schock. Die Terror-Attacke der Hamas hat das Sicherheitsgefühl in Israel tief erschüttert. Jetzt geht es darum, dieses Gefühl, sich im eigenen Land einigermaßen sicher zu fühlen, wieder herzustellen. Israel hat jede völkerrechtliche Legitimation, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. Das habe ich ihm im Gespräch gesagt.

Sie haben die Hisbollah im Libanon und den Iran öffentlich davor gewarnt, in den Konflikt einzusteigen. Was passiert, wenn sie es doch im großen Stil tun? Die Hisbollah soll um die 150.000 Raketen zur Verfügung haben.

Nicht nur ich spreche diese Warnung aus, die Amerikaner senden die gleiche Botschaft. Ich bin mir sicher, dass unsere Warnungen aufmerksam gehört werden von denen, für die sie bestimmt sind.

Falls sich der Konflikt doch noch ausweitet, wäre dann auch ein Einsatz deutscher Soldaten denkbar?

Die Angelegenheit ist viel zu ernst, um darüber abstrakt zu spekulieren.

Bislang galt ein Einsatz in dieser Region als Tabu. Das gilt offenbar nicht mehr?

Die politische Klugheit gebietet es, nie abstrakt über die Frage zu sprechen, wo wir in der Welt Soldaten einsetzen würden, sondern nur im konkreten Fall, wenn es soweit ist. Und: Soweit ist es längst nicht.

Der Überfall der Hamas auf Israel war bestialisch. Muss eine Demokratie wie Israel sich trotz allen Zorns mäßigen, um auch im Kampf gegen den Terror die Gesetze der Humanität nicht aus dem Auge zu verlieren?

Genau das ist das Selbstverständnis Israels. Was aber nicht heißt, dass die, die Israel das angetan haben, nicht mit harten Konsequenzen rechnen müssen. Israel hat, wie gesagt, das Recht, sich zu verteidigen und für seinen Schutz und seine Sicherheit zu sorgen.

Haben Sie Herrn Netanyahu auf diese Gesetze der Humanität angesprochen?

Darüber gibt es gar keinen Dissens. Israel braucht keine Ermahnungen von deutschen Politikern. Ich habe mich bei Premier Netanyahu über die konkreten Pläne Israels für die militärischen Operationen erkundigt. Und wir haben über die Frage der humanitären Hilfe für Gaza geredet. Es ist gut und wichtig, dass sie wohl in Gang kommt.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren Sie viel im globalen Süden unterwegs, um Unterstützung für die westliche Position zu sammeln. Das wird jetzt wahrscheinlich noch schwieriger, weil ein Teil des Südens mehr mit den Palästinensern als mit den Israelis sympathisiert. Der Holocaust gilt dort eher als Thema des Westens.

Der Holocaust war ein Menschheitsverbrechen, und die Menschheit umfasst alle Bewohner und Bewohnerinnen unseres Planeten. Was wir am 7. Oktober in Israel gesehen haben, war ein furchtbarer, mörderischer, menschenverachtender Terrorangriff der Hamas auf unschuldige israelische Bürgerinnen und Bürger – auf Kinder, auf Frauen, auf Alte, auf friedliche Teilnehmer eines Tanzfestivals. Überall in der Welt versteht man das als Terror.

Hier gibt es offenbar Menschen, die das nicht verstehen. Auf deutschen Straßen, vor allem in Berlin, kam es in den letzten Tagen zu antisemitischen Ausschreitungen. Wie konnte das passieren in einem Land, das sich »Nie wieder« geschworen hat?

Solche Ausschreitungen sind furchtbar. Und ja, wir haben dieses »Nie wieder« geschworen. Deshalb müssen wir allen entschieden entgegentreten, die antisemitische Parolen brüllen, die Fahnen des Staates Israels verbrennen, die unverhohlen den Tod von Menschen durch den Terrorangriff der Hamas bejubeln. Das sind alles Straftaten, die müssen verfolgt werden.

In den letzten Tagen konnten diese Straftaten öffentlich begangen werden.

Polizei und Justiz halten dagegen. Denn das können und wollen wir bei uns nicht dulden. Die Versammlungsbehörden müssen Kundgebungen untersagen, bei denen solche Straftaten drohen.

Was ist Ihre Botschaft an die Menschen, die auf den Straßen ihren Hass auf Israel ausleben?

Das hat keinen Platz bei uns. Die Taten der Hamas waren inhuman und barbarisch, niemand darf sie bejubeln. Erst recht nicht in dem Land, dessen Geschichte unauflöslich mit der Schoa verbunden ist.

Und Ihre Botschaft an die Jüdinnen und Juden in Deutschland?

Wir stehen an Eurer Seite. Der Staat wird alles tun, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Und wir werden uns als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht auseinanderdividieren lassen. Wer Juden angreift, wer sie beleidigt oder verletzt, greift uns alle an.

Unter den Israelfeinden in Deutschland sind viele Menschen mit arabischem Migrationshintergrund. Hat die deutsche Politik zu lange ignoriert, wie tief der Hass bei manchen Gruppen sitzt?

Ich sehe nicht, dass das jemand ignoriert hat. Seit Langem haben wir einen klaren Blick darauf.

Offenbar nicht klar genug. Muss Deutschland stärker darauf achten, wer hierherkommt und bleiben darf?

Das tun wir längst. Wir werden jetzt aber noch genauer unterscheiden: Einerseits geht es um die Zuwanderung von Arbeitskräften, die wir brauchen. Und es geht um jene, die Asyl suchen, etwa weil sie politisch verfolgt werden. Andererseits heißt das aber: Wer weder zu der einen, noch zu der anderen Gruppe gehört, kann nicht bei uns bleiben. Deshalb begrenzen wir die irreguläre Migration nach Deutschland – es kommen zu viele.

Wie wollen Sie die Zahl senken?

Durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen: Georgien und Moldau stufen wir als sichere Herkunftsstaaten ein. Beide Staaten wollen ja Mitglied der Europäischen Union werden, da ist es nicht plausibel, von systematischer Verfolgung auszugehen. Wir verstärken den Schutz der europäischen Außengrenzen, damit weniger den Weg nach Europa finden. Und wir haben in der EU einen neuen Solidaritätsmechanismus vereinbart: Die Ankunftsstaaten registrieren die Flüchtlinge, statt sie einfach in Richtung Deutschland durchzuwinken. Im Gegenzug werden sie solidarisch in Europa verteilt. Diesen Mechanismus wird das Europäische Parlament hoffentlich in den kommenden Monaten beschließen.

Das dauert noch etwas. Was können Sie sofort tun, hier in Deutschland?

Wir kontrollieren die Grenzen zu unseren Nachbarstaaten nun schärfer, das haben wir Brüssel gerade mitgeteilt. Und wir wollen die Anreize dafür senken, sich hier irregulär bei uns aufzuhalten. Wenn die Länder jetzt sagen, sie wollen Sachleistungen statt Geld anbieten, unterstützen wir das. Wenn sie eine Bezahlkarte für Asylsuchende einführen wollen, ebenfalls. Außerdem finden wir es richtig, Asylsuchenden gemeinnützige Arbeit anzubieten.

Glauben Sie wirklich, das wird die Zahl signifikant senken?

Wie gesagt, es geht nur mit einem Bündel von Maßnahmen. Und eine wichtige Maßnahme habe ich noch gar nicht genannt: Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.

Was heißt das?

Wer keine Bleibeperspektive in Deutschland hat, weil er sich nicht auf Schutzgründe berufen kann, muss zurückgehen. Dafür müssen unsere Behörden rund um die Uhr erreichbar sein, damit man jemanden wirklich abschieben kann, wenn die Bundespolizei ihn aufgreift. Es geht weiter damit, dass wir die Digitalisierung der Ausländerbehörden endlich vorantreiben, da muss Schluss sein mit dem Papierzeitalter. Die Verfahren müssen schneller werden, indem schon in der Erstaufnahme-Einrichtung Asylantrag samt Anhörung stattfinden. Und auch die Gerichtsverfahren müssen zügiger ablaufen. In manchen Bundesländern braucht die erste Instanz in einem Abschiebungsverfahren vier Monate, in anderen 39. Das geht nicht. Wir müssen mehr und schneller abschieben.

Die Länder sagen, dafür müssten sie mehr Stellen an den Gerichten schaffen – und dafür bräuchten sie mehr Geld vom Bund.

Ganz grundsätzlich schlage ich vor, damit aufzuhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen – stattdessen sollten wir gemeinsam anpacken. Jeder sollte jetzt tun, was er zu tun hat: der Bund, die Länder, die Gemeinden. Die Arbeit in den Ausländerbehörden wird sich künftig vor allem dadurch ändern, dass wir jetzt mit vielen Staaten Vereinbarungen schließen, damit sie ihre Bürger möglichst unbürokratisch zurücknehmen. Im Gegenzug eröffnen wir reguläre Wege für Arbeitskräfte, die wir benötigen, zu uns zu kommen. Denn bisher scheitern viele Rückführungen an der fehlenden Kooperation der Herkunfts- bzw. Transitstaaten. Das ändern wir.

Sie schlagen hier einen neuen, harten Ton in der Migrationspolitik an. Was hat Sie zu dieser Wende bewogen?

In all meinen Ämtern habe ich immer so gedacht. Und auch immer so gesprochen.

Als Bundeskanzler haben Sie nicht so geredet. Sie haben Ihre Innenministerin Nancy Faeser mit dem Thema allein gelassen. Unser Eindruck ist, dass erst die Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sie zum Umsteuern bewegt haben.

 Ihr Eindruck ist falsch. Ich bin dagegen, dass man taktische Politik macht. Es muss immer um die Sache gehen, um die konkrete Lösung von Problemen.

Das fällt uns schwer zu glauben.

Und ist doch die Wahrheit. Vieles von dem, was ich gerade aufgezählt habe, ist in der Regierung längst besprochen und nun in die Wege geleitet.

In der SPD wird Ihre neue Linie nicht gut ankommen.

Die SPD steht voll hinter dieser Linie. Das gilt für die Parteiführung, für die Landesverbände, für die Bundestagsfraktion. Auch die Bundesregierung wird diese Linie gemeinsam verfolgen.

Ernsthaft, auch die Grünen? Nach allem, was sie schon geschluckt haben? Ist das nicht die eine Zumutung zu viel?

Es ist unsere Aufgabe, die Migration zu regeln. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung in dieser Frage eng zusammensteht. Wir alle wissen, was jetzt zu tun ist. Und es ist meine Aufgabe als Kanzler, dafür zu sorgen, dass wir nicht zögern. Wichtig ist: Unsere Politik ist nicht vom Ressentiment getragen. Wir müssen hart sein, wenn jemand keinen Anspruch hat zu bleiben. Wir müssen zugleich offen und modern sein, weil wir Arbeitskräfte aus anderen Ländern bei uns brauchen.

Deutschland sollte auswählen, wen es braucht und wen nicht?

Bei uns werden etwa 13 Millionen Bürgerinnen und Bürger, liebevoll die „Babyboomer“ genannt, in absehbarer Zeit in Rente gehen. Deshalb brauchen wir Arbeitskräfte in Fabriken, Ingenieurinnen und Ingenieure, Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte. Mehr junge Leute sollten eine Berufsausbildung machen. Ältere brauchen bessere Chancen, spät im Berufsleben noch eine neue Stelle zu finden. Und die Wirtschaft muss noch familienfreundlicher werden, damit sich mehr junge Familien am Arbeitsleben beteiligen. Dafür braucht es auch mehr Ganztagsangebote an Schulen und Kitas.

Und es braucht Zuwanderung?

Es wird auch mehr Zuwanderung brauchen. Mit der Modernisierung unseres Zuwanderungsrechts, mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben wir gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Talente und Fachkräfte aus dem Ausland zu uns kommen, die wir hier gut brauchen können. Sie sollen hier nicht nur arbeiten, sondern auch hier leben, sich gut integrieren, sodass es ihr dringlicher Wunsch wird, deutsche Staatsbürgerin oder deutscher Staatsbürger zu werden. Das darf für meinen Geschmack ruhig mit ein bisschen Pathos verbunden sein, so wie in den USA.

Menschen sollen nach ihrer Nützlichkeit für Deutschland ausgewählt werden? Wer das bislang ausgesprochen hat, bekam von SPD und Grünen zu hören, das sei unmenschlich.

Natürlich haben wir als Staat das Recht zu definieren, wen wir hier aufnehmen wollen. Dringend benötigte Fachkräfte und Talente, zum Beispiel. Und davon unberührt bleibt das Recht, all jenen Schutz zu bieten, die vor politischer Verfolgung flüchten, die vor Krieg und dem Tod davonlaufen. Das Grundrecht auf Asyl ergibt sich aus der deutschen Geschichte.

Wer Beschränkungen unkontrollierter Zuwanderung fordert, wird im linken Spektrum schnell zum Unmenschen und Rassisten erklärt.

Das gibt es sicher. Die meisten sehen das aber nicht so. Es geht jetzt darum, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten. Wer eine unbegrenzte Zuwanderung will, muss so ehrlich sein und sagen, dass wir dann unseren Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, nicht aufrechterhalten könnten. Wir müssten Verhältnisse akzeptieren, wie sie in anderen Ländern der Welt existieren, mit problematischen Parallelstrukturen. Das kann sich niemand ernsthaft wünschen. Deshalb macht uns das nicht zu Unmenschen. Denn wir tragen Verantwortung dafür, dass unser Gemeinwesen funktioniert. Dazu gehört auch eine gewisse Härte. Man muss die Kraft haben, Menschen zu sagen, dass sie hier leider nicht bleiben können.

Haben Sie keine Angst, dass die AfD ihren Wählerinnen und Wählern demnächst erzählt: Wir haben recht gehabt, jetzt hat es auch der Bundeskanzler eingesehen?

Na, das wäre eine krasse Falschbehauptung. Solche Sorgen dürfen einen aber nicht davon abhalten, das zu tun, was einem richtig erscheint.

Kann die liberale Demokratie ihr Überleben nur sichern, indem sie einen Teil ihres humanitären Anspruchs aufgibt?

Ganz klar: Nein. Die liberale Demokratie muss zeigen, dass sie handlungsfähig ist, dass der Staat die Dinge im Griff behält. Wir haben klare Regeln, und die gelten. Es ist weder humanitär oder progressiv, wenn es im großen Maße irreguläre Migration gibt, bei der Menschen Leib und Leben aufs Spiel setzen.

Mehr als zwanzig Prozent der Deutschen geben derzeit in Umfragen an, eine Partei mit rechtsextremistischen und zum Teil antisemitischen Ansichten zu wählen. Macht Sie das nicht fassungslos?

Das Wachstum der rechtspopulistischen Parteien in Europa bedrückt mich schon lange. Das gibt es ja nicht nur bei uns, das gab es lange davor schon in Österreich, in den Niederlanden, in Dänemark und Norwegen, neuerdings in Schweden und Finnland. Die Frage ist ja: Wieso kommt das in den Ländern vor, die aus der Perspektive der übrigen Welt zu den glücklichsten überhaupt gehören, mit großer Wirtschaftskraft, mit guten Löhnen, einem funktionierenden Sozialstaat?

Haben Sie eine Antwort?

Das hat etwas mit Unsicherheiten zu tun. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert, auch wenn sie wirtschaftlich gut dastehen. Die Pandemie hat solche Sorgen verstärkt. Kaum waren wir da raus, hat Russland die Ukraine überfallen. Und über allem schwebt die große Frage, wie wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten können.

Was hat das mit der AfD zu tun?

Um das Klima zu schützen, leiten wir die größte Modernisierung der Industriegesellschaft seit Ende des 19. Jahrhunderts ein – mit dem Ausbau der Nutzung von Windkraft und Sonnenenergie und dem Umstieg auf klimaneutrale Produktionen. Natürlich fragen sich da viele: Wird das gutgehen? Behalte ich meinen Job? Unsicherheit schafft neue Anknüpfungspunkte für Parteien, die dumpfe rechte Parolen skandieren.

Die AfD gilt in Teilen als gesichert verfassungsfeindlich, trotzdem gibt es keine ernsthaften Bestrebungen, sie zu verbieten. Wie halten Sie diesen Widerspruch aus?

Es ist gut, dass die Verfassungsschutzämter ihre Aufgaben wahrnehmen. Aber ich bin kein Freund von einem Verbot der AfD. Ich bin überzeugt, die Bürgerinnen und Bürger werden dafür Sorge tragen, dass die Bedeutung dieser Partei wieder abnimmt.

Was tun Sie als Kanzler dafür?

Ich sage erstens klar, solche rechten Haltungen dürfen keinen Platz haben in unserer Demokratie! Keine Kooperation mit solchen Parteien! Zweitens zeige ich durch Taten, dass wir auf dem richtigen Pfad sind. Dass wir einen Plan für die Zukunft haben. Wir haben nämlich Grund zur Zuversicht.

Sie sind seit fast zwei Jahren Bundeskanzler. Offenbar ist es Ihnen bisher nicht gelungen, diese Zuversicht auch nur ansatzweise zu vermitteln. Was ist da schiefgelaufen?

Zunächst mal ist einiges ziemlich gut gelaufen: Denn die Regierung ist Probleme entschlossen angegangen. Wir hatten uns in Deutschland zwar den Luxus erlaubt, zweimal aus der Atomenergie auszusteigen, und wir beschlossen dann noch, auch aus der Kohleverstromung auszusteigen. Zugleich haben wir aber nicht mit dem nötigen Tempo die Stromnetze ausgebaut, nicht genug Windkraftanlagen und Solaranlagen errichtet, nicht genügend in Wasserkraftwerke und Biomasse investiert. Die Bundesregierung hat unter meiner Führung nun die Trendwende eingeleitet und die nötigen Beschlüsse auf den Weg gebracht. Wir werden es bis 2030 hinbekommen, 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen.

Die Ampel, eine Erfolgsgeschichte. So hatten wir das bislang eher nicht wahrgenommen.

Schade! Wir müssen ja nicht drum herumreden, dass in diesen knapp zwei Jahren auch was schiefgegangen ist. Innerhalb der Regierungskoalition haben wir uns einen absurden Dauerstreit über politische Entscheidungen geleistet. Das haben die Bürgerinnen und Bürger oft genauso wenig verstanden wie ich. Und das muss jetzt zu Ende sein.

Sie klingen, als hätten Sie damit nichts zu tun. Sie stehen an der Spitze dieser Regierung, haben den Streit aber häufig laufen lassen.

Nein, ich habe immer daran gearbeitet, Lösungen und Kompromisse zu finden. Das tue ich nicht öffentlich über Interviews, sondern in vertraulichen Gesprächen, wie sich das gehört. Die Bilanz der Regierung ist anerkannt ja gut, wir haben eine Menge hingekriegt. Obwohl es in einer solchen Konstellation mit drei Koalitionspartnern ja nicht so funktioniert, dass ich als Kanzler sagen kann: Ich höre mir mal Eure Meinung an – und entscheide dann allein, was wir machen. Das ist schon eine gemeinsame Veranstaltung. Trotzdem ist klar, dass vieles schneller gehen muss. Und vor allem muss dieser ständige Streit aufhören. Gerade sieht es so aus, dass das in den Regierungsparteien jetzt auch wirklich alle verstanden haben.

Herr Bundeskanzler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.