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17.05.2010

Der Mindestlohn gehört zu einer modernen Marktwirtschaft

Interview mit Human Resources Manager Magazin

 


Herr Scholz, das Instrument der Kurzarbeit wird von allen Seiten gelobt. Es soll laut Bundesagentur für Arbeit etwa eine Million Vollzeitstellen im vergangenen Jahr gerettet haben. Sind Sie ein bisschen stolz auf sich, dass die Maßnahme der Kurzarbeit in ihrer heutigen Form in Ihrem Haus erarbeitet wurde?

Wer sich umschaut, weiß, dass im Augenblick in allen Ländern sehr neidisch nach Deutschland geschaut wird. Die OECD empfiehlt als Mittel zur Krisenbekämpfung das deutsche Instrument der Kurzarbeit. Viele haben auch versucht es nachzumachen, natürlich mit einem großen Nachteil: Sie haben die Kurzarbeit eingeführt, als viele Arbeitnehmer bereits ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Natürlich funktioniert das Instrument vor allem dann, wenn es sofort und in großem Umfang und ohne bürokratische Hindernisse zur Verfügung steht.

Die Bezugsdauer wurde im Herbst noch einmal verlängert bis maximal Mitte 2012 sind noch 18 Monate möglich. Das gilt jedoch nicht für die Entlastung der Kurzarbeit von den Sozialabgaben. Ursula von der Leyen plant auch diesen Teil zu verlängern. Ist das in Ihren Augen richtig?

Eines ist klar: Macht der Staat den Unternehmen das Angebot, sie zu unterstützen, wenn sie sich in einer Krise nicht von ihren Beschäftigten trennen, dann muss das Angebot auch so ausgestaltet sein, dass jedes Unternehmen und jeder Personalvorstand weiß: Es gilt auch bis zum Ende der Krise.
Darum ist es richtig gewesen, die Kurzarbeit immer wieder zu verlängern. Aber auch Unternehmen, die lange unter der Krise leiden, wie beispielsweise der Maschinenbau, müssen lange Zeit durchhalten können. Dazu gehört, dass die besonderen Förderbedingungen, die wir für die Kurzarbeit in der Krise entwickelt haben, jetzt fortgesetzt werden. Dies gilt ebenfalls für die besonderen Entlastungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen.

Auch große Teile der Wirtschaft wollen eine Verlängerung. Die Metallindustrie hat sogar ihren Beschäftigungspakt von weiteren Entlastungen abhängig gemacht. Ist es ein Vertrag zu Lasten Dritter wie Unionsfraktionsvize Michael Fuchs in einem Brief an von der Leyen geschrieben hat?

Das ist ein Vertrag zugunsten der deutschen Volkswirtschaft. Deshalb sollte er auch aufgegriffen werden. Und es ist ja nichts Unanständiges oder Unvernünftiges eine Sache, die gut funktioniert hat, verlängern zu wollen. Es ist mein dringender Rat, jetzt nicht ideologisch zu handeln. Wir müssen pragmatisch bleiben und nicht das, was wir am Anfang richtig gemacht haben, jetzt falsch machen. Die Kurzarbeit nicht zu verlängern und nicht ausreichend zu unterstützen wäre ein Fehler.

Wie lange sollte denn die Kurzarbeit-Regelung Ihrer Ansicht nach weiterlaufen?

Ich bin dafür, dass man sich an der Krise orientiert und nicht an Lehrbüchern. Deshalb sollte man immer wieder bei den Unternehmen nachfragen, wann bei ihnen die Zeitpunkte kommen, an denen sie sich neu entscheiden müssen, ob sie entlassen oder weiter an ihren Beschäftigten festhalten.


Steigt so nicht die Gefahr, dass Unternehmen die Kurzarbeit missbrauchen?


Den zögerlichen Politikerinnen und Politikern gerade jetzt in der neuen Regierungskonstellation kann man eines sagen: Der Missbrauch bei der Kurzarbeit ist äußerst gering. Natürlich gibt es einige, die Missbrauch betreiben, indem sie Beschäftigte voll arbeiten lassen und Kurzarbeit abrechnen. Aber das ist eine Straftat und die werden alle auffliegen. Der Großteil der Unternehmen setzt Kurzarbeit an, weil sie erkannt haben, dass es ein Fehler wäre, sich von qualifizierten Beschäftigten zu trennen. Mit einer derartigen Entscheidung geht kein Unternehmer fahrlässig um. Wer jetzt schon weiß, dass er seine Beschäftigten nicht mehr braucht, der setzt sie nicht auf das Instrument der Kurzarbeit. Trotz aller Subventionen ist es dann immer noch zu teuer. Aber alle die annehmen, dass es nach einer mehr oder weniger langen Zeit doch wieder weitergeht, sind gut beraten die Beschäftigten im Unternehmen zu halten. Wir steuern auf eine Situation mit großem Fachkräftemangel zu.

Der Bundesverband der Personalmanager (BPM) fordert, die Kurzarbeit als verlässliches Instrument für Unternehmen zu etablieren, um sich so unter anderem mehr Flexibilität zu verschaffen. Was halten Sie davon?

Wir dürfen nicht vergessen: Die Kurzarbeit ist ein aus dem Leben, ein aus der wirklichen Problematik wirtschaftlicher Krisen, entstandenes Instrument der Sozialpartnerschaft in Deutschland. Natürlich wäre es fahrlässig die Instrumente, die wir jetzt neu in der Krise eingeführt haben, einfach alle wieder auslaufen zu lassen. Sie müssen zu Regelinstrumenten werden, die die Bundesregierung schnell und zügig einsetzen kann. Mein Vorschlag ist es, das Gesetz so weiterzuentwickeln, dass das, was wir jetzt gemacht haben, durch einen Rechtsakt des Ministeriums in Krisenzeiten schnell in Kraft gesetzt werden kann.

Laut BPM könnten mit der Kurzarbeit als beständigem Instrument nicht nur Entlassungen verhindert, sondern gegebenenfalls Neueinstellungen stimuliert werden, weil die Unternehmen die Möglichkeit der risikoarmen Reaktion hätten. Statt Entlassungen könnten Mitarbeiter dann weitergebildet werden. Das dürfte doch in Ihrem Sinne sein?

Das ist völlig richtig. Ich glaube überhaupt, dass uns die Krise gezeigt hat, dass wir in Deutschland mittlerweile über Instrumente verfügen, die eine schnelle Krisenreaktion ermöglichen. Das gilt für die Arbeitszeitkonten und für die Tarifverträge, die es ermöglichen in einer Unternehmens- oder großen Wirtschaftskrise Beschäftigung und Löhne zu reduzieren, um die Zeit besser durchzustehen. Dazu gehört auch das öffentlich geförderte Instrument der Kurzarbeit. Richtig an der Vorstellung des Verbandes ist es, dass man einen klaren gesetzlichen Regelungsrahmen braucht, damit es zu den natürlichen Kalkülen von Personalmanagern gehört, in einer Krisensituation auf Kurzarbeit setzen zu können.

In einem Interview mit der FAZ sagten Sie kürzlich: Wir wollen keine unkündbaren Stellen, aber die größtmögliche Sicherheit für Arbeitnehmer. Mit welchen Instrumenten wollen Sie das erreichen?

Das deutsche Wirtschaftsmodell baut auf langfristigen Arbeitsverhältnissen auf, die nicht befristet sind. Das ist das klassische, normale Arbeitsverhältnis. Dazu zählen heute auch einige Dinge, die man früher nicht dazu gezählt hätte. Die Teilzeitarbeit ist weitgehend freiwillig gewählt und deshalb auch ein Teil des Normalarbeitsverhältnisses. Aber es ist auf alle Fälle so, dass für Arbeitnehmer mit mehr oder weniger guten Verdiensten Sicherheit auch Bestandteil ihrer Motivation ist. Wie wir gesehen haben, gibt es andere Wege als schlechte Vertragsbedingungen für Arbeitnehmer, um den Flexibilitätsbedürfnissen der Wirtschaft entgegenzukommen. Und ich glaube diese Wege haben sich bewährt.

Im neuen Arbeitsmarkt-Konzept der SPD fordern Sie einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Nicht alle Unternehmen werden das zahlen können. Glauben Sie, dass Arbeitsplätze, für die heute gerade einmal 5 Euro die Stunde gezahlt werden auch bei 8,50 Euro erhalten bleiben?

Das Wirtschaftswunder in Deutschland hat jedenfalls stattgefunden, bei zwar nicht gesetzlich, aber tarifvertraglich durchgesetzten Mindestlöhnen, die so hoch waren, dass es praktisch keine Arbeitnehmer gab, die zusätzlich zu ihrem Lohn noch ergänzend Sozialhilfe bezogen haben. Dieses Phänomen entstand erst im Rahmen der drei Jahrzehnte hoher Arbeitslosigkeit, die wir jetzt hinter uns haben. Aber es ist nicht das Typische für das deutsche Wirtschaftsmodell. Wir müssen den Wert der Arbeit in unserer Gesellschaft auch kulturell wieder mehr schätzen. Diese Wertschätzung wird im großen Maße in Frage gestellt, wenn wir von Arbeitnehmern verlangen, dass sie selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung weniger verdienen, als sie für den eigenen, individuellen Lebensunterhalt brauchen.

Passt ein Mindestlohn denn in die heutige Zeit des globalisierten Wettbewerbs?

Es gehört zu einer modernen Marktwirtschaft dazu einen Mindestlohn zu haben. Die USA nicht verdächtig irgendwelcher allzu arbeitnehmerfreundlichen Regelungen haben seit den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts einen Mindestlohn. Fast alle anderen europäischen Länder auch. Wenn wir uns da jetzt einreihen, dann tun wir nichts Besonderes.

Das neue Arbeitsmarktkonzept der SPD weicht in vielen Fällen von der Agenda2010 ab, die Sie federführend gestaltet und initiiert haben. Vollziehen Sie jetzt die Rolle rückwärts?

Nein, wir rollen weiter vorwärts. Wir haben mit den Arbeitsmarktreformen in Deutschland die übrigens so ähnlich von anderen sozialdemokratischen Regierungen in Skandinavien, den Niederlanden oder Großbritannien umgesetzt wurden es geschafft, dass eine gewaltige Mobilisierung von Arbeitskräften stattgefunden hat. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit von über fünf Millionen auf knapp unter drei Millionen kurz vor der schweren Krise war ein riesiger dieser Aktivierungsstrategie. Sie wird unverändert beibehalten und konsequent fortgeführt, wenn wir uns zum Beispiel für den weiteren Ausbau der Arbeitsvermittlung einsetzen und dafür sorgen, dass jemand der auf Arbeitssuche ist wirklich betreut wird und die richtigen Angebote bekommt, um möglichst schnell wieder in Arbeit zu sein.

Auch der Einsatz von Leiharbeit ermöglicht den Unternehmen Flexibilität. Erst durch die rot-grüne Regierung wurde der Boom der Zeitarbeit möglich. Nun wollen Sie Ihren Missbrauch zurückdrängen. Wie könnte das aussehen?

Man muss es ja vielleicht mal sagen: Für den Missbrauch der Leiharbeit haben wir noch nie ein Gesetz gemacht aber es gibt Leiharbeitsverhältnisse, die man nicht anders verstehen kann, als einen Missbrauch der gesetzlichen Intention. Um das noch mal in Erinnerung zu rufen wir haben im Einvernehmen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern eine Reform der Leiharbeit auf den Weg gebracht, die letztendlich zwei Regelungen beinhaltete. Im Gesetz steht, dass ein Leiharbeitnehmer für gleiche Arbeit, die gleiche Vergütung bekommt wie die regulär Beschäftigen. Und im Gesetz steht, dass das nicht gilt, wenn für das Leiharbeitsunternehmen ein Tarifvertrag existiert. Sowohl die Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände sind davon ausgegangen, dass die Regelungen zu Lohnsteigerungen führen. Dass die, von wenig repräsentativen Gewerkschaften, unterschriebenen Tarifverträge stattdessen zu Lohnsenkungen geführt haben, hatte damals niemand im Blick. Wir brauchen also auch dort eine Lohnuntergrenze und wir brauchen natürlich eine Regelung, in der genau festgeschrieben ist, dass, wenn es um langfristige Überlassung geht, es auch tatsächlich der gleiche Lohn gezahlt wird.

Eine ganz andere Frage: Wie sehen Sie eigentlich die Gründung des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM)?

Ich finde, dass die Personalmanager eine sehr selbstbewusste Gruppe sind, die einen wichtigen Beitrag zur Kultur der Arbeit leisten und dazu beitragen, dass das, was wahrscheinlich das  Fundament des wirtschaftlichen Erfolgs Deutschlands ist, sich ordentlich weiterentwickeln kann   die Human Resources. Und da ist diese Gründung ein Beitrag, die Human Resources wertzuschätzen.

Mit welchen Themen und Aufgaben müssen sich Personalmanager in den kommenden Jahren ihrer Ansicht nach verstärkt auseinandersetzen?

Das größte Problem der Zukunft wird sein: Wie kriege ich genügend gute Leute? Wir sind ja schon soweit, dass jeder Politiker und fast alle wirtschaftlich Verantwortlichen in ihren Sonntagsreden sagen: Es werden uns die Leute fehlen. Aber es ist vom Mund noch nicht tief ins Innere eingedrungen. Selbst wer es ausspricht, schließt daraus häufig noch nichts für seine eigene unternehmerische Strategie. Aber gerade unter den Personalmanagern sind natürlich viele, die wissen, dass uns bereits in diesem Jahrzehnt überall Fachkräfte ausgehen. Ende dieses Jahrzehnts werden es schon zwei Millionen, die fehlen, sein und diese Lücke wird sich immer weiter ausdehnen. Deshalb müssen die Anstrengungen der gesamten Gesellschaft auch des Staates, der sich nicht verdrücken darf und der Unternehmen darauf gerichtet sein, mehr Arbeitnehmer zu qualifizieren.

Und wie könnte das aussehen?


Meine persönliche Vorstellung ist es, dass es bei der Berufsausbildung gilt, mehr zu tun als in der Vergangenheit. Es ist ein kluges Kalkül von Unternehmen, davon auszugehen, dass jemand, den man selbst ausgebildet hat, vielleicht trotz besserer Angebote bleibt, wo er ausgebildet wurde.
Und zum zweiten: Es geht auch darum, eine bisher weitgehend unentdeckte Personalressource zu erschließen, nämlich eigene Arbeitskräfte, die angelernt wurden oder eine Berufsausbildung in einem völlig tätigkeitsfremden Beruf gemacht haben. Denen über staatliche Förderprogramme eine weitere berufliche Qualifikation zu verschaffen, sollte in Betracht gezogen werden. Und warum wollen wir nicht dazu beitragen dass ein 34-jähriger Meister oder eine 36-jährige Meisterin doch noch ein Ingenieursstudium beginnen?

Eine letzte Frage, Herr Scholz: Hätten Sie noch mal Lust, das Arbeitsministerium zu übernehmen? Was ist das Reizvolle an diesem schwierigen Job?

Ich war gerne Arbeitsminister, klar. Weil es ein politisches Thema ist mit dem ich mich immer schon beschäftigt habe, von dem ich glaube auch eine ganze Menge zu verstehen und das unmittelbar zu tun hat mit der Zukunft unseres Landes. Jetzt bin ich Oppositionspolitiker und versuche auch das zum Wohle Deutschlands möglichst gut zu machen.

 

Interview: Patrick Weisbrod