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28.04.2010

Die arbeitenden Menschen brauchen mehr Wertschätzung

Mit grundlegenden Reformen will die SPD eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen. Die Begrenzung von Leiharbeit und befristeter Beschäftigung, mehr Mitbestimmung, ein gesetzlicher Mindestlohn und ein sozialer Arbeitsmarkt sollen helfen, eine neue Kultur der Arbeit zu begründen. Olaf Scholz, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und als stellvertretender SPD-Parteivorsitzender einer der Architekten des neuen SPD-Konzeptes Fairness auf dem Arbeitsmarkt, erklärt im Interview dessen Grundzüge.

 

 

Was sind die Eckpunkte des SPD-Konzepts Fairness auf dem Arbeitsmarkt?

Unsere Gesellschaft ist auf Arbeit aufgebaut. Deshalb müssen wir vor allem dafür sorgen, dass die arbeitenden Menschen wieder mehr Wertschätzung erhalten. Drei Jahrzehnte anhaltend hoher Arbeitslosigkeit haben zu einigen moralischen Verwirrungen geführt. Die Zyniker melden sich zu Wort und erklären, das könne man nicht ändern.

Die SPD bekennt sich zum Ziel der Vollbeschäftigung. Ist das realistisch?


Eine demokratische Gesellschaft darf sich aber niemals mit der Arbeitslosigkeit von Millionen ihrer Bürger abfinden. Wir dürfen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgeben. Wir befinden uns an einer entscheidenden Wegmarke und müssen jetzt die Chancen nutzen, um das Ruder rumzureißen. Nach drei Jahrzehnten hoher Arbeitslosigkeit wird in den nächsten Jahrzehnten vor allem der Mangel an geeigneten Fachkräften den Arbeitsmarkt bestimmen. Die Prognosen lauten, dass zum Ende unseres Jahrzehnts rund zwei Millionen Fachkräfte fehlen, zum Ende des folgenden Jahrzehnts fünf bis sechs Millionen. Der Fachkräftebedarf wirkt aber nicht als Automatismus beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Hier muss die Politik agieren durch eine erstklassige Arbeitsvermittlung, durch die Förderung von Qualifizierung, in der Schule, aber auch danach.

Ist das Teil der neuen Kultur der Arbeit, die die SPD fordert?

Wir müssen vor allem das Normalarbeitsverhältnis stärken. Das ist in den letzten Jahren ins Rutschen geraten etwa durch den massiven Missbrauch der Leiharbeit oder die Expansion der befristeten Beschäftigung.

Wie will die SPD die befristete Beschäftigung zurückdrängen?

Wir wollen, dass das Beschäftigungsförderungsgesetz von Norbert Blüm und Helmut Kohl zurückgenommen wird. Dieses Gesetz hat die so genannte sachgrundlose Befristung eingeführt. Die Folge: Heute ist die Hälfte aller Neueinstellungen befristet. Ohne Perspektive auf einen sicheren Job ist eine Lebens- oder Familienplanung fast unmöglich. Wir wollen, dass es wieder nur bei gutem Grund möglich ist, befristet einzustellen.

Wie will die SPD den Missbrauch von Leiharbeit eindämmen?


Die Leiharbeit ist aus dem Ruder gelaufen. Was Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften bei der Gesetzesreform der Arbeitnehmerüberlassung 2003 wollten, ist gründlich schief gegangen. Ziel war, die Branche aus dem Schmuddel-Image zu holen und Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen. Leider ist das Gegenteil eingetreten. Die Grundregel war: Leiharbeitnehmer sollen zu den gleichen Bedingungen wie die Stammbelegschaft beschäftigt werden: gleiche Arbeit, gleiches Entgelt. Vom Gleichheitsgrundsatz sollte nur dann abgewichen werden können, wenn ein Tarifvertrag existiert. Niemand hat daran gedacht, dass bis dahin kaum bekannte Scheingewerkschaften, sich dazu hergeben, Tarifverträge für die Leiharbeit abzuschließen, die miserable Bedingungen und Bezahlung festschreiben. Um das zu ändern, brauchen wir einen Mindestlohn in der Zeitarbeit. Wir brauchen außerdem eine klare Regelung, die festschreibt, dass nach kurzer Zeit Leiharbeitnehmer das gleiche verdienen wie die Stammbeschäftigten. Im Übrigen sollten künftig Leiharbeitnehmer, so wie es früher war, zwar befristet in verschiedenen Firmen eingesetzt, aber unbefristet bei der Zeitarbeitsfirma eingestellt werden.

Nicht nur in der Leiharbeit sondern auch in zahlreichen anderen Branchen reichen Tarifverträge nicht aus, um Niedrigstlöhne zu verhindern.

Deshalb brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Eine Gesellschaft, für die Arbeit eine solch große Rolle spielt, darf nicht zulassen, dass zahlreiche Beschäftigte von ihrer Arbeit nicht leben können und auf ergänzende Transferleistungen des Staates angewiesen sind.
Manche sehen den Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland, wenn ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Geht die Arbeit weg, wenn es den Mindestlohn gibt?
Ein altes, aber falsches Argument: Ein Mindestlohn gehört heute zum Standard moderner, demokratischer Volkswirtschaften. In den USA gibt es ihn seit den 30er Jahren. Ich bin ganz sicher, dass der Mindestlohn nicht Arbeit vernichtet, sondern im Gegenteil zur Aktivierung von Arbeitskräften beitragen wird.

Das heißt aber auch: Wir brauchen neue Impulse in der Arbeitsmarktpolitik.


Wir brauchen auf alle Fälle nicht das, was im Programm von Schwarz-Gelb steht, nämlich eine Reduzierung der Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen einen massiven Ausbau. Wir müssen alles tun, um diejenigen zu unterstützen, die fehlende berufliche Qualifikationen nachholen wollen. Die guten Erfahrungen etwa mit dem Programm WEGEBAU zeigen, dass es möglich ist, Berufschancen auch von älteren Geringqualifizierten zu verbessern. Wir haben heute die Chance, durch verstärkte Anstrengungen in Bildung und Qualifizierung Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

Das Papier fordert unter anderem, unter bestimmten Voraussetzungen die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I zu verlängern oder das Vermögen von Beziehern der Grundsicherung zu schonen. Ist das die Abkehr von Agenda 2010 und den Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre?

Das Papier ist eine Neubestimmung der Position der SPD. Es baut auf dem auf, was die SPD in den letzten Jahren gemacht hat. Das heißt aber eben auch: es berücksichtigt, dass sich einige unserer früheren Einschätzungen als falsch erwiesen haben, und korrigiert sie. Die Betonung der Bedeutung des Normalarbeitsverhältnisses ist eine richtige Weiterentwicklung angesichts der Zunahme von unsicheren, prekären Jobs.

 

Hier finden Sie den Präsidiumsbeschluss "Fairness auf dem Arbeitsmarkt".