arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

15.04.2010

Dem Senat fehlt Bodenhaftung

Hamburger Abendblatt: Wer sind eigentlich Besserverdiener in einer Stadt wie Hamburg?

 

Olaf Scholz: Jedenfalls nicht diejenigen, die der Senat augenscheinlich im Blickfeld hat: Besserverdiener ist man nicht als Familie, in der zwei Berufstätige gemeinsam 2800 Euro netto verdienen. Das ist schnell auch bei ganz normalen Berufen der Fall. Besserverdienende, das sind der Erste Bürgermeister, der Sozialsenator, und auch ich als Abgeordneter des Bundestages.

 

Probieren Sie folgenden Maßstab: Laut Statistik liegt der durchschnittliche Verdienst in Hamburg bei 3700 Euro brutto.

 

Von Besserverdienern würde ich bei einem Einkommen sprechen, das doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt. Doch auch da muss man genau hinschauen: Wenn beide Elternteile Vollzeit, also zusammen 80 Stunden arbeiten und ein ordentliches Einkommen erreichen, dann heißt das noch nicht, dass sie reich sind oder ein leichtes Leben führen. Und das lassen die sich auch von niemandem einreden.

 

Kinderbetreuung in Hamburg war schon immer etwas teurer, hat aber auch einen guten Ruf. Ist nun die Schmerzgrenze erreicht?

 

Zuerst muss man doch eine grundsätzliche Veränderung feststellen. Als früher der Kita-Ausbau anfing, dachte man, das sei nur etwas für Eltern, die eine Notlösung brauchen. Heute ist Kinderbetreuung etwas, was Eltern als normal empfinden und auch aus pädagogischen Gründen wollen. Es ist Teil der Ausbildung und Entwicklung junger Menschen. Das ist ein öffentlicher Auftrag. Deshalb fordern viele Eltern auch zumindest auf lange Sicht, dass man dafür nicht extra bezahlt. Dieser Gedanke setzt sich zunehmend durch, deshalb sind die Eltern auch so sauer: Kinderbetreuung ist kein Luxus, für den man seine Groschen zusammenkratzen muss.

 

Im Wahlkampf 1994 hat übrigens die SPD eine Sonderabgabe für Besserverdiener gefordert und Kritik geerntet: Die Grenzen waren sehr niedrig bemessen. Sind diese Zeiten vorbei?

 

Es ist völlig klar, dass die Bürger aus der Mittelschicht nicht so behandelt werden dürfen, als wären sie reich. Jetzt müssen viele Bürger mit höheren Gebühren rechnen, die bisher noch nichts davon gehört haben, dass sie reich sein sollen. Zu recht nicht.

 

Findet die SPD jetzt auch, dass diese mittlere Einkommensgruppe zu viele Steuern zahlt?

 

Wir glauben, dass an anderer Stelle angesetzt werden muss, um öffentliche Aufgaben zu finanzieren: Eine Börsenumsatzsteuer für die Verursacher der Finanzkrise oder höhere Steuern, zum Beispiel auf Einkommen über 250.000 Euro. Wer soviel verdient, findet es meist auch in Ordnung, wenn er mehr zahlen soll.

 

Aber nur Reiche werden die Ausgaben nicht decken: Die Steuermasse kommt aus der Mitte.

 

Vielleicht wollte der Senat wirklich erst nur reiche Eltern stärker zur Kasse bitten, hat dann aber festgestellt, dass es gar nicht so viele sind, die ihr Kind mit dem Dienstwagen in die Kita fahren lassen. Deshalb sind nun die normalen Verdiener betroffen.

 

Das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung ist seit 2009 beitragsfrei immerhin ein erster Schritt zur generellen Beitragsfreiheit.

 

Aber die jetzige Gebührenerhöhung konterkariert doch die gesetzgeberische Idee, die Kita-Betreuung insgesamt beitragsfrei anzubieten. Diesen richtigen Weg jetzt abzubrechen, ist falsch. Zumal man es schon einmal besser gewusst hat.

 

Wann könnte eine allgemeine Beitragsfreiheit kommen?

 

Mit Schätzungen bin ich da vorsichtig. Diese Pläne müssen erst noch geschmiedet werden, schließlich geht es um sehr viel Geld. Jetzt diskutieren wir aber über höhere Gebühren, und die sind keine Folge der Finanzkrise. Ursache sind falsche Prioritäten und ein zu lockerer Umgang mit öffentlichen Mitteln: Die Kostenexplosionen bei öffentlichen Bauprojekten erreichen nun 800 Millionen Euro. Und die Elbphilharmonie ist noch nicht mal fertig.

 

Unter dem Strich wird das kostenlose letzte Kita-Jahr dennoch vermutlich dazu führen, dass Eltern trotz der jetzigen Erhöhung über die drei Jahre insgesamt weniger zahlen müssen.

 

Es geht schon um das Geld, aber es geht auch um den Affront für viele hart arbeitende Eltern, die einfach nicht verstehen können, was ihnen jetzt mitgeteilt wird.

 

Sie haben dem Bürgermeister einen Brief geschrieben, in dem Sie ihn auch mit Blick auf den Volksentscheid zur Primarschule vor höheren Gebühren warnen. Haben Sie schon eine Antwort?

 

Nein, und das habe ich als sehr ignorant empfunden, auch vor dem Hintergrund des Kita-Kompromisses zwischen Senat und SPD von 2004. Die Verbesserungen, die wir damals durchgesetzt haben, waren ein Zugeständnis des Senats, um einen Volksentscheid zu vermeiden. Das war damals offensichtlich mehr Opportunismus als innere Überzeugung. Ein Politiker, der tief in der Bevölkerung verwurzelt ist, hätte zur Gebührenerhöhung sofort gesagt: Das kommt überhaupt nicht in Frage.

 

Fehlt dem Senat Bodenhaftung?

 

Dem Senat fehlt Bodenhaftung, sonst wäre das nicht passiert. Wir Politiker zählen sicher zu den Spitzenverdienern. Aber gerade das verpflichtet uns doch dazu, genau zu wissen, was tatsächlich in diesem Land verdient wird. Ich beobachte beim Senat eine Ablösung von dem, was Bürger denken und empfinden.

 

In der öffentlichen Debatte wird jetzt nach der familienpolitischen Kompetenz der Senatoren aus eigener Erfahrung gefragt. Ist das für Sie auch ein Kriterium?

 

Familienpolitische Kompetenz ist für mich immer ein Kriterium, allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt, wie die Mitglieder des Senats ihr Privatleben gestalten. Wer etwas grundlegend gegen die Familien Gerichtetes entscheidet, muss aber ertragen, dass alle fragen: Wie kommt das?

 

Was heißt das jetzt für den Volksentscheid über die Primarschule, bei dem SPD und der Senat Seite an Seite stehen?

 

Wir unterstützen die Kampagne für die Primarschule, wir haben viele Verbesserungen wie kleinere Klassen oder die Abschaffung des Büchergelds durchgesetzt.

 

Da war das Geld da.

 

Gerade deshalb ist es so uneinsehbar, dass jetzt die Gebühren erhöht werden. Wir werden dafür werben, dass die Primarschule beim Volksentscheid Erfolg hat. Das hält uns nicht davon ab, diese bürgerferne Entscheidung zu kritisieren.

 

Schwächt das die Durchschlagskraft des Reform-Bündnisses?

 

Dass es schwerer wird, einen Erfolg zu erreichen, ist offensichtlich. Man muss sich jetzt erst recht anstrengen.

 

Können Sie noch aus guter Überzeugung zusammen mit Ole von Beust bei einer Veranstaltung für die Primarschule auftreten?

 

Ja, das kann ich. Aber wenn ich gefragt werde, was ich von der Erhöhung der Kita-Gebühren halte, sage ich die Wahrheit: nichts.

 

Hand aufs Herz: Klappt es mit der Primarschule beim Volksentscheid?

 

Ja. Es klappt, auch wenn es schwerer wird. Wenn es klappt, liegt es nur daran, dass die SPD zugleich für die Primarschule und gegen die Gebührenerhöhung ist.

 

Wenn es nicht klappt, ist der Schuldige aus Ihrer Sicht auch klar.

 

Da hat dann bestimmt niemand einen Zweifel.

 

Interview: Peter Ulrich Meyer und Philip Volkmann-Schluck

 

Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite des Hamburger Abendblattes.