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14.05.2013

DORIS Day

 

Sehr geehrter Herr Scherf,

sehr geehrte Frau Dr. Vierkorn-Rudolph,

sehr geehrter Herr Professor Mattaj,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Was sind die Bausteine des Universums? Was hält die Welt im Innersten zusammen? Goethes Faust war bereit, für diese Erkenntnis einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Den Ausgang dieses Versuches kennen Sie. 

 

Schwarze, oder überhaupt Magie brauchen wir heute nicht mehr, denn wir haben die Naturwissenschaften, genauer gesagt die Teilchenphysik. Sie fahndet, ich zitiere, nach den Grundbausteinen der Materie und den zwischen ihnen wirkenden Naturkräften. 

 

Die eindrucksvollen Erkenntnisse auf diesem Gebiet hat die Wissenschaft auch dem Doppel-Ring-Speicher DORIS zu verdanken. Deshalb freut und ehrt es mich, heute mit ihnen auf 40 Jahre Spitzenforschung in der Freien und Hansestadt Hamburg zurückzublicken. 

 

Als 1959 die Gründungsurkunde für das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY unterzeichnet wurde, herrschte in der Physik gerade eine große Aufbruchsstimmung. Die Vorstellung, alle Materie sei aus Protonen, Neutronen und Elektronen als fundamentalen Bausteinen zusammengesetzt, ließ sich nicht länger halten. Neue Teilchen kamen ins Spiel, unter anderem die Quarks, ein noch kleinerer Grundbaustein von Materie, den man auch bei DESY genauer unter die Lupe nahm. 

 

Ich sollte wohl besser sagen: unter Beschuss.

 

Physiker, so heißt es, kriegen alles kaputt. Selbst vor kleinsten Teilchen machen sie nicht halt. In den 1960er Jahren entwickelten die DESY-Forscher in Hamburg einen kühnen Plan: Wie wäre es, wenn man einen Speicherring baut, um in ihm Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigten und in einem zweiten Speicherring ihre Antiteilchen, die Positronen, in Gegenrichtung kreisen ließe? Wenn man dann die Teilchen an einigen Stellen im Speicherring aufeinander prallen ließe, könnte man neue Einblicke in die Struktur der Materie gewinnen. 

 

Die Idee war neu, sie war gewagt, wie erfolgreich sie sein würde, wusste man nicht mit Sicherheit. Doch wie sich schon kurz nach der Inbetriebnahme von DORIS 1974 herausstellte, befanden sich die Hamburger Forscher bei DESY an vorderster Front ihrer Wissenschaftsdisziplin. 

 

1974 entdeckten US-Forscher nämlich ein weiteres Elementarteilchen. Sie nannten es das Charm-Quark, weil es so äußerst reizvoll in ihre Theorien passte. Nebenbei heißt charm ja auch noch Talisman, Glücksbringer ein bisschen magic war das Ganze halt irgendwie doch. Forscher in Hamburg beteiligten sich an der Vermessung dieses Quarks und konnten so wichtige Details zu dem beitragen, was als November-Revolution in die Geschichte der Physik einging. 

 

Kooperation beflügelt nicht nur das Geschäft, sondern auch die Wissenschaft. Das führte zu neuen Investitionen und zu DORIS II. 1982 fertig gestellt, konnte der Speicherring noch höhere Energien als zuvor erreichen und noch mehr Teilchenkollisionen produzieren. Um diese zu beobachten, wurde der ARGUS-Detektor gebaut. 

 

In der Mythologie ist er der Riese mit den hundert Augen, der die Geliebte von Zeus bewachen sollte. ARGUS in Hamburg wachte darüber, dass keines der Reaktionsprodukte unbeobachtet blieb, das bei den Kollisionen entstand. 

 

Der Name ARGUS ist natürlich auch eine Abkürzung. Er steht für A Russian-German-United States-Swedish Collaboration. Und das bringt mich zu einem weiteren Highlight der Forschungen mit DORIS in Hamburg. 

 

Sie war von Anfang an international. Generationen von Forschern aus dem In- und Ausland haben an dem DORIS-Beschleuniger experimentelle Methoden, Innovationen und Technologien entwickelt und erprobt. Das hat auch mit einem Nebenprodukt des Beschleunigerbetriebs zu tun, der Synchrotronstrahlung. 

 

Die entsteht, ich zitiere noch einmal:

 

wenn Teilchen in einem Beschleunigerring kreisen: Wenn die fast lichtschnellen Elektronen durch die Ablenkmagneten um die Kurve gelenkt werden, senden sie einen hochintensiven, gebündelten Lichtstrahl aus. Dessen Spektrum reicht vom Infrarotlicht bis zur Röntgenstrahlung.

 

Diesen Lichtstrahl zu nutzen, war eine weitsichtige und weitreichende Entscheidung der DESY-Physiker. 

 

Zunächst stand für die Forschung mit dem intensiven und gebündelten Röntgenstrahl aus dem Beschleuniger etwa ein Drittel der Betriebszeit von DORIS zur Verfügung. Das Interesse wuchs so rasch, dass 1981 das Hamburger Synchrotronstrahlungslabor HASYLAB eingeweiht wurde, das sich zu einer international renommierten Einrichtung entwickelte. Und hier nimmt die zweite Erfolgsgeschichte, die praktische Anwendung, so richtig Fahrt auf.

 

In manchen Jahren kamen über 2000 Experten aus aller Welt nach Hamburg, um an DORIS zu experimentieren Physiker, Chemiker und Materialforscher, aber auch Mediziner, Biologen, Archäologen, Geowissenschaftler und Ingenieure aus der Industrie. Hunderte von Diplomanden und Doktoranden verdienten sich bei DORIS ihre ersten wissenschaftlichen Sporen. Sie untersuchten Nanoteilchen, Halbleitermaterialien und Kunststoffe, Glühbirnen, ja sogar Gemälde und Werkzeuge aus der Bronzezeit und mit Hilfe eines hier entwickelten Röntgenverfahrens auch Herzkranzgefäße.

 

Es kamen ungezählte wissenschaftliche Kooperationen zustande multinationale, manchmal auch interdisziplinäre Teams, die sich zu den Experimenten in Hamburg zusammenfanden. 

 

Von 1993 bis 2012 diente der Speicherring nach einer dritten Modernisierung unter dem Namen DORIS III ausschließlich als Strahlungsquelle. 

 

Meine Damen und Herren,

so hat, was als Grundlagenforschung begonnen hatte, zu sehr praktischen und nützlichen Ergebnissen geführt. 

 

Forscher haben mit Hilfe von DORIS im Detail untersucht wie sich Muskeln bewegen, und herausgefunden, auf welche Weise sich die Muskelproteine ineinander schieben. Wissenschaftler haben einen Teil der molekularen Prozesse enträtselt, die zur Alzheimer-Erkrankung führen und sind nun Wirkstoffen auf der Spur, mit denen sich die Erkrankung einmal wird behandeln lassen. Sie sind dem Herpes-Virus auf die Schliche gekommen indem sie herausgefunden haben, wie das Virus die körpereigene Abwehr überlistet. 

 

DORIS hat dabei geholfen, Biomoleküle extrem genau unter die Lupe zu nehmen und die Struktur des Ribosoms zu entschlüsseln. Das sind die Bestandteile einer Zelle, in denen Proteine hergestellt werden. Der späteren Chemie-Nobelpreisträgerin Ada Yonath, gelangen an DORIS einige ihrer Schlüsselexperimente.

 

DORIS hat dazu beigetragen, bessere Katalysatoren für Fahrzeuge zu entwickeln und hochfeste Schweißnähte herzustellen. Die ermöglichen es, Flugzeugteile nicht mehr zu nieten sondern zu schweißen, sie also leichter zu machen. Das spart nicht nur Produktionskosten, sondern schont auch die Umwelt, weil es den Treibstoffverbrauch senkt. 

 

Sogar einige Rätsel der Kunstgeschichte wurden mit Hilfe von DORIS gelöst nämlich die Unterscheidung von Original und Fälschung. 2012 untersuchte ein internationales Expertenteam mit einer neuen Röntgenmethode bei DORIS, ob van Goghs Stillleben mit Wiesenblumen und Rosen wirklich von van Gogh ist und konnte zeigen, dass Farbpigmente und Pinselführung mit denen des Meisters überein stimmten. 

 

Meine Damen und  Herren,

DORIS war mit einer Länge von knapp 300 Metern nach heutigen Maßstäben ein kleiner Speicherring, aber er hat gezeigt, dass auch eine kleine Anlage Großes leisten kann. 

 

DORIS war ein Pionier. Er war der erste Teilchenbeschleuniger seiner Art in Deutschland und damit der Ausgangspunkt für grundlegende Entwicklungen beim Bau und Design von Speicherringen und Beschleunigern bei DESY und darüber hinaus. Auch der bislang leistungsstärkste Beschleuniger, der LHC in Genf, ist nach den gleichen Prinzipien aufgebaut. 

 

Und nicht zuletzt war DORIS ein zuverlässiges Arbeitspferd, das auch in Zukunft noch zahlreiche Erkenntnisse liefert wird. Denn bis die jüngsten Untersuchungen ausgewertet sind, wird es noch eine Weile dauern. 

 

Im Januar dieses Jahres wurde DORIS abgeschaltet. Aber die Forschung in Hamburg geht weiter. Mit der Nachfolgerin, der Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage PETRA III, steht den Forschern seit 2009 die weltweit brillanteste Speicherring-Röntgenstrahlungsquelle zur Verfügung, die hundertmal intensiver ist als DORIS.

 

Der Freie Elektronen Laser FLASH liefert seit 2005 mit hochintensiven ultrakurzen Lichtblitzen Forschern fast aller Naturwissenschaften nie dagewesene Experimentiermöglichkeiten. Ab 2015 wird auch der Europäische Röntgenlaser XFEL für Experimente zur Verfügung stehen, mit dem sich atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln oder chemische Reaktionen filmen lassen.

 

Seit Oktober 2012 verfügt der Science Campus Hamburg Bahrenfeld zudem über ein weiteres Highlight: das Center for Free-Electron Laser Science, eine Kooperation von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg. Unter dem Dach des CFEL treffen sich Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen und Forschungsorganisationen, um sich interdisziplinär und international auszutauschen und Synergien zu nutzen.

 

Zudem werden die im CFEL beteiligten Forschergruppen sich zu einem eigenständigen Max-Planck-Institut zusammenschließen. Der Senat wird dafür die notwendigen Mittel von mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung stellen.

 

Selbst Krankheiten werden Wissenschaftler auf dem Hamburger Science Campus in Zukunft atomgenau ins Visier nehmen. Im Center for Structural and Systems Biology, dessen Bau noch in diesem Jahr beginnen soll, werden Biologen, Chemiker, Mediziner, Physiker und Ingenieure die Wechselwirkung von Krankheitserregern mit ihren Wirten untersuchen. Diese Kooperation der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und die geplante Zusammenarbeit im norddeutschen Raum ist einzigartig in der biomedizinischen Grundlagenforschung. 

 

Alle diese Forschungsfelder eröffnen völlig neue Perspektiven auch für die praktische Anwendung   ob in der Nanotechnologie, der Werkstoffforschung oder den life sciences. Deshalb diskutieren die Stadt und DESY derzeit intensiv darüber, ob diese Entwicklung in einen Technologiepark münden könnte, der dem Campus Bahrenfeld angeschlossen wäre.

 

DESY, DORIS, PETRA, ARGUS Physik, das zeigt sich bei der Namengebung, hat auch viel mit Phantasie zu tun. Diese Phantasie ist in Zukunft mehr denn je gefragt. Denn auch wenn wir immer genauer wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, die Frage wie alles anfing, liegt nach wie vor weitgehend im Dunkeln.

 

Der Physiker Michiu Kaku hat es als Kind in der Sonntagsschule in die Frage gekleidet: Hatte Gott eine Mutter? und damit seine Lehrer ziemlich aus dem Konzept gebracht. 

 

Die Frage ist geblieben, nur stellt sie sich in der Wissenschaft anders. Sie will herausfinden, was beim Urknall nicht von ungefähr eine etwas hilflose Bezeichnung was da vor 13,8 Milliarden Jahren wirklich passiert ist. Sie will wissen: Warum gibt es im Kosmos überhaupt Materie? Ist sie aus dem Nichts entstanden? Was ist aus der Antimaterie geworden, die dann auch hätte entstehen müssen?

 

Da sind wir dann in einem schwer abzusteckenden Grenzbereich zwischen Physik, Philosophie, Religion, auch Dichtkunst, denn nichts anderes wollte ja Goethe seinen Doktor Faust ursprünglich herausfinden lassen. Mit Hilfe von DORIS und ARGUS sind die Forscher in Hamburg der Beantwortung dieser Grundfrage unserer Existenz ein kleines Stückchen näher gekommen. Sie haben nämlich entdeckt, dass bestimmte Teilchen, die B-Mesonen, sich spontan in ihre Antiteilchen umwandeln können.

 

Sein oder Nichtsein es könnte also sein, dass wir diese Frage in Zukunft anders stellen müssen. 

 

Auf die weiteren Forschungsergebnisse bin ich gespannt. 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.