"Es geht um Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung" Interview mit der Rheinischen Post
Rheinische Post: Herr Bürgermeister, in Mecklenburg-Vorpommern hat jeder Vierte eine nationalistische Partei gewählt, die gegen die Masseneinwanderung zu Felde zieht. Welchen Anteil daran hat die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?
Olaf Scholz: Erstmal freue ich mich, dass jeder Dritte in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag die SPD gewählt und Erwin Sellering im Amt bestätigt hat. Das ist gut. Weniger gut ist, dass die dortigen Rechtspopulisten mit dem Schüren von Ressentiments so viel Erfolg gehabt haben, obwohl sie außer schlechter Laune nichts zu bieten haben.
Rheinische Post: Ist die SPD im Herbst 2015 Angela Merkel zu blauäugig gefolgt?
Olaf Scholz: Die Staaten Europas haben eine gemeinsame Verantwortung für Flüchtlinge; auch Deutschland. Bei der Wahrnehmung dieser gemeinsamen Verantwortung hapert es leider noch. Immerhin: Die deutschen Länder und der Bund haben in den vergangenen zwölf Monaten gemeinsam viel unternommen, um die Lage in den Griff zu bekommen, die Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Das ist keine schlechte Leistung.
Rheinische Post: Sie sind Erster Bürgermeister der weltoffenen Handelsstadt Hamburg. Ärgert Sie der Widerstand in der Partei gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA?
Olaf Scholz: Wir sollten die beiden Abkommen strikt voneinander trennen. Bei TTIP, dem Abkommen zwischen Europa und den USA, kann man berechtigte Zweifel haben, ob eine Vereinbarung in den letzten Tagen der Amtszeit von Präsident Obama überhaupt noch zustande kommt. Washington blockiert bei wichtigen Themen.
Rheinische Post: Zum Beispiel?
Olaf Scholz: Europäische Unternehmen sollen dort bisher keinen unbeschränkten Zugang zu öffentlichen Aufträgen erhalten. Das ist nicht okay. Auch beim Thema Schiedsgerichte sind die Unterschiede groß. Bei CETA, der Vereinbarung mit Kanada, ist das anders. Da wurde gut verhandelt. Die Befürchtungen der Kritiker sind weitgehend ausgeräumt. So wird es keine privaten, sondern öffentliche Schiedsgerichte geben, darauf hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gedrängt.
Rheinische Post: Dann müssten Ihre Genossen am 19. September ja CETA bereitwillig zustimmen.
Olaf Scholz: Ich bin zuversichtlich, dass der Parteikonvent für den Leitantrag des Vorstands zu CETA stimmen wird.
Rheinische Post: An der Basis und in der Parteilinken ist der Widerstand trotzdem groß. Ist die SPD gegen Freihandel?
Olaf Scholz: Nein. Es geht in erster Linie doch gar nicht um Freihandel, wir führen eine Debatte über die Demokratie. Es gibt die Sorge, dass wir zu viele demokratische Entscheidungsbefugnisse unseres Landes auf internationale Regelwerke übertragen. Das ist eine Sorge, die man nicht einfach abtun sollte. Deshalb müssen wir bei jedem einzelnen Abkommen genau hinschauen, ob im konkreten Fall die Vereinbarung die demokratische Willensbildung der Parlamente dauerhaft sicherstellt. Ich halte nichts von der abstrakten Schwarz-Weiß-Diskussion, ob man für Freihandel ist oder dagegen. Das bringt uns nicht weiter.
Rheinische Post: Sitzt die Hamburger Wirtschaft Ihnen im Nacken und drängt auf das Abkommen?
Olaf Scholz: Hamburg hat immer vom freien Handel profitiert. Dieses Denken ist nicht nur in der Wirtschaft verbreitet und bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, sondern auch im Hamburger Senat.
Rheinische Post: Was ist eigentlich mit der SPD im Bund los? Sie setzt reihenweise Gesetze um, aber die Wähler antworten mit Desinteresse.
Olaf Scholz: Die SPD muss einerseits dafür Sorge tragen, dass alle, die sich in diesem Land anstrengen und an die Regeln halten, spüren, dass sich das auch lohnt egal ob Arbeiter, Angestellter oder Unternehmer. Andererseits muss die SPD immer zeigen, dass sie das Land führen kann. Man muss uns die Regierung anvertrauen mögen.
Rheinische Post: Das klingt nicht so, als ob Rot-Rot-Grün eine Option für Sie wäre.
Olaf Scholz: Die Partei Die Linke ist keinen der Schritte gegangen, die notwendig wären, um diese Konstellation im wirtschaftlich stärksten Staat mit der größten Bevölkerung in Europa, der auch noch in der Mitte des Kontinents liegt, möglich zu machen. Wir haben immer auch eine Verantwortung für das Land und für Europa.
Rheinische Post: Es heißt allerdings, dass man Wahlen nur in der Mitte gewinnt.
Olaf Scholz: Die SPD hat schon immer alle großen gesellschaftlichen Gruppen integriert. Meine Partei war immer dann besonders erfolgreich, wenn sie eine Mehrheit der Leute hinter sich versammeln konnte. Wir müssen den Ehrgeiz haben, bei der Bundestagswahl stärkste Partei zu werden.
Rheinische Post: Politiker versammeln Mehrheiten ja gern mit Steuergeschenken hinter sich
Olaf Scholz: Ich sehe wenig Spielraum für große Sprünge. Die Staatsverschuldung ist weiterhin auf einem unvertretbar hohen Niveau. Die Schuldenbremse gilt, für die Länder bedeutet das, dass sie ab 2020 keine neuen Schulden machen dürfen. Bloß weil die Zinssätze so niedrig sind und wir deshalb unsere Schulden derzeit günstig bedienen können, sollte niemand denken, wir sind durch.
Rheinische Post: Aber die Steuermehreinnahmen sprudeln und waren so nicht absehbar, auch nicht in den Haushaltsplanungen. Was passiert mit dem Geld?
Olaf Scholz: Ich halte weder etwas von großen Steuererhöhungen, noch von großen Steuersenkungsversprechen. Der Gerechtigkeit wegen kann man die Tarife moderat neu tarieren. Ansonsten sollen und wollen wir große Aufgaben schultern. Es geht um Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung. Um gebührenfreien Zugang zu Kitas. Und manche weitere Aufgabe.
Rheinische Post: Klingt irgendwie unspektakulär. Was halten Sie von der Wiedereinführung einer Vermögensteuer?
Olaf Scholz: Das Bundesverfassungsgericht hat die Besteuerungsgrundlagen 1995 infrage gestellt, deshalb lief die Vermögenssteuer aus. Niemand hatte seither eine Idee, wie eine verfassungskonforme und praktisch durchführbare Lösung aussehen könnte. Solange das der Fall ist, macht es schon deshalb keinen Sinn, immer wieder viel Zeit auf dieses Thema zu verwenden.
Rheinische Post: Die Länder haben sich auf eine neue Finanzverteilung geeinigt, der Bund bremst. Wann kommt das Gesetz?
Olaf Scholz: Ich bin überzeugt, dass wir noch in diesem Jahr eine Einigung zwischen Bund und Ländern über den Finanzausgleich hinbekommen. Die brauchen wir auch dringend, da der Solidarpakt 2020 ausläuft und gleichzeitig die Schuldenbremse greift. Es ist eine einmalige Chance, dass sich alle 16 Länder trotz unterschiedlicher politischer Couleur auf ein Modell verständigt haben.
Rheinische Post: Na ja. So ein Wunder war die Einigung der Länder auch wieder nicht: Schließlich bekämen alle mehr Geld vom Bund.
Olaf Scholz: Der Bund würde nicht substanziell mehr zahlen müssen als heute, denn schon jetzt fließt viel Geld über den Solidarpakt in den Länderfinanzausgleich ein.
Rheinische Post: Eine Schwächung der Bundesfinanzen könnte Ihnen ja auch selbst auf die Füße fallen immerhin werden Sie immer wieder als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt. Stehen Sie zur Verfügung, wenn Sigmar Gabriel plötzlich doch keine Lust mehr auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur hat?
Olaf Scholz: Ich kann keinerlei Lustlosigkeit bei Sigmar Gabriel erkennen. Er macht seinen Job doch gut.
Rheinische Post: Und Sie fühlen sich wohl in Hamburg?
Olaf Scholz: Pudelwohl.
Das Interview führten Michael Bröcker und Stefan Weigel.