Mit Beharrlichkeit und langem Atem
Der Kampf für den Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche
Im Januar 2018 verkündeten verdi, die GEW und der Bildungsverband: Erstmals gilt der Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche für alle Auftragnehmer der Bundesagentur für Arbeit. Die Meldung schaffte es kaum in die Tagespresse, und doch war das eine kleine Sensation, denn, was viele nicht wissen: Dozentinnen und Dozenten, die in der Weiterbildung arbeiten, sind oft schlecht bezahlt. Gewerkschafter, Sozialdemokraten aber auch die Arbeitnehmervertreter aus dem Bildungsverband kämpfen deshalb seit über einem Jahrzehnt für den flächendeckenden und für alle geltenden Mindestlohn in der Branche.
Wann fing es an? Vielleicht 2004, als sich immer mehr Arbeitsmarktexperten für Mindestlöhne aussprachen und sich sicher waren, dass sich so ein grundlegendes Prinzip auch in Deutschland schon in wenigen Jahren durchsetzt? Oder 2008, als wir in Hamburg eine Unterschriftenaktion für die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns gestartet haben und die Deutsche Angestellten-Akademie GmbH (DAA) uns immer wieder darauf hinwies, wie sehr Dumpinglöhne in der Weiterbildungsbranche üblich waren? Und schließlich liegt ein Anfangspunkt ja auch schon in den 1970er Jahren, als die großen Weiterbildungsträger mit der DAG Tarifverträge aushandelten und damit Standards schafften, an denen wir uns heute noch orientieren. Aber vor allem begann es auch immer wieder mit den Ideen und der Initiative von Rudolf Helfrich.
Schon in den frühen 1990er Jahren hatte Helfrich die Idee, einen Arbeitskreis der Bildungsträger zu gründen, um die Interessen besser zu bündeln. 1998 initiierte er mit der DAA den Arbeitskreis überregionaler Bildungsträger. Es wurde wirklich ein Arbeits-Kreis: Allein zwischen 1999 und 2002 gab es insgesamt dreizehn ordentliche Sitzungen. Dabei ging es immer wieder auch um das Anliegen, eine Basis für tarifvertragliche Vereinbarungen zu schaffen.
Ein Arbeitgeber, der tarifvertragliche Regelungen für Standards fordert - das war schon etwas ungewöhnlich. So entspann sich in der Weiterbildungslandschaft eine ausführliche Diskussion über die klassische Frage: Sind Tarifverträge gut für die Branche? Es gab Träger, die hatten kein Interesse daran, sich durch einen Tarifvertrag zu binden. Andere stellten sogar in Frage, ob es sich bei dem Wirtschaftszweig überhaupt um eine Branche im klassischen Sinne handele. Das Tarifgefüge geriet unter Druck, immer mehr Träger verzichteten auf sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, in einige Regionen herrschte bisweilen geradezu eine Goldgräberstimmung, da wurde schon mal eine Fahrschule kurzerhand ein Träger der Weiterbildung.
Helfrich und die DAA ließen nicht locker (übrigens auch gegenüber so manchem Politiker in Hamburg). Ihnen war klar, dass die Qualität der beruflichen Weiterbildung auf dem Spiel steht. Eine funktionsfähige und schlagkräftige Organisation musste her, die für die Weiterbildungsbranche sprechen sollte. So gründete sich aus dem Arbeitskreis am 17. Mai 2002 bei schönstem Frühlingswetter in Hamburg der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung kurz BBB. Alle wussten: Ein Ziel des BBB war ein tariflicher Rahmen für eine vernünftige Entlohnung in der gesamten Branche.
Aber dafür musste der BBB nicht nur als Fachverband, sondern auch als Arbeitgeberverband fungieren können. Diese beiden Anliegen findet man dann auch in der Satzung: Im Sinne der Gründung eines Fachverbandes wurde festgeschrieben, der BBB vertrete gemeinsame Interessen gegenüber Dritten, und im Sinne derjenigen, die wie Helfrich einen Arbeitgeberverband wollten, heißt es: Mitglieder können eine gesonderte Zweckgemeinschaft für tarifrechtliche Fragen bilden. Das war dann auch der nächste Schritt: Schon bald nach der Gründung schloss sich die Mehrzahl der Mitglieder des Bildungsverbandes zu einer Tarifgemeinschaft zusammen, der sogenannten Zweckgemeinschaft des BBB.
Die Gründung eines Arbeitgeberverbandes für die Aus- und Weiterbildungsbranche erregte viel Aufmerksamkeit. Die einen begrüßten, dass es nun, neben den bereits bestehenden Organisationen für Privatschulen und Erwachsenenbildung, auch einen Verband mit Schwerpunkt der außerbetrieblichen Qualifizierung gab. Aber es gab auch irritierte Reaktionen. Es war ja eher ungewöhnlich, dass die Zweckgemeinschaft als Arbeitgebervertretung zugleich zum Teil aus dem gewerkschaftlichen Umfeld stammte. So mancher witzelte, der BBB sei der Hamburger Gewerkschaftsverband. Nun, weder die Hamburger, noch die Gewerkschafter und schon gar nicht Rudolf Helfrich konnten das als schwerwiegende Kritik verstehen, es war stets eher ein Ansporn, die eigene Position deutlich zu machen. Und das betraf auch das große Ziel: den Mindestlohn-Tarifvertrag.
Seit Jahren wurde damals auf allen Ebenen kontrovers über Mindestlöhne diskutiert. Hintergrund war vor allem die sinkende Tarifbindung in zahlreichen Branchen, vor allem im Dienstleistungssektor. Erste Branchenmindestlöhne über das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung gab es in der zweiten Hälfte der 90er Jahre im Baugewerbe und im Elektrohandwerk. Aber der Gegenwind blieb massiv. Erst im Januar 2009 gelang für die Weiterbildungsbranche ein erster großer Durchbruch: Der Bundestag entschied, die auf Grundlage des SGB II und III geförderte berufliche Aus- und Weiterbildung (zusammen mit weiteren Branchen wie Pflege, Sicherheitsleistungen und Bergbauspezialarbeiten, Großwäschereien und Abfallwirtschaft) in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Einen Monat später stimmte auch der Bundesrat zu. Im Infobrief Februar/März 2009 des BBB wurde gejubelt, man interviewte mich als Bundesarbeitsminister zum weiteren Verlauf, und ein großes ausdrückliches Lob ging auch an Andrea Nahles und Ralf Brauksiepe, die arbeitsmarktpolitischen Sprecher von SPD und Union, die das gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit langem Atem, mit hohem Engagement und Durchsetzungsvermögen ermöglicht hatten.
Die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz war ein bemerkenswerter politischer Fortschritt, zumal wenn man bedenkt, dass Mindestlöhne auf der Unionsseite nicht die gleiche Priorität hatten wie bei den Sozialdemokraten. Dort vermied man sogar den Begriff und sprach noch bis 2013 bestenfalls von Lohnuntergrenzen. Aber bezogen auf die Weiterbildungsbranche war doch auch immer mehr Abgeordneten klar geworden, dass ja der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung die Gelder für den Bereich der Arbeitsförderung und Weiterbildung bereitstellten, und es gerade in Bildungsfragen schon auch eine besondere Verantwortung des Staates gibt.
Durch die neue gesetzliche Grundlage konnten die Tarifvertragsparteien den Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit für die Branche stellen. Das heißt, die Zweckgemeinschaft, verdi und die GEW mussten sich über die genauen Bedingungen einigen, sich damit an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wenden, das dann wiederum, die Meinung aller tangierten Bundesministerien einholt, bevor letztlich nach Befassung des Kabinetts die Allgemeinverbindlichkeit ausgesprochen werden kann. Ein komplexes Verfahren, das viele Einspruchsmöglichkeiten eröffnet, entsprechend taten sich erneut viele Hürden auf. Dann kam der Oktober 2009 und Deutschland wählte eine neue Bundesregierung. Der nächsten Koalition, einer schwarz-gelben, gehörten erklärte Gegner des Mindestlohns an. So erfolgte erst am 4. Oktober 2010 die Antwort. Das BMAS, damals unter der Leitung Ursula von der Leyens, lehnte die Allgemeinverbindlichkeit ab, das Urteil lautete: mangelndes öffentliches Interesse. Die brüske Ablehnung war ärgerlich, aber nicht unerwartet. Erfreulich dagegen, dass das Anliegen immer mehr Fürsprecher fand, auch im Lager der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Juristische Gutachten zu den Kernfragen wie öffentliches Interesse, Repräsentativität und Tarifbindung wurden eingeholt, und beide Tarifparteien verstärkten das Bemühen, die falsche Entscheidung des BMAS so rasch wie möglich zu korrigieren.
Eine solche Gelegenheit gab es dann im Zuge der Verhandlungen zur Neureglung der Leistungen des Arbeitslosengeldes II. Sowohl aus SPD als auch aus der CDU kamen nun positive Signale. Zudem war der Zweckverband durch viele Neumitglieder gestärkt worden. Die große Mehrheit der Branche will den Mindestlohn konnte der BBB selbstbewusst sagen. Nach entsprechenden Abstimmungen mit dem BMAS stellten Frank Bsirske und Petra Gerstenkorn für verdi, Ulrich Thöne und Ise Schaad für die GEW und Wolfgang Gelhard für die BBB-Zweckgemeinschaft im Juni 2011 einen weiteren Antrag auf allgemeinverbindliche Erstreckung des Mindestlohntarifvertrags. Und diesmal klappte es: Das BMAS erließ am 17. Juli 2012 die entsprechende Ministerverordnung. So mancher erinnert sich noch an die darauf folgende Sitzung des Bildungsverbandes. Rudolf Helfrich holte persönlich die Sektflasche heraus und stieß mit allen an. Nach über zehn Jahren Diskussionen, Argumentationen und Verhandlungen war der Mindestlohn für die Branche endlich da. Mit Wirkung zum 1. August 2012 wurde er zunächst nur für 11 Monate eingeführt.
Diese Verordnung für den Branchen-Mindestlohn wird seither immer wieder, wenn auch gelegentlich mit einigem Holpern, durch neue Verordnungen ersetzt, die für ihren jeweiligen Geltungszeitraum immer höhere Mindestlöhne vorsehen. Ein paar Einschränkungen blieben allerdings zunächst bestehen: So galten die Mindestlöhne nur für Bildungsunternehmen mit überwiegender Betätigung in der nach SGB II und III geförderten Weiterbildung. Ein weites Feld für gezielte Umgehung der Regelung. Es brauchte noch einmal sechs Jahre und das Engagement von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, bevor die kommissarische Ministerin Katarina Barley Ende 2018 bekanntgeben konnte, dass der Bundesgesetzgeber durch den § 185 SGB III diese Lücke geschlossen hat. Mit der Änderung wird es möglich parallel zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz eine Rechtsverordnung auf den Weg zu bringen, die die Vergabe durch die Bundesanstalt für Arbeit regelt und den Mindestlohn bei allen, die Weiterbildung nach SGB II und III anbieten, zur Bedingung macht.
Die Frage nach fairen Löhnen für Dienstleistungen ist hochaktuell, nicht zuletzt angesichts der dynamisch zunehmenden Anzahl plattformvermittelter Dienstleistungen. Da ist es gut, dass man überall in der Wirtschaft das Prinzip der Mindestbezahlung kennt, dass es genutzt und auch kontrolliert wird. Sehr viele Frauen und Männer haben an diesen Erfolgen ihren Anteil. Gerade jüngst haben wir fünf Jahre allgemeinen Mindestlohn gefeiert, und es gab sogar in Harvard dafür Applaus. Aber die, die dabei waren, wissen auch: Es waren Leute wie Rudolf Helfrich, die im Hintergrund tätig waren, die beharrlich und stets mit langem Atem diese Forderungen immer wieder befeuert haben. Ihnen haben wir zu verdanken, dass der Mindestlohn heute zum gesellschaftlichen Konsens gehört.