Sehr geehrter Herr Dr. Vogel,
sehr geehrte Frau Spengler-Ahrens,
sehr geehrter Herr Spiekermann,
sehr geehrte Frau Klinkhammer,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
gibt es Ausblicke, die die Kreativität fördern? Sollte dem so sein, dann gehört das Panorama, das wir an diesem Abend vom 23. Stock des Emporio Towers aus genießen dürfen, ganz sicher dazu, sogar bei grauem Nieselwetter. Willkommen beim Senatsempfang hoch über den Dächern der Freien und Hansestadt Hamburg!
Creativity beats technology. Fragezeichen. Ausrufezeichen. Im Verhältnis zwischen Kreativen und denen, die sich mit Technik und Algorithmen beschäftigen, schwingt also offenbar eine gewisse Ambivalenz mit. Dabei hat das Kräftemessen zwischen Mensch und Maschine schon vor langem begonnen, und häufig zog der Mensch den Kürzeren. Die etwas Älteren hier werden sich noch an den Wettkampf erinnern, in dem der Schachgroßmeister Gary Kasparov und der Supercomputer Deep Blue vor zwanzig Jahren, im Mai 1997, gegeneinander antraten. Zunächst lag Kasparov vorn, dann folgten ein Sieg zugunsten von Deep Blue und drei unentschiedene Partien. Die Spannung bei dem entscheidenden sechsten Spiel war danach kaum auszuhalten und es gab wohl niemanden, dem nicht mulmig zumute war, als am Ende Deep Blue den Sieg davontrug.
Inzwischen lassen sich mithilfe von Algorithmen nicht nur hochkomplexe strategische Überlegungen anstellen. Auch bei einem lange als unberechenbar geltenden Spiel wie Go kann Künstliche Intelligenz inzwischen den Menschen übertrumpfen. Sogar etwas Individuelles wie der Musikgeschmack lässt sich analysieren und generieren. 75 Millionen persönliche Playlisten erstellt Spotify jede Woche mithilfe Künstlicher Intelligenz von Algorithmen, und die Erfahrung zeigt: Die persönlichen Vorlieben lassen sich erstaunlich treffend berechnen. Und das ist sicher erst der Anfang einer Entwicklung, die das, was bislang als privat galt, immer stärker in Augenschein nimmt ein Thema, das auch den Gesetzgeber weiter beschäftigen wird.
Das Tempo technischer Innovationen ist atemberaubend. Künstliche Intelligenz entwickelt sich zur neuen Basistechnologie. Virtual Reality und das Internet of Things werden die Medien- und Kommunikationsbranche vermutlich grundlegend verändern. Das alles ist faszinierend und verlangt ein engeres und anders geartetes Zusammenspiel von Kreativen und Technik.
Auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz ist Deutschland stärker, als manche denken, und auch beim Internet der Dinge stehen die Chancen gut, dass wir vorne mitspielen. Die im Motto des Festivals anklingende Vermutung, Deutschland sei nach wie vor ein Industriegigant, der die neuen Trends erst spät erkenne, halte ich für etwas überholt wenn sie denn überhaupt einmal zutreffend war. Die großen deutschen Konzerne wie auch der starke Mittelstand setzen voll auf die Digitalisierung. Das hat kürzlich auch wieder eine Umfrage der BITKOM bestätigt.
Auch zur angeblich unumstößlichen Disruption möchte ich etwas sagen. Eine gewachsene, globalisierte Wirtschaft wie die unsere entwickelt sich trotz der Beschleunigung von Innovationen eher evolutionär. Unsere Aufgabe sollte darin bestehen, mit den richtigen Rahmenbedingungen einen Wandel bestehender Strukturen zu ermöglichen. Der Begriff Disruption suggeriert eine fast naturgegebene Unaufhaltsamkeit, die zu den Werten und Bedingungen in Europa nicht immer passt. Auch die Einführung neuer Technik braucht gewisse Standards und Regeln, die dafür sorgen, dass der technische Wandel nicht nur Einzelnen zu Gute kommt, sondern zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger vonstattengeht.
Innovativ kann unsere Gesellschaft auf lange Sicht nur sein, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Veränderungen und auch deren Geschwindigkeit bejahen. Aber nur wer sich ausreichend geschützt fühlt und nicht fürchten muss, arbeitslos oder in Bezug auf die Technik abgehängt zu werden, kann sich auf den Wandel einlassen. Nur wer im Wandel für sich eine Perspektive findet, wird bereit sein, sich fortzubilden oder sogar einen neuen Beruf zu erlernen. Das wird aber ganz entscheidend für den Erfolg sein.
Deutschland hat gute Voraussetzungen. Wir werden zu den wenigen Ländern gehören, die den technischen Wandel an der Spitze mitgestalten und dabei die sozialen und politischen Errungenschaften erhalten und zwar, ohne an überholten Strukturen zu klammern. Eine gewisse Freude an neuen Lösungen gehört ja unbedingt dazu, um sich in der Welt von morgen wohlzufühlen. Deshalb stimme ich Florian Gschwandtner, Gründer und CEO der erfolgreichen Lauf-App Runtastic, zu, wenn er sagt, dass es in der Schule nicht nur einen Rotstift, sondern auch einen Grünstift geben sollte. Was ist gelungen und wie kann das Gelungene weiterentwickelt werden? Das sind die Fragen, die uns voranbringen.
Kreativität braucht ein Klima der Toleranz gegenüber eigenen Fehlern wie gegenüber Andersdenkenden. In diesem Sinne sind die protektionistischen und populistischen Strömungen in Europa und den USA sicherlich als kreativitätsfeindlich zu betrachten. Ich gebe zu, ich bin nicht traurig, wenn das dazu führt, dass sich der Bürgersinn in Ihrer Branche etwas lauter zu Wort meldet. Ich denke da zum Beispiel an den Versuch, eine Gegenstimme zum nach Deutschland strebenden breitbart.com zu schaffen. Oder daran, dass Unternehmen darauf hingewiesen werden, wenn ihre Anzeigen auf rechtspopulistischen Seiten erscheinen. Auch mit dem Berliner Kreativ-Wettbewerb der Initiative Artikel 1 nehmen Kommunikationsexperten Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen.
Ganz nebenbei zeigen diese Beispiele übrigens auch, warum die Kreativbranche die neuen Möglichkeiten der Technik nutzen, aber nicht überschätzen sollte. Politik wird auch in hundert Jahren nicht von Maschinen oder Algorithmen gemacht werden. Wenn es nach mir geht, können Sie das Fragezeichen in Ihrem Motto Creativity beats technology also gerne streichen.
Meine Damen und Herren,
Ich wünsche Ihnen ein weiterhin inspirierendes und erkenntnisreiches ADC-Festival. Und jetzt erst einmal einen schönen Abend mit vielen bemerkenswerten Begegnungen, hoch oben, aber nicht abgehoben über den Dächern der Stadt.
Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.