Sehr geehrter Herr Dr. Esser,
sehr geehrte Frau Ministerin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
The World is flat, mit der Metapher der flachen Welt, die sich wie ein Spielfeld für alle öffnet, beschrieb Thomas Friedman (2005) die sich globalisierende Wirtschaft. Flach sei die Welt, weil die Unterschiede im Zugang zu den Märkten eingeebnet sind. Durch die neuen technologischen Entwicklungen können nicht nur Waren, sondern auch Daten, Dienstleistungen und Menschen in den unmittelbaren Austausch treten.
Tatsächlich hat die Globalisierung der Weltwirtschaft einen enormen Schwung verliehen. Das neue Jahrhundert begann mit unerwartet großen Wachstumsraten in Europa und den USA. Aber auch in Ländern wie Brasilien, Indien oder China entwickelte sich die Wirtschaftsleistung so gut, dass man schon glauben konnte, sie würden zu den Industrienationen aufschließen. Für Millionen Menschen erfüllte sich erstmals das Versprechen, durch Arbeit und persönliche Anstrengung etwas zu erreichen. In vielen der aufstrebenden Wirtschaftsnationen entwickelte sich eine neue Mittelschicht. Die Globalisierung hat die Armut weltweit reduziert. Auch wenn die Unterschiede des Wohlstands im Verhältnis zu den Industrienationen noch beträchtlich sind, die wirtschaftliche Dynamik der aufstrebenden Länder ist hoch und verspricht eine bessere Verteilung des Wohlstands.
Die Finanzkrise zeigte dagegen im großen Stil die negativen Seiten der Globalisierung. Aus den USA kommend, erschütterte sie auch europäische Volkswirtschaften, zerstörte so manches naive Vertrauen in die Märkte und führte zu enormen Wohlstandsverlusten. Ähnlich wie in die Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren zeigte sich einmal wieder, dass die politischen Institutionen auf globaler Ebene den wirtschaftlichen Verflechtungen enorm hinterherhinken. Deshalb muss die Krise der Weltwirtschaft auch als Aufforderung für die Stärkung von internationalen politischen Institutionen verstanden werden. Die Europäische Union hat erste Lehren daraus gezogen.
Inzwischen haben sich die meisten Industrienationen von der Finanzkrise erholt. Aber der Schwung auf dem Spielfeld scheint dahin zu sein: Die flache Weltwirtschaft hat nun vermehrt auch flache Wachstumsraten. Wie ein genauer Blick zeigt, ist das in den Industriestaaten schon seit Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der Fall. Das Hoch am Anfang des Jahrhunderts war nicht strukturell. Es ist ein Phänomen das alle klassischen Industrienationen und selbst Länder wie Singapur trifft, dessen Industrialisierung noch neu ist. So ist die aktuelle Phase der Globalisierung durch ein ökonomisches Rätsel gekennzeichnet: Was ist los mit der Weltwirtschaft? fragen sich die Wissenschaftler.
Über ökonomische Modelle heißt es bisweilen, sie bekämen Nobelpreise erst dann, wenn sie sich ihre Prognosen dreißig Jahre später bestätigt haben. So lange können wir nicht warten, zumal es auch schon jetzt eine Reihe plausibler Antworten gibt:
- Es fehlt an Investitionsanreizen in großem Stil. Gerade in vielen der etablierten Industrieländer ist an vielen Stellen privates Vermögen vorhanden, es wird aber unzureichend investiert.
- Enttäuscht wurden bislang auch die Erwartungen an die Digitalisierung der Wirtschaft. Es ist sicher, die Industrie 4.0 wird kommen. Dennoch haben die Produktionszuwächse längst nicht die wirtschaftliche Dynamik entfaltet, die etwa die Erfindung des Automobils, elektrische Geräte oder der Wissenszuwachs im Gesundheitswesen mit sich gebracht haben.
- Klar zu erkennen ist drittens auch der Zusammenhang zwischen der Produktivität, Lebenserwartung und Arbeitskräftepotentialen. Für Gesellschaften, die wissen, dass ihre Kinder eine lange Lebenszeit haben, lohnt es sich, vermehrt in Bildung zu investieren. Denn jede Person, die gut ausgebildet ist und auf Grund des längeren Lebens auch länger arbeiten kann, trägt zur demografischen Dividende bei. Die demografische Dividende hat einen großen globalen Schub gebracht. Aber in vielen Industrienationen ist der Impuls ausgeschöpft, weil die Menschen zwar älter werden, aber im Verhältnis dazu das Arbeitskräftepotential nicht mehr steigt.
Mit der Verlangsamung des Wachstums treten in vielen westlichen Ländern Effekte der Globalisierung stärker hervor, die weite Teile der Bevölkerung beunruhigen. So hat das Wachstum in China zwar der Weltwirtschaft einige Jahre lang über die Flaute der Finanzkrise geholfen, aber der damit verbundene steigende Import hat eben auch negative Beschäftigungseffekte in die Industriestaaten gebracht. Die Billiglohn-Konkurrenz für einfache Arbeiter ist keine Erfindung von Populisten. China-Syndrom lautete der Titel der Untersuchung, in der das Massachusetts Institute of Technology entsprechende Daten für die USA erhoben hat. Ähnliche Untersuchungen bestätigen das Phänomen auch für europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Norwegen und Spanien. Auch in Deutschland ist das schon lange so. Aber wahrscheinlich sind wir wegen der Stärke in Anlagenbau und industriebezogenen Dienstleistungen die einzige Industrienation in der genügend neue Arbeitsplätze entstanden sind. Viele Fabriken für Konsumgüter, in Asien zum Beispiel, produzieren mit Maschinen aus Deutschland.
Und wieder wird es flach: Diesmal verflachen sich vor allem die Zustimmungsraten der Bürger zu weiteren Schritten der internationalen Kooperation. Besonders deutlich wird das im Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Dort sind die politischen Unterschiede inzwischen weniger zwischen Demokraten und Republikanern zu finden, als vielmehr zwischen denen, die Jobs haben, die durch die internationale Zusammenarbeit gesichert werden und denen, die sich als Verlierer der Globalisierung sehen.
Damit kommt die Globalisierung, oder genauer der politische Diskurs über deren Bedeutung, in eine neue Phase: Erstmals nach dem Ende des kalten Krieges bestimmen volkswirtschaftliche Themen wieder die politische Debatte in den demokratischen Staaten. Bürgerinnen und Bürger diskutieren über die Regeln und die Legitimität der internationalen Arbeitsteilung. In jedem Wahlkampf ist die Globalisierung Thema.
Wo es früher um Kommunismus versus Kapitalismus ging, geht es nun um die Einstellung zur Globalisierung. Die Bruchstelle ist die Frage: Wie viel Offenheit verträgt die Gesellschaft angesichts der aktuellen Wirtschaftssituation? Von ganz links und ganz rechts kommen die Rufe, die Wirtschaft müsse in die Grenzen des Nationalstaats zurück. Die politische Mitte hingegen verteidigt parteiübergreifend die Ideen der Offenheit. Und nur diese Position kann das Gemeinwesen nachhaltig stabilisieren. Dazu braucht es ein entsprechendes politisches, wirtschaftliches und soziales Systems eine resiliente Volkswirtschaft.
Resilienz nennt man die Fähigkeit von Personen oder Systemen mit Krisen gut umzugehen oder selbst aus harten Erfahrungen gestärkt hervor zugehen. In den Zeiten der großen globalen Herausforderungen brauchen wir resiliente Volkswirtschaften. Eine resiliente Volkswirtschaft hat ein hohes wirtschaftliches Potential und einen starken Sozialstaat. Und eine resiliente Volkswirtschaft stärkt ihre Position, weil sie politisch und wirtschaftlich eng eingebunden ist. Wenn man sich Deutschland im Kontext des Weltmarktes anschaut, kann man sehen, dass unser Gemeinwesen schon recht gut ausgestattet ist. Und man sieht auch, wo wir noch mehr tun müssen.
Deutschland ist vermutlich die am meisten verflochtene Volkswirtschaft der Welt. Wir sind ein Gewinner der Globalisierung. Gewonnen haben nicht nur die großen Unternehmen oder Banken. Zu den wenig bekannten Weltmarktführern gehören Familienunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen aus allen Regionen Deutschlands. Anders als beim Roulette gewinnt man im Welthandel nicht einfach durch Zufall.
Auch aus dieser hervorragenden Arbeit vieler Bürgerinnen und Bürger resultiert Deutschlands Weltmeistertitel im Export und auch unsere Spitzenposition bei den Importen. Auch der europäischen Zusammenarbeit verdanken wir Arbeitsplätze und den Wohlstand. Aber die enorme Stabilität im Kontext des Weltmarktes verdankt Deutschland auch der für unser Land so typischen sozialen Marktwirtschaft, einem traditionellen, flexiblen und dadurch eben enorm resilienten Strukturmerkmal unseres Gemeinwesens. Drei Beispiele dafür:
- Deutschland verfügt über ein System der sozialen Sicherheit, das weltweit zu den besten gehört. Die gesetzliche Krankenversicherung gibt es seit 1883, die gesetzliche Unfallversicherung seit 1884 und die gesetzliche Rentenversicherung seit 1889. Das staatliche Sozialsystem entstand auf Druck der Arbeiterbewegung und der sich etablierenden Sozialdemokratie. Das Modell wurde von vielen anderen europäischen Ländern kopiert. Immer wieder springt die so vollständig andere Situation in den USA ins Auge: Dort wurde Medicare, die medizinische Minimalversorgung 1965 eingeführt, das System gewährleistet keine Kostendeckung. Eine echte medizinische Grundversorgung für jeden, wie wir sie kennen, ist erstmals durch Obama eingeführt worden. Ob der Affordable Care Act so funktioniert wie gewollt, ist zudem noch längst nicht sicher.
- Gar nicht zu unterschätzen ist das deutsche Ausbildungssystem. Es entstand vor 150 Jahren als man sich entschloss, die Grundsätze der Handwerksausbildung auf die Fabriken und Handelsunternehmen zu übertragen. Die Duale Ausbildung unbestritten eine entscheidende Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Es sind an wirtschaftlichem Erfolg orientierte Unternehmen, die die Ausbildungsplätze anbieten: Die Handwerksbetriebe, die Autobauer oder die Zulieferer investieren damit in die Erneuerung unsere Wirtschaft. Das Duale System trägt ganz wesentlich zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit und zur sozialen Mobilität bei.
- Wir haben es drittens geschafft, weil die Sozialpartner seit über 70 Jahren nicht nur für massive und krachende Interessensvertretung sondern immer wieder auch für sozialen Frieden sorgen. Bei uns funktioniert der Ausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern letztlich, und davon gewinnen alle. Dazu gehört auch, dass es in Deutschland eine gewisse Zurückhaltung des Gesetzgebers gibt, und das meiste zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern ausgehandelt wird. So ist die Einführung von neuen Technologien klug gestaltet und damit unsere Exportfähigkeit erreicht worden.
Das System der sozialen Sicherheit, das für Deutschland so typische Ausbildungsverfahren und die Sozialpartnerschaft gehören zu den Strukturmerkmalen, die unsere Volkswirtschaft stabilisieren. Das ist die Pointe: Es sind diese sozialstaatlichen Elemente die Deutschland zu einer resilienten Volkswirtschaft machen.
Diese Fähigkeit zeigt sich zum Beispiel in den Beschäftigungsquoten:
Niemals zuvor hatte unser Land einen so hohen Beschäftigungsgrad und zwar bei Männern und bei Frauen. Bis in die 1990 Jahre waren die Normalarbeitsplätze im Wesentlichen Männern vorbehalten, mit enormen Folgen der ökonomischen Abhängigkeit für Frauen. Seit 1995 ist die Erwerbsquote von Frauen um zehn Prozentpunkte gestiegen, bei den Männern waren es im gleichen Zeitraum nur ein Prozent. Noch nie waren in Deutschland so viele Frauen erwerbstätig wie heute: 19,7 Millionen Frauen waren es im Jahr 2013.
Aber auch wenn es unserer Wirtschaft gut geht, und die Beschäftigungszahlen hoch sind, gibt es immer noch zu viele, die in schwierigen Verhältnissen leben. Zudem haben wir die Aufgabe, die Flüchtlinge, die als neue Nachbarn bei uns bleiben, in die Gesellschaft zu integrieren.
The moon belongs to everyone, the best things in life are free, hat Frank Sinatra gesungen. Das kann niemanden trösten, der einen gut bezahlten Arbeitsplatz verloren hat und jetzt weniger verdient oder danach keine Beschäftigung gefunden hat. Auch in Deutschland haben wir stagnierende oder fallenden Realeinkommen. Es gibt viel zu viele, die es knapp haben. Das wissen wir.
Und wir wissen auch: Die Glaubwürdigkeit und die Stabilität der Sozialen Marktwirtschaft hängen davon ab, das man mit Erwerbsarbeit das Leben meistern kann. Wenn dieses Prinzip (durch Veränderungen in der Weltwirtschaft) nicht mehr klappt oder gefährdet ist, müssen wir es mit sozialer Infrastruktur stärken. Das betrifft viele gesellschaftliche Bereiche, vor allem aber die Löhne, Bildung und Ausbildung und die Wohnungen.
- Die Entwicklung der Primäreinkommen kann durch staatliches Handeln nur wenig beeinflusst werden. Aber der Sozialstaat kann sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Ökonomie der Globalisierung zurechtkommen. Deshalb ist der Mindestlohn so wichtig. Der Gesetzgeber hat den Rahmen gesteckt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln die Grenzen gemeinsam. Der Mindestlohn ist ein großer Erfolg, vier Millionen Beschäftigte profitieren davon, es gab keine Beschäftigungseinbrüche, erstmals ist jetzt eine Erhöhung beschlossen worden.
- Familien müssen gestärkt werden. Es muss möglich sein, das Leben mit Kindern gut zu meistern. Die Entscheidung für Kinder soll kein Karriereknick sein. Deshalb sind flächendeckende und kostenlose Kita-Angebote und Ganztagsschulen so wichtig. Kostenlose Kita-Plätze sind ein elementarer Beitrag für die soziale Mobilität: Sprachen, Sozialtechniken und auch persönliche Stärke, das was den Zugang zu Beruf und Leistung leichter macht, lernt man am besten so früh wie möglich mit Gleichaltrigen. Das können Sie in den Studien lesen und in den Geschichten stolzer Großmütter erfahren, die erzählen, wie schnell ihre Enkel in der Kita etwas können, was die Eltern nur mit Mühe schaffen würden. Deshalb haben auch bei uns auch alle Flüchtlingsfamilien das Anrecht auf Kita-Gutscheine.
- Dazu gehört eine allen zugängliche Bildung auf hohem Niveau. Auch Arbeiterkinder müssen studieren können. Es ist vernünftig, dass immer mehr Bundesländer die Studiengebühren abgeschafft haben. In den USA zahlen Studierende bis zu 40.000 USD Studiengebühren pro Jahr, dazu kommen noch einmal Semesterbeiträge und natürlich der ganz normale Unterhalt. Studieren in Deutschland ist sehr viel günstiger, auch das ist ein Beitrag zur sozialen Mobilität.
- Weil für die soziale Mobilität die erfolgreichen Verläufe von der Schule zum Beruf besonders wichtig sind, haben mehrere Bundesländer nach dem Vorbild Hamburg die Jugendberufsagenturen geschaffen. Die Jugendberufsagenturen sorgen dafür, dass Abschlüsse gemacht werden und der Übergang in die Berufstätigkeit klappt, davon profitieren vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wir in Hamburg dieses System auch als Angebot für Flüchtlinge ausgeweitet.
- Und wir dürfen den Wohnungsbau nicht vergessen: Deutschland braucht eine Wohnungsbaupolitik, die Wohnraum schafft, der mit einem Durchschnittseinkommen bezahlbar ist. Denn gerade in den Ballungsräumen, dort, wo es Arbeitsplätze gibt, sind Wohnungen für Familien oft kaum bezahlbar. Übrigens ist auch das ein Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit: Wenn die Schule der Kinder weit von den Arbeitsplätzen entfernt liegt, sinken die Chancen für Frauen erwerbstätig zu sein. Wir haben in Hamburg gemeinsam mit den Behörden, Bauträgern und Mietervereinen vorgemacht wie es geht. Wir bauen nach dem Prinzip des Drittelmix, das heißt, ein Drittel frei finanziert, ein Drittel Sozialwohnungen und ein Drittel Eigentumswohnungen. Gute Wohnungen für Familien gehören zu den elementaren Grundlagen des Lebens, es ist kein Zufall, dass die Finanzkrise aus einer nicht sozialstaatlich orientierten Wohnungsbaupolitik resultierte.
Wir brauchen eine hervorragende Wirtschaft und einen robusten Sozialstaat. Dafür haben wir in Deutschland eine hervorragende Tradition, die wir weiter ausbauen müssen. Einige Punkte habe ich angesprochen.
Das Wirtschaftssystem muss auf der Seite derjenigen stehen, die arbeiten. Modell Deutschland wurde die gelungene Verbindung von Wirtschaftswachstum mit sozialem Ausgleich unter Bundeskanzler Helmut Schmidt genannt. Wir haben jetzt wieder eine ähnliche Situation. Globale Finanz- und Wirtschaftskrisen müssen bewältigt werden und wieder glauben Einige, dagegen sei Protektionismus und Rückzug ein Konzept. Aber das ist diesmal zu flach gedacht. Vielmehr braucht das Modell Deutschland angesichts der aktuellen Herausforderungen ein Update.
Offenheit und Sozialstaatlichkeit bedingen einander. Nur, wenn der Sozialstaat die Risiken abfedert, auch die Risiken, die sich aus der Globalisierung ergeben, hat das Gemeinwesen ausreichend Stabilität, um die neue Herausforderung zu meistern. Nur, wenn der Sozialstaat dazu beiträgt, dass man auch künftig durch Anstrengung und Arbeit das Leben finanzieren kann, wird die Gesellschaft die Offenheit der Ökonomie ertragen.
Offenheit beschränkt sich nicht auf den Welthandel. Sie ist auch erforderlich, wenn es um technische Innovationen geht. Auch da ist eine sozialstaatliche Einbindung Bedingung für die Legitimation der Folgen der so bedeutenden Veränderungen. Nehmen wir als Beispiel das Unternehmen Uber: Das digitale Netzwerk zum Ersatz von Taxis durch Privatleute ist technisch innovativ, untergräbt aber die Regeln der sozialen Sicherheit und der Verkehrssicherheit. Deshalb haben fast alle deutschen Bundesländer dieses Geschäftsmodell verboten. Auch viele andere EU-Länder haben mit Verboten reagiert. Das ist ein notwendiger erster Schritt. Wir verfügen über ausreichend Instrumente, um den technischen Fortschritt sozial und sicher zu gestalten. Deshalb ist die Forderung in Papieren der EU-Kommission, die Verbote rückgängig zu machen, kurzsichtig: Den Bürgerinnen und Bürgern können wir die Vorbehalte vor der Globalisierung nur nehmen, wenn wir beweisen, dass die EU sie schützt.
Aus der Globalisierung kann man nicht aussteigen. Das zu meinen, ist ein nationalistischer Fehlschluss, der das für eine Ursache hält, was tatsächlich eine Grundlage für Lösungen ist. In Großbritannien hat eine gegen die Globalisierung gerichtete Stimmungslage zum Austritt aus der EU geführt. Schon jetzt zeigt sich, dass vor allem die unteren und mittleren Einkommen die Folgen dieser Entscheidung ausbaden müssen.
In einer Welt von mehr als sieben Milliarden Menschen und Mitte des Jahrhunderts werden es 10 Milliarden sein schafft die EU für die europäischen Staaten eine realistische Möglichkeit Einfluss zu nehmen. Niemand in der Welt würde auf die Wünsche von Wallonen, Bayern oder Tirolern hören, wenn deren Nationalstaaten nicht Mitglied der EU wären. Die EU ist der Kraftverstärker, durch den die europäischen Nationen überhaupt erst die erforderliche Gestaltungsmacht haben.
Wir brauchen die offenen Märkte und Freizügigkeit. Aber das funktioniert in einer flachen Welt nur, wenn sich die Bürger sicher fühlen, zum Beispiel mit einer Europäischen Union, die es als ihre Aufgabe begreift, diese Sicherheit zu gewährleisten.
Vielen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort.