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02.03.2009

"Ich empfehle den Unternehmen zwei Strategien: Kurzarbeit nutzen und qualifizieren!"

Interview mit dem Focus

 

FOCUS: Herr Scholz, wie oft haben Sie schon Ihren Job verloren, und wie sind Sie damit umgegangen?

Scholz: Ich hatte Glück und fing gleich nach meinem Studium in meinem Wunschberuf als Rechtsanwalt an. Das habe ich gemacht, bis ich in den Bundestag kam. Seitdem hatte ich als Politiker mal mehr, mal weniger Erfolg. Es gehört für einen Politiker dazu, dass man Aufgaben nur auf Zeit übertragen bekommt.

FOCUS: Existenzängste kamen bei Ihnen nie auf?

Scholz: Nein. Und das empfinde ich als großes Glück, weil ich weiß, dass es vielen Bürgern ganz anders geht.

FOCUS: Ist Ihnen klar, dass in Deutschland die Jobangst um sich greift?

Scholz: Ja. Die Daten der Weltwirtschaft müssen alle besorgt machen. Es gilt jetzt zu handeln. Deshalb empfehle ich den Unternehmen zwei Strategien: Kurzarbeit nutzen und qualifizieren. Marschiert mit euren Mitarbeitern gemeinsam durch die Krise! Man soll später sagen können, dass Deutschland sie für einen Aufbruch genutzt hat.

FOCUS: Hat jemand aus Ihrem Bekanntenkreis schon seine Arbeit verloren?

Scholz: Es hat sich noch keiner bei mir gemeldet. Aber die weltweite Konjunkturkrise hat ja erst begonnen, sich auf dem Arbeitsmarkt niederzuschlagen. Allerdings: Wir haben frühzeitig gehandelt. Schon im vorigen Jahr, als das ganze Ausmaß der Krise noch gar nicht absehbar war, haben wir 18 Monate Kurzarbeit ermöglicht. Das und die beiden Konjunkturpakete werden dafür sorgen, dass die Arbeitslosenzahlen beherrschbar bleiben.

FOCUS: Wie schlimm wird es?

 

Scholz: Ich halte alle Prognosen inzwischen nicht mehr für seriös.

 

FOCUS: Auch die, dass es nicht wieder zu fünf Millionen Arbeitslosen und mehr kommen wird?

Scholz: Bisher gibt es keine Voraussage, die so weit geht. Aber man muss die Unsicherheit der Datenbasis zugeben. Ich würde keinem Politiker, der mit sicheren Zahlen durch die Gegend läuft, ein Stück Brot abkaufen.

FOCUS: Wie ehrlich sind die Unternehmen zu Ihnen? Können Sie ausschließen, dass Entlassungspläne für den Sommer in den Schubladen liegen?

Scholz: Es gibt bisher keine geheimen Schubladenpläne. Alle spielen bisher mit offenen Karten. Wir haben sehr vertrauensvolle Gespräche geführt. Die Dax-30-Unternehmen - und nicht nur die - haben versprochen, dass sie sich bemühen wollen, Entlassungen im großen Stil zu vermeiden. Das finde ich sehr weit gehend, weil die ihren Prognosen genauso wenig vertrauen können wie wir. Über die Krise kann man im Moment nur sagen, dass sie da ist - und dass man nichts Genaues weiß. Höchstens das: Es rechnet sich für die Firmen, durch Kurzarbeit und Qualifizierung auf massenhafte Kündigungen zu verzichten.

FOCUS: Ist die Bereitschaft zur Weiterbildung unter den Mitarbeitern ausreichend vorhanden, oder nutzen sie die Kurzarbeit eher als zusätzliche Freizeit?

Scholz: Mein Rat ist, die Zeit für Qualifizierung zu nutzen. Wir wissen über den Arbeitsmarkt der Zukunft alles. Es gibt zwei Szenarien für die Mitte des nächsten Jahrzehnts: genügend Fachkräfte und kaum Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel und hohe Arbeitslosigkeit. Jetzt qualifizieren zahlt sich also bald aus.

FOCUS: Haben die Betriebe den Ernst der Lage denn schon begriffen?

Scholz: Es müsste mehr passieren. Bei den Ausbildungsplätzen haben wir in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Allerdings brauchen wir Lehrstellen für die weniger guten Schulabgänger. Die haben auch ihre Talente. Und mancher Unternehmer sollte doch einfach an die eigene Jugend zurückdenken. Dem einen oder anderen haben die Eltern womöglich gesagt: Aus dir wird nichts mehr. Und dann ist doch noch etwas aus ihm geworden. So geht es heute vielen jungen Leuten.

FOCUS: Sind die Kurzarbeiter von heute die Arbeitslosen von morgen?

Scholz: Die These ist nicht plausibel. Die Voraussetzung für Kurzarbeit ist die Annahme, dass es nach einer Übergangsphase wieder weitergeht. Es gibt auch eine natürliche Missbrauchskontrolle: Ein Unternehmen, das sicher davon ausgeht, dass es später seine Beschäftigten entlassen muss, gibt für die Kurzarbeit dann doch zu viel Geld aus, denn sie ist ja nicht völlig umsonst zu haben. Gut ist: Wir können lange durchhalten, weil die Arbeitsagentur reichlich finanzielle Rücklagen dafür zur Verfügung hat.

FOCUS: Wie lange?

Scholz: Das hängt von der Entwicklung ab. Sollten die Mittel um die Mitte des nächsten Jahres verbraucht sein, springt der Bundeshaushalt ein.

FOCUS: Dient die Kurzarbeit nicht eher dazu, die Arbeitslosenzahl für die Bundestagswahl zu schönen?

Scholz: Nein. Wir haben bewusst einen sehr langen Zeitraum für die Kurzarbeit gewählt und können ihn - auch wenn wir das aktuell nicht planen noch auf 24 Monate verlängern. Wenn es schlecht läuft, kann die wirtschaftliche Krise 2009 und 2010 komplett umfassen. Und natürlich wird es in dieser Zeit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Wer etwas anderes erzählt, streut den Leuten Sand in die Augen. Aber der Anstieg wird durch unsere Maßnahmen geringer ausfallen als ohne sie.

FOCUS: Muss der Staat sich an Unternehmen beteiligen, um Jobs zu retten?

Scholz: Beschäftigungssicherung hat Priorität. Aber der Staat sollte nicht nach Unternehmensbeteiligungen streben. Und er sollte auch nicht überall, wo ihm das jetzt angetragen wird, als Unternehmer auftreten wollen. Wir würden uns völlig übernehmen. Und: Geschäftsmodelle, die nicht funktionieren, bekommen wir mit staatlichem Geld auch nicht zum Laufen.

FOCUS: Gilt das auch für Opel?

 

Scholz: Bei Opel gehe ich davon aus, dass wir etwas tun müssen. Aber man muss diskutieren, was notwendig ist. Da werden wir die Pläne genau studieren. Ziel muss sein, dass eine industrielle Struktur in Deutschland nicht kaputtgeht bloß wegen der Schwierigkeiten der amerikanischen Muttergesellschaft.

FOCUS: Und Schaeffler?

Scholz: Es gelten die gleichen Prinzipien wie sonst. Beschäftigungssicherung ist wichtig. Aber die Sicherung des Vermögens der Gesellschafter ist keine öffentliche Aufgabe.

FOCUS: Wer ist zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit der wichtigste Mann im Kabinett: Arbeitsminister Scholz oder Wirtschaftsminister zu Guttenberg?

Scholz: Am besten ist es, wenn die Regierung zusammenarbeitet und keiner so eitel ist, Ihnen diese Frage zu beantworten.

FOCUS: Ist die Kanzlerin eine gute Krisenmanagerin?

Scholz: Die Regierung arbeitet gut in der Krise.

Interview: Hans-Jürgen Moritz/ Herbert Weber
(erschienen im Focus, 2.3.2009, S. 36)