Olaf Scholz: Nein, ich kenne mich da schon gut aus. Ich mache auch gerne Urlaub in Bayern und mag die Berge.
"Oberbayerisches Volksblatt": Trotzdem gelten Sie eher als ruhigerer Vertreter. Packen Sie im dunstigen Aschermittwochszelt dann die Reibeisenstimme aus?
Olaf Scholz: Auch in Norddeutschland wollen die Leute, dass die Rede, der sie folgen, sie bewegt. Trotzdem bleibe ich immer der, der ich bin.
"Oberbayerisches Volksblatt": Politisch sind Sie zumindest der bayerischen Regierungspartei CSU ohnehin näher als so mancher ihrer Parteifreunde. Gerade in der Flüchtlingspolitik. Können Sie da ausschließen, dass es irgendwann auch eine Obergrenze oder Grenzschließungen geben wird, wie anderswo in Europa?
Olaf Scholz: Das funktioniert ja nicht. Es geht um ganz andere Dinge. Wir brauchen eine gemeinsame Verantwortung in Europa und einen gemeinsamen Schutz der europäischen Außengrenzen. Wir brauchen Grenzübergangseinrichtungen, die sogenannten Hot Spots. Und wir brauchen eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern, in denen die Flüchtlinge zunächst Schutz gefunden haben insbesondere mit der Türkei.
"Oberbayerisches Volksblatt": Was Sie beschreiben ist Merkels Plan A, von dem kaum noch jemand glaubt, dass er wirksam umzusetzen ist.
Olaf Scholz: Auch andere europäische Länder haben ein großes Interesse daran, dass zum Beispiel die Freizügigkeit erhalten bleibt. Auch in anderen Staaten ist die Wirtschaft dringend darauf angewiesen. Deshalb glaube ich, dass wir am Ende zu gemeinsamen Strategien kommen. Diese Verabredungen können bilateral oder zwischen mehreren Ländern getroffen werden. Das ist mühsam, aber wir können es hinbekommen.
"Oberbayerisches Volksblatt": Wie lang hat die Kanzlerin noch Zeit?
Olaf Scholz: Man darf das nicht zu sehr auf die Kanzlerin reduzieren. Wir wollen ja gemeinsam erreichen, dass die Zahl der Flüchtlinge sinkt. Sonst wird es schwierig, die Aufnahme der Flüchtlinge ohne Verwerfungen zu schaffen. Immerhin haben wir durch verschiedene Maßnahmen Schritt für Schritt wieder die Kontrolle über die Lage bekommen. Und die vor kurzem auf den Weg gebrachten Gesetze werden auch nicht ohne Wirkung bleiben.
"Oberbayerisches Volksblatt": Die CSU hat schon neue sichere Herkunftsstaaten ins Spiel gebracht: Nigeria und Mali. Halten sie eine abermalige Ausweitung für denkbar?
Olaf Scholz: Vor allem glaube ich, dass die CSU nicht aufhören wird, Vorschläge zu machen. Das gehört ja zu ihrem Politikstil. Aber Politik darf sich nicht auf Vorschläge beschränken. Wir müssen handeln. Und jetzt setzen wir erstmal um, was wir beschlossen haben. Dass wir immer mal wieder über einzelne Länder sprechen, ist natürlich sinnvoll. Aber nicht als Teil von politischen Flugblättern, sondern als Teil seriöser Politik.
"Oberbayerisches Volksblatt": Allen Parteien sitzt die AfD im Nacken. Muss man mit ihr reden oder sie vom Verfassungsschutz beobachten, wie es ihr Parteichef Sigmar Gabriel fordert?
Olaf Scholz: Das ist eine Partei, die vor allem schlechte Laune wiedergibt und glaubt, das sei schon ein politischer Ansatz. Politik ist dafür da, Probleme zu lösen. Darüber sollten wir reden und nicht über die Schlechte-Laune-Partei AfD.
"Oberbayerisches Volksblatt": Schlechte Laune ist das eine, aber muss man sie vom Verfassungsschutz beobachten lassen?
Olaf Scholz: Darüber, dass in diesen Tagen von vielen auch vom SPD-Parteivorsitzenden ein solcher Vorschlag gemacht wurde, bin ich nicht verwundert- Es gibt in der AfD Politiker, die sich mit ihren Äußerungen am Rande dessen bewegen, was wir in unserem demokratischen Gemeinwesen gemeinsam für richtig halten.
"Oberbayerisches Volksblatt": Sie fordern die Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Ausländer. Wie müsste ein deutsches Gesetz dazu konkret aussehen?
Olaf Scholz: Ich bin für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union. Weil der Sozialstaat in den 28 Ländern unterschiedlich ist, sollte eine klare Regel gelten: Dauerhaft Anspruch auf Hilfe in unserem Land hat nur, wer zuvor mindestens ein Jahr Vollzeit in Deutschland gearbeitet hat.
"Oberbayerisches Volksblatt": In Großbritannien stoßen die Vorschläge der EU dazu auf Kritik. Muss die EU den Briten notfalls noch weiter entgegenkommen, um den Brexit zu vermeiden?
Olaf Scholz: Wichtig ist, dass Großbritannien in der EU bleibt. In der EU leben 500 Millionen Einwohner. Bald leben auf der Erde 10 Milliarden Menschen. Nur gemeinsam sind wir in Zukunft relevant. Nur gemeinsam können wir unsere Tradition von Rechtsstaat und Demokratie sichern. Und Großbritannien, das für diese europäische Tradition steht wie wenige, gehört dazu.
Das Interview führte Til Huber.