arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

04.02.2016

Interview mit dem "Straubinger Tagblatt"

 
"Straubinger Tagblatt": Herr Scholz, bei den anstehenden Landtagswahlen droht der SPD ein Desaster. Haben Sie noch Hoffnung für Ihre Kollegen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg?
 
Olaf Scholz: Ich bin sogar optimistisch. Ich habe mich an beiden Landtagswahlkämpfen selber beteiligt und dabei ganz viel Zustimmung für die SPD wahrgenommen. Malu Dreyer ist eine hervorragende Ministerpräsidentin, in allen Umfragen wünschen sich die Rheinland-Pfälzer, dass sie im Amt bleibt. Es spricht einiges dafür, dass sie das am Wahltag auch möglich machen. Nils Schmid hat als Minister in Baden-Württemberg eine großartige Arbeit geleistet, die allseits anerkannt wird und Leistung soll doch zählen!
 
"Straubinger Tagblatt": Die Wahlen am 13. März könnten auch zur Abstimmung über die deutsche Flüchtlingspolitik werden. Was wird die Antwort auf den absehbaren Erfolg der AfD sein? Grenzkontrollen und Obergrenze?
 
Olaf Scholz: Ich sehe das nicht so, dass es bei den Landtagswahlen vor allem um Flüchtlingspolitik geht. Das ist ein Thema, das uns alle bewegt und über das natürlich auch im Wahlkampf gesprochen wird. Aber in den Ländern geht es um viel mehr, um gute Bildung, um gute Infrastruktur, um Wohnungsbau, um Wirtschaftspolitik und um genügend Arbeitsplätze. Das sind alles Themen, die für die Bürger eine Rolle spielen.
 
"Straubinger Tagblatt": Die Umfragewerte der AfD können Sie trotzdem nicht kaltlassen.
 
Olaf Scholz: Für mich ist die AfD eine Partei, die nur schlechte Laune ausdrückt. Das allein ist allerdings noch kein Projekt, mit dem man in dieser Republik irgendetwas bewirken kann. Und ich gehe davon aus, dass das früher oder später alle so sehen.
 
"Straubinger Tagblatt": Mit welchen Projekten lässt sich in der Flüchtlingspolitik denn etwas bewirken? Mit einer Obergrenze oder mit der viel beschworenen europäischen Lösung?
 
Olaf Scholz: Wir sind ein wichtiger Teil Europas. Deutschland hat seine Einheit überhaupt nur erreicht, weil wir Mitglied der Europäischen Union sind. Deshalb sind wir auch dafür zuständig, dass unser Europa gut funktioniert, selbst wenn wir uns über manches ärgern. Es ist doch ganz klar: Eine Million, zwei Millionen, drei Millionen Flüchtlinge, verteilt auf insgesamt 500 Millionen EU-Inländer, wären kein großes Problem. Wenn aber ein, zwei oder drei Staaten die Aufgabe alleine schultern müssen, dann ist das sehr schwierig. Deshalb geht es darum, dass alle Verantwortung übernehmen. Wir müssen unsere gemeinsamen Außengrenzen sichern und dafür sorgen, dass wir über die sogenannten Hotspots, also Grenzübergangseinrichtungen für Flüchtlinge, diejenigen in die EU lassen und verteilen, die einen tatsächlichen Fluchtgrund haben und die anderen gleich zurückschicken. Und wir müssen die Länder unterstützen, die zuallererst und noch viel mehr Flüchtlinge aufgenommen haben, als das zum Beispiel Deutschland tut nämlich Jordanien, den Libanon und die Türkei.
 
"Straubinger Tagblatt": Diese europäische Lösung lässt allerdings weiter auf sich warten. Warum sollte Deutschland deshalb nicht wie von der CSU gefordert mit einer Schließung der nationalen Grenzen den Druck auf die Gemeinschaft erhöhen?
 
Olaf Scholz: Wir dürfen nicht vergessen: Der Krieg auf dem Balkan liegt noch gar nicht so lange zurück. Es ist unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass die sehr kleinen Balkanländer nicht überfordert und in der Folge destabilisiert werden. Deshalb muss Europa gemeinsame Strategien entwickeln und die haben eben etwas mit unseren gemeinsamen europäischen Grenzen zu tun.
 
"Straubinger Tagblatt": Die Menschen in Deutschland zeigen angesichts des Flüchtlingszustroms viel Hilfsbereitschaft, aber auch Sorgen und Ängste machen sich breit. Wie viel Zuwanderung verträgt unser Land auf Dauer?
 
Olaf Scholz: Beides sind zunächst einmal zutiefst humane Regungen. Die Flüchtlingshilfe in Deutschland beeindruckt viele Menschen. Darauf kann unser Land stolz sein. Es ist aber auch normal, dass man sich Sorgen macht. Deshalb geht es darum, dass wir angesichts der sehr plötzlich angestiegenen Zahl der Flüchtlinge im vergangenen Sommer Stück für Stück wieder die Kontrolle über die Situation bekommen. Das ist mittlerweile auch durch eine ganze Reihe von Gesetzen geschehen, die weitgehend im überparteilichen Konsens zustande gekommen sind. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen.
 
"Straubinger Tagblatt": Nicht zuletzt wegen der Ereignisse in der Silvesternacht scheint die Stimmung zu kippen. Auch in Hamburg gab es sexuelle Übergriffe auf Frauen durch Migranten. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
 
Olaf Scholz: Es ist wichtig, dass sich die Polizei auf diese neue taktische Lage einstellt. Sie ist jetzt gut darauf vorbereitet, dass es bei Großereignissen zu einem zusätzlichen, neuen Problem kommen kann. Ansonsten gilt: Wer so etwas macht, muss mit Verurteilung rechnen und kann auch nicht hoffen, hier bleiben zu dürfen. Ich bin sehr froh darüber, dass die Bundesregierung jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, das sicherstellt, dass diejenigen, die solche Straftaten begehen, auch das Land verlassen müssen.
 
"Straubinger Tagblatt": Der permanente Streit innerhalb der großen Koalition über die richtige Flüchtlingspolitik trägt nicht gerade dazu bei, Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen. Geht das nicht besser?
 
Olaf Scholz: Gestatten Sie mir den Hinweis: Das ist doch mehr ein Konflikt zwischen den beiden Unions-Parteien, die in der Regierung sind. Die sozialdemokratische Partei macht ordentlich ihre Arbeit.
 
"Straubinger Tagblatt": Manchmal ist es auch schwer, zu erkennen, wofür die SPD in der Flüchtlingspolitik eigentlich steht. Können Sie das auf einen kurzen Nenner bringen?
 
Olaf Scholz: Für einen pragmatischen Humanismus.
 
"Straubinger Tagblatt": Die Flüchtlingskrise dürfte auch das beherrschende Thema beim Politischen Aschermittwoch nächste Woche sein. Ihre Botschaft an die Genossen?
 
Olaf Scholz: Für diejenigen, die Nuancen verstehen, sage ich den Satz: Wir können das schaffen!
 
Das Interview führte Markus Lohmüller.