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22.03.2009

Interview mit der Bild am Sonntag

BILD am SONNTAG: Herr Minister, schlafen Sie eigentlich nachts gut?

OLAF SCHOLZ: Ja. Warum?

Wir fragen, weil nach allen Prognosen binnen Jahresfrist die Zahl der Arbeitslosen auf vier oder gar fünf Millionen steigen könnte. Was wären aus Ihrer Sicht die Folgen?

Wir sind gut vorbereitet, wir tun, was wir können. Solche Prognosen können wir aber gar nicht gebrauchen. Die sind wie in den letzten Jahren: meistens falsch.

Aber wenn es doch so kommt, dann steht der Sozialstaat vor einer Zerreißprobe . . .

Die Zahl von vier bis fünf Millionen Arbeitslosen ist nicht plausibel. Es spricht viel dafür, dass wir es durch den Ausbau der Kurzarbeit hinbekommen, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit viel geringer ausfällt.

Halten Sie es für realistisch, die Arbeitslosenzahl in diesem Jahr unter vier Millionen zu halten?

Wir können das schaffen. Und es ist jede Anstrengung wert, das zu versuchen.

Welchen Beitrag müssen die Arbeitnehmer in der Wirtschaftskrise leisten: weniger Lohn, längere Arbeitszeiten, weniger Kündigungsschutz?

Es ist ganz sicher falsch, für die gesamte Wirtschaft zu sagen, dass Lohnverzicht das Gebot der Stunde ist. In einzelnen Unternehmen kann das hingegen richtig sein. Aber das können nur die Betriebsräte vor Ort beurteilen. Und die Unternehmer müssen ihren Mitarbeitern Nachschläge zahlen, wenn die Lage sich bessert. Vor Politikern, die jetzt die Krise nutzen wollen, um den Sozialstaat zurückzufahren, kann sich der Wähler nur selbst schützen.

Sie meinen damit eine schwarz-gelbe Regierung?

Ja.

Aber die Kanzlerin bliebe doch Angela Merkel, mit der Sie jetzt doch auch keine arbeitnehmerfeindliche Politik machen . . .

Die Große Koalition hat eine sozialdemokratisch bestimmte Regierung, was die CDU der Kanzlerin auch immer lauter vorwirft. Wenn Union und FDP allein regieren, stellen sie soziale Errungenschaften infrage. Die Funktionärsmehrheiten bei CDU und FDP sind keine Freunde des Sozialstaats.

Sie glauben wirklich, die Kanzlerin ist ohne eigenen Willen und macht das, was der Koalitionspartner will?

Ich bin sicher, dass sie das Gegenteil von dem, was wir jetzt tun, auch richtig finden würde.

Sehr konkret geht es bis Ende des Monats darum, ob der Autobauer Opel überlebt. Was kostet eine Insolvenz?

Das Schlimmste: Die betriebliche Altersversorgung der Opel-Mitarbeiter müsste vom Pensionssicherungsverein gedeckt werden. Das ist eine Belastung, die wahrscheinlich teurer wäre als alles, was wir an öffentlichen Mitteln aufwenden müssen, um Opel zu retten.

Konkret bedeutet das?


Betriebsrenten werden auch dann ausgezahlt, wenn die eigene Firma pleitegeht. Das gewährleistet der Pensionssicherungsverein, in den alle Firmen mit betrieblicher Altersvorsorge einzahlen. Wenn ein so großes Unternehmen wie Opel pleitegeht, kostet das schnell viele Milliarden. Die Beitragssätze zum Pensionssicherungsverein würden gewaltig steigen.

GM ist bereit, seine Mehrheit an Opel abzugeben, doch ein Investor ist nicht in Sicht. Darf der Staat sich an einem Unternehmen beteiligen, in das kein Privater einen Euro gibt?

Jeder weiß: Die Zeit für eine Lösung läuft ab. Deshalb habe ich kein Verständnis für die Leute, die mit weihrauchvoller Stimme Grundsatzvorträge darüber halten, ob eine Staatsbeteiligung eine gute Idee ist.

Sie schließen einen Einstieg des Staates bei Opel nicht aus?


Angst sollte man vor so einer Entscheidung nicht haben. Es sollte nur keine Dauerperspektive sein. Ich fürchte mich nicht davor, dass der Staat bei Opel einsteigt.

Am 31. März tritt Merkel bei Opel auf. Welche Botschaft erwarten Sie von der Kanzlerin?

Die Botschaft, die Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier den Opelanern schon gesagt hat: Auf die Regierung können sie sich verlassen.

Steinmeier hat auch gesagt: Opel darf nicht sterben . . .

So ist es. Opel ist ein vernünftiges Unternehmen, das eine gute Perspektive hat. Opel sterben zu lassen, wäre mehr als ein Fehler, es wäre ein unentschuldbares Regierungsversagen.

Union und SPD streiten heftig über einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche. Sie sollen einen Kompromissvorschlag vorlegen. Wie sieht der aus?

Wir nehmen alle Flächentarifverträge und ermitteln, wie viele Arbeitnehmer durch den jeweiligen Vertrag erfasst werden. So errechnen wir eine Durchschnittsvergütung, die wir als Mindestlohn festlegen. Der Mindestlohn wird im Westen bei etwas über 7,30 Euro liegen. Das ist nicht viel Geld, wenn man davon leben muss, aber viel mehr, als heute einigen Hunderttausend Leiharbeitern gezahlt wird.

Glauben Sie, dass die Union dem zustimmen wird?


Ich habe bereits fünf Vorschläge gemacht, die eins zu eins dem entsprachen, was wir in der Koalition verabredet hatten. Trotzdem haben CDU und CSU sie alle abgelehnt. Mein Verdacht wird immer größer, dass die Union in Wahrheit die Zeitarbeiter gar nicht vor Ausbeutung schützen will. Dies ist mein sechster Vorschlag, und es ist definitiv mein letzter.

Nach der Wahl will die SPD mit einer Ampel regieren. Mit der FDP können Sie erst recht keinen Mindestlohn durchsetzen . . .


Wenn ich die Zahl der von Mindestlöhnen geschützten Menschen mit der Union verfünffachen kann, kann ich sie mit der FDP mindestens noch einmal verdreifachen. Mindestlohn ist die sozialdemokratische Umsetzung des FDP-Slogans ,Leistung muss sich wieder lohnen‘. Das wollen wir auch für die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala durchsetzen.

Ist in einer Wirtschaftskrise, in der die Arbeitslosenzahlen steigen, Mindestlohn wirklich das richtige Signal? Was nützt mir ein Mindestlohn, wenn ich entlassen werde?

Das ist Quatsch und hat nichts miteinander zu tun.

Es gibt Jobs, die rechnen sich für 7,30 Euro nicht mehr, aber vielleicht für vier, fünf Euro. Die vernichten Sie mit dem Mindestlohn.

Ich kenne keinen einzigen Job, bei dem das der Fall ist. Es hat nichts mit freier Marktwirtschaft zu tun, dass jemand seinen Mitarbeitern nur 4,30 Euro zahlt und der Staat den Rest dazu gibt. Das ist Subventionierung von Unternehmern, die man am wenigsten subventionieren sollte. Ich kenne viele Unternehmer, die dringend Mindestlöhne haben wollen, weil sie es nicht ertragen, dass sie aus Wettbewerbsgründen ihren Leuten so wenig zahlen müssen.

Am Freitag war der Tag der gleichen Bezahlung. In Deutschland verdienen Frauen für die gleiche Arbeit 23 Prozent weniger als Männer.

Das ist überhaupt nicht in Ordnung, hat mit Patriarchat zu tun.

Und wie wollen Sie das ändern?

Schon jetzt können Frauen, die in einem Betrieb für die gleiche Arbeit weniger als die Männer verdienen, auf höheren Lohn klagen.

Viel Erfolg haben sie damit aber nicht gehabt . . .

Deshalb müssen wir den Frauen den Klageweg erleichtern. Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, die Daten für einen Gehältervergleich zur Verfügung zu stellen. Und wenn es eine Ungleichheit gibt, muss die Firma beweisen, dass es sich dabei nicht um eine Diskriminierung der Frauen handelt. Außerdem brauchen wir in den Aufsichtsräten eine Quote von 40 Prozent.

Seit Sie Arbeitsminister sind, haben Sie kräftig abgenommen. Ist es der Stress?

Nein, Absicht. Und ich habe es für meine Frau getan. Ich habe angefangen, viel zu laufen. In Hamburg jogge ich an der Elbe, in Berlin im Volkspark Friedrichshain, im Ministerium gibt es Laufbänder. In guten Wochen laufe ich zwei- bis dreimal für mindestens eine Stunde.

Wie viele Kilos sind es inzwischen?

Etwa 15. Ich bin jetzt Anfang 70 Kilo. 70 war und ist mein Ziel.

 

Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite von bild.de.