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28.12.2013

Interview mit der Deutschen Presseagentur dpa

 

 

dpa: Aydan Özoguz ist auf Bundesebene die erste Staatsministerin mit Migrationshintergrund. Es wird auch Ihnen zugeschrieben, dass die Hamburgerin ins Amt kam und als Integrationsbeauftragte nun auch für Flüchtlinge verantwortlich ist. Özoguz' Mann Michael Neumann wiederum ist als Hamburger Innensenator auch für Abschiebungen zuständig. Haben Sie da nicht einen innerfamiliären Konflikt provoziert


Olaf Scholz: Nein, es gibt keine modernere Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik als die in Hamburg. Wir haben etwa eine vielbeachtete Einbürgerungsinitiative gestartet. Dabei habe ich all diejenigen in Hamburg angeschrieben, die länger als acht Jahre in Deutschland leben, und ich habe sie gebeten, sich zu überlegen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Viele Tausend haben sich dann dafür entschieden. Allein in diesem Jahr gab es rund 7000 Einbürgerungsanträge. Wir haben als erste ein Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht, damit im Ausland erworbene Berufsabschlüsse auch in Deutschland anerkannt werden. Und wir haben unter anderem Vorstöße im Bundesrat unternommen und jetzt im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auch durchgesetzt, dass Kinder von Eltern mit unsicherem Aufenthaltstitel wie einer Duldung durch einen Schulabschluss eine gesicherte Perspektive in Deutschland bekommen können.


dpa: Trotzdem steht Hamburg wegen seines Umgangs mit den Lampedusa-Flüchtlingen bundesweit immer wieder im Rampenlicht.

 

Olaf Scholz: Das gibt uns Gelegenheit, beispielsweise zu sagen, dass Hamburg mehr als 10 000 Frauen und Männern, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, eine Unterkunft und Unterstützung gibt. Wir geben mittlerweile einen dreistelligen Millionenbetrag im Jahr für Flüchtlinge und gute Flüchtlingspolitik aus. Dazu zählt auch, dass Kinder von Eltern ohne Papiere in Krippen, Kindergärten und Schulen aufgenommen werden und die medizinische Versorgung garantiert ist. Wir sorgen dafür, dass Kinder von Flüchtlingen zur Schule gehen können.

 

dpa: Das nützt den Lampedusa-Flüchtlingen nicht viel. Da sie nach eigenen Angaben über Italien eingereist sind, haben sie hier grundsätzlich keine Perspektive für einen längeren Aufenthalt. Warum geben Sie ihnen nicht die gewünschte Gruppenanerkennung?

 

Olaf Scholz: Der Schutz vor Verfolgung ist immer ein individueller. Jeder einzelne hat einen Anspruch darauf, einen Antrag auf Asyl, eine Duldung oder Bleiberecht zu stellen. Diese Anträge werden individuell geprüft, für jeden einzelnen Antragsteller. Voraussetzung dafür ist, dass man seinen Namen nennt und seine Fluchtgeschichte schildert. So tun das jeden Monat Hunderte Männer und Frauen, die nach Hamburg kommen. Das haben die Flüchtlinge aus Italien zunächst verweigert. Es kann aber nicht sein, dass eine bestimmte, starke Gruppe für sich ein Recht durchsetzt, das andere Gruppen nicht haben. Gleiches Recht für alle ist ein hohes Gut und gehört zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen.

 

dpa: Aber wäre es nicht klug, durch eine Gruppenanerkennung Europa zu signalisieren, dass das Flüchtlingsrecht reformiert werden muss?

 

Olaf Scholz: Dass sich Europa mit dieser Frage auseinandersetzen muss, ist unbestritten — auch aus meiner Perspektive. Die geforderte Gruppenanerkennung hilft dabei aber nicht. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass Deutschland beispielsweise weit mehr Flüchtlinge aufnimmt als andere Länder wie etwa Italien. Mehr Solidarität in Europa würde bedeuten, dass andere Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Und es hieße auch, dass die staatlichen Strukturen zur Unterstützung der Flüchtlinge in allen Staaten Europas gut ausgestaltet werden.

 

dpa: Nun gibt es für die Lampedusa-Flüchtlinge eine teils krawallbereite Unterstützerszene, die sich auch für den Erhalt der Esso-Häuser und das linksautonome Kulturzentrum Rote Flora stark macht. Was sagen Sie dazu, dass Flora-Eigentümer Klausmartin Kretschmer diese wie zuletzt mit seinen Räumungsdrohungen provoziert?

 

Olaf Scholz: Es handelt sich um eine zivilrechtliche Frage, die der Besitzer dieses Gebäudes formuliert hat. Damit ist der Weg, der ihm zur Verfügung steht, vorgezeichnet. Herr Kretschmer hat die Immobilie damals für einen günstigen Preis erworben — als Kulturinvestor, wie er sich selbst dargestellt hat. Er hat gehofft, dass sich die Dinge ohne staatliche Intervention in einem quasi nicht-staatlichen Bereich gut entwickeln können. Diese Hoffnung hat er offenbar aufgegeben.

 

dpa: Hamburgs Bürger haben sich in einem Volksentscheid für die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze ausgesprochen. Nun hat der Senat die Kündigung bestehender Verträge mit den Energiekonzernen kürzlich verschoben. Warum eigentlich?

 

Olaf Scholz: Die Gespräche zwischen der Stadt und den Energieversorgern laufen. Mit Vattenfall sprechen wir zum Beispiel über den Erwerb des Stromnetzes und der Fernwärme-Infrastruktur. Das ist nicht einfach. Wir wollen herauszufinden, ob wir auf einen gemeinsamen Nenner kommen können. Wenn das nicht gelingt, sind wir vorbereitet und werden eine eigenständige Bewerbung um die Konzessionen einreichen. Das muss bis Mitte Januar erfolgen. Die Gespräche können deshalb auch nur bis zu diesem Zeitpunkt geführt werden. Entweder bewerben sich danach neben anderen Interessenten die Stadt und Vattenfall im Wettbewerb um die Stromnetz-Konzession. Oder wir kommen über den Rückkauf von Stromnetz und Fernwärmeversorgung vorher zu einer Einigung.

 

dpa: Im kommenden Jahr müssen Sie sich über den Doppelhaushalt 2015/2016 Gedanken machen. Womit müssen die Menschen rechnen?

 

Olaf Scholz: Wir steigern die Ausgaben von Jahr zu Jahr um weniger als ein Prozent. Wir haben langfristig und sorgfältig geplant. Wir sind sicher, dass wir es bis zum Ende des Jahrzehnts schaffen, keine neuen Schulden mehr zu machen. Wenn die Konjunkturlage günstig ist, können wir das auch früher schaffen. Dass unser Ziel ehrgeizig ist, ist klar. Schließlich ist die Ein-Prozent-Steigerung eine viel geringere, als sie über Jahrzehnte in Hamburg und in Deutschland stattgefunden hat.

 

dpa: Ärgert es Sie da nicht besonders, dass ausgerechnet die staatseigene HSH Nordbank nun mutmaßlich Steuern hinterzogen hat?

 

Olaf Scholz: Es ist gut, dass der jetzige Vorstand der HSH Nordbank es sich selbst zur Aufgabe gemacht hat, diese Dinge aufzuklären und die notwendigen Schritte einzuleiten. Aber es ändert nichts daran, dass das ein schlimmer Vorgang ist, über den da berichtet wird. Das Thema ist sehr bedrückend — wie die Entwicklung der HSH Nordbank bis 2008, als frühere Senate sich auf das größenwahnsinnige Abenteuer eingelassen haben, die Bank zu einer dramatischen Expansionspolitik anzuhalten. Es wird wohl bis zum Beginn der 20er Jahre dauern, bis wir wissen, was uns das alles gekostet haben wird.

 

dpa: Schon im Wahlkampf 2011 haben Sie 6000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen. Wie sieht es damit nun aus?

 

Olaf Scholz: Alles deutet darauf hin, dass wir es 2014 schaffen. Wir werden in diesem Jahr wohl mehr als 10 000 Baugenehmigungen erteilen. Das ist eine Vervielfachung der Zahl, die frühere Senate erreicht haben. Anfang dieses Jahres gab es mehr als 5000 begonnene Bauvorhaben. Wenn wir die 6000 neuen Wohnungen gebaut haben, wird die Arbeit weitergehen. Hamburg ist eine wachsende Stadt, und wir werden nie wieder aufhören, Wohnungen zu bauen.

 

dpa: Was haben Sie sich für das kommende Jahr noch vorgenommen?

 

Olaf Scholz: Wir haben in diesem Jahr geschafft, dass es in Hamburg freie Kita- und Krippenplätze gibt. Wir haben den Kita-Ausbau ergänzt, etwa durch eine flächendeckend angebotene Ganztagsbetreuung an Grund- und Stadtteilschulen sowie an Gymnasien. Im kommenden Jahr werden wir die halbtägige Betreuung gebührenfrei anbieten. Das wird viele Familien entlasten. Außerdem werden wir weiter an der Jugendberufsagentur arbeiten, die verhindert, dass junge Leute den Übergang von der Schule ins Berufsleben nicht schaffen. Diese Agenturen haben wir in Hamburg eingeführt, und es soll sie, wie es der Koalitionsvertrag festschreibt, künftig in ganz Deutschland geben. Denn dass 20 Prozent der jungen Leute in Deutschland ohne Berufsausbildung bleiben, ist ein großes Problem. Diese Zahl müssen wir dramatisch reduzieren.