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12.04.2009

Interview mit der FAS

Herr Scholz, zum ersten Mal seit 60 Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen in einem März wieder gestiegen. Fachleute meinen, es wird in Deutschland bald fünf Millionen Arbeitslose geben. Sie auch?

Die Lage ist ernst. Aber: Diese Zahl ist nicht plausibel. Man tut niemandem einen Gefallen, wenn man die Krise ständig in den düstersten Farben malt und alle sich angstvoll am Händchen halten. Jetzt sind die Mutigen gefragt, nicht die Feigen. Zum Glück haben wir den Arbeitsmarkt mit den Schröderschen Reformen rechtzeitig effizienter gemacht. Das hilft uns jetzt.

Zeigt der Anstieg der Arbeitslosenzahl nicht, wie wenig Politik ausrichten kann?


Nein, wir können handeln. Politik muss die Weichen richtig stellen. Wir dürfen uns nicht mächtiger machen, als wir sind. Aber auch nicht ohnmächtiger. So habe ich entschieden, dass das Kurzarbeitergeld nicht sechs, sondern 18 Monate gezahlt wird. Und Kurzarbeit ist für die Unternehmen mit geringeren Kosten verbunden denn je. Es ist ein einmaliges Instrument, das es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt und um das uns viele beneiden. Weil es diese Hilfe gibt, wurde Hunderttausenden Arbeitnehmern bisher nicht gekündigt. Ich bin wenn es nötig wird bereit, das Kurzarbeitergeld auf 24 Monate zu verlängern.

Haben Sie geahnt, dass die Abwrackprämie ein solcher Renner wird?

Wir hatten das gehofft. Tatsächlich ist die Abwrackprämie eingeschlagen wie eine Bombe. Sie ist zwar wenig elegant, dafür aber höchst wirksam. Und deshalb haben wir sie diese Woche verlängert und stellen bis zu 5 Milliarden Euro bereit.

Wenig elegant das haben Sie schön gesagt. In Wahrheit fördern Sie mit ihr einen Dinosaurier des Industriezeitalters!

Die Autoindustrie wird auch in Zukunft wichtig für die deutsche Wirtschaft bleiben. Viele andere Branchen sind mit ihr verknüpft. Sicher werden zukünftig ganz andere Autos produziert als heute. Aber diese Herausforderung ist für eine leistungsfähige Industrie mehr Chance als Risiko.

Nehmen wir Opel. Sie riskieren, dass Milliarden Euro Steuergelder verbrannt werden, wenn Opel trotz staatlicher Hilfe pleitegeht.

Ich bleibe dabei: Es wäre unverantwortlich, wenn wir die Chance vertun, Opel zu retten. Klar ist: Der Staat kann nur helfen, wenn es mit dem Unternehmen wieder aufwärtsgehen kann. Davon geht allerdings im Fall Opel die ganze Bundesregierung aus. Nur weil die amerikanische Mutter in Schwierigkeiten ist, darf ein gut funktionierendes Unternehmen in Deutschland nicht verschwinden.

Können kommende Generationen diese Schulden je abbezahlen?

Ja, aber nur, wenn wir eine solide Haushaltspolitik machen. Deshalb bin ich für eine Schuldengrenze in der Verfassung. Wer durch die Ankündigung von massiven Steuergeschenken Wähler zu gewinnen versucht, der verspricht etwas, was er nicht halten kann. Ehrlich ist angesichts der hohen Staatsverschuldung nur, wer zu jeder Steuerentlastung dazusagt, wie er sie finanzieren will. Sonst bezahlen die ungedeckten Steuersenkungen am Ende Rentner, Arbeitslose, Bezieher von Ausbildungsförderung, oder es werden noch mehr Schulden gemacht. Das ist unfair. Das geht so nicht.

Sie schwärmen von den Möglichkeiten der Politik. Aber das Interesse an politischem Engagement sinkt in Deutschland, besonders bei jungen Leuten. Was kann man dagegen tun?


Wenn schon alle über den Obama-Effekt reden, dann sollten wir uns erinnern: Die Amerikaner hatten in ihrer Geschichte nie einen Zweifel daran, dass sie als Wähler die Könige sind, die darüber zu entscheiden haben, wie es mit der Politik weitergeht. Bei uns gehört es jedoch zum guten Ton, die Bedeutung von Wahlen herunterzureden. Das muss man ändern. Wir müssen sagen: Ja, die Wahl ist unsere Stunde, da entscheiden wir Bürger über die Zukunft des Landes.

Warum sind Parteien so unpopulär? Gerade die SPD leidet unter Mitgliederschwund.

Gemessen an den meisten demokratischen Ländern, sind unsere Parteien immer noch sehr groß.

Sie waren aber viel größer.

Das stimmt. Und ich bin besorgt. Aber setzen Sie die Zahlen aus Amerika über die gewonnenen Aktivisten für die Kampagnen der Präsidentschaftsbewerber mal in das Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Solche Zahlen haben wir als feste Parteimitglieder.

Sie sehen keinen Grund zur Selbstkritik?

Ich plädiere für Bescheidenheit der Politik. Wir, die wir hier in Berlin sitzen und täglich Politik machen, dürfen unseren Lebensstil nicht mit dem Leben der meisten Bürger verwechseln. Es ist völlig in Ordnung, dass die Mehrheit der Bürger sich nicht nur für Politik interessiert, sondern sich auch um die Arbeit, die Liebe, die Familie, die Kinder, den Sport oder die Freunde kümmert. Ein Land, dessen Bürger von morgens bis abends an Politik denken das wäre furchtbar. Umgekehrt gilt das übrigens auch. Ein Land, dessen Bürger gar nicht an Politik denken, ist keine gute Demokratie.

Könnte es sein, dass die Politiker nicht emotional und charismatisch genug sind? Weder die Kanzlerin noch der SPD-Kanzlerkandidat haben eine mitreißende Art.

Ein Spitzenpolitiker, der Regierungschef werden will, spricht die Bürger in Ländern, in denen Parlamente die Regierungen bestimmen, anders an als in Ländern, in denen die Regierung direkt gewählt wird. Die SPD hat einen Spitzenkandidaten, dem man das Amt des Kanzlers zutraut. Das ist für unsere Wahlchancen wichtig.

Es gab in der SPD mal Zeiten, da wurde Willy, Willy! gerufen, und die Leute waren begeistert.


Ich war auch begeistert und bin kurz danach, 1975, Sozialdemokrat geworden. Am meisten hat mich als Hamburger dann der Politikstil Helmut Schmidts geprägt. Es gibt sehr unterschiedliche Arten, Politiker zu sein auf die Glaubwürdigkeit kommt es an.

Ihr Parteichef Franz Müntefering klagt über die Führungsschwäche der Kanzlerin. Hat er recht?


Es hat in der großen Koalition Verabredungen mit der Kanzlerin gegeben, die am Widerstand ihrer Partei, der Unionsfraktion oder der Ministerpräsidenten der Union gescheitert sind. Manchmal hat die Kanzlerin es einfach versäumt zu sagen: Ich will das, und ich verbinde es mit meiner ganzen Person. Führungsstark ist in der Politik nur, wer auch bei den eigenen Leuten etwas durchsetzen kann. Da war Schröder anders.

Was mögen Sie an Angela Merkel?

Ich komme persönlich gut zurecht mit ihr. Allerdings wünsche ich mir, dass sie als CDU-Vorsitzende die Kanzlerin besser unterstützt. Die Fälle, in denen die Union Verabredungen der Koalition blockiert, sind ein bisschen zu zahlreich geworden.

Sie hat doch mit ihrer moderierenden Art es geschafft, dass diese Koalition vier Jahre gehalten hat.

Das haben wir alle geschafft. Die Sozialdemokraten regieren seit elf Jahren. Die große Koalition ist ein Teil dieser erfolgreichen Regierungszeit der SPD.

Wie lautet die Überschrift für den Wahlkampf der SPD, wenn Sie eine vorschlagen sollen?

Arbeit sichern! Darum muss es gehen. Wir sollten uns zur Bedeutung der Arbeit für unsere Gesellschaft bekennen.

Das könnte auch Guido Westerwelle sagen. Was mögen Sie an ihm?

Guido Westerwelle ist ein intelligenter, beweglicher Politiker. Mit dem man regieren kann.

Und bei dem viele Sozialdemokraten Pickel bekommen.


Es kommt nicht darauf an, dass Parteien gleich sind, sondern dass sie sich einigen können. Wir haben in Deutschland schon mit der CDU, der FDP und den Grünen regiert. Wir sind bereit für eine Ampelkoalition mit Grünen und der FDP. Und: Wir schließen, insbesondere mit einem sozialdemokratischen Kanzler, auch eine große Koalition nicht kategorisch aus. Da sind genügend Optionen, damit die SPD regieren kann.

In der FDP gibt es Ängste, dass sie in einem Bündnis mit SPD und Grünen nach einiger Zeit gegen die Linke ausgetauscht würde.

Die Sorge kann ich zurückweisen. Das ist ausgeschlossen. In der Bundespolitik sind wir inhaltlich von keiner Partei so weit entfernt wie von der Partei Die Linke.

Die SPD liegt jetzt in Umfragen bei 25, 26 Prozent. Wo landet sie bei der Bundestagswahl?


Wir werden aufholen und am Ende sogar leicht vor der Union liegen.



Das Gespräch führten Oliver Hoischen und Markus Wehner.

 

Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.