Interview mit der Sächsischen Zeitung
Herr Scholz, haben wir bald wieder fünf Millionen Arbeitslose?
Für solche Annahmen gibt es keine Grundlage. Aber die Lage ist ernst. Die Arbeitslosigkeit steigt. Deshalb ist es richtig, dass wir etwas dagegen tun.
Sie meinen längere Kurzarbeit?
Die Kurzarbeit nicht nur für sechs, sondern jetzt für 18 Monate zu ermöglichen, ist für viele Unternehmen vom Mittelständler bis zum Großunternehmen eine kluge Alternative zur Entlassung. Mit diesem Mittel versuchen viele Unternehmer, gemeinsam mit ihren Belegschaften durch die Krise zu kommen. Wahrscheinlich geht es 2010 wieder aufwärts. Und wenn wir es bis dahin schaffen, die Leute in den Betrieben zu halten, wäre doch schon viel erreicht.
Werden Sie die Kurzarbeit noch weiter auf zwei Jahre verlängern?
Wenn die Unternehmen und Betriebsräte sagen, dass das hilft, werden wir das machen. Das geht mit einer Rechtsverordnung schnell. Alles, was pragmatisch hilft, ohne Entlassungen durch die Krise zu kommen, macht Sinn und wird geprüft.
Aber Kurzarbeit kostet die Unternehmen auch Geld.
Stimmt, Kurzarbeit kostet Geld. Aber sie nicht zu nutzen, ist auch nicht umsonst. Abfindungen und Sozialpläne kosten auch. Wenn man vielleicht in ein paar Monaten auf dieselben Arbeitnehmer zurückgreifen muss, ist es klüger, jetzt an ihnen festzuhalten. Dem dient auch unser zusätzliches Angebot an die Wirtschaft, demjenigen die Sozialbeiträge vollständig zu erstatten, der seine Arbeitnehmer qualifiziert. Ich hoffe, dass viele davon Gebrauch machen und die Zeit der Auftragsflaute nutzen, um die Belegschaften besser auf die Zukunft vorzubereiten. Schon heute steht fest, dass uns im nächsten Jahrzehnt qualifizierte Fachkräfte fehlen werden.
Trotz aller Hilfe werden Leute entlassen. Muss nun auch das ArbeitslosengeldI verlängert oder das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger erhöht werden?
Ich bin dafür, alle Mittel darauf zu konzentrieren, die Arbeitsplätze zu sichern. Wo das nicht geht, sollten wir alles tun, was hilft, damit diejenigen, denen jetzt gekündigt wird, bald einen neuen Arbeitsplatz finden. Das hat was mit Qualifizierung und besserer Vermittlung zu tun. Und: Auch gegenwärtig in der Krise gibt es freie Arbeitsplätze.
Alles das kostet. Wann muss der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erhöht werden?
Wir haben den Beitragssatz von 6,5 auf jetzt 2,8 Prozent gesenkt. Dabei bleibt es in jedem Fall 2009 und 2010. Falls die Rücklagen der Bundesagentur irgendwann nächstes Jahr nicht mehr reichen sollten, wird der Bundeshaushalt aushelfen. Das heißt: Wir werden nicht in der Krise den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung anheben. Und wir werden keine einzige Leistung reduzieren.
In Ihrem Haus werden seit Monaten Möglichkeiten zur Ost-West-Rentenangleichung geprüft. Wie ist das Ergebnis?
Über die Angleichung des Rentensystems in Ost und West finden derzeit vertrauliche und sehr konstruktive Gespräche mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten statt.
Noch in dieser Wahlperiode?
Hektik ist nicht nötig. Das jetzige System führt dazu, dass es für im Osten bezahlte Beiträge höhere Rentenerträge gibt. Wenn alle Verantwortlichen zu einem gesamtstaatlichen Konsens bereit sind, wird es rechtzeitig eine vernünftige Regelung geben.
Müssen angesichts der Kassenlage die Steuern nach der Wahl wieder erhöht werden?
Mein Rat für den Umgang mit Politikern: Glaube niemandem, der Steuersenkungen verspricht, ohne zu sagen, woher er das Geld nehmen will. Vieles, was wir von der FDP und aus der Union jetzt hören, funktioniert nur, wenn man sich später das Geld bei den Rentnern oder Arbeitslosen zurückholt. Das ist unfair. Ich bin für eine höhere Belastung derer, die von der wirtschaftlichen Entwicklung sehr profitiert haben und über sehr hohe Einkommen verfügen.
In Ihrer Partei bekommen viele Pickel, wenn sie schon den Namen Westerwelle hören. Ihnen glaubt doch niemand, dass Sie ausgerechnet mit der FDP regieren wollen.
Wir wollen regieren, und zwar mit einem sozialdemokratischen Kanzler. Wir sind uns mit der FDP so wenig einig wie mit der Union, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht einigen könnte. Was wir vier Jahre mit der Union hingekriegt haben, bekommen wir auch in einer Ampel mit den Grünen und der FDP hin.
Die SPD-Spitze hält Kanzlerin Merkel für führungsschwach. Auch mit ihr wollen Sie notfalls wieder regieren?
Noch mal: Wir wollen einen sozialdemokratischen Kanzler. Ob Frau Merkel in einer Großen Koalition dem Kabinett als Außenministerin angehören will, weiß ich nicht. Die Lehre der Krise heißt: Nur in einem Sozialstaat lässt es sich gut leben. Wir stehen dafür, Union und FDP nicht. Wenn die SPD in der Regierung ist, geht einer von beiden gerade noch. Aber die beiden alleine würden viele soziale Errungenschaften infrage stellen.
Wäre nicht die Linke inhaltlich ein plausiblerer Partner?
Ausgeschlossen. In der Bundespolitik ist die SPD von keiner Partei so weit entfernt wie von der Partei Die Linke.
Gespräch: Peter Heimann
Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite der Sächsischen Zeitung.