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09.01.2016

Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung


"Rhein-Neckar-Zeitung": Die Südwest-SPD geht mit der Forderung nach beitragsfreien Kitas und Kindergärten in den Wahlkampf. In Hamburg haben Sie das schon realisiert. Wie sind Ihre Erfahrungen?
 
Olaf Scholz: Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit flächendeckenden Kitas. Gebührenfreiheit für fünf Stunden Betreuung am Tag inklusive Mittagessen hat dazu beigetragen, dass die Nachfrage gestiegen ist. Das entlastet die Budgets vieler Familien auch in der Mittelschicht. Die verdienen zwar ordentlich, müssen sich aber anstrengen, den Alltag mit Kindern zu finanzieren.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Was kostet Sie das im Monat pro Kind?
 
Olaf Scholz: Wir kalkulieren mit 1000 Euro.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Halten Sie die Idee auch in einem Flächenland für realisierbar?
 
Olaf Scholz: Ja. Und vor allem: Eltern wollen das für ihre Kinder und für ihre Familien. Der Trend gibt uns da recht.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Lässt sich so auch erreichen, dass Mütter früher in den Job zurückkommen?
 
Olaf Scholz: Wenn man Politik für Kinder und Familien macht, dann geht es mir um deren Bedürfnisse, nicht um staatspolitische Ziele. Aber klar: Eltern haben es dann einfacher, ihren Berufswünschen nachzugehen.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Welchen Einfluss hat das Angebot beim Thema Integration?
 
Olaf Scholz: Kinder lernen die deutsche Sprache leicht, vor allem, wenn sie früh mit muttersprachlichen Kindern zusammen sind. Ich selbst habe erlebt, wie Kinder schon in der Flüchtlingsunterkunft innerhalb eines Jahres gelernt haben, fehlerfrei deutsch zu sprechen anders als ihre Eltern.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Das Thema Integration beschäftigt eine Großstadt wie Hamburg ja nicht erst seit der aktuellen Flüchtlingswelle. Was tun sie, um alte Fehler zu vermeiden?
 
Olaf Scholz: Wir haben in Hamburg ein Drittel Migrantenanteil. Jedes zweite Kind, das zur Schule angemeldet wird, hat ausländische Wurzeln. Wir haben unter den Zuwanderfamilien aber überdurchschnittlich viele, die eingebürgert sind. Ich habe alle Zuwanderer in Hamburg, die länger als acht Jahre hier in Deutschland leben, angeschrieben und gebeten, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Viele haben das getan. Wichtig ist aber natürlich die Integration in den Arbeitsmarkt.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Wie sieht hier ihr Konzept aus?
 
Olaf Scholz: Die nun neu ankommenden Flüchtlinge, die eine gute Bleibeperspektive haben, wollen wir früh mit dem Arbeitsmarkt in Kontakt bringen. Unser Projekt dazu heißt WIR: Work and Integration for Refugees. Wir wollen die Kompetenzen der Menschen früh erfassen; daran können dann weitere Arbeitsmarktmaßnahmen gezielt anknüpfen. Zudem gab es Aktionen von Handwerks- und Handelskammer, die Flüchtlingen Jobs angeboten haben als Maler, Schlachter, Glaser.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Sie haben sich in den letzten Tagen mit zwei Forderungen hervorgetan. Erstens strengere Regeln bei der Sozialhilfe für EU-Ausländer. Zweitens ein großes Abschiebezentrum am Hamburger Flughafen. Braucht es mehr Härte in der Asylpolitik?
 
Olaf Scholz: Wir nehmen viele Flüchtlinge auf aus moralischer und rechtlicher Verpflichtung. Das ist eine große gesellschaftliche Aufgabe. Gleichzeitig ist aber auch klar: Wir müssen uns auf jene konzentrieren, die unseren Schutz brauchen. Wir können nicht all jene noch aufnehmen, die aus menschlich nachvollziehbaren, aber mit unserem Rechtsrahmen nicht zu vereinbaren Gründen hierher wollen. Darum: Wer nicht bleiben kann, muss gehen. Und wer nicht freiwillig geht, muss abgeschoben werden.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Die von Seehofer eingeforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr halten Sie die für sinnvoll?
 
Olaf Scholz: Ich bin da eher bei Kanzlerin Merkel: Das mit den Zahlen hilft uns nicht. Die Menge an Flüchtlingen, die gerade kommt, würde sich ja relativieren, wenn nicht zwei, drei, sondern alle EU-Länder bereit wären, diese Menschen in Not aufzunehmen.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Ist die Politik der offenen Grenzen, die Deutschland praktiziert, noch haltbar?
 
Olaf Scholz: Unsere Grenzen sind die Außengrenzen der EU. Diese zu sichern, dafür muss die EU sorgen. Es geht nicht um Grenzen in Europa. Die Möglichkeit, ohne Kontrollen reisen zu können, die genießen wir doch alle. Und sie hat enorme wirtschaftliche Bedeutung. Daran sollte sich nichts ändern.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Dänemark hat Passkontrollen wieder eingeführt. Merken Sie in Hamburg bereits einen Rückstau von Flüchtlingen?
 
Olaf Scholz: Nein, das merken wir nicht. Gleichwohl ist das, was wir gerade erleben, eine Mahnung: Wir müssen eine gesamteuropäische Lösung der Flüchtlingskrise finden.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Warum sind Ihrer Ansicht nach strengere Regeln in der Sozialhilfe für EU-Ausländer nötig?
 
Olaf Scholz: Es müssen nur die Regeln gelten, die das EU-Recht vorgibt: Wer dauerhaft Sozialhilfe in einem anderen EU-Land beziehen will, als in dem, aus dem er stammt, der muss vorher dort ein Jahr gearbeitet haben. "Gearbeitet" kann aber nicht heißen: Man hat sich mal umgeschaut und nichts gefunden. Mein Vorschlag: Nur wer ein Jahr den Mindestlohn verdient hat das sind ja nur 1470 Euro im Monat , der kann sich auf den Solidarverbund verlassen.
 
"Rhein-Neckar-Zeitung": Wie groß wäre die Ersparnis für Ihren Sozialhaushalt?
 
Olaf Scholz: Es geht nicht darum, etwas zu sparen. Mir geht es darum, etwas richtig zu lösen. Wir haben keine einheitliche Sozialhilfe in Europa. Aber wir haben Länder, in denen das Durchschnittseinkommen geringer ist, als das, was wir in Deutschland Langzeitarbeitslosen monatlich für Leben und Wohnen überweisen. Darum ist es wichtig, dass wir ein System entwickeln, das funktioniert. Wenn man sich der der Lösung dieser Aufgabe verweigert, gerät die Freizügigkeit in der EU, die ich für eine herausragende Errungenschaft halte, in Gefahr. Und im Übrigen geht es ja nun auch darum, den Verbleib Großbritanniens in der EU zu erleichtern.
 
Das Interview führte Alexander R. Wenisch.