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16.03.2018

Interview mit der "Süddeutschen Zeitung"

 

"Süddeutsche Zeitung": Herr Minister, woran erkennt der Bürger, dass im Finanzministerium jetzt ein Sozialdemokrat sitzt und kein Christdemokrat mehr?

 

Olaf Scholz: Die Bürgerinnen und Bürgern werden es merken, weil wir einen Haushalt aufstellen werden, der keine neuen Schulden vorsieht und zugleich sicherstellt, dass wir die Aufgaben finanzieren können, die für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land wichtig sind: Zum Beispiel gebührenfreie Kitas, die Ganztagsbetreuung an Schulen, den sozialen Wohnungsbau, das höhere Kindergeld und der höhere Kinderzuschlag, die Verbesserungen bei der Rente.

"Süddeutsche Zeitung": Das heißt, das Wichtigste für die Erkennbarkeit des SPD-Finanzministers haben Sie in den Vertrag verhandelt, bevor Sie überhaupt Minister geworden sind?

 

Olaf Scholz: Als Teil der Verhandlungsdelegation war mir das wichtig. Sichtbar wird es aber auch werden, wenn wir auf Probleme stoßen, die sich heute noch gar nicht absehen lassen.

"Süddeutsche Zeitung": Den Vertrag könnte auch ein Christdemokrat erfüllen. Oder wollen Sie, um parteipolitisch sichtbar zu sein, die sozialdemokratischen Vorhaben zuerst umsetzen?

 

Olaf Scholz: Politik ist keine Vorabendserie, sondern eine seriöse Sache. CDU, CSU und SPD haben sich verständigt, die nächsten 3,5 Jahre gemeinsam ordentlich zu regieren. Daran halten sich alle.

"Süddeutsche Zeitung": FDP-Chef Christian Lindner hat gesagt, das Finanzministerium sei unter  Vorgänger Wolfgang Schäuble nur der verlängerte Arm des Kanzleramtes gewesen. Ändert sich das jetzt?

 

Olaf Scholz: Ich bin Finanzminister und Vizekanzler.

"Süddeutsche Zeitung": Also ändert sich was?

 

Olaf Scholz: Ich weiß, wie ich die Sache angehen will.

"Süddeutsche Zeitung": Damit es losgehen kann, braucht es einen Haushalt. Wann werden Sie den vorlegen?

 

Olaf Scholz: Das muss jetzt zügig geschehen, weil wir durch die fast sechsmonatige Phase der Regierungsbildung in Rückstand geraten sind. Den genauen Zeitplan besprechen wir gerade mit dem Parlament und den Ländern.

"Süddeutsche Zeitung": Was genau heißt zügig?

 

Olaf Scholz: Zügig heißt zügig so schnell es irgend geht.

"Süddeutsche Zeitung": Können Sie unseren Lesern schon sagen, wer sich zuerst freuen darf?

 

Olaf Scholz: Alle dürfen sich auf einen seriösen Haushalt freuen. Im Koalitionsvertrag haben wir Projekte für die nächsten vier Jahre vereinbart manches werden wir rasch auf den Weg bringen können, anderes wird etwas Zeit brauchen. Die Abschaffung des Soli, von der 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler profitieren werden, ist für 2021 vorgesehen.

"Süddeutsche Zeitung": Sie waren mit Frau Merkel am Freitag in Paris.

 

Olaf Scholz: Ich war in Paris, um meinen Finanzministerkollegen Bruno Le Maire zu treffen, Frau Merkel war später im Élysée-Palast.

"Süddeutsche Zeitung": Können wir davon ausgehen, dass Sie und die Kanzlerin sich abgestimmt und Ihren jeweiligen Gesprächspartnern das Gleiche gesagt haben?

 

Olaf Scholz: Natürlich, wir vertreten dort gemeinsam unser Land. Dass wir so schnell nach Paris geflogen sind, war das deutliche Signal, dass wir als deutsche Regierung den französischen Vorstoß für ein stärkeres Europa begrüßen.

"Süddeutsche Zeitung": Präsident Macron will Europa voranbringen. Ohne Berlin scheitere sein Projekt, sagt er. Das klingt wie die Aufforderung, deutschen Kleinmut zu überwinden?

 

Olaf Scholz: Präsident Macron hat sehr viel Mut bewiesen, als er einen klaren Pro-Europa-Wahlkampf geführt hat. Nach seiner Wahl hat er sehr ambitionierte Vorstellungen entwickelt. Als Deutsche sollten wir großes Interesse daran haben, dass wir gemeinsam mit Frankreich in dieser Frage vorankommen. Ich halte Europa für das zentrale nationale Anliegen unseres Landes. Unser Kontinent wird nur eine Chance haben, die Geschicke der Welt mit zu beeinflussen, wenn wir kooperieren.

"Süddeutsche Zeitung": Treibt die zerstörerische Politik von Donald Trump die Europäer nicht ohnehin enger zusammen?

 

Olaf Scholz: Sicherlich können Trumps Vorstöße zu Strafzöllen, aber auch der Brexit, die russische Politik, die Schwierigkeiten im Nahen Osten, die Entwicklung in der Türkei und die Lage im Norden Afrikas ein Katalysator dafür werden, dass die Europäer enger zusammenrücken. Dafür muss Europa aber handlungsfähiger werden, also auch Fragen der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik, unserer gemeinsamen Außengrenzen, von Flucht und Migration, der Absicherung von Banken, unserer Währung und der Finanzmärkte klug beantworten.

"Süddeutsche Zeitung": Nächste Woche gibt es den nächsten EU-Gipfel. Werden Berlin und Paris da schon einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen?

 

Olaf Scholz: Ganz so schnell wird es wohl nicht gehen, wir wollen aber zügig gemeinsame Positionen entwickeln.

"Süddeutsche Zeitung": Das heißt, es dauert länger?

 

Olaf Scholz: Ich kann ihre journalistische Ungeduld nachvollziehen, aber davon sollte sich seriöse Politik nicht beeindrucken lassen.

"Süddeutsche Zeitung": Mit Verlaub, seit fast einem Jahr lässt die Antwort aus Berlin auf sich warten.

 

Olaf Scholz: Ich meine mich zu erinnern, dass Macron seine Sorbonne-Rede vor einem halben Jahr gehalten hat. Es ist großartig, dass er den Mut zu diesem Vorstoß gehabt hat das bringt neue Dynamik für ganz Europa. Gemeinsam besprechen wir jetzt, wie wir diese Dynamik nutzen können.

"Süddeutsche Zeitung": Erklären Sie unseren Lesern  bitte, warum die Eurozone jetzt unbedingt reformiert werden soll. Es gibt keine Krise, alle Staaten haben Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit sinkt?

 

Olaf Scholz: Gerade weil wir in der günstigen Situation sind, dass wir jetzt vorsorgen können, um für die nächste Krise gewappnet zu sein.

"Süddeutsche Zeitung": Aber was genau wollen Sie angehen?

 

Olaf Scholz: Drei zentrale Felder nenne ich Ihnen: Es gibt Handlungsbedarf bei der Schaffung der Bankenunion, den künftigen Planungen des EU-Haushalts und für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in ganz Europa.

"Süddeutsche Zeitung": Uns scheint der Unterschied zu sein, dass Macron dank seiner Autorität sehr viel stärker Dinge vorgeben kann, als das sich das hier in der großen Koalition abzeichnet.

 

Olaf Scholz: Das ist ein Irrtum.

"Süddeutsche Zeitung": Was also will die Bundesregierung?

 

Olaf Scholz: Die neue Bundesregierung hat einen ersten wichtigen Schritt getan, indem sie offen gesagt hat: Deutschland weiß, dass es in Folge des Brexit mehr Geld in den EU-Haushalt einzahlen muss. Wieso ist dieser Schritt wichtig? Jeder weiß, dass Deutschland mehr zahlen müssen wird. Wir beginnen also mit einer Wahrheit. Bislang hatten viele Diskussion mit der Festlegung begonnen: Wir zahlen gar nichts. Und am Ende wurde doch gezahlt. Ich glaube, dass dieses widersprüchliche Verhalten in der Vergangenheit zur Skepsis gegenüber der EU beigetragen hat. Umso wichtiger ist jetzt, wahr und klar zu reden.

"Süddeutsche Zeitung": Apropos klar: Viele warnen vor einer Transferunion, in der die Deutschen am Ende für alle zahlen. Wie wollen Sie den Bürgern diese Sorge nehmen?

 

Olaf Scholz: Der Begriff Transferunion ist ein politischer, inhaltsfreier Kampfbegriff. Tatsache ist, dass Deutschland schon heute einen erheblichen Beitrag zu solidarischen Finanzierung des EU-Haushaltes leistet. Aber selbst unsere Möglichkeiten sind beschränkt und wir wollen und können auch gar nicht für alle zahlen. Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, daran ändert die Parteizugehörigkeit nichts.

"Süddeutsche Zeitung": Der deutsche Haushaltskommissar Oettinger schlägt vor, dass Berlin jährlich um die drei Milliarden Euro mehr zahlt?

 

Olaf Scholz: Das ist sein Vorschlag. Mir ist wichtig, dass der EU-Haushalt neu strukturiert wird, die Ausgaben müssen einen europäischen Mehrwert haben.

"Süddeutsche Zeitung": Es gibt ein Instrument, das Schäuble und Merkel mal auf den Weg gebracht hatten, um mehr Geld in den EU-Haushalt zu spülen, die Finanztransaktionsteuer. Was ist damit?

 

Olaf Scholz: Sie steht im aktuellen Koalitionsvertrag.

"Süddeutsche Zeitung": Befürworten Sie eine solche Steuer?

 

Olaf Scholz: Natürlich, sonst stünde sie nicht im Koalitionsvertrag.

"Süddeutsche Zeitung": Hätte ja sein können, dass Frau Merkel sie wollte?

 

Olaf Scholz: Sie war nicht dagegen.

"Süddeutsche Zeitung": Wollen Sie sich persönlich dafür einsetzen, dass die Steuer kommt?

 

Olaf Scholz: Die deutsche Regierung als Ganzes hält an dieser Idee fest.

"Süddeutsche Zeitung": Sie haben noch  ein anderes Dauerprojekt geerbt. Da geht es um gemeinsame Unternehmenssteuern in Deutschland und Frankreich, die ja jetzt als Antwort auf Trumps Steuerreform wichtig wären. Wann ist es soweit?

 

Olaf Scholz: Ich kann Sie jetzt nicht damit überraschen, dass der Gesetzentwurf morgen vorgelegt wird. Tatsächlich ist es ein Vorhaben, das beide Regierungen haben ...

"Süddeutsche Zeitung": seit 2011 schon. Wann wollen Sie liefern?

 

Olaf Scholz: Wenn beide Seiten eine Lösung gefunden haben.

"Süddeutsche Zeitung": Zu den bisher ergebnislos debattierten Ideen gehören die eines Finanzministers und eines Budgets für die Euro-Zone. Brauchen wir das?

 

Olaf Scholz: Das sind sehr interessante Vorschläge, die wir jetzt erörtern und anschauen. Wir brauchen solcherart Veränderungen, sie müssen natürlich stets einen Sinn machen.

"Süddeutsche Zeitung": Wie beantworten Sie diese Sinnfrage?

 

Olaf Scholz: Es müsste beispielsweise plausibel sein, dass ein eigener Euro-Haushalt wirklich einen Unterschied und die Dinge besser macht.

"Süddeutsche Zeitung": Apropos Unterschied: Schäuble hat stets den Zuchtmeister gegeben, um Athen auf Reformkurs zu halten, schließlich hat das Land 320 Milliarden Euro Kredite zurückzuzahlen. Wie wollen Sie das machen?

 

Olaf Scholz: Es sieht so aus, dass die griechische Regierung und die Bürgerinnen und Bürger diesen Kurs eingeschlagen haben. Das gibt Anlass für Optimismus. Darüber werden wir miteinander im Gespräch bleiben.

 

Das Interview führten Cerstin Gammelin und Nico Fried.