WELT ONLINE: Herr Minister, Sie haben eine Rentengarantie durchgesetzt, den demografischen Faktor bei der Rente ausgesetzt, Kurzarbeit ausgebaut und in etlichen Branchen Mindestlöhne erreicht. Sie würden gern unter Kanzlerin Angela Merkel weiter arbeiten, oder?
Olaf Scholz: Wir haben in den vergangenen vier Jahren sozialdemokratische Politik durchgesetzt. Kanzlerin Merkel hat oft nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern weil wir, weil die SPD auf ihren politischen Vorstellungen bestanden hat. Mit der FDP würde Frau Merkel das alles wieder abwickeln und genau die gegenteilige Politik betreiben. Daher ist es besser, es gibt einen sozialdemokratischen Kanzler. Dann stimmen Führung und Programmatik überein.
WELT ONLINE: Hat Frau Merkel Sie nicht kräftig unterstützt?
Scholz: Mal so. Mal so. Die mit den Ministerpräsidenten - auch der Union fertig ausgehandelte Reform der Jobcenter hat sie in der Unionsfraktion nicht durchgesetzt. Und bei der Lohnuntergrenze für die Leiharbeit hat sie auch wieder kalte Füße bekommen.
WELT ONLINE: Nur jeder Vierte will am 27..September SPD wählen. Ist das nicht ein bitteres Zeugnis für Ihre Partei?
Scholz: Die Umfragewerte sind nicht schön. Ich empfehle aber allen mehr Respekt vor den Wählern. Die nämlich entscheiden die Wahl. Viele wollen und können noch von der SPD überzeugt werden. Frank-Walter Steinmeier hat im TV-Duell gezeigt, wie das funktioniert.
WELT ONLINE: Peer Steinbrück favorisiert eine große Koalition. Zwischen Union und SPD gebe es mehr denn je Gemeinsamkeiten. Hat er Recht?
Scholz: Wir wollen ein starkes Mandat für die SPD und einen sozialdemokratischen Kanzler. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, den Kanzler zu stellen nur ein Bündnis mit der Partei Die Linke kommt nicht in Frage. Wir sind mutig und Manns genug, uns schwierige Konstellationen zuzutrauen.
WELT ONLINE: Sie wollen lieber mit der FDP als mit der Union regieren?
Scholz: Wichtig ist doch, dass wir mehr als eine Option haben. Ein sozialdemokratischer Kanzler täte diesem Land gut. Frank-Walter Steinmeier allemal. Der hat das Format dazu.
WELT ONLINE: Gibt es mit der FDP mehr denn je Gemeinsamkeiten?
Scholz: Die Funktionäre von Union und FDP haben sich leider vom historischen Konsens dieser Republik verabschiedet. Diese Leute akzeptieren den sozialstaatlichen Weg unseres Landes nicht mehr. Die Mehrheit der Funktionäre beider Parteien hat neoliberale Überzeugungen. Insoweit: keine Unterschiede zwischen beiden.
WELT ONLINE: Frau Merkel auch?
Scholz: Frau Merkel würde in einer schwarz-gelben Koalition das Gegenteil von dem tun, was wir in den vergangenen vier Jahren getan haben. Ihr Anliegen findet man im Leipziger Programm der CDU. Da muss man gar nicht neue Papiere mit altbackenen Rezepten aus dem Wirtschaftsministerium studieren. Dass die CDU-Vorsitzende oft so beliebig und standpunktlos wirkt, liegt nicht daran, dass sie keine Meinung hat. Sie weiß allerdings, dass ihre Ansichten nicht mehrheitsfähig sind. Deshalb: Ein großer Teil von Merkels Ansehen beruht auf sozialdemokratischer Politik, nicht auf ihren Überzeugungen.
WELT ONLINE: Die SPD beklagt die schlechte Bezahlung von Frauen, will mehr Mindestlohnregelungen und Aufsichtsräte quotieren. Wieso haben die Arbeitsminister der SPD seit 1998 dies alles nicht durchgesetzt?
Scholz: Fortschritt kommt von Fortschritt. Und Fortschritt hat es gegeben. Denken Sie etwa an den Anspruch auf Teilzeitarbeit, den Ausbau der Kinderbetreuung oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Bei den Mindestlöhnen sind wir gegen alle Widerstände weit gekommen. Da machen wir jetzt weiter. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist immer noch zu groß.
WELT ONLINE: Sie haben die Rente zur Gegenstand von Tagespolitik gemacht.
Scholz: Da zitieren Sie fachlich falsche Flugblatt-Parolen.
WELT ONLINE: Warum aber gibt es eine Rentengarantie?
Scholz: Die Rentnerinnen und Rentner können an ihrem Einkommen nicht mehr viel ändern. Es wäre unanständig, ihre Rente zu kürzen. Wir können uns dieses Versprechen auch leisten, weil wir in den vergangenen 20 Jahren fünf große Rentenreformen gemacht haben. Das hat zu einer stabilen Rentenversicherung geführt. Wir haben eine Rücklage von 16 Milliarden Euro. Sie ermöglicht die gesetzliche Garantie. Das ist die klarste Sprache, die in einer Demokratie möglich ist. Und die ist nötig, angesichts all der Panikmacher die unterwegs sind.
WELT ONLINE: Wieso enthalten Sie den Arbeitnehmern eine solch klare Sprache vor?
Scholz: Die klare Sprache für die Arbeitnehmer lautet, dass die Zahl der Mindestlohn-Branchen erhöht wird. Vier Millionen Arbeitnehmer profitieren davon schon. Wir wollen Arbeitnehmer schützen und ihre Würde bewahren.
WELT ONLINE: In der Bundesagentur für Arbeit (BA) klaffen neue Löcher. Wird der Arbeitslosenbeitrag steigen?
Scholz: Wir benötigen im nächsten Jahr ein Darlehen für die BA von 20 Milliarden Euro. Deshalb müssen wir in der Krise weder Beiträge erhöhen noch Leistungen kürzen. Langfristig brauchen wir einen festen Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung für gute und schlechte Zeiten.
WELT ONLINE: In welcher Höhe?
Scholz: Er sollte nicht zu hoch sein. Ich will einen politischen Konsens herstellen, deswegen nenne ich bewusst keine Zahl. Es wäre wünschenswert, wenn sich alle fünf Fraktionen im Bundestag zu einer gemeinsamen Lösung durchringen.
WELT ONLINE: SPD-Fraktionschef Peter Struck will sein Büro am 29. September einem Nachfolger besenrein übergeben. An Sie vielleicht?
Scholz: Wir kämpfen jetzt alle für einen Wahlerfolg der SPD. Und wie Sie im Gespräch gemerkt haben, habe ich noch viele Pläne, die ein Arbeitsminister umsetzen muss.
WELT ONLINE: Wo verbringen Sie den Wahltag?
Scholz: Morgens werde ich am Volkslauf im Altonaer Volkspark teilnehmen. Abends werde ich in Berlin sein.
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