WirtschaftsWoche: Herr Scholz, Sie haben in Hamburg das Wort vom ordentlichen Regieren geprägt. Ist eine Kaufprämie für Elektroautos ordentliches Regieren?
Olaf Scholz: Wir brauchen einen Durchbruch bei den Elektroautos, deshalb ist die Prämie strategisch erforderlich. Als Bürgermeister einer großen Metropole ist mir bewusst, dass wir in unseren Städten ohne E-Antriebe die EU-Vorschriften zur Luftreinheit kaum erfüllen können.
WirtschaftsWoche: Die Kaufprämie honoriert Gutverdienende, die Auto fahren, aber nicht Geringverdiener, die mit Bus und Fahrrad unterwegs sind.
Olaf Scholz: Elektromobilität geht alle an. Die Kaufprämie und der Ausbau der Ladeinfrastruktur helfen ein wenig in dieser Angelegenheit von nationaler wirtschaftlicher Bedeutung.
WirtschaftsWoche: Das Wohl und Wehe der forschungsstärksten deutschen Industrie hängt ernsthaft davon ab, dass der Bund 600 Millionen Euro verschenkt?
Olaf Scholz: Sicher nicht. Aber wir müssen alles dafür tun, dass sich die Erfolgsgeschichte des deutschen Automobilbaus fortsetzt. Da sind industriepolitische Impulse wichtig.
WirtschaftsWoche: Wie sieht es denn bei den sozialpolitischen Impulsen aus: Regiert ordentlich, wer den Deutschen ein höheres Rentenniveau verspricht?
Olaf Scholz: Unsere Rentenversicherung ist stabil, auch langfristig. Dennoch muss über eine so wichtige Sozialversicherung immer wieder neu nachgedacht werden. Die meisten Bürgerinnen und Bürger zahlen jahrzehntelang Beiträge und beziehen auch über Jahrzehnte Rente. Es ist natürlich, dass sie darauf bestehen, dass Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen
WirtschaftsWoche: Sie wecken Begehrlichkeiten, die unfinanzierbar sind.
Olaf Scholz: Lassen Sie uns diese Diskussion sachbezogen führen: Welcher Beitragssatz für Arbeitnehmer ist langfristig vertretbar? Welchen Bundeszuschuss über Steuern halten wir für vertretbar, ohne andere Staatsaufgaben zu vernachlässigen? Wer sich mit diesen Fragen in Ruhe auseinandersetzt, erhält auch kluge Antworten über das künftige Rentenniveau. Ich bin dafür, diese Debatte offen und ehrlich zu führen, aber nicht populistisch.
WirtschaftsWoche: Auch Politiker, die keine Populisten sind, sind nicht immer bekannt dafür, Debatten sachlich, ehrlich und nachhaltig zu führen.
Olaf Scholz: Ich neige zu sachlichen Debatten. Und ich kenne in fast allen Parteien Politiker und Politikerinnen, die ähnlich denken.
WirtschaftsWoche: Gib es zu wenig Visionen in der deutschen Politik?
Olaf Scholz: Die Deutschen verstehen seit der Romantik unter Visionen etwas Verklärtes Ideale, die nie und nimmer erreicht werden können. Ich verstehe unter Visionen hingegen langfristige Ziele, die man erreichen kann. Solche pragmatischen Zukunftsvorstellungen brauchen wir.
WirtschaftsWoche: Wo wir gerade bei Unerreichbarkeiten sind: das Kanzleramt. Warum eigentlich meint die SPD, noch einen Kandidaten aufstellen zu müssen?
Olaf Scholz: Weil wir eine von nur zwei Parteien sind, die unser Land führen können. Die SPD hat mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder bewiesen, dass sie das auch mehr als passabel zu tun vermag. Es gehört zum Wesenskern der ältesten demokratischen Partei Deutschlands, dass sie das Kanzleramt im Blick hat. Immer.
WirtschaftsWoche: Mit 19 Prozent wirkt dieser Anspruch sehr kraftlos.
Olaf Scholz: Zugegeben: die Umfragen sind nicht so gut. Fakt ist aber auch: Wir regieren in 13 von 16 Ländern und stellen in neun Ländern den Regierungschef, die CDU gerade mal in vier. Wir erringen dort also Mehrheiten, mit denen im Bund die Kanzlerschaft greifbar wäre. Grundlage für den Erfolg ist Vertrauen. Vertrauen entsteht nur, wenn wir sehr lange das Richtige tun.
WirtschaftsWoche: Die Wahrheit ist doch: Die Kanzlerin ist unschlagbar.
Olaf Scholz: Gut steht sie ja gerade nicht da. Natürlich ist die Kanzlerin zu schlagen; auch 2017. Denn nur die SPD ist in der Lage, wirtschaftlichen Sachverstand, Gerechtigkeitsanforderungen und Liberalität in einem Konzept klug miteinander zu vereinen.
WirtschaftsWoche: Parteitagsprosa. Wo ist die SPD-Machtperspektive?
Olaf Scholz: Wir müssen stärker werden wollen als die Union. Und jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellen, dass man uns die Führung dieses Landes anvertrauen kann. Auch in Fragen der Außen-, Europa-, Sicherheits- oder etwa der Haushaltspolitik.
WirtschaftsWoche: Das predigt SPD-Chef Sigmar Gabriel seit der Wahl 2013: Wir müssen das Versprochene umsetzen, dann kehren die Wähler zurück. Die SPD hat geliefert aber die Wähler kehren ihr dennoch den Rücken.
Olaf Scholz: Ich empfehle strategische Geduld. Wir müssen das Richtige tun, ohne darauf zu schielen, wann sich das auszahlt.
WirtschaftsWoche: Warum erklärt Gabriel nicht sofort seine Kandidatur?
Olaf Scholz: Weil die SPD und ihr Vorsitzender klug beraten sind, sich in dieser Frage nicht treiben zu lassen.
WirtschaftsWoche: Gabriel hat vorgeschlagen, die Partei-Basis über einen Kandidaten abstimmen zu lassen. Eine Schnapsidee?
Olaf Scholz: Eine solche Abstimmung machte nur Sinn, wenn es mehrere Kandidaten gäbe, die gegeneinander antreten wollen.
WirtschaftsWoche: Der Eindruck, den die SPD dabei hinterlässt, ist doch folgender: Es gibt einen Parteichef, der nicht Kanzlerkandidat sein will. Und es gibt andere Spitzengenossen, die sich in die Büsche schlagen.
Olaf Scholz: Das ist Ihre Unterstellung, und sie ist grundfalsch. Ich gebe gerne zu, es wäre unterhaltsamer für Sie, wenn wir uns öffentlich stritten. Wir sind aber nicht für Ihre Unterhaltung zuständig, sondern dafür, im Land zu regieren.
WirtschaftsWoche: Welche Kern-Botschaft sollte denn das Wahlprogramm der SPD transportierten?
Olaf Scholz: Ein Programm mit nur einer Botschaft wäre in der heutigen Zeit, sehr höflich formuliert, unterkomplex. Wir machen frei nach Bill Clinton Politik für Menschen, die sich anstrengen und an die Regeln halten.
WirtschaftsWoche: Und was heißt das konkret?
Olaf Scholz: Erst einmal: Deutschland geht es gut, wir erleben wirtschaftlich sehr erfolgreiche Jahre und verzeichnen einen Rekordbeschäftigungsstand. Und dennoch machen sich viele, die sich zur Mittelschicht zählen, Gedanken über ihre Zukunft. Das ist kein rein deutsches Phänomen, das lässt sich in allen Ländern beobachten, die einmal die Industriestaaten genannt wurden, in Europa wie in Nordamerika. Das nehmen wir ernst. Und nehmen Sie den Mindestlohn: Wer 40 Stunden die Woche arbeitet, erhält am Ende des Monats rund 1470 Euro brutto. Nicht viel für ein Arbeiten in Würde. Auch diese Beschäftigten gehören zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Hier liegt die größte moralisch-ökonomische Herausforderung, die sich unserer Volkswirtschaft überhaupt stellt: Dass so viele, die sich anstrengen und vieles richtig machen, trotzdem nicht weit kommen. Da müssen wir ran.
WirtschaftsWoche: Die Union will mit Steuersenkungen in den Wahlkampf 2017 ziehen. Die SPD auch?
Olaf Scholz: Ich bin für eine Steuerpolitik mit Augenmaß. Das Verschuldungsverbot unserer Verfassung sorgt für eine ganz neue Klarheit. Uns steht es nicht mehr frei, politische gewollte Mehrausgaben oder Steuersenkungen über Schulden zu finanzieren. Das ist ein Fortschritt. Und es ist so schnell klar, dass der Spielraum begrenzt ist - in die eine Richtung wie in die andere.
WirtschaftsWoche: Warum drängen Sie nicht auf die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge?
Olaf Scholz: Ich gehe davon aus, dass sich die Abgeltungssteuer überholt hat. Die Zeit der Steueroasen und Offshore-Konten geht endlich zu Ende, damit entfällt der Sinn einer Abgeltungssteuer.
WirtschaftsWoche: Nach ihrem Nein zum innerparteilichen Kandidatenwettstreit: Haben Sie danach eigentlich SMS von Parteifreunden bekommen, die das bedauert haben?
Olaf Scholz: Ich erhalte viele SMS von meinen Parteifreunden, aber darüber rede ich nie öffentlich, auch nicht mit der WirtschaftsWoche.
Das Interview führten Max Haerder und Dieter Schnaas.