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07.12.2017

Interview mit der Zeitung "Die Welt"

 

"Die Welt": Herr Bürgermeister, am Donnerstag wird Martin Schulz der einzige Kandidat für das Amt des SPD-Vorsitzenden sein. Ist Schulz alternativlos?

 

Olaf Scholz: Er ist der einzige Kandidat und er wird ein gutes Ergebnis erhalten.

"Die Welt": Ist es nach dem Debakel Ihrer Partei bei der Bundestagswahl angemessen, dass nur ein Kandidat der gescheiterte Kanzlerkandidat zur Wahl steht?

 

Olaf Scholz: Die SPD ist gut beraten, in der aktuellen Lage zusammen zu halten. Wir brauchen eine geschlossene politische Führung. Alle drei Parteien der bisherigen Großen Koalition haben bei der Bundestagswahl erheblich verloren nicht nur die SPD, sondern noch viel stärker CDU und CSU. Deren Versuch, mit FDP und Grünen eine Regierung zu bilden, ist gescheitert. Wir müssen jetzt ausloten, ob und wie eine Regierungsbildung möglich ist. Das geht am besten, wenn man zusammenhält.

"Die Welt": Warum treten Sie selbst nicht als Parteichef an? Aus Sorge nicht gewählt zu werden?

 

Olaf Scholz: Wir haben schon länger verabredet, dass Martin Schulz, der gerade eine schwierige Kanzlerkandidatur geschultert hat, wieder für den Parteivorsitz antreten soll. Ich habe seine Kandidatur im Parteivorstand unterstützt.

"Die Welt": Sie hätten sich ja melden können.

 

Olaf Scholz: Weil Sie das gut finden? Mir gefällt die Tendenz nicht, wichtige inhaltliche Debatten von Personalfragen überdecken zu lassen. Die SPD hat eine heftige Niederlage erlitten und wir müssen sehr klar analysieren, was nicht gut gelaufen ist. Gleichzeitig müssen wir jetzt diskutieren, wie wir der Verantwortung für unser Land  gerecht werden. Das Spielchen Wer-liebt-wen hilft da kein bisschen weiter.

"Die Welt": Ist Schulz, sollte es zu einer Neuwahl des Bundestages kommen, automatisch wieder SPD-Kanzlerkandidat?

 

Olaf Scholz: Um den Parteivorsitzenden zu zitieren: Diese Frage steht jetzt nicht an.

"Die Welt": Die zehn Prozentpunkte, die ein guter Kanzlerkandidat der SPD nach Ihrer Einschätzung zusätzlich bringen kann, hat Schulz nicht auf die Waage gebracht. Im Gegenteil. Warum?

 

Olaf Scholz: In dem Augenblick, in dem uns die Bürgerinnen und Bürger die Führung der Regierung zutrauen, gibt es diese zusätzlichen zehn Prozentpunkte. Die Umfragen im Februar und März haben das doch bewiesen. Das Ergebnis war leider anders. Jetzt gilt es zu klären, wie wir unsere Partei erneuern können, um bei Wahlen wieder besser abzuschneiden und zugleich gibt es jeden Tag politische Entscheidungen zu treffen.

"Die Welt": Aber warum haben die SPD nach dem Zwischenhoch in den Umfragen wieder so rasch an Zustimmung verloren?

 

Olaf Scholz: Es gibt in allen erfolgreichen Industriestaaten einen Prozess großer struktureller Veränderungen, der für viel Verunsicherung sorgt. Sie schlägt sich nieder in der Wahl Donald Trumps, im Brexit, im Erfolg rechtspopulistischer Parteien überall in Europa. Der Verunsicherung kann man nicht allein mit einem schicken Wahlplakat begegnen. Wir müssen diskutieren, wie wir auf die Auswirkungen der Globalisierung und der Digitalisierung reagieren wollen, wie zum Beispiel auf das Phänomen, dass es einen Fachkräftemangel gibt und gleichzeitig die Löhne stagnieren. Und dazu müssen wir kluge Vorschläge machen.

"Die Welt": Sie beschreiben eher die Großwetterlage.

 

Olaf Scholz: Nein, ich beschreibe ein akutes Problem. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir konkrete Ideen liefern. Künftig wird es nicht reichen, eine Fahne hochzuziehen und ein Thema bloß zu nennen. Das ist zu beliebig. Meine Horrorvorstellung ist, dass in Zukunft CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, die Partei Die Linke, vielleicht sogar die AfD im Wahlkampf Plakate kleben, die einen Arbeiter zeigen und auf denen Arbeit zu lesen ist ...

"Die Welt": Gute Arbeit würde es bei der SPD heißen. Kann auch keiner etwas gegen sagen.

 

Olaf Scholz: Oder stellen Sie sich vor: Alle Parteien haben ein Plakat Gute Bildung für unsere Kinder. Das wird nicht mehr genügen, um die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Wir müssen konkrete Antworten geben. Die Parteien werden ja in vielen Aspekten erst durch ihre konkreten Vorschläge unterscheidbar.

"Die Welt": Zum Beispiel?

 

Olaf Scholz: Nehmen Sie die Europäische Union, das wichtigste nationale Anliegen der Bundesrepublik Deutschland. Wir müssen endlich auf die Ideen von Emmanuel Macron antworten. Die EU ist nicht nur ein Binnenmarkt. Sie muss gemeinsame Politik entwickeln: bei der Außen- und Sicherheitspolitik bei den Themen Migration, Finanzen, Wirtschaft. Diese Politik muss anders werden als die der Kanzlerin, die Vieles unausgesprochen lässt und nachts in Brüssel hinter verschlossenen Türen etwas beschließt. Das kann niemand nachvollziehen. Wir müssen gerade in der Europapolitik erklären, was wir vorhaben. Wir brauchen mehr Kühnheit in der Politik! Macron hat gezeigt, wie es geht.

"Die Welt": Wer hat diese Kühnheit in der SPD? Wer präsentiert kühne Entwürfe?

 

Olaf Scholz: Es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen, auch ich habe Ideen vorgebracht. Darüber müssen wir diskutieren. In der Europapolitik sollten wir keine Auseinandersetzung scheuen, schon gar nicht mit der europafeindlichen AfD und den Euroskeptikern der Partei Die Linke oder der sich erkennbar an dem Beispiel des niederländischen Regierungschefs orientierenden FDP.

"Die Welt": Einer Ihrer Vorschläge ist ein Mindestlohn von zwölf Euro. Ist das ein Punkt für mögliche Koalitionsverhandlungen?

 

Olaf Scholz: Das ist ein Debattenbeitrag für eine wichtige Diskussion, nicht nur in meiner Partei. Wenn uns alle Ökonomen vorhersagen, dass die Zahl derer, die zu Mindestlohnbedingungen beschäftigt sind, zunehmen wird, ist die Politik dafür verantwortlich, dass dies unter zumutbaren Umständen geschieht. Es kann nicht sein, dass jemand, der sein ganzes berufliches Leben Vollzeit gearbeitet hat, im Alter auf öffentliche Hilfe angewiesen ist. Der heutige Zustand ist eine große Bedrohung für die Moral unserer Gesellschaft, für ihren Zusammenhalt. Die fleißigen Bürgerinnen und Bürger brauchen unsere Solidarität.

"Die Welt": Denjenigen, die Mindestlohn beziehen, wäre aber deutlich mehr geholfen, wenn diese Forderung nicht nur eine Debatte anstieße, sondern sich in einem Koalitionsvertrag wiederfindet.

 

Olaf Scholz: Selbstverständlich muss das am Ende eine verbindliche Regel für die Arbeitsbeziehungen werden. Es geht nicht nur um eine Debatte.

"Die Welt": Sie wollen Macron antworten, Unterschiede definieren zu den anderen Parteien, sie fordern Ideen zu Digitalisierung und Globalisierung ein. Werden Sie während des SPD-Parteitages auch sagen: ,Wir müssen regieren und das geht nur mit der Union’?

 

Olaf Scholz: Der SPD-Vorstand hat einvernehmlich beschlossen, die verschiedenen Möglichkeiten einer Regierungsbildung auszuloten. Folgt uns der Parteitag, werden wir genau das tun.

"Die Welt": Wäre ordentliches Regieren, das sie ja gerne propagieren, mit einer Minderheitsregierung möglich?

 

Olaf Scholz: Natürlich müssen wir auch über eine Minderheitsregierung diskutieren. Auch wenn es schwer fällt sich vorzustellen, wie ein Land mit 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und einem Sozialprodukt von einer Billion Euro ohne Mehrheit regiert werden kann. Stabilität wäre in diesem Rahmen nur möglich, wenn es darüber gemeinsame Vorstellungen der Bundestagsparteien geben würde. Das ist nicht einfach, und wenn man sich in Europa umschaut, stellt man schnell fest, dass Minderheitsregierungen sich ihre Unterstützung in der Regel auf der gleichen Seite des politischen Spektrums suchen. Wenn Sie sich zum Beispiel Portugal anschauen dort sucht sich die sozialdemokratische Regierung ihre Unterstützung nicht rechts der Mitte, sondern auf der linken Seite.

"Die Welt": Ist eine Neuwahl aus Sicht eine realistische Option?

 

Olaf Scholz: Das Grundgesetz hat hohe verfassungsrechtliche Hürden vor Neuwahlen gestellt. Deshalb müssen wir ja jetzt auch darüber diskutieren, ob es doch wieder zu einer Koalition von CDU, CSU und SPD kommt, obwohl gute Gründe gegen ein solches Bündnis sprechen: Alle drei Parteien haben am 24. September kräftig verloren und die AfD würde in der Konstellation zur Oppositionsführerin. Für das, was jetzt vor uns liegt, ist übrigens fraglich, ob die Autorität der Kanzlerin ausreicht. Die Jamaika-Verhandlungen sind ja nicht allein an der FDP gescheitert, sondern auch an der Kanzlerin. Sie hat es nicht geschafft, eine Einigung herzustellen. Ob Frau Merkel also überhaupt noch Kraft hat, sich zu einigen, ist offen.

"Die Welt": Wie geschwächt ist die Kanzlerin aus Ihrer Sicht? Jetzt hat sie auch noch Herrn Söder im Nacken.

 

Olaf Scholz: Das miserable Wahlergebnis der Union ist ein Zeichen an Frau Merkel. Mit ihrem Ansatz, immer kompromissfähig zu bleiben, hat sie lange Erfolg gehabt, aber ihr Politikstil scheint an sein Ende zu kommen. Sie hat keine erkennbare Idee, wie es mit Europa weitergehen soll, sie hatte auch keine Idee, was ein Jamaika-Bündnis für Deutschland hätte erreichen sollen. Hier wäre Leadership geboten das fehlt.

"Die Welt": Die SPD nennt jetzt den Familiennachzug, die Bürgerversicherung und Bildungsinvestitionen als wichtigste Eckpunkte für ihre Regierungsbeteiligung. Ist das der Preis für eine Große Koalition?

 

Olaf Scholz: Vor Verhandlungen sind alle Seiten gut beraten, keine roten Linien zu markieren. CDU, CSU und SPD haben Wahlprogramme aufgestellt, in denen sind die jeweiligen Positionen nachzulesen. An den Jamaika-Sondierungen hat mich massiv irritiert, wie über Twitter, Facebook und Interviews aus laufenden Verhandlungen berichtet und Zwischenstände durchgestochen worden sind. So kann man weder erfolgreich verhandeln, noch erfolgreich regieren.

"Die Welt": Plädieren Sie für ein Twitterverbot?

 

Olaf Scholz: Ein solches Verbot wäre weltfremd, ich plädiere für Seriosität.

"Die Welt": Haben Sie Verständnis für das Aussteigen der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen?

 

Olaf Scholz: Mir fehlt da der tiefere Einblick in die Verhandlungen, denn ich bin ja nicht dabei gewesen. Aus dem, was zu lesen und zu hören war, schließe ich aber, dass es zu einfach wäre, den Grund für das Scheitern allein bei der FDP zu suchen. Es gab auf vielen wichtigen Feldern keine Einigung. Zum Beispiel in der Europapolitik, in der Energiepolitik oder beim Freihandel.

"Die Welt": Welche Rolle wollen Sie selbst in möglichen Koalitionsverhandlungen spielen?

 

Olaf Scholz: Bei den letzten Verhandlungen war ich dabei, als stellvertretender Parteivorsitzender und als Hamburger Bürgermeister. Ich vermute, so würde es wieder werden.

"Die Welt": Reizt Sie die Aufgabe des Bundesfinanzministers?

 

Olaf Scholz: Ich bin Hamburger Bürgermeister und sehr glücklich in diesem Amt.

"Die Welt": Bleibt es also dabei, dass Sie auf jeden Fall wieder als Spitzenkandidat in die Hamburg-Wahl 2020 ziehen werden?

 

Olaf Scholz: Meine Pläne haben sich nicht geändert.

"Die Welt": Ist Sigmar Gabriel als Außenminister verzichtbar?

 

Olaf Scholz: Er macht das jedenfalls gut. Aber Sie werden von mir jetzt keine Kabinettsliste bekommen. Wir haben doch noch nicht einmal entschieden, ob wir in Sondierungen mit der Union gehen.

"Die Welt": Wann hat Deutschland eine neue Bundesregierung?

 

Olaf Scholz: Schwer zu sagen. Aber es gibt ja eine geschäftsführende Bundesregierung, die über eine Mehrheit im Bundestag verfügt. Das verschafft uns ein wenig Zeit.

 

Das Interview führten Ulrich Exner und Daniel Friedrich Sturm.