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18.02.2011

Interview mit The European

 

The European: Sie haben sich im Wahlkampf in jedem Viertel Hamburgs zu Gesprächsrunden getroffen. Mit wie vielen Bürgern haben Sie bisher gesprochen?

Scholz: Allein bei den 18 Veranstaltungen kamen mehr als 6.000 Besucher. Es waren jeweils zwischen 300 und 600 Bürgerinnen und Bürger da und das Interesse nahm von Mal zu Mal zu. Und dazu kommen noch die Besucher der weiteren Veranstaltungen.

 

The European: Wie viele der Vorschläge aus diesen Diskussionsrunden haben es in ihr Wahlprogramm geschafft?

 

Scholz: Wir haben natürlich viele Fragen zu unserem Wahlprogramm von den Bürgerinnen und Bürgern in den Wahlkreisveranstaltungen bekommen. Da stellt man fest, dass es zu den meisten Dingen in unserem Programm eine Entsprechung gibt. Wir haben ja auch im Vorfeld viel mit den Hamburgern über die Zukunft der Stadt geredet, bevor es überhaupt um die Bürgerschaftswahl ging.

 

The European: Gibt es Punkte in Ihrem Wahlprogramm, wo Sie besondere Kritik erfahren haben aus der Wählerschaft?

 

Scholz: Nein. Das Wahlprogramm entspricht schon dem, was die meisten Bürgerinnen und Bürger denken. Es gibt viele Nachfragen, das ist klar. Deshalb machen wir auch diese Veranstaltungen. Ganz besonders wichtig finden viele, dass wir ernst machen mit dem, was wir angekündigt haben, nämlich dass der Hamburger Haushalt konsolidiert werden muss. Wir dürfen nach 2019 keine neuen Schulden mehr machen.

 

The European: Sie sind in Hamburg aufgewachsen und in der Hamburger Politik groß geworden. Gibt es da etwas, das den Wahlkampf besonders macht bzw. den Hamburger Wähler auszeichnet und was Sie von Ihrer Zeit aus der Bundespolitik anders kennen?

 

Scholz: Mich treibt hier ein ganz besonderes Lebensgefühl an, mit dem ich aufgewachsen bin: Groß geworden zu sein in einer Stadt, die wirtschaftlich erfolgreich ist aber immer auf einen guten Zusammenhalt der Bürgerinnen und Bürger untereinander geachtet hat; wo es früher so war, dass auch in den Stadtteilen, in denen sehr viele Leute mit sehr viel Geld wohnten, immer auch Menschen mit normalen Einkommen ihre Wohnungen finden konnten - und umgekehrt. Das ist in den letzten Jahren verloren gegangen und viele Hamburgerinnen und Hamburger wünschen sich, dass das wieder besser wird. In diesem Punkt vertrauen sie auf die SPD.

 

The European: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass das soziale Gleichgewicht auf der Strecke geblieben ist?

 

Scholz: Das liegt sicher daran, dass es keine große Rolle für die Politik der letzten zehn Jahre gespielt hat. Am sichtbarsten wird das an der Entwicklung des Wohnungsbaus. In den letzten zehn Jahren sind gerade einmal halb so viele Wohnungen gebaut worden wie in den zehn Jahren davor. Das merkt man mittlerweile, indem zehntausende Wohnungen in Hamburg fehlen.

 

The European: Liegt die aktuelle Stärke der SPD in Hamburg dann vor allem begründet in der Schwäche der anderen Parteien? Es geht weniger um eine Wahl von Rot oder Rot-Grün als um eine Abwahl der CDU-geführten Regierung?

 

Scholz: Hamburg muss wieder gut regiert werden. Das haben die Hamburgerinnen und Hamburger in den letzten Jahren sehr vermisst. Deshalb haben wir ganz bewusst in den Vordergrund unserer politischen Kampagne zur Bürgerschaftswahl die Begriffe Klarheit, Vernunft und Verantwortung gestellt. Aber es geht eben auch darum, dass in Hamburg viele Dinge vorangebracht werden müssen, für die sich die SPD besonders einsetzt: ob es nun um die Wirtschaft geht, ob es um den Wohnungsbau geht, um die Zukunft der jungen Leute - von der Kita über die Schulen, die Berufsbildung, die Universitäten - bis hin zu Themen wie Kultur und Sicherheit.

 

The European: In Ihrem Wahlprogramm haben Sie immer wieder die pragmatischen Ansätze ihrer Politik herausgestellt. Gemacht werden soll, was sinnvoll möglich ist. Was ist typisch sozialdemokratisch an dem, was Sie für Hamburg planen?

 

Scholz: Der Pragmatismus gehört zur sozialdemokratischen Politik dazu. Dass die Dinge, die wir vorschlagen auch funktionieren, ist etwas, das uns auszeichnet. Das unterscheidet uns auch von den politischen Wettbewerbern wie den Grünen oder der Partei Die Linke, bei denen das erklärtermaßen nicht so eine Rolle spielen soll. Trotzdem geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Stadt sich für alle gut entwickelt. Darum spielen Fragen wie Bildung, Kitas und Wohnungsbau eine bedeutende Rolle. Das sind soziale Themen, die gerade auch der SPD und vielen Bürgern dieser Stadt wichtig sind.

 

The European: Sie kennen den Spruch von Altkanzler Schmidt: Wer Visionen hat, sollte zum Augenarzt gehen. Würde dieser Pragmatismus, von dem Sie sprechen, auch der Bundes-SPD ganz gut zu Gesicht stehen?

 

Scholz: Das ist zunächst erst einmal eine merkwürdige Eigenart der deutschen Debatte: Pragmatismus und Visionslosigkeit miteinander zu verknüpfen und das für einen Gegensatz zu halten. Es geht immer um machbare Politik, nicht allein darum, was man sich wünschen könnte.

 

The European: Was ist denn die Beziehung zwischen Vision und Pragmatismus?


Scholz: Dass wir uns dafür einsetzen, dass die Welt gerechter wird, gerechter gerade für diejenigen, die sich mit Mühe und Anstrengungen durch die Welt bewegen. Das ist etwas, dass uns bewegt und da gibt es viele Punkte, an denen man das festmachen kann. Aber es müssen immer Vorschläge sein, die auch funktionieren. Ich glaube, das ist wichtig. Gerade wenn man ein öffentliches Amt anstrebt. Wir dürfen den Wählern keine Luftschlösser bauen.

 

The European: Welche Visionen stehen denn für Sie am Ende dieses schrittweisen Prozesses? Was bedeutet Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert?

 

Scholz: Meine Vorstellung ist, dass jeder, der sich Mühe gibt, auch gut zurechtkommt. Dass man nicht auf unüberwindbare Hürden stößt und dass niemand alleine gelassen wird. Wenn wir das erreichen, dann wäre das schon ganz viel. Konkret heißt das: Wir müssen endlich von den Sprüchen zu den Taten kommen. Es darf nicht so sein, dass alle sagen: Wir brauchen eine flächendeckende und möglichst kostenlose Kitabetreuung und gleichzeitig überall in Deutschland Gebühren erhöhen. Umgekehrt muss es gehen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir am Anfang der Schullaufbahn so viel Engagement zeigen, zum Beispiel indem wir für kleine Grundschulklassen sorgen. Das muss dann auch dazu beitragen, dass wirklich jeder unabhängig von seiner Herkunft gute Möglichkeiten im Leben hat. Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass so viele Menschen ohne Berufsabschluss vergeblich nach Arbeit suchen müssen. Der Berufsabschluss ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man auf den Arbeitsmärkten der Zukunft gute Chancen hat.

 

The European: In Hamburg ist in den letzten Monaten viel über Bildung und Erziehung diskutiert und gestritten worden, es gab einen Volksentscheid. Wie geht die SPD im Falle eines Wahlsieges mit dem Thema um?

 

Scholz: Es hat einen Volksentscheid gegeben. Damit steht die Struktur der Hamburger Schulen fest. Es gibt eine vierjährige Grundschule. Die SPD hat in den politischen Verhandlungen dafür gesorgt, dass ins Gesetz geschrieben wird: keine Klasse mehr als 23 Schüler; in Schulen, die in Stadtteilen mit schwierigen Bildungsbedingungen liegen, darf keine Klasse mehr als 19 Schüler haben. Wir haben das Elternwahlrecht hinsichtlich der weiterführenden Schulen gegen CDU und Grüne verteidigt und es gibt in Zukunft in Hamburg zwei weiterführende Schulen: das Gymnasium und die Stadtteilschule. Beide führen zum Abitur. Dass das auch bei der Stadtteilschule geht, dafür haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns eingesetzt. Jetzt geht es darum, dieses so entstandene Schulsystem jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr besser zu machen, damit die Qualität des Unterrichts so ist, wie man sich es vorstellt.

 

The European: Sie haben vorhin schon die Schuldenfrage und den ausgeglichenen Haushalt bis 2019 versprochen. Gleichzeitig soll in Kitas investiert werden, in den Hafen, in die Schulen. Das kostet Geld. Wie realistisch ist eine Konsolidierung angesichts dieser notwendigen Investitionen?

 

Scholz: Es ist ein realistisches und ein notwendiges Projekt. Ich habe konkret vorgeschlagen, dass wir das Ausgabenwachstum des Betriebshaushaltes auf 1% pro Jahr begrenzen, sodass wir die höheren Einnahmen, die wir im Laufe der nächsten 10 Jahre erzielen, dann verwenden können, um das strukturelle Defizit des Hamburger Haushaltes Stück für Stück abzubauen. Und wir werden sicherstellen müssen, dass wir die Dinge, die wir neu anpacken wollen, durch Umschichtungen im Haushalt finanzieren. Dafür haben wir auch sehr konkret einen Vorschlag gemacht mit mehreren einzelnen Finanzierungsschritten. Wir haben gezeigt, dass es funktionieren kann.

 

The European: Dann nennen Sie doch einmal so ein paar konkrete Umschichtungspunkte. Wo soll gespart werden? Wo soll umgeschichtet werden?

 

Scholz: Zum Beispiel hat der bisherige Senat, als 2008 und 2009 einmal die Steuereinnahmen sprudelten, den Betriebshaushalt um eine Milliarde Euro ausgeweitet. Es sind 1300 zusätzliche Stellen entstanden und auf Nachfrage der SPD, wo die denn entstanden sind, wusste niemand zu sagen, wo genau. Offenbar sind die alle in den oberen Rängen der Verwaltung geschaffen worden und nicht da, wo man sie braucht: bei Feuerwehr, Polizei, Erziehern, da wo es um den Service vor Ort geht. Und deshalb haben wir gesagt, dass dieser Personalaufbau in ganz kurzer Zeit auch stückweise wieder zurückgeführt werden kann. Und wir sehen auch nicht ein, warum innerhalb eines kurzen Zeitraumes 100.000 Quadratmeter öffentlicher Büroflächen dazukommen mussten.

 

The European: Also vor allem Bürokratie- und Verwaltungsabbau. Wie soll das konkret ablaufen?

 

Scholz: Niemand wird entlassen. Das ist nicht nötig und auch gar nicht vorgesehen. Aber offensichtlich ist es ja so, dass wir bei einer Personalfluktuation von mehreren tausend Stellen pro Jahr es leicht hinbekommen können, 250 im Jahr in diesem Zusammenhang wieder zu reduzieren und zwar an den Stellen, wo man diese Tätigkeiten nicht braucht.

 

The European: Als Sie das letzte Mal in Hamburg in der Politik waren, als Innensenator, haben Sie eine harte Hand versprochen. Es ging um Kriminalität und die Drogenszene. Letzten Endes haben Sie die Macht mit an die CDU abgeben müssen. Wie sind die Vorzeichen dieses Mal anders? Ihre Wahl gilt ja inzwischen als relativ gesichert.

 

Scholz: Die SPD hat damals, auch dadurch, dass ich für einen klaren und nachvollziehbaren Kurs in der Sicherheitspolitik gesorgt habe, ein Wahlergebnis erzielt, dass besser war als das der CDU. Und es war  sogar besser für die SPD, wenn auch nur ein wenig, als vier Jahre davor. Jetzt stehen wir vor ganz anderen Umfragewerten. Die SPD hat gute Chancen mehr als 40% der Stimmen zu bekommen und wir setzen uns jetzt dafür ein, dass all diejenigen, die sich überlegen, dieses Mal SPD zu wählen, dies jetzt auch tun vielleicht  seit langem wieder, oder nachdem sie die früher die CDU oder die FDP gewählt haben. Damit die SPD eine gute Grundlage für vernünftige Regierungspolitik bekommt.

 

The European: Welchen Anteil hat Olaf Scholz konkret am Erfolg der Hamburger SPD?

 

Scholz: Schwer zu beantworten. Insbesondere von Olaf Scholz selbst. Deshalb will ich mich da kurz fassen: ich glaube schon, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger sich wünschen, dass ich Bürgermeister werde. Das merke ich jeden Tag, wenn ich mit den Bürgerinnen und Bürgern in der Stadt spreche, nicht nur jetzt im Wahlkampf sondern auch in Alltagssituationen. Es gibt ein Vertrauen in die Politik der SPD und auch ein Vertrauen, dass ich die Versprechen unseres Wahlprogramms umsetzen kann.

 

 

Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite des European.