Herr Bundeskanzler, wieder ein fürchterlicher Anschlag: In München fuhr ein Afghane wohl voller Absicht in eine Menschenmenge. Was tun in einer ohnehin aufgeheizten Atmosphäre?
Vor allem sind unsere Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen in dieser schlimmen Situation. Der Täter muss verurteilt und am Ende abgeschoben werden. Nun muss genau aufgeklärt werden, was geschehen ist und ob es im Vorfeld Hinweise gegeben hat, mit denen man dieses Verbrechen hätte verhindern können. Da muss jeder Stein umgedreht werden. Wichtig: Als Bundesregierung haben wir im vergangenen Jahr Abschiebungen von schweren Straftätern auch nach Afghanistan möglich gemacht – und werden das fortsetzen.
Geschieht genug, um die Migration zu reduzieren? Über 60 Prozent der Bürger wollen mehr Taten.
Die Begrenzung der irregulären Migration habe ich zur Chefsache gemacht. Mit den Ländern habe ich in mühsamen Verhandlungen Gesetze verschärft, wir haben Kontrollen an allen deutschen Grenzen eingeführt und Rückführungen erleichtert. Und all das zahlt sich langsam aus: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Asylgesuche um mehr als 30 Prozent zurückgegangen – 100.000 Flüchtlinge kamen weniger zu uns als in 2023. Dieser Trend setzte sich auch im Januar fort, insofern könnte die Zahl auch in diesem Jahr nochmal um 100.000 zurückgehen. Zugleich haben wir auf EU-Ebene das neue gemeinsame europäische Asylsystem durchgesetzt, das viele Verbesserungen verspricht und Rückführungen noch einfacher macht.
Anderes Thema: Sie haben den Berliner Kultursenator Joe Chialo als „Hofnarren” der CDU bezeichnet. Teile der CDU fordern Ihren Rücktritt…
Herr Chialo und ich haben am Mittwoch miteinander telefoniert und er hat hinterher gesagt, dass die Angelegenheit damit für ihn erledigt sei.
Sie moderieren den „Hofnarren“ jetzt so locker weg. Aber war das Ihr Laschet-Moment? Der CDU-Kanzlerkandidat stolperte 2021 über seinen Lacher zur unpassenden Zeit…
Es geht um die Frage, warum CDU/CSU gemeinsam mit der AfD abgestimmt haben, und ob das wieder passiert.
Freuen Sie sich auf die Zeit nach der Wahl, wenn womöglich nicht mehr jedes Ihrer Worte öffentlich auf die Goldwaage gelegt wird?
Mein Ziel ist es, ein starkes Mandat für die SPD zu erhalten und abermals Kanzler zu werden.
Bekommt Putin nach dem Telefonat mit Trump jetzt die Ukraine geschenkt?
Unsere Haltung ist klar: Nichts darf über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werden. Ich halte es für richtig, wenn der US-Präsident mit dem russischen Präsidenten spricht. Das habe ich auch immer mal wieder getan, zuletzt im November. Ich habe klargemacht, dass wir die Ukraine unterstützen, solange wie es nötig ist und dass die europäische Friedensordnung gelten muss - eine Friedensordnung, die klar vorsieht: Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. Ein Diktatfrieden ist unakzeptabel. Das hat auch Wolodymyr Selenskji gerade noch einmal sehr deutlich gemacht.
Aber das, was da nun angebahnt wurde, ging völlig ohne Beteiligung der EU und Deutschlands über die Bühne. Eine Bankrott-Erklärung Ihrer Politik?
Die Ukraine wird von einem breiten Bündnis unterstützt, allen voran von den USA und Deutschland. Wir brauchen eine klare, gemeinsame und entschlossene Positionierung Europas. Natürlich geht nichts ohne die Ukraine und Europa. Noch gibt es aber längst kein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine, das dürfen wir nicht vergessen.
Sie sind seit zwei, drei Wochen erstaunlich angriffslustig. Warum haben Sie diesen Olaf Scholz drei Jahre lang der Öffentlichkeit vorenthalten?
Als Bundeskanzler war es meine Aufgabe, eine Koalition mit sehr unterschiedlichen Partnern zusammenzuhalten. Da waren hinter den Kulissen viele Gespräche nötig. Wiederholt habe ich von der Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Wir haben etwas geschafft: Wir hatten die wohl schwerste Krise der Nachkriegszeit zu meistern, denn mit dem russischen Überfall auf die Ukraine änderte sich alles. Deutschland ist zum größten Unterstützer der Ukraine in Europa geworden, hat mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge von dort bei uns aufgenommen und erstmals umfangreiche Rüstungslieferungen in ein Kriegsgebiet genehmigt. Die Bundeswehr haben wir mit einem Sondervermögen über 100 Milliarden Euro auf Vordermann gebracht und unsere Verteidigungsanstrengungen erhöht. Als die russischen Energielieferungen wegfielen, haben wir neue Energiequellen erschlossen und in Rekordzeit neue Flüssiggas-Terminals errichtet – um gut durch den Winter zu kommen, ohne dass jemand frieren oder die Industrieproduktion gedrosselt werden musste. Mit Milliarden-Summen haben wir die hohen Energiepreise abgedämpft. Wir haben die Inflation wieder weitgehend in den Griff gekriegt. All diese Leistungen wären besser sichtbar, wenn die Koalition nicht so oft, so lang und so laut öffentlich über ihre Entscheidungen gestritten hätte.
Zu lange?
Jedenfalls würde ich künftig früher öffentlich klarstellen, wo es lang geht und nicht erst am Ende das Ergebnis verkünden.
Die neue Regierung wird von der Union angeführt. Schadet das Deutschland?
Gewählt wird am 23. Februar. Und nicht Meinungsforscher oder Meinungsmacher entscheiden, sondern die Wählerinnen und Wähler. Das ist das Tolle an der Demokratie. Ich werbe dafür, dass die SPD die stärkste Kraft bleibt.
Kaum ein Mensch spricht in diesem Wahlkampf über Klima und Sozialsysteme. Auch die SPD ist auffällig ruhig. Warum schenkt die Politik den Menschen keinen reinen Wein ein?
Interessanterweise geht es in fast jeder meiner Veranstaltungen genau um diese Themen. Und das SPD-Wahlprogramm ist da auch sehr klar: Die hohen Ausgaben für die Ukraine und für unsere Sicherheit dürfen nicht zulasten von Rente, Infrastruktur, Gesundheit oder Pflege gehen. Beides muss gehen. Und wir wollen das Wachstum erhöhen. Dafür haben wir drei konkrete Ideen: Erstens wollen wir Investitionen von Unternehmen fördern. Wer in neue Anlagen investiert, erhält eine zehnprozentige Steuerprämie, einfach, unbürokratisch und zielgenau: den „Made-in-Germany“-Bonus. Als zweites wollen wir einen Deutschlandfonds auflegen, der privates und öffentliches Kapital sammelt, um den Ausbau unserer Stromleitungen und des Wärmenetzes sowie den kommunalen Wohnungsbau zu finanzieren. Und drittens wollen wir die Schuldenbremse modernisieren, um etwas mehr Spielraum im Haushalt zu schaffen. Und lassen Sie mich kurz daran erinnern: In dieser Wahlperiode haben wir das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht, das Wohngeld verbessert, den Mindestlohn deutlich angehoben, für einen Inflationsausgleich gesorgt und Rentner besser gestellt – da ist also richtig viel passiert.
Bei der Rente muss sich nichts ändern?
Die Rentengarantie läuft diesen Sommer aus. Mein Ziel ist es, das Rentenniveau für die nächsten Jahrzehnte festzuschreiben. Alle, die jeden Monat Beiträge zahlen, müssen sich darauf verlassen können. Wenn wir das nicht tun, sinkt das Rentenniveau. Wir können uns diese Rentengarantie leisten – trotz aller düsteren Prognosen damals sind die Beiträge heute geringer als zur Amtszeit von Helmut Kohl.
Warum?
Weil die Experten seinerzeit nicht einkalkuliert hatten, dass wir heute sechs Millionen mehr Erwerbstätige haben – viele von ihnen sind aus dem Ausland zu uns gekommen. Sie arbeiten hier und zahlen Beiträge für unsere Sozialversicherungen. Das wirkt sich aus.
Die Union wird nach Lage der Dinge auf die SPD und/oder die Grünen als Koalitionspartner angewiesen sein. Sind nach dem Merzschen Tabubruch unbelastete Koalitionsgespräche mit der SPD möglich?
Warten wir ab, wer vorne liegt. Am Ende soll es doch die SPD sein. Natürlich wird es eine Koalitionsregierung geben müssen, aber keine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten. Das muss gelten. Über Jahrzehnte hat es diesen Grundkonsens in Deutschland gegeben.
Wie glaubwürdig ist die Aussage von Friedrich Merz, keine Zusammenarbeit mit der AfD einzugehen?
Eine gute Frage, denn im November 2024 hat Herr Merz im Deutschen Bundestag hoch und heilig versprochen, keinerlei Anträge im Parlament zu stellen, die auf die Zustimmung der AfD angewiesen sind. Zweieinhalb Monate später hat er genau das gemacht. Insofern darf er sich nicht wundern, wenn man seinen Beteuerungen jetzt keinen Glauben mehr schenkt.
Viele sagen: Wenn die nächste Koalition jetzt nicht liefert, wird es 2029 brenzlig.
Die Demokratie in Deutschland ist stark und wir müssen uns für sie einsetzen. Erlauben Sie mir aber den Hinweis: Bei manchen, die diesen Satz mit 2029 jetzt sagen, habe ich das Gefühl: Da soll gleich der nächste neue Tabubruch vorbereitet werden.
Bereuen Sie selbst Fehler aus der Zeit der Ampel?
Wer sagt, er mache keine Fehler, dem sollte man wenig Vertrauen schenken. Wie schon gesagt, ich hätte früher auch öffentlich auf den Tisch hauen sollen.