arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

04.05.2009

Politik für behinderte Bürgerinnen und Bürger ist Bürgerrechtspolitik

Rede von Olaf Scholz anlässlich der Jahrestagung des Arbeitskreises der Schwerbehindertenvertretungen der Deutschen Automobilindustrie in Dingolfing 

 

Sehr geehrter Herr Grunewald,sehr geehrte Damen und Herren,

hier in Dingolfing spürt man die lange Tradition genauso wie die Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie an jeder Ecke.

Es ist die Stadt der Autowerke Glas, die im Nachkriegsdeutschland für viele den Traum der Mobilität erfüllt haben. Das Goggomobil bleibt legendär. BMW hat nach der Übernahme in den späten 60ern diese Tradition von Verlässlichkeit und Modernität im Autobau fortgesetzt. Hier wurde deutsche Industriegeschichte geschrieben.

Auch beinahe schon Tradition wenn auch eine bedeutend kürzere ist es, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu Jahrestreffen des Arbeitskreises der Schwerbehindertenvertretungen in der Automobilindustrie eingeladen wird. Letztes Jahr in Ingolstadt hat Herr Staatssekretär Lersch-Mense das Grußwort sprechen dürfen. Ich freue mich sehr, dass ich dieses Mal selbst zu Ihnen kommen konnte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Nachrichten- und Stimmungslage in unserem Land wird klar von der Finanz- und Wirtschaftskrise bestimmt. Man prophezeit uns den stärksten Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Geschichte der Bundesrepublik.

Auch die Bundesregierung hat letzte Woche ihre Prognosen aktualisiert. Wir brauchen eine vorläufige Arbeitsgrundlage. Allerdings wissen wir auch alle: Es ist in dieser Lage kaum möglich, seriöse Vorhersagen zu treffen. Selbst die Wirtschaftswissenschaftler die ehrlichen wenigstens sagen uns, dass keiner weiß, wie lange die globale Talfahrt dauern und wie heftig sie uns treffen wird. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung war so mutig, das auch offen auszusprechen und zunächst keine Prognose für das nächste Jahr vorzulegen.

Wir fahren auf Sicht und setzen alles daran, die Voraussetzungen für die bestmögliche Entwicklung zu schaffen.

Sicher ist aber: Die Krise ist längst in den Betrieben und bei den Beschäftigten angekommen. Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Automobilindustrie bekommen Sie die Auswirkungen unmittelbar mit. Viele Kolleginnen und Kollegen überall im Land bangen um ihre Jobs. Die Krise schürt neue Unsicherheiten. Die Bundesregierung stemmt sich dem Abschwung mit aller Kraft entgegen. Wir richten unsere ganze Anstrengung darauf, Beschäftigung zu erhalten. Das ist jetzt das Dringendste.

Wir tun dies mit massiven Investitionen in Infrastruktur und mit der Entlastung der unteren und mittleren Einkommen, um Nachfrage und Kaufkraft zu erhalten. Das wirkt. In der Automobilindustrie hat die Umweltprämie für große Entlastung gesorgt. Davon profitieren viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zwar nicht nur bei den Autoherstellern: Die Zulieferindustrie hat auch wieder mehr zu tun, genau wie Logistikunternehmen oder Versicherer. Die Verlängerung der Umweltprämie war daher die richtige Entscheidung.

Gleichzeitig helfen wir den Unternehmen auch unmittelbar, in der Flaute an ihren bewährten Leuten festzuhalten:

Wir haben die Möglichkeit der Kurzarbeit auf 18 Monate verlängert. Wir haben die Beantragung erleichtert und wir haben Kurzarbeit finanziell noch attraktiver gemacht. Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt in der Krise auch die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge während der Kurzarbeit für den Arbeitgeber.

Das haben wir mit verstärkten Qualifizierungsanstrengungen verbunden. Die Wirtschaft soll in der Krise klüger werden und die frei gewordene Zeit der Mitarbeiter für Weiterbildungen nutzen. Dann werden neben der Förderung der Qualifizierungskosten die Sozialbeiträge sogar voll übernommen. Das Angebot der Kurzarbeit wird angenommen und ist für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine stabile Brücke über die Flaute. Die weiteren Milliardenbeträge aus den Konjunkturpaketen beginnen jetzt, Schritt für Schritt ihre Wirkung zu entfalten.

Ich bin in ständigem Kontakt mit den Personalvorständen und Betriebsräten in den Unternehmen: Wir bleiben natürlich weiter im Gespräch und wo nötig, werden wir auch weiterhin schnell und flexibel auf die Entwicklungen reagieren. Es ist in dieser Situation wichtiger denn je, dass wir handlungsfähig bleiben.

Zum Beispiel ist eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate möglich, damit die Unternehmen Planungssicherheit haben. Außerdem kann man darüber nachdenken, nach ein paar Monaten Kurzarbeit auch die vollen Sozialversicherungsbeiträge zu übernehmen, so dass sich Kurzarbeit für die Betriebe in jedem Fall rechnet. So viele wie irgend möglich in Arbeit zu halten, hat jetzt oberste Priorität.

Aber gutes Krisenmanagement allein reicht nicht, wenn wir die nötigen Lehren aus dieser Krise ziehen wollen. Die Krise ist das Resultat gedankenlosen Strebens nach überzogenen Renditen. Sie wurde ermöglicht, weil an den Banken und in den Börsen die Kräfte des Marktes ohne jegliche Zügel walten konnten und sich am Ende gegen sich selbst gewendet haben aber auch gegen die Bürgerinnen und Bürger. Und die Schwächsten trifft es wie so oft zuerst.

Dieser Sieg des kurzfristigen Gewinns über den nachhaltigen Erfolg ist Ausdruck einer Haltung, bei der der Andere nicht zählt. Wir müssen dem Marktradikalismus, dem in den vergangenen Jahren immer selbstverständlicher der Mund geredet wurde, wieder die Idee des Gemeinsamen des Sozialen entgegenstellen.

Es ist die Solidarität, die unsere Gesellschaft erfolgreich gemacht hat und die uns auch heute wieder hilft, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Wir haben eine Tradition, wirtschaftliche Stärke aus sozialem Zusammenhalt zu schöpfen. Darauf müssen wir uns wieder besinnen. Und das geschieht bereits. In dieser schwierigen Situation zeigt sich, wie erfolgreich unser Modell der Mitbestimmung ist. Die Betriebsräte leisten überall im Land tolle Arbeit und ziehen mit den Geschäftsleitungen an einem Strang. Aus den Betriebsräten kommen die guten, kreativen Ideen. Um die Kraft, die aus dieser gelebten Solidarität wächst, beneiden uns viele. Die Krise ist so auch die Chance, das egoistische Gewinnstreben als Leitbild einiger zur Seite zu drängen und stattdessen Solidarität wieder klarer in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen.

Unser Land ist stark, weil es sozial ist. Die Politik muss helfen, dass das so bleibt. Wir wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und alle Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Jedem ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, ist alles andere als Minderheitenpolitik. Das gilt gerade auch, wenn man diejenigen ins Blickfeld nimmt, die auf besonders große Schwierigkeiten stoßen. Diese Hürden müssen im Sinne der gesamten Gesellschaft überwunden oder wo möglich besser noch aus dem Weg geräumt werden. Und zwar egal, ob sie durch körperliche Benachteiligungen, soziale Ausgrenzung oder durch Diskriminierungen aufgrund von Alter, Geschlecht oder anderem zustande kommen.

Allen Bürgerinnen und Bürgern die Mittel an die Hand zu geben, ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen zu können, ist Bürgerrechtspolitik im besten Sinne. Wie erfolgreich wir beim Ausgleich individueller Nachteile sind, ist ein Prüfstein, an dem sich unsere Sozial-, Arbeitsmarkt- und Gesellschaftspolitik messen lassen muss.

Meine Damen und Herren,

wir haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen die Teilhabe in allen Bereichen des Lebens behinderter Bürgerinnen und Bürger stetig verbessern.

Wer gemeinsame Ziele hat, der tut gut daran, miteinander zu reden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Deshalb bin ich froh, dass wir heute diese Gelegenheit zum Austausch haben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

gleiche Teilhabe bedeutet gleichen Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, darf es für uns keine Rolle spielen, welche Behinderung jemand hat, wie schwer diese ist und welche Ursachen dahinter stecken.

Behinderte Bürgerinnen und Bürger wollen und können ihre Kompetenzen weiter entwickeln und ihr Leben ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend selbst organisieren. Natürlich brauchen einige dabei Unterstützung. Die ist aber in der Vergangenheit allzu schnell in allumfassende Fürsorge und zuweilen in wohlmeinende Bevormundung umgeschlagen. Damit bewirkt man dann das Gegenteil von dem, was wir anstreben. Politik und Gesetze, die über die Köpfe derjenigen gemacht werden, die es angeht, waren schon immer der falsche Weg. Heute haben sie endgültig ausgedient. Es geht um Politik, die die berechtigten Ansprüche und die Rechte behinderter Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum aller Überlegungen stellt: Nur Selbstbestimmung und Gleichstellung ermöglichen echte Teilhabe.

Dieses überfällige Verständnis von Politik für und mit behinderten Bürgerinnen und Bürgern gibt Kraft und Dynamik. Seit 1998 ist dieser Bereich deshalb endlich richtig in Fahrt gekommen.

Es ist uns gelungen, in nur einem Jahrzehnt ein ganzes Politikfeld auf neue Beine zu stellen. Es hat sich vieles bewegt wir sind auf gutem Weg:
•    das Sozialgesetzbuch IX,
•    das Behindertengleichstellungsgesetz,
•    das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz,
•    eine ganze Reihe erfolgreicher Arbeitsmarktprogramme
•    und ganz aktuell seit Anfang dieses Jahres die Einführung der Unterstützten Beschäftigung.

Schon in dieser Aufzählung kommt zum Ausdruck: Ein zentraler Baustein gesellschaftlicher Teilhabe ist wo immer wir das hinbekommen die Integration in den Arbeitsmarkt.

Denn Arbeit hat eine zentrale Funktion in unserer Gesellschaft. Seit Menschen zusammenleben, haben sie ihre Gemeinschaft arbeitsteilig organisiert und so ihre Existenz gesichert. Aber Arbeit ist weit mehr als reiner Broterwerb. Sie ist mit Mühe und Anstrengung verbunden. Sie ermöglicht Stolz auf das Geleistete und bringt Anerkennung. Wer über Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe spricht, muss deshalb auch über Arbeit sprechen. Es ist also kein Zufall, dass die Integration in das Arbeitsleben ein Kernstück unserer Politik für behinderte Bürgerinnen und Bürger ist.

Wir sind noch längst nicht am Ziel, aber es kann sich sehen lassen, was hier in den letzten Jahren in Bewegung gekommen ist:

•    Die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Bürgerinnen und Bürger hat sich in den letzten Jahren langsam aber kontinuierlich verbessert.

•    Die Zahl der Arbeitgeber, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen und keinen einzigen schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen, ist seit 2003 stark gesunken: Während in 2003 fast 40.000 Arbeitgeber ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkamen, waren dies im Jahre 2006 noch rund 30.000. Das ist ein beachtlicher Rückgang von 22,5 Prozent, der zeigt, dass auch in vielen Unternehmen ein Umdenken stattfindet.

Das System von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe wirkt. Die Zahlen zeigen uns auch, dass die weiteren Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben ihre Wirkung nicht verfehlen.

Meine Damen und Herren,

Arbeit nimmt in unserem Leben einen breiten Raum ein. Wer heute mit 16 eine Lehre beginnt, wird bis zu fünf Jahrzehnte im Berufsleben stehen. Wir müssen uns deshalb Gedanken machen, wie wir das Arbeitsleben organisieren, damit das gut möglich ist.

Wenn wir uns Gedanken über die Integration in den Arbeitsmarkt machen, ist es zu kurz gesprungen, nur über Chancen für diejenigen zu sprechen, die schon mit körperlichen Einschränkungen leben müssen. Das ist unverzichtbar. Genauso essenziell ist es, schon früher anzusetzen. Ob jemand auch in späteren Jahren noch körperlich fit und leistungsfähig ist, entscheidet sich auch mit den Arbeitsbedingungen, die er oder sie mit 20 vorfindet. Es liegt natürlich vor allem im Interesse der Beschäftigten, wenn wir Arbeit so organisieren, dass sie am Ende ihres Berufslebens nicht auch am Ende ihrer körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit stehen. Es liegt aber eben auch im Interesse der Unternehmen. Sie brauchen die Älteren im Betrieb immer dringender, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ökonomisches Denken und soziales Handeln schließen sich nicht aus. Sie bedingen einander. Ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen lebt von seinen gesunden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Bis zum Jahr 2050 wird die deutsche Bevölkerung von heute über 82 Mio. auf ca. 75 Mio. zurückgehen. Der Anteil der Älteren ab 60 Jahren wird bis dahin von heute etwa 24 Prozent auf rund 38 Prozent gestiegen sein. Erfahrene und gut ausgebildete Fachkräfte sind unser größter Standortvorteil. Angesichts der Herausforderungen der demographischen Veränderung wird klar, dass wirtschaftlicher Erfolg nur schwer zu haben sein wird, wenn es uns nicht gelingt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst lange in den Betrieben zu halten. Damit das gelingt, brauchen wir in möglichst allen Unternehmen ein kluges Gesundheits- und Eingliederungsmanagement.

Konsequente betriebliche Gesundheitsförderung setzt früh im Arbeitsleben an. Sie bringt dann eine klare Win-win-Situation, die sich für alle lohnt.

Meine Damen und Herren,

auch mit den besten Präventionsmaßnahmen ist man nicht vor jeder Unbill des Lebens gefeit. Uns alle bewegt auch die Frage, wie wir erkrankte Kolleginnen und Kollegen wieder in den Arbeitsalltag zurückbringen. Verrentung oder das Abschieben in die Arbeitslosigkeit können keine Lösung sein. Das eröffnet keine Perspektiven für die Betroffenen. Außerdem brauchen wir diese Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Da hilft das Betriebliche Eingliederungsmanagement oder kurz BEM , dessen fünfjähriges Bestehen wir in diesen Tagen feiern können.

Schon seit 2001 sind Arbeitgeber verpflichtet, frühzeitig einzugreifen, wenn bei schwerbehinderten Beschäftigten Schwierigkeiten auftauchen, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen könnten. Einen noch wichtigeren Schritt sind wir zum 1. Mai 2004 gegangen: Wir haben das Eingliederungsmanagement für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtend gemacht.  Wird jemand langfristig oder wiederholt arbeitsunfähig, muss gemeinsam nach Lösungen gesucht werden, wie zum Beispiel die Arbeitssituation und damit auch der Gesundheitszustand des Kollegen oder der Kollegin verbessert werden kann.

Auch beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement geht es also vor allem um Teilhabe am Arbeitsleben. Dank der guten Erfahrungen, die in engagierten Unternehmen gemacht wurden, steigt auch die öffentliche Aufmerksamkeit für das Eingliederungsmanagement. Wirtschaftliche Anreize und rechtliche Pflichten zeigen auch hier Wirkung. Vor Kurzem hat sich auch das Bundesarbeitsgericht klar zur rechtlichen Bedeutung des Eingliederungsmanagements im Rahmen des Kündigungsschutzes geäußert.

Wir müssen uns jetzt darum kümmern, die Umsetzung auch in kleineren und mittleren Betrieben voranzutreiben.

Unterstützt werden unsere Anstrengungen dabei durch verschiedene Forschungsprojekte. Hier wurden und werden die Bedingungen und Voraussetzungen einer erfolgreichen Umsetzung untersucht und geeignete Instrumente von Gesprächsleitfäden über Musterbetriebsvereinbarungen entwickelt.

Es tut sich also etwas das zeigt sich auch daran, dass die Beschäftigungsquote der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland zwischen 1998 und heute von 38 Prozent auf über 52 Prozent gestiegen ist. Deutschland hat damit die europäischen Zielvorgaben der Lissabon-Strategie, die eine Beschäftigungsquote von 50 Prozent bis 2010 vorsieht, bereits heute erreicht.

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist Bestandteil unserer Initiative job Jobs ohne Barrieren. Die Initiative job wurde im Jahr 2004 ins Leben gerufen, um mehr behinderte und schwerbehinderte Bürgerinnen und Bürger ins Arbeitsleben zu integrieren. In Zusammenarbeit mit mehreren großen Unternehmen wollen wir in verschiedenen Projekten Ausbildung und Beschäftigung, aber auch betriebliche Prävention stärken. Die Initiative ist sehr gut angelaufen. So gut, dass wir sie fortsetzen bis ins Jahr 2010 und zusätzlich noch das Arbeitsmarktprogramm Job4000 auf die Beine gestellt haben. Dessen Ziel ist es, zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze vor allem für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen.

Eingliederungsmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung sind wesentliche Bausteine, um Teilhabechancen behinderter und schwerbehinderter Bürgerinnen und Bürger im Arbeitsleben zu verbessern. Im Idealfall schaffen Integrationsvereinbarungen für den jeweiligen Betrieb hierfür ein maßgeschneidertes Verfahren. Auch die Verzahnung mit Strukturen und Verfahren der Arbeitssicherheit, der Arbeitsplatzgestaltung und der betrieblichen Gesundheitsförderung wird am besten betriebsindividuell in einer Integrationsvereinbarung gewährleistet.

Die deutsche Automobilindustrie hat sich mit Ihrer Hilfe und Ihrem Ansporn schon früh um die Förderung der Beschäftigung schwerbehinderter Bürgerinnen und Bürger bemüht. Auf Initiative der Schwerbehindertenvertretungen, und hierbei an erster Stelle des Arbeitskreises, sind in allen großen Unternehmen Integrationsvereinbarungen geschlossen worden.

Meine Damen und Herren,

nicht nur zu Hause, auch international kommen die Dinge ins Rollen. Deutschland hat als einer der ersten Staaten die UN-Behindertenkonvention unterzeichnet und als sechster EU-Mitgliedsstaat Ende Februar diesen Jahres den Ratifikationsprozess abgeschlossen. Damit gehören wir zu den Vorreiterstaaten in der Europäischen Union. Die Konvention läutet einen echten Paradigmenwechsel ein. Ihr Ausgangspunkt sind behinderte Menschen als gleichberechtigte Träger bürgerlicher und sozialer Rechte. Der Staatsbürger steht im Mittelpunkt und nicht mehr der bloße Empfänger von Sozialleistungen.

Wir nehmen die Herausforderung an, vor die uns das Übereinkommen stellt: Es gilt, alle wichtigen gesellschaftlichen Bereiche aus der Perspektive behinderter Bürgerinnen und Bürger zu durchleuchten und Teilhabe konsequent sicherzustellen. Der gesellschaftliche Wandel, der dafür nötig wird, kann allerdings nicht von der Politik allein bewirkt werden. Sie hat ohne Zweifel eine wichtige Rolle zu spielen. Erfolgreich werden wir jedoch nur sein, wenn das Umdenken von vielen Akteuren getragen und vorangebracht wird. Die Ratifizierung kann deshalb nicht das Ende der Fahnenstange sein. Sie ist der erste Schritt der Umsetzung des Geistes und der Buchstaben der Konvention in den nächsten Jahren. Die Ratifizierung ist ein weiteres Signal zum Aufbruch.

Mit dem Gesetz zur Unterstützten Beschäftigung, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist, haben wir in diesem Sinne ein weiteres ganz praktisches Zeichen gesetzt. Die Konvention bestätigt uns auf diesem Weg. Wir unterstützen damit die Beschäftigung behinderter Bürgerinnen und Bürger mit besonderem Unterstützungsbedarf auf dem regulären Arbeitsmarkt außerhalb von Werkstätten. Sie bekommen die notwendige Hilfe, um im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Es ist ein pragmatisches Beispiel, wie der politische Geist des VN-Abkommens im Alltag wirkt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind natürlich umso größer, je besser ein Arbeitnehmer qualifiziert ist. Das ist eine Binsenweisheit. Mindestens genauso wichtig wie der Zugang zum Arbeitsmarkt, sind deswegen gute und gleiche Chancen auf Bildung und Ausbildung. Zugang zu Bildung ist ein Menschenrecht. Wir wollen daher gute Bildung von Anfang an. Das fängt bereits mit der Zahl und der Qualität von Betreuungsangeboten in Kindergärten und Krippen an, geht mit ausreichender Unterstützung während der Schulzeit weiter.

Und es endet auch nicht beim Übergang in die Ausbildung oder die Hochschule. Bildung bleibt ein Leben lang wichtig. Deswegen ist es ein guter Erfolg, dass wir einen Rechtsanspruch auf Förderung beim Nachholen des Hauptschulabschlusses durchgesetzt haben und zwar ein Leben lang. Unsere soziale Marktwirtschaft lebt davon, dass sie Chancen gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir haben in den letzten Jahren manches erreicht.

Die Beschäftigungssituation behinderter Bürgerinnen und Bürger hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend verbessert; hierauf habe ich eben hingewiesen. Aber und das gehört zur ehrlichen Darstellung der Situation dazu der Abbau der Arbeitslosigkeit von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen hat sich langsamer als auf dem Arbeitsmarkt insgesamt vollzogen.

Die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden zu steigender Arbeitslosigkeit führen, auch wenn wir mit der Kurzarbeit massiv dagegen ankämpfen. Das wird auch für die Beschäftigung behinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ohne Folgen bleiben. Wir müssen weiter daran arbeiten, die Beschäftigungssituation behinderter Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Und dabei sind wir auch auf Ihre Hilfe angewiesen. Sie sind die Experten, wenn es um Förderung und Sicherung der Beschäftigung von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen geht. Die betrieblichen Interessenvertretungen und bei diesem Thema natürlich allen voran die Schwerbehindertenvertretungen können gemeinsam mit den Arbeitgebern viel bewegen.

Der Wert Ihres Einsatzes vor Ort ist für die Beschäftigten nicht zu ersetzen. Sie engagieren sich ehrenamtlich und tagtäglich mit vollem Einsatz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben.

Das ist keine Selbstverständlichkeit und doch das Lebenselixier einer demokratischen Gesellschaft. Bleiben Sie dran! Lassen Sie bei diesem Einsatz für Ihre Kolleginnen und Kollegen auch in Zukunft nicht nach! Es wird sich lohnen.

Meine Damen und Herren,

ich wünsche uns in diesem Sinne im Anschluss eine interessante Podiumsdiskussion und Ihnen für die weitere Tagung ein gutes Gelingen.