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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
13.09.2023 | Berlin

Rede anlässlich der Gala-Veranstaltung zum 60-jährigen Bestehen der Bundesliga

Sehr geehrter Herr Watzke,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Fußballer der ersten Stunde der Bundesliga – und der zweiten und aller folgenden,
liebe Fußballerinnen, die Sie inzwischen mit Erfolg Ihre eigene Bundesliga etabliert haben,

sehr gern bin ich bei Ihnen hier im Tempodrom in Kreuzberg und spreche über ein Thema, das die Nation um alle Lagerfeuer versammeln kann, wie wir eben schon gehört haben – immer noch wie kaum ein zweites: 60 Jahre Fußball-Bundesliga.

Ganz aktuell freut es mich, dass die neue Saison, die 61., bisher nach drei Spieltagen schon drei verschiedene Tabellenführer hatte. Vielleicht stimmt es ja gar nicht, was eine Tageszeitung hier in Berlin neulich befürchtete: dass die Bundesliga am Kipppunkt sei, weil ja immer derselbe Verein Meister werde – immer! Es heißt, die Generation TikTok interessiere sich nicht mehr für Vereine, Mannschaften oder die Bundesliga, sondern nur für individuelle Stars wie Messi oder Ronaldo. Und sowieso leide die Bundesliga unter dem Altwerden ihres Publikums.

Welches Kraut dagegen gewachsen ist, welche Verjüngungskur, welche Modernisierung der deutsche Profifußball braucht, das wissen Sie am besten als Verantwortliche und Macher der deutschen Fußballliga im Zusammenspiel mit dem Deutschen Fußballbund und den Aktiven und den Fans. Oder sollte ich das eher als offene Frage in den Raum stellen, die neue Antworten verlangt?

Vorerst bin ich aber noch beim FC Bayern und seinen 17 Rivalen. Vielleicht setze ich mich mit dem folgenden Satz schon in die Nesseln, aber ich sage ihn doch: Aus der Hauptstadt unserer Republik gönne ich von Herzen allen den Titel, die sich ihn durch gute Arbeit ihn verdienen – auf dem Platz, beim Einbinden des Publikums und natürlich auch beim Umgang mit den Finanzen. Ein paar Verzierungen, schöne Kombinationen, Traumpässe, wie sie früher genannt wurden, sind auf dem Platz gern gesehen – ökonomische Übersteiger sollte man sich gut überlegen.

Was Berlin betrifft, so hat die Stadt im Fußball ein Alleinstellungsmerkmal verloren. Zuletzt war sie die einzige noch mit zwei Vereinen in der Ersten Bundesliga. Das stand ihr als Hauptstadt ja eigentlich ganz gut zu Gesicht. Aber ist es nicht bemerkenswert, dass nun alle Klubs aus 18 verschiedenen Orten unseres vielfältigen Landes kommen? Vom hohen Norden bis in den Schwarzwald, vom tiefen Westen bis nach Sachsen! Wo in Europa gibt es das sonst?

Nicht nur die verschiedenen Regionen sind in der Bundesliga vertreten. Mehr als früher sind auch die Vereine oder Kapitalgesellschaften von vielfältiger Gestalt. Wir sehen traditionelle Vereinsstrukturen in Konkurrenz mit Marketingprojekten, die, so sagen Kritiker, der Seele des Spiels keinen wirklichen Platz mehr ließen.

Wir sehen Klubs und Fangemeinden, die unverdrossen dem berühmten Satz folgen: „… aber entscheidend is‘ auf‘m Platz.“ Aber wir sehen auch neue Konzepte, mit denen versucht wird, Fußballbegeisterung ausdrücklich in einen sozialen Zusammenhang zu bringen, Integration und Diversität als Werte hervorzuheben, auch politische Bekenntnisse zu äußern. Nicht neu – schon lange nicht mehr – ist das starke und erfreuliche Standing, das sich der Frauen- und Mädchenfußball erspielt und erkämpft hat. Dass gleicher Lohn für gleiche Tore übrigens auf der professionellen Ebene eher früher als später der Standard werden sollte, das sehe ich weiterhin so.

Überall im Profisport erleben wir den Zwang, wirtschaftlich den Kopf oben zu behalten, sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen und sich dabei Vermarktungsstrategien auszudenken, die das Ganze tragfähig machen. Aber wir sehen auch Vereine, die mehr Abstand zum „money go around“ zu halten versuchen und die – ich zitiere eine andere Tageszeitung – mit kontinuierlich guter und unaufgeregter Arbeit gute Geschichten schreiben. Ich sehe das alles mit Interesse, halte mich mit parteilichen Äußerungen aber zurück. Dass ich als Bürgermeister einer schönen und großen Stadt zwei Mal zu Relegationsspielen angereist bin, war natürlich Ehrensache.

Die Bundesliga der frühen Jahre hatte sehr schnell ihre glanzvollen Auftritte. Aber das Publikum blieb nach der ersten Begeisterung kritisch. Und bevor sie richtig aufgehübscht war, die Liga, musste noch manches ausgebeult, nötigenfalls überspachtelt werden, Stichwort: der Bestechungsskandal. Dieser erforderte 1971 und in den Folgejahren viel Arbeit, nachdem schon 1965 versucht worden war, den ersten Skandal per Lizenzentzug auszubügeln.

Viel Aufklärungsarbeit wurde geleistet, Vereine und Spieler gelobten Besserung, aber die eigentliche Wende kam auf dem Rasen. Bayern kontra Gladbach, das Dauerduell, erwies sich als ungleich spannender als der Skandal. Es wurde an frühere Europacup-Erfolge angeknüpft. Und dann kam die Erfolgszeit der Nationalelf, die natürlich von der Bundesliga und ihrer Leistungskonzentration profitierte. Der in beiden damaligen Teilen Deutschlands sehr verehrte Sachse Helmut Schön formte eine Mannschaft, die europaweit bewundert wurde und Titel gewann. Es muss nach dem ersten Sieg in Wembley gewesen sein, als der Buchtitel berühmt wurde „Netzer kam aus der Tiefe des Raumes.“ Was das genau bedeutete, wussten anfangs vielleicht nur Hennes Weisweiler, sein Trainer, und Günter Netzer selbst. Aber die anderen ahnten, dass der Fußball auf einer höheren Ebene, Fußball auf englischem Rasen ohne Maulwurfshügel, kurz gesagt, dass der Fußball in einer anderen Liga war.

Trotzdem hat es bis 1995 gedauert, also volle 30 Jahre, bis die erste Zuschauerbestmarke übertroffen wurde. Erst da erwiesen sich frühere Unkenrufe endgültig als falsch, zum Beispiel, dass zu viel Fußball im Fernsehen nachteilig und auf Dauer ruinös sein würde. Das wurde diskutiert. Im Gegenteil: Die Konkurrenz verschiedener TV-Anbieter ab den 1990ern hat der Bundesliga einen neuen Schub gegeben, trotz Rückschlägen und Krisen.

Auch die Rückkehr zahlreicher Topspieler aus Italien und anderen Ländern und vor allem die Vereinigung mit dem ehemaligen DDR-Fußball taten der Bundesliga gut. Und über Zuschauerflauten – wie noch Ende der 1980er – redet heute niemand mehr.

Bei dem Wandel hat sich eines aber nie wirklich geändert: Der Amateurfußball blieb die Basis und das ist er bis heute, von der F-Jugend bis zu den Super-Senioren, Boys and Girls. Aber für die Hobbyspielerinnen und Hobbyspieler war es möglich geworden, sich an einem Spielniveau zu orientieren, das auch das eigene Kicken beflügelte. Einen Traumpass zu spielen wie der schon zitierte Günter Netzer, das war fast genauso schön, wie ein Tor zu schießen. Oder eine Parade zu zeigen wie Merle Frohms.

Was also ist der Fußball der Zukunft, und wie sieht der Profifußball der Bundesliga der Zukunft aus? Zwei Fragen, die wohl unterschiedliche Antworten erfordern, und die Antworten müssen nicht von mir kommen, aber sie müssen zusammenpassen.

Sport ganz allgemein hat schon immer wichtige soziale Aufgaben gehabt und viele davon erfüllt er aus sich heraus. Denn Sport ist mittendrin in der Gesellschaft und kann integrieren. Sport steht auch für Gegensätze, für Freundschaft und Abgrenzung, für ehrlichen Wettkampf und Doping, für Spontaneität und Taktikzwänge, für Spaß und Kommerz. Er ist nicht besser und nicht schlechter als sein Umfeld, als wir. Aber er lässt uns nach denselben Regeln weiterkämpfen, egal woher wir kommen, was wir glauben, wie wir aussehen, ob wir den Schiedsrichter mögen, ob wir die Produkte kaufen, für die auf den Trikots geworben wird. Sport gibt jeder und jedem die Chance, sich durch Leistung zu bewerben und zu beweisen und durch Teamfähigkeit Erfolg zu haben. Sport bringt junge Leute von der Straße und reißt alte vom Sofa. Sport integriert. Er tut es wirklich.

Ich glaube, dass vieles davon auch für den Profibereich gilt und er darauf bedacht sein muss, seiner Vorbildfunktion gerecht zu werden. Da gehört Respekt gegenüber denen dazu, die das Ganze tragen und letztlich auch die Millionenabschlüsse erst möglich machen. Und das sind die Fans. Es gibt Kritiker intern wie draußen. Es gibt Vorstellungen von einem besser in die Zeit passenden Fußball, einem Fußball, wo Superstars nicht für Geld vor leeren Rängen kicken. Wie dieser Fußball sein soll, ist ein weites Feld. Es reicht von der Vorstellung von noch passgenauerer Kommerzialisierung bis hin zum Gegenteil. Reclaim the game, zu Deutsch: Holt euch das Spiel zurück.- Zurück wohin? Oder: Weiter wohin?

Sie merken schon: Ich überlasse es zum Schluss gern der Fachwelt und den Fans, diese Diskussionen weiterzuführen. Verfolgen werde ich sie – von der Tribüne, als interessierter Beobachter. Schönen Dank und Ihnen allen einen wundervollen Abend!