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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
24.10.2023 | Berlin

Rede anlässlich des Gewerkschaftstages der IG-Metall

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

schönen Dank für die Einladung und die Gelegenheit, ein paar Worte zu sprechen und das genau auf diesem Kongress zu tun. „Zeit für Zukunft“ – ich finde, das ist ein Motto, das man in dieser Zeit nicht klüger hat wählen können; denn wir sind ja von vielen Anforderungen herausgefordert, die erfüllt werden müssen, damit wir eine gute Zukunft bekommen.

Aber wir sind auch herausgefordert von einer ganzen Reihe von Kräften und politischen Einflussnahmen, die versuchen, eigentlich die Zukunft zu verbauen und in die Vergangenheit zurückzugehen. Ich bin fest davon überzeugt: Keine Gesellschaft kann gut funktionieren, die nicht an eine eigene Zukunft glaubt, die nicht davon überzeugt ist, dass es besser wird und dass man das durch das, was wir tun, auch erreichen kann. Deshalb ist „Zeit für Zukunft“ genau das, was wir in Deutschland brauchen. Danke, dass diese wichtige Industriegewerkschaft das für sich als zentrales Thema gefunden hat.

Selbstverständlich geht es, wenn wir über „Zeit für Zukunft“ reden, auch um die industrielle Zukunft unseres Landes. Wir sind ein Industrieland. Viele, die hier versammelt sind, haben sich ihr ganzes Leben lang um die Weiterentwicklung unserer Industrie gekümmert. Diese Gewerkschaft und vieles andere, was in diesem Land entstanden ist, wäre ohne die industrielle Modernisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert nicht möglich gewesen. Es geht darum, jetzt dafür zu sorgen, dass es eine industrielle Zukunft für Deutschland und für Europa auch im 21. Jahrhundert gibt.

Bevor ich zu all den Fragen komme, die uns miteinander bewegen und über die wir hier auch miteinander diskutieren können, will ich erst einmal sagen: Herzlichen Glückwunsch, Christiane Benner, zur Wahl! Das ist ein gutes Ergebnis für dich und auch für all die anderen, die hier gewählt worden sind. Das sind beeindruckende Zeugnisse des Vertrauens. Aber es ist auch etwas Besonderes, dass nach so langer Zeit das erste Mal eine Frau an der Spitze dieser Organisation steht. Herzlichen Glückwunsch dazu!

Jörg Hofmann, ich möchte dir ausdrücklich noch einmal für die Arbeit danken, die du in den letzten Jahren für die Gesellschaft, für dieses Land, für die Gewerkschaft und für die Mitglieder der Gewerkschaft geleistet hast, aber auch für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die wir in den letzten Jahren hatten. Da waren ja manche Dinge zu bewältigen und zu lösen, etwa wenn es um die Zukunft der Automobilindustrie ging oder ganz konkret – jetzt, als die Energiepreise explodiert sind – um die Frage, wie wir mit Kompensationen arbeiten und auch dafür Sorge tragen können, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit der Möglichkeit einer Sonderzahlung, die steuer- und abgabenfrei erfolgen kann, durch die Zeit kommen. Das alles haben wir gemeinsam vorangebracht. Deshalb kann ich wirklich sagen: Du hast dich sehr verdient gemacht. Aber ich bin auch dankbar für die freundschaftliche Zusammenarbeit.

Ich habe eingangs über die Zukunft der Industrie gesprochen und gesagt, wie wichtig sie für uns ist; das will ich sehr klar sagen. Das bedeutet, dass wir die Lage richtig verstehen müssen. Denn tatsächlich hat sich viel geändert: – jeder kann das für sich beschreiben –: Ob es nun die Digitalisierung ist oder das, was jetzt neu auf uns zukommt mit der künstlichen Intelligenz und all den Möglichkeiten, aber auch den Gefahren, die damit verbunden sind.

Wir haben erlebt, was angesichts der Notwendigkeit, auf eine Form der industriellen Produktion umzusteigen, die ohne fossile Ressourcen auskommt, passiert. Das ist wahrscheinlich die allerwichtigste industrielle Modernisierung. Schaffen wir es in Deutschland, in so kurzer Zeit, wie sich die Welt das vorgenommen hat, nämlich bis zur Mitte dieses Jahrhunderts, bis 2045, ein starkes Industrieland zu sein und gleichzeitig CO2-neutral zu wirtschaften? – Diese Frage treibt viele um. Ich bin sicher, dass sie jeden Tag irgendwo jemanden und auch alle, die auf diesem Kongress versammelt sind, bewegt.

Wir sind in die richtige Straße eingebogen. Aber das ist eine neue Straße, die bisher nicht benutzt worden ist. Das ist eine große Anstrengung. Wer sich das erklären will, muss sich an die große industrielle Modernisierung Ende des 19. und auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts zurückerinnern, von der ich schon gesprochen habe. Damals sind in kurzer Zeit große Fabriken entstanden, wo vorher nichts stand. Tausende Arbeitnehmer haben plötzlich dort gearbeitet und sind aus vielen Teilen Deutschlands und manchmal auch Europas dahingekommen, um für sich und ihre Familien eine gute Zukunft zu entwickeln. Das ist seinerzeit von einem Tag auf den anderen passiert.

Jetzt stehen wir vor einem Umbruch, der nicht kleiner ist. Alles das, was wir in 250 Jahren Industriegeschichte erlebt haben, beruhte auf der Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Wenn das jetzt in ganz kurzer Zeit zu Ende gehen soll, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Fragen stellen und viele auch nicht sicher sind, ob das wirklich gut geht. Wenn man sich als Land, als Europa, als Welt auf diesen Weg macht, dann ist es bedeutsam, dass man an die Zukunft glaubt und dass man konkrete Schritte beschreibt, die dafür erforderlich sind.

Ich will den ersten und wichtigsten Schritt beschreiben, über den hier auch gesprochen worden ist, nämlich: Wie bekommen wir die Energieproduktion in Deutschland billig, bezahlbar und ausreichend hin? – Das heißt auch, dass wir über ganz konkrete Dinge in diesem Land sprechen müssen: Wie schaffen wir es, dass es nicht nur bei einem Spruch bleibt, wenn man sagt, 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen? – Denn wir wissen: Angesichts der industriellen Veränderungen brauchen wir dann sogar mehr Strom als heute. Der muss dann zu 80 Prozent aus Erneuerbaren kommen und bezahlbar sein.

Wenn man sich über Unsicherheiten Gedanken macht, dann hat das natürlich etwas damit zu tun, dass alle gemerkt haben, was wir getan haben: Wir sind aus der Atomenergie ausgestiegen, zur Sicherheit sogar zweimal, nämlich einmal Anfang der Jahrtausendwende und dann noch einmal nach dem Fukushima-Unglück unter einer schwarz-gelben Regierung der Kanzlerin Merkel, die vorher wieder eingestiegen war. Damit das eine schöne Geschichte gibt, haben wir am Ende noch drei, vier Monate drangehängt. So wird der Ausstieg aus der Atomenergie insgesamt ein großes Drama.

Wir haben uns entschieden und per Gesetz geregelt, dass wir bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen. Aber was wir wirklich nicht in dem gleichen Tempo und nicht mit der gleichen Konsequenz vorangetrieben haben, waren die Fragen: Wo steigen wir eigentlich ein? Bekommen wir das mit dem Ausbau der Erneuerbaren hin? Bekommen wir das mit dem Ausbau der Stromnetze hin? Wie können wir gewährleisten – jeder, der etwas von Industrie versteht, weiß, wie wichtig das ist –, dass wir 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche Strom verfügbar haben, der dann aus diesen Quellen kommt? – Das ist, wenn Wind und Sonne dabei eine Rolle spielen, nicht so selbstverständlich wie bei den Ressourcen, die bisher genutzt worden sind.

Alle dazu notwendigen Entscheidungen sind immer wieder vertagt worden. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass sie getroffen worden sind, dass wir es hinbekommen werden, diesen Ausbau tatsächlich zu erreichen, weil wir Gesetze geändert haben, weil wir Ziele geändert haben und weil wir schon jetzt sehen, dass das Tempo erreicht worden ist, das man dazu braucht.

Wir brauchen fünf bis sechs neue Windkraftanlagen an Land pro Tag, damit das bis 2030 etwas wird, und noch viel Offshore. Wir brauchen 30, 40 Fußballfelder Solaranlagen pro Tag, damit das klappt. Letzteres haben wir schon fast erreicht. 30 am Tag ist das, was gegenwärtig in Deutschland stattfindet. Bei den Windkraftanlagen an Land sind wir jetzt bei den Genehmigungen in dieser Größenordnung. Aber da waren wir lange auch nicht. Insofern ist das ein großer Fortschritt.

Natürlich gibt es die von jedem zu besichtigenden furchtbaren Verzögerungen beim Ausbau der Stromnetze. Das alles ist hinter der Zeit. Darüber macht man sich als Betriebsrat, als Gewerkschafterin und Gewerkschafter, als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer und auch als Unternehmensvertreter schon Sorgen. Wenn ich jetzt darauf setze, dass das alles kommt, es aber nicht da ist, wenn meine Investitionen getätigt sind, dann haben wir ein Problem, auch die Unternehmen.

Aus diesem Grund ist das Tempo so wichtig, dass wir das gemacht haben, dass wir unsere Chancen genutzt haben und dass wir jetzt Gesetze auf den Weg gebracht haben, die sogar schon das Stromnetz des Jahres 2045 planen und festlegen und die Leitungen, die man dazu braucht, schon jetzt auf den Weg bringen, damit es nicht wieder zu den Verzögerungen wie in der Vergangenheit kommt.

Ich will noch etwas über das Stromnetz sagen. 24/7 habe ich gerade gesagt, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Es wird nicht nur bei den Anlagen und den Stromnetzen bleiben. Wir müssen auch dafür sorgen, dass es Kraftwerke gibt, die stabil produzieren in dem Augenblick, in dem gerade für den Moment nicht genug Strom zur Verfügung steht. Das heißt, auch jetzt müssen wir Entscheidungen über die Entwicklung, den Bau und die Investitionen solcher Kraftwerke treffen.

Ein anderes Thema – genauso wichtig für die künftige industrielle Struktur unseres Landes –: Gelingt es eigentlich, dass es, wenn alle auf Wasserstoff setzen wollen, auch genügend Wasserstoff gibt und er auch bei den Leuten ankommt? Deshalb werden wir jetzt – der Plan ist, noch in diesem Jahr – die Entscheidung für eine 20 Milliarden Euro, vielleicht noch mehr, teure Struktur eines Wasserstoffnetzes in Deutschland treffen. Das muss privatwirtschaftlich gestemmt werden. Man wird zehn Jahre lang kein Geld damit verdienen, jedenfalls nicht mit dem, was da durchfließt. Aber es muss ja da sein, weil sonst niemand darauf setzen kann, dass diese Dinge auch tatsächlich funktionieren.

Man sieht: Wir haben diese große infrastrukturelle Modernisierung im Blick, die dazu notwendig ist. Wir werden das machen, damit sich alle darauf verlassen können: Es wird in Deutschland auch um die Mitte dieses Jahrhunderts gut bezahlte, global wettbewerbsfähige Industriearbeitsplätze geben. Aber sie können zurückgreifen auf Strom aus erneuerbaren Quellen und auf Wasserstoff, den wir auch immer mehr aus erneuerbaren Quellen herstellen.

Wir brauchen natürlich auch eine Lösung für die gegenwärtige Situation. Ich will erst einmal über das sprechen, was uns gelungen ist. Dazu zählt nicht nur die Strompreiskompensation, die wir für private Verbraucher und Unternehmen möglich gemacht und wofür wir zig Milliarden ins Fenster gestellt haben. Dazu zählt auch, dass wir es geschafft haben, die Gasversorgung Deutschlands zu gewährleisten.

Niemand hat gedacht, dass das gelingt. Ich jedenfalls erinnere mich noch ziemlich genau an das, was ich im Herbst des letzten Jahres alles gelesen habe, wie es uns hierzulande und der ganzen Welt gehen würde – einige auch mit einer gewissen Häme, viele mit großer Sorge, weil Deutschlands Wirtschaft zumindest mit der europäischen und fast in jedes Land hinein verflochten ist. Auch ein Automobilzulieferer in Tschechien oder Rumänien hat Angst, wenn es hier schlecht läuft; das muss man ganz klar dazusagen. Insofern ist das ein großes Thema gewesen.

Aber wir haben es hinbekommen: mit mehr Gas aus Norwegen, mit Gas aus den westeuropäischen Häfen, mit dem Ausbau unseres Gasnetzes, an dem wir dran sind, und mit neuen Terminals an den norddeutschen Küsten. Das hat geklappt. Wir sind durch den Winter gekommen. Wir bauen diese Strukturen weiter aus, obwohl wir ja zur Mitte des Jahrhunderts nicht mehr auf fossile Ressourcen angewiesen sein wollen.

Ich will ausdrücklich sagen: Das ist auch notwendig. Denn solange wir zum Beispiel Gas benötigen, ist die Frage, ob es in genügendem Umfang und auch auf preiswerte Weise nach Deutschland gelangen kann, zentral dafür, welche Preise wir bezahlen. Wenn wir die Infrastrukturen weiterentwickeln, dann ist das genau der Weg, den wir jetzt beschreiten müssen, damit wir die Preise herunterbekommen.

Nur einmal zur Verdeutlichung: 180 Milliarden Kubikmeter Gas sind von Russland nach Europa exportiert worden. Davon kommen jetzt noch 40, 50 in Südosteuropa an. Wenn jetzt ganz Europa, auch Deutschland, plötzlich sagt: „Wir kaufen anderswo in der Welt Gas ein“, das da ja nicht gerade zum Abholen vorgesehen war, dann kann man sich vorstellen, warum die Preise im letzten Jahr so explodiert sind. Das ist auf die ganze Welt zugekommen und hat überall die Preise angehoben.

Dass wir jetzt mit allem, was wir gemacht haben, so weit herunter sind, ist ein unglaublicher Erfolg. Aber wir dürfen nicht nachlassen; denn solange wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren noch nicht durch sind, müssen wir sicherstellen, auf das zurückgreifen zu können, was wir jetzt brauchen. Das sind für eine bestimmte Zeit auch noch unsere fossilen Ressourcen, bis das andere sie ersetzt.

Der Preis soll bezahlbar sein. Das wird auch mit den erneuerbaren Energien möglich sein. Das kann man ziemlich genau nachrechnen. Ich will das, weil man sich manchmal vor anderen Ländern fürchtet, ein bisschen beschreiben: Ein neu gebautes Atomkraftwert – einige meinen ja, das ist eine Lösung – ist irgendwann Ende der 30er Jahre fertig und hat dann 12 bis 15 Milliarden Euro pro Stück gekostet. Die Strompreise kann dann überhaupt niemand bezahlen. Sie herunterzusubventionieren, würde jeden Staatshaushalt der Welt sprengen, wenn sie auf das Niveau herunterkommen sollen, das wir mit den erneuerbaren Energien in Deutschland erreichen, mit Windkraft, mit der Sonne, mit dem guten Stromnetz, mit Biomasse und mit Wasserkraft. Das ist unsere Möglichkeit, die wir haben.

Bis dahin müssen wir dafür sorgen, dass kein Unternehmen, weil es nicht durchhält, das nicht schafft. Das ist ja die Forderung, die ihr hinter eurer Formulierung verborgen habt. Natürlich werden wir das möglich machen. Wir können uns das auch genau anschauen.

Heute ist in einer Zeitung beispielsweise zu lesen: Wenn man den Strompreis der Zukunft zugrunde legt und dann noch betrachtet, was wir an Möglichkeiten haben, zum Beispiel mit der Strompreiskompensation oder dem Spitzenausgleich, dann kommt man auf sehr wettbewerbsfähige Preise für hoch energieintensive Unternehmen in Europa. Das ist genau das, was wir jetzt tun: Wir denken darüber nach, wie wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und mit den Instrumenten, die wir EU-rechtlich einsetzen können und die uns auch genehmigt sind, ein Gesamtkomposit zustande bringen, das dazu führt, dass kein Unternehmen, das viel Energie verbraucht und jetzt auf bezahlbare, wettbewerbsfähige Strompreise angewiesen ist, schließen muss, weil das in dem Übergangsregime nicht möglich ist.

Mit der Kombination aus vielen Einzelmaßnahmen werden wir diese Herausforderung bewältigen können. An ihr arbeiten wir intensiv. Wir wollen das zusammen mit den Gewerkschaften und mit den Unternehmen machen. Ich kann sagen: Wir werden eine gute Lösung finden. Wir werden sogar eine Lösung suchen, die nicht nur einmal hier erzählt wird, beschlossen werden kann und dann von der EU-Kommission nicht genehmigt wird, sondern eine, die dann tatsächlich dazu beiträgt, dass kein Unternehmen diese Situation nicht überlebt.

Es gibt noch viele andere Dinge, die zu dieser Modernisierung dazukommen. Ich wollte aber, weil der Strom eine so große Rolle spielt, unbedingt etwas mehr dazu sagen. Wir werden ja auch noch diskutieren können.

Ich möchte aus meiner Sicht auch sagen, dass wir natürlich daran arbeiten müssen, dass es auch bei den anderen Strukturen stimmt, etwa wenn wir über Mobiltelefone reden und die Infrastruktur, die dazu erforderlich ist, wenn wir von den Möglichkeiten reden, die 5G in den Unternehmen darstellen kann, und wenn wir über die Frage reden, wie das mit der Glasfaserinfrastruktur in Deutschland und ganz klassisch mit Eisenbahn und Straße ist.

Es gibt etwas, was für alle Themen, die ich besprochen habe, eine große Rolle spielt, was uns alle umtreibt und was aus meiner Sicht zu den ganz großen Schwierigkeiten gehört: Es dauert alles zu lange. Wenn man das sagt, gerade als Politiker, dann sagen alle immer: Das habe ich schon gehört. Wenn es eng wird, kommt immer einer und sagt: „Das muss alles schneller gehen“, geht weg und kümmert sich um das nächste Thema. Passiert ist da nicht so viel. Daran sind alle schuld.

Die letzten 20, 30 Jahre, wahrscheinlich noch länger, haben wir liebevoll mit ganz unterschiedlichen Bundesregierungen, ganz unterschiedlichen 16 Landesregierungen und vielen Verantwortlichen in den Kommunen Vorschriften gebaut und gebastelt, die dazu beitragen, dass es immer langsamer geworden ist. Für alles braucht man ein Gutachten. Dinge, die eigentlich schnell gehen sollen, dauern viele Jahre.

Nun bin ich hier bei der IG Metall. Ich gehe gleich auch noch auf die Frage der Zukunft ein. Ich habe ja etwas zur industriellen Zukunft Deutschlands gesagt. Aber es gibt noch viele andere Fragen, über die ich gleich reden werde.

Ich will sehr ausdrücklich sagen: Für mich spielt es schon eine große Rolle, dass wir das Thema Geschwindigkeit jetzt nicht wieder nur als Geste formulieren, dass wir sagen: Da müsste man etwas tun. – Das ist der Grund, warum ich einen Deutschlandpakt in dieser Frage vorgeschlagen habe. Wenn Bund, Länder und viele Verantwortliche vor Ort jahrzehntelang Vorschriften gebastelt haben, die man nicht mehr administrieren kann, die dazu führen, dass die Genehmigung einer Windkraftanlage sechs Jahre dauert, dass man ein Stromkabel in einem halben Jahr, in einem Jahr oder in zwei Jahren verlegen kann, man aber davor zehn, zwölf Jahre Planungsprozess hat, dann ist das etwas, was jetzt geändert werden muss. Genau das werden wir jetzt tun mit den Dingen, die wir zusammen mit den Ländern vorbereiten. Es kommt also dazu.

Weil über die Zukunft geredet worden ist, will ich ausdrücklich sagen, dass für mich die Frage der jungen Leute und ob es genügend Ausbildungsplätze gibt, eine zentrale Rolle spielt. Ich glaube, wir müssen die Chance, die jetzt da ist, auch nutzen. Denn es kann ja nicht sein, dass wir einerseits auf eine Zeit zustreben, in der es Arbeits- und Fachkräftemangel und in einigen Bereichen sogar Überangebote an Ausbildungsplätzen gibt, es aber andererseits nicht gelingt, allen jungen Leuten, die die Schule verlassen, eine gute Berufsausbildung zu ermöglichen.

Deshalb will ich hier noch einmal sagen: Wir werden alles dafür tun, dass der Übergang von der Schule in den Beruf mit den Jugendberufsagenturen, mit großer Unterstützung besser gelingt. Wir wollen, dass jeder junge Mann und jede junge Frau eine Berufsausbildung hat, wenn er oder sie ihre beruflichen Qualifikationen nicht auf andere Weise erwirbt.

Ich wünsche mir auch, dass das nicht nur am Anfang der Berufslaufbahn gilt. Ich stelle fest und habe in vielen Betrieben gesehen: Viele sind schon lange dort beschäftigt. Die machen schon lange ihren Job und leisten etwas in der Firma, in der sie tätig sind. Aber sie waren in einem anderen Beruf ausgebildet oder sind dort als Angelernte tätig. Warum eigentlich ist es in Deutschland nicht noch viel mehr Mode als in einigen erfolgreichen Betrieben, dass man auch mit 30, 40 oder 50 Jahren noch einmal eine Berufsausbildung machen kann, und zwar in der Firma, in der man schon tätig ist? – Das muss in Deutschland ein ganz normales Modell sein. Ich hoffe, wir können gemeinsam dafür kämpfen.

Für mich hat das auch etwas mit der Frage der besseren Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und dem Glück junger Familien zu tun. Wir müssen auch dafür sorgen, dass es in Deutschland besser gelingt, so etwas zu tun: mit mehr Ganztagsangeboten in Krippen und Kitas und auch mit ausreichenden Angeboten an den Schulen. Natürlich muss die Arbeitswelt so sein, dass es für Familien gut funktioniert.

Für unsere Zukunft bedeutet das, dass wir jetzt die Beschäftigungspotenziale heben können und müssen, die es in Deutschland gibt. Das sind die jungen Leute mit der Berufsausbildung. Das sind diejenigen, die schon beschäftigt sind und noch eine neue Qualifikation bekommen können. Das sind die Leute – auch das muss gesagt werden –, die vielleicht mit Ende 50 ihren Job verlieren und noch eine plausible Perspektive haben müssen, wieder einen ähnlichen gut bezahlten Job anfangen zu können. Das würde etwas ausmachen, während es nichts nützt, wenn jetzt irgendjemand vorschlägt, das gesetzliche Renteneintrittsalter noch einmal anzuheben. Das halte ich für ausgeschlossen.

Aber klar, wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass wir Arbeitskräfte aus anderen Ländern bekommen. Deutschlands Wohlstand wäre ohne Arbeitskräfte, die außerhalb Deutschlands geboren worden sind, niemals möglich gewesen. Heute hat etwa ein Viertel der Bevölkerung dieses Landes einen, wie es so schön heißt, Zuwanderungshintergrund. Das sind nicht nur die Gastarbeiterkinder aus den 60er Jahren, sondern das sind ganz viele aus vielen Ländern, die nach Deutschland gekommen sind und die dazu beigetragen haben, dass der Laden hier läuft.

In den letzten Jahren ist unser wirtschaftliches Wachstum überhaupt nur möglich gewesen, weil das mit den Möglichkeiten der Freizügigkeit in der Europäischen Union einfach ging. Aber das wird nicht mehr reichen. Von den sogenannten Boomern, also den um die 60-Jährigen – einige sitzen ja auch hier, Jörg –, gehen jetzt einige in Rente. Aber ich will ausdrücklich sagen: 13 Millionen werden wir nicht kompensieren durch mehr Berufsausbildung, durch eine bessere Beteiligung von Frauen im Arbeitsleben und durch bessere Chancen für Ende 50-, Anfang 60-Jährige, sich noch einmal einen neuen Job zu suchen, sondern wir werden noch welche brauchen, die zusätzlich kommen.

Wir haben mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz die modernste Grundlage dafür geschaffen, dass das in Deutschland in den nächsten Jahren möglich sein wird. Ich halte das, verbunden mit dem geplanten modernisierten Staatsangehörigkeitsrecht, für eine der Grundlagen für einen guten Zusammenhalt in diesem Land, aber auch für wirtschaftlichen Wohlstand, den wir in der Zukunft brauchen.

Ich will das hier ausdrücklich ansprechen, weil es natürlich kompliziert ist, wenn man zu denjenigen zählt, die ihr Talent hier in Deutschland entfalten, aber man dann in den Medien ständig den Eindruck erweckt bekommt, als ob man nicht gewollt sei, als ob das nicht der Fall sei und man nicht eine so großartige Lebensbiografie hinter sich hätte. Deshalb ist es wichtig, dass wir die richtigen Worte sprechen und dass wir das Richtige tun. Es geht um Fachkräftezuwanderung. Das ist das, worüber ich hier gesprochen habe, weil wir das für den Arbeitsmarkt brauchen.

Aber natürlich wird für Deutschland immer auch klar sein, dass wir denjenigen, die weglaufen vor politischer Verfolgung, vor Krieg und Terror, der sie bedroht, und deren Leben geschützt werden muss, in Deutschland auch Schutz gewähren. Das darf und wird nicht infrage gestellt sein.

Weil man aber ja nicht ausweichen soll, will ich sehr ausdrücklich sagen, dass aus meiner Sicht auch dazu gehört, dass man, wenn man Schutz gewährt, auch klarstellt, dass diejenigen, die im Rahmen der Fachkräftezuwanderung nicht als Arbeitskräfte hierhergekommen sind und auch keinen Schutz bekommen können, weil sie nicht politisch verfolgt worden sind, weil sie nicht vor einem Krieg davongelaufen sind, wieder zurückgehen müssen. Eine humanistische Politik, die Schutz für Flüchtlinge gewährt, muss auch die Kraft haben, das gut zu organisieren. Alles andere wird nicht funktionieren und wird auch nicht die Zustimmung aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes bekommen.

Deshalb passt es zusammen und ist es eine Politik aus einem Guss, wenn man sagt: Wir machen das mit der Fachkräftezuwanderung und mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht. Wir gewähren denjenigen, die Schutz brauchen, Schutz. Aber wir stellen auch klar, dass diejenigen, die nach Deutschland kommen und diesen Schutz nicht gewährt bekommen, wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Für diese Art von Politik setze ich mich ein.

Ich will jetzt nicht alle Themen ansprechen, die wichtig wären, aber doch noch ein paar nennen.

Ich finde, in diesem Land wird zu wenig verdient. Das sieht man daran, dass wir mit den Mindestlohnerhöhungen der letzten Zeit immer Millionen Menschen ein besseres Einkommen beschafft haben. Als es um 8,50 Euro ging, haben sechs Millionen mehr verdient. Als wir 12 Euro eingeführt haben, haben am Tag danach schon wieder sechs Millionen mehr verdient. Das waren sehr viele Bürgerinnen und Bürger und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses Landes. Deshalb darf man auch nicht darum herumreden. Wir müssen etwas tun, damit diejenigen, die wenig verdienen, besser zurechtkommen – mit besseren Löhnen und am besten natürlich nicht nur durch Mindestlöhne, sondern auch durch Tarifverträge, die mehr verbreitet sind, als es heute der Fall ist.

Wir werden das auch mit einem Tariftreuegesetz unterstützen, das die Bundesregierung vorbereitet und das sich die Regierung vorgenommen hat. Wir werden das unterstützen, indem wir den Gewerkschaften mehr Möglichkeiten in den Betrieben geben, auch was die neuen digitalen Kompetenzen betrifft. Wir werden das unterstützen, indem wir dafür sorgen, dass Mitbestimmung in Deutschland weiter ein Kern von Sozialpartnerschaft bleibt. Die betriebliche und die Unternehmensmitbestimmung gehören dazu.

Weil ich schon über diejenigen, die wenig verdienen, gesprochen habe, will ich noch zwei, drei Punkte dazu sagen. Manches wird ja verbessert, und niemand bekommt es mit: zum Beispiel die Erwerbsminderungsrente für Bestandsrentner, die wir milliardenschwer angehoben haben, zum Beispiel, dass wir das Kindergeld für das erste, zweite und dritte Kind auf 250 Euro angehoben haben, zum Beispiel, dass wir den Kinderzuschlag für erwerbstätige Familien, die wenig verdienen, auf 250 Euro pro Kind angehoben haben, zum Beispiel, indem wir für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wenig verdienen, das Wohngeld verbessert haben. Viel mehr bekommen es jetzt. Es gibt auch viel mehr an Unterstützung.

Man kann, wenn man noch einen Punkt mit im Kopf hat, noch einen ganz wichtigen Satz sagen: Wir haben auch noch die Sozialversicherungsbeitragsbelastung für diejenigen, die weniger als 2.000 Euro verdienen, reduziert. Sie zahlen nicht den vollen Beitrag, bekommen aber die ganze Leistung.

Wenn man das alles zusammenrechnet, sind das die größten Entlastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringen Einkommen, die größten Nettoverbesserungen im Einkommensbezug durch politische Maßnahmen, die in den letzten Jahren überhaupt jemals stattgefunden haben. Ich finde, das ist ein richtiges Zeichen in einer schweren Zeit, in der viele nicht wissen, wie sie ihre nächste Rechnung bezahlen sollen.

Weil ich ja Gewerkschafter bin und als Arbeitsrechtsanwalt angefangen habe, könnte ich jetzt noch lange weitermachen. Das will ich aber nicht, weil wir ja noch ein bisschen diskutieren wollen.

Ich möchte mich bei allen hier bedanken – bedanken für die Arbeit in all den Jahren. Deutschland ist ein starkes Land – nicht trotz, sondern wegen der Sozialpartnerschaft. Deutschland ist ein starkes Land – wegen der Betriebsräte, wegen der Gewerkschaften und dieser Kultur. Wir müssen sie auch für die Zukunft sichern. Dann ist nämlich immer wieder Zeit für Zukunft.