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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
12.09.2024 | Berlin

Rede beim 70. Gründungsjubiläum des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V. (BDZV)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzliche Glückwünsche zu 70 Jahren BDZV! Einen „Impuls zu freier Presse und Demokratie“ haben Sie sich von mir gewünscht. Dass ich diesem Wunsch als passionierter Zeitungsleser – und zwar von Politik über Lokales bis Feuilleton – gern nachkomme, versteht sich von selbst. Salbungsvolle Worte über das hohe Gut, das die Pressefreiheit zweifellos ist, möchte ich Ihnen trotzdem ersparen und mich dem Thema lieber über drei kleine Begebenheiten nähern, die sich in den vergangenen Wochen zugetragen haben.

Die erste davon spielt in Thüringen. Eine journalistische Kollegin von Ihnen, Eva Schulz, hat dort mit ihrem Kamerateam über den Landtagswahlkampf berichtet. Am Rande einer AfD-Wahlkampfveranstaltung wollte zunächst überhaupt niemand mit einer Vertreterin des ZDF sprechen. Als Eva Schulz dann später doch einen Interviewpartner fand, sagte der ihr sinngemäß, die deutschen Medien würden von der Politik doch sowieso gezwungen, so zu berichten, wie die Politik es ihnen vorgibt.

Etwas flapsig könnte ich dazu jetzt sagen: Der tägliche Blick in die Zeitungen beweist mir irgendwie das glatte Gegenteil. Aber im Ernst: Die Wahrnehmung, Politik und Medien seien ein und dieselbe Soße – so fernliegend Ihnen und mir das auch erscheinen mag –, die muss uns schon zu denken geben, denn für die Glaubwürdigkeit von Medien ist kritische Distanz entscheidend. Vor dieser kritischen Distanz habe ich daher großen Respekt, mehr noch: Was ich bei meiner täglichen Zeitungslektüre besonders genieße, sind gerade die Sichtweisen, die ich noch nicht auf dem Schirm hatte, die Argumente, die meinen widersprechen – soll ja vorkommen. Das führt dann nicht zum sofortigen Umdenken, aber es regt natürlich das Nachdenken an.

Dass Politik und Medien in Teilen der Bevölkerung so wahrgenommen werden, wie ich das gerade aus Thüringen geschildert habe, hat natürlich Ursachen. Eine fällt mir immer wieder auf, wenn ich im Land unterwegs bin. Die Fragen, die mir Ihre Kolleginnen und Kollegen in Berlin stellen, sind oft ganz andere als die, die mir im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern begegnen.

Beispiel Ukraine: In Berlin bin ich über Monate und Jahre hinweg eigentlich immer nur gefragt worden, warum wir als zweitgrößter Unterstützer der Ukraine nicht noch viel mehr zahlen oder liefern – Waffensystem X oder Marschflugkörper Y. Wohlgemerkt: Diese Fragen sind völlig legitim. Es gibt sie auch in der Bevölkerung. Aber mindestens genauso so oft bin ich auf Marktplätzen, bei Bürgerdialogen oder Wahlkampfkundgebungen gefragt worden, warum wir überhaupt die Ukraine unterstützen, ob es nicht sicherer und besser für Deutschland wäre, gar keine Waffen mehr zu liefern, und ob die Milliarden, die wir in die Unterstützung der Ukraine investieren – zu Recht, das steht für mich außer Frage, damit das hier klar ist –, nicht in deutschen Schulen oder für Bahnschienen viel besser angelegt wären.

Wenn solche Fragen in der deutschen Medienlandschaft jedoch allenfalls am Rande vorkommen – und dort nur von Figuren am extremen Rand des politischen Spektrums laut gestellt werden, nicht aber von den Medien selbst –, dann ist das ein Problem, weil diejenigen im Land, die sich genau diese Fragen stellen, sich dann nicht wiederfinden.

Auch die Politik trägt natürlich Verantwortung. Und das soll hier auch nicht ausgeblendet werden. Deshalb habe ich in den zurückliegenden Wochen und Monaten immer wieder klar für meinen Kurs der Unterstützung der Ukraine geworben – der verlässlich ist, entschlossen und besonnen zugleich. Dieser Kurs ist nicht nur richtig, er lässt sich auch durchhalten – solange wie nötig.

Andere hingegen, die hier in Berlin noch vor einigen Monaten mit neuen Forderungen punkten wollten, haben sich still und leise in die Büsche geschlagen. Die waren plötzlich gar nicht mehr zu hören in Sachsen und Thüringen beim Thema Ukraine-Unterstützung. Und ihre Kandidaten hatten scheinbar freien Lauf, den Sound der populistischen Konkurrenz von ganz rechts oder ganz links außen nachzuahmen. Auch solch ein Zickzackkurs aber sorgt draußen im Land für Verunsicherung.

Was ist also zu tun – für Medien und Politik gleichermaßen? Ich würde sagen, hinhören und alle Fragen thematisieren, die die Leute im Land bewegen. Der Politik, auch der Regierungspolitik, würde dabei weniger Profilierung in eigener Sache, dafür volle Konzentration auf die Sache helfen. Und den Medien täte gut, weniger den Scheinwerfer auf die Egos der Handelnden zu richten und dafür mehr auf das Handeln selbst – mehr Fakten statt Nudging, mehr Meinungsvielfalt statt Berliner Blase, mehr Information, weniger Kampagnen, vielleicht einfach: Berichterstattung. Das wäre ein Gewinn für das Vertrauen in die Medien und die Politik und damit zugleich auch für unsere Demokratie, für unser Land.

Noch etwas muss natürlich hinzukommen: Man muss die Leute auch ganz praktisch erreichen. Hier sind Sie, die Verlegerinnen und Verleger, besonders gefordert. Sie müssen Wege finden, mit gutem Journalismus Geld zu verdienen, um die tiefgehenden Recherchen genauso wie die Berichterstattung über den lokalen Handballverein zu finanzieren. Und gleichzeitig müssen Sie innovative digitale Angebote und neue Finanzierungsmodelle entwickeln und stehen dabei in Konkurrenz zur grenzenlosen Informationsflut im Internet und den sozialen Medien. Vielleicht liegt aber genau dort auch ein Geschäftsmodell für den Journalismus von morgen?

Das habe ich zumindest den Studierenden und Absolventinnen und Absolventen der Deutschen Journalisten Schule in München gesagt, als ich dort im Frühsommer zu Gast war. Einen Podcast aufnehmen, das kann im Prinzip jeder, der ein Smartphone hat. Aber mit einem Interviewpartner eine echte Unterhaltung führen, die mehr ist als Profilierung oder Geschwätz, das ist eine hohe Kunst. Das ist die Kunst des guten Journalismus.

Die zweite Begebenheit, von der ich kurz berichten möchte, hat sich vor einigen Wochen in Papenburg im Emsland zugetragen. Es ging um ein Hilfspaket für die angeschlagene Meyer-Werft. Sie alle haben das mitverfolgt. Und wir haben gerade im Bundestag das Go bekommen für unsere Unterstützung. Vor allem aber ging es um Tausende Arbeitsplätze auf der Werft und viele weitere Tausend in einer Region, die wie keine zweite in Deutschland am Schiffbau hängt und davon lebt.

Natürlich wird eine Betriebsversammlung dort nicht im nationalen Fernsehen übertragen oder von den großen Medienhäusern live gestreamt. Dazu betrifft sie den Busfahrer in Landshut oder die Einzelhandelskauffrau in Chemnitz zu wenig. Für die Familienangehörigen der Werft-Arbeiter aber, für die Leute in Dutzenden Zuliefererbetrieben ging es an dem Morgen um alles oder nichts. Und die NOZ, die dort vor Ort als Ems-Zeitung erscheint, war da für ihre Abonnenten per Livestream und mit einem minutenaktuellen Liveticker aus der Veranstaltung.

Mir hat das wieder einmal gezeigt: Lokale Medien sind das Rückgrat unserer Medienlandschaft. In vielen Regionen sind sie sogar die einzige unabhängige Quelle für lokale Nachrichten. Und diese lokalen Nachrichten bewegen die Bürgerinnen und Bürger oft mindestens genauso stark wie die große Politik. Deshalb bin ich auch fest überzeugt: Lokale News bleiben ein Geschäftsmodell. Lokale Medien haben eine Zukunft.

Die dritte Begebenheit, von der ich erzählen möchte, handelt von einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe und das mich nachdenklich gemacht hat. Einige von Ihnen werden es kennen. Es heißt „The Coming Wave“ und stammt vom Mitgründer von DeepMind, Mustafa Süleyman. Er setzt sich darin intensiv mit den Chancen, aber eben auch mit den Risiken und Gefahren von Künstlicher Intelligenz (KI, auch AI) auseinander – gerade auch mit Blick auf die Medien. Mustafa Süleyman schreibt: „AI has the potential to revolutionize many aspects of our lives, including the media, by enhancing creativity, improving personalization, and uncovering new insights. But with this power comes the risk of deepening misinformation, eroding trust, and manipulating public opinion. It’s a double-edged sword (…).“

Ich finde es gut, dass Sie über dieses zweischneidige Schwert Künstliche Intelligenz hier bei Ihrem Kongress genau so diskutieren: als Risiko und als Chance. Im besten Fall kann KI die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten ergänzen und vieles erleichtern – weniger Zeitaufwand für simple Informationssammlung, dafür mehr Zeit für persönliche Recherche. Das wäre Ihnen zu wünschen. Und zugleich macht KI journalistische Einordnung notwendiger denn je. Ich würde sogar sagen: Nie waren freie Medien und guter Journalismus so wichtig. Wir brauchen sie, damit wir nicht versinken in einem Meer aus Informationen und Desinformationen und in den Wellen der Tagesaktualität, des jüngsten Spins, der lautesten Zuspitzung.

Damit KI tatsächlich dem Qualitätsjournalismus und der Pressefreiheit dient, muss außerdem klar sein, dass die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten weiter als solche geschützt und erkennbar bleibt. Qualitätsjournalismus gibt es nicht ohne bezahlte Journalisten, gibt es nicht ohne wirtschaftlich starke Verlage, gibt es nicht zum Nulltarif. Die unlängst verabschiedete europäische KI-Verordnung versucht den Spagat zwischen KI-Offenheit und dem Schutz kreativen, menschlichen Schaffens. Das ist ein wichtiger erster Schritt.

In Brüssel setzen wir uns auch für die Bekämpfung von Desinformation ein und haben erfolgreich darauf hingewirkt, dass Journalistinnen und Journalisten besser vor Einschüchterungen durch missbräuchliche Klagen geschützt werden. In Deutschland fördern wir dazu den Aufbau einer Beratungsstelle speziell für Medienschaffende.

Und noch etwas habe ich erst kürzlich mit Ursula von der Leyen aufgenommen. Das hat zwar nichts mit KI zu tun, aber ich will es hier trotzdem erwähnen, weil der BDZV und andere Medienverbände mir dazu im August einen Brief geschrieben hatten. Es geht um die Entwaldungsverordnung der Europäischen Union (EU) und ihre Auswirkungen auf Printprodukte. Um es klar zu sagen: Die Verordnung muss praxistauglich sein. Und deshalb habe ich mich bei Ursula von der Leyen dafür eingesetzt, dass die Verordnung ausgesetzt wird, solange die auch vom BDZV aufgeworfenen offenen Fragen nicht geklärt sind.

Von Thüringer Marktplätzen über Werften im Emsland bis zur EU-Entwaldungsverordnung – das sind vielleicht nicht die Themen und Schauplätze, die man auf dem Zettel haben musste für eine Rede zum 75. Jubiläum des BDZV. Aber was ist schon erwartbar in diesen Tagen in Ihrem und in meinem Metier?

Mich freut es, wenn ich Sie ein wenig unterhalten und mitnehmen konnte in meine Gedanken. Nehmen Sie es als Zeichen der Wertschätzung eines – zumindest meist – sehr glücklichen Zeitungslesers gegenüber Ihrer Zunft.

Schönen Dank!