Liebe Andrea,
lieber Hubertus,
liebe Reem,
lieber Herr Terzenbach,
meine Damen und Herren,
ich möchte mit einem dreifachen Dank beginnen: Mein erster Dank geht an Sie alle dafür, dass Sie heute hier sind und wir uns austauschen können über das, was geht, was gut läuft, und auch darüber, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Mein zweites Dankeschön richtet sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Jobcenter. Wir haben es gerade schon im Film gesehen: Von Umdenken und Neustart war da die Rede mit Blick auf den Jobturbo. Vor allem aber aufgrund des russischen Kriegs in der Ukraine hatten Sie buchstäblich über Nacht Hunderttausende Kundinnen und Kunden zusätzlich zu beraten und zu vermitteln – Frauen und Männer, die oft ganz andere Voraussetzungen, Hürden und Qualifikationen mitbringen, als das vorher bei den Kundinnen und Kunden in den Jobcentern der Fall war. Dass und wie sie diese Aufgabe angenommen haben, ist aller Ehren wert. Dank Nummer drei geht an alle Geflüchteten, die hier in Deutschland arbeiten und dazu beitragen, unseren Wohlstand zu sichern, und an ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die ihnen eine Chance dazu gegeben haben. Einige von ihnen sind heute hier – herzlich willkommen!
Ich kann mir vorstellen, wie schwer es ist, in einem fremden Land von Null anzufangen, ohne Sprachkenntnisse, ohne anerkannte Berufsabschlüsse und vielleicht auch in einem ganz neuen Arbeitsgebiet. Das verdient Unterstützung. Und das verdient auch Anerkennung. Unterstützung und Anerkennung verdienen auch die vielen Unternehmen, Handwerksbetriebe, Krankenhäuser, Kindertagesstätten (Kitas) und Pflegeheime, die Geflüchtete beschäftigen – auch wenn die Deutschkenntnisse vielleicht noch nicht perfekt sind oder wenn der Stempel der Anerkennungsbehörde für eine ausländische Berufsqualifikation noch nicht da ist.
Mein Credo ist: Wir brauchen maximalen Pragmatismus auf allen Seiten. Vor allem muss aber über allem ein Ziel stehen. Und das lautet, Geflüchtete schneller als bisher in Arbeit zu bringen. Natürlich spielt dabei auch der Gedanke eine Rolle, dass wir Nichtstun nicht mit Steuergeldern unterstützen wollen, denn das ist niemandem vermittelbar. Das schadet der Akzeptanz von Geflüchteten und insgesamt auch der ganz vielen Fleißigen, die hier ja mit anpacken. Deshalb haben wir auf die Schnelle Arbeitsverbote für Geflüchtete gelockert und ein Chancenaufenthaltsrecht für Langzeitgeduldete geschaffen.
Geflüchtete möglichst schnell in Arbeit zu bringen, ist aber noch aus einem weiteren Grund wichtig: Arbeit ist – davon bin ich zutiefst überzeugt – das entscheidende Kriterium für gelungene Integration. Und Arbeit ist viel mehr, als Geld verdienen. Am Arbeitsplatz hat man Kolleginnen und Kollegen und ein soziales Umfeld – wir haben eben schon ein paar Beispiele dazu gehört und haben auch gehört, wie genau das betont wurde. Man lernt im täglichen Austausch die Sprache und natürlich auch viel über das Land, in dem man lebt. Und vor allem ist ein Arbeitsplatz immer auch damit verbunden, dass man Bestätigung und gesellschaftliche Anerkennung bekommt.
Aus all diesen Gründen haben wir Ende vergangenen Jahres den Jobturbo ins Leben gerufen. Und ich erinnere mich noch sehr gut an die vielen ausführlichen Diskussionen, die alle hier Versammelten dazu hatten. In einem konjunkturell schwierigen Umfeld stieg die Beschäftigung von Personen aus der Ukraine und den wichtigsten acht Asylherkunftsländern im Vorjahresvergleich an, und zwar im Juli 2024 – das sind die aktuellen Zahlen – auf 266.000 bei den Ukrainerinnen und Ukrainern – das ist ein Plus von 71.000 – und bei den Personen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern auf 704.000. Das ist ganz zufällig ebenfalls ein Plus von 71.000 im Vergleich zum Vorjahr.
Der Jobturbo hat seit Oktober 2023 zu diesem Anstieg beigetragen. Und die Frage ist, ob das schon ein Erfolg ist. Ich finde: Ja. Können und wollen wir noch besser werden? Ebenfalls ja. Eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bescheinigt uns zwar, dass wir in Deutschland vor allem mittel- und langfristig sehr ordentliche Ergebnisse erzielen, was die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt angeht. Da sind wir besser als das Gros vergleichbarer europäischer Länder. Das liegt natürlich auch daran, dass wir mit unseren Sprach- und Integrationskursen ein solides Fundament für die Arbeitsaufnahme legen. 86 Prozent der männlichen Flüchtlinge, die vor acht Jahren ins Land kamen, gehen hier in Deutschland inzwischen einer Arbeit nach – eine Zahl, die sich, glaube ich, nicht allgemein herumgesprochen hat.
Bei Frauen – das muss ich hier dann aber auch gesagt haben – sieht das anders aus. Da spielt vieles eine Rolle – sagen wir einmal, auch fehlende Kinderbetreuung. Aber es wird auch noch viele andere Ursachen geben, die dazu beitragen, dass das noch nicht geklappt hat. Da müssen wir auch mit kulturellen Verständnissen von Arbeit und Familie, glaube ich, ein bisschen weiterkommen. Inzwischen tun wir sehr viel, damit wir dazu beitragen können, dass die Betreuungsinfrastruktur in Deutschland besser wird. Wir investieren vier Milliarden Euro in Kitas und bessere Betreuungsmöglichkeiten. Vor allem aber müssen wir insgesamt noch schneller und pragmatischer werden, wenn es um die Vermittlung geht. Für mich heißt das zweierlei:
Erstens: Schon beim allerersten Gespräch sollte geklärt werden, was jemand gelernt hat und welche Arbeitserfahrung sie oder er hat. Das sollte auch für die Arbeitsvermittlung hinterlegt werden. Wenn nötig, kann dann gleich ein Anerkennungsverfahren gestartet werden, möglichst parallel zu den Integrationskursen. Da dürfen wir auch keine Zeit verlieren. Das können wir uns in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels nicht leisten. Deshalb steuern wir um. Mit über 65.000 positiv beschiedenen Anerkennungsverfahren – ein Plus von immerhin 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr – haben wir 2023 einen neuen Höchstwert erzielt. Ich will ausdrücklich sagen: Das ist vor dem Hintergrund der Vergangenheit ein Erfolg. Ich weiß noch, dass ich einmal als Arbeitsminister vorgeschlagen habe, da etwas zu ändern, was dann erst im zweiten Anlauf schließlich gelang.
Seitdem gibt es so etwas. Aber es ist eben noch weit weg von perfekt. Und deshalb setzen wir uns gegenüber allen Verantwortlichen, insbesondere in den Ländern, dafür ein, dass Anerkennungen insgesamt schneller, digitaler, einheitlicher und einfacher werden. Die allermeisten der bundesrechtlich geregelten Anerkennungsanträge bearbeiten 47 zuständige Stellen. Das müssen weniger werden. Und die Kriterien dürfen nicht in jedem Land und in jeder Kammer anders sein. Als neuen Ansatz prüfen wir daher eine einheitliche bundesweite Zuständigkeit für die Anerkennung von Pflegefachkräften.
Aber vergessen wir nicht: In den meisten Berufen kann man ja auch ohne Anerkennung arbeiten. Da wünsche ich mir auch mehr Pragmatismus in der Wirklichkeit, die in anderen Ländern nicht so ist wie bei uns. Länder mit einer anderen als unserer großartigen Berufstradition gehen damit etwas lockerer um – zum Beispiel die USA, wo es die Beruflichkeit als Kriterium gar nicht so gibt. Und wenn es auch wirklich in Berufslaufbahnen vorkommt – das muss ausdrücklich gesagt werden –, dass ein Tellerwäscher Millionär wird, so ist eben ein permanentes „training on the job“, was die Realität ausmacht. Die Leute beweisen sich im Betrieb, weil es diese schönen Berufsabschlüsse, die wir so haben, nicht in gleichem Ausmaß gibt. Das ist nicht gut. Aber wenn jetzt daraus wird, dass man auch im privatwirtschaftlichen Bereich, nur weil man nicht den richtigen Zettel hat, nicht einmal zeigen kann, welche Talente man hat, dann ist das ein Problem und eine kulturelle Tradition, mit der wir sogar ohne Gesetzesänderung brechen können.
Mein zweiter Punkt betrifft den Jobturbo und seine drei Phasen. Ja, Spracherwerb ist wichtig und bewusst als Phase eins des Jobturbos ausgestaltet. Aber das heißt eben nicht, dass nicht parallel zum Spracherwerb auch schon gearbeitet werden kann oder in Arbeit vermittelt werden sollte. Ich weiß, für viele Berufe ist Deutsch wichtig. Aber es gibt eben auch viele Tätigkeiten, wo man auch mit geringen Deutschkenntnissen anfangen kann. Die Migration der Gastarbeiter in die westdeutsche Bundesrepublik und der Vertragsarbeiter in die DDR ist weitgehend ohne Spracherwerb geschehen. Die Leute mussten gleich anfangen zu arbeiten.
Nun muss es ja nicht immer so sein. Wir haben unsere Integrations- und Sprachkurse. Aber dass jemand quasi davon abgehalten wird loszuarbeiten, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte das wollen, das sollte nicht die Realität unserer Republik sein, sondern da müssen dann, glaube ich, auch mehrere ihre Haltung ändern. Ich glaube, manche Unternehmen, die in ihren eigenen Archiven noch sehen können, wer in den 60er Jahren zu ihnen gekommen ist, könnten vielleicht auch lernen, dass sie es einfach wagen können, Leute einzustellen, die Talent haben und anpacken wollen. Der Rest hat sich ja damals auch ganz gut ergeben. Warum sollte das nicht auch heute so sein? Also, ich werbe auch hier wieder für Pragmatismus bei den Geflüchteten, bei den Arbeitgebern und natürlich – das darf ich sagen – bei den Jobcentern und den Vermittlern dort. Ich möchte jedenfalls alle, die hier sind, dazu ermutigen.
Vielleicht darf ich noch etwas loswerden: Wenn es gut läuft, man schon alphabetisiert ist und sich im Wesentlichen mit nichts anderem beschäftigt – gute Voraussetzungen, die nicht immer gegeben sind –, dann, das habe ich mir sagen lassen, dauert es kaum mehr als ein Jahr, um Deutsch so zu sprechen, dass man sich überall und mit allen austauschen kann, und zwar sehr gut. Das ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass das gar keine so unüberwindbare Hürde ist.
Natürlich gebe ich zu: Wenn da Leute zur Vermittlung anstehen, die vielleicht in ihren eigenen Ländern kaum alphabetisiert worden sind oder nur drei, vier Jahre zur Schule gegangen sind, dann ist das schwieriger. Aber die Welt ist schon so, dass sich ganz viele davon im Laufe des Lebens all diese Fähigkeiten und Qualifikationen angeeignet haben. Und deshalb sollten wir es einfach einmal darauf anlegen und sagen: Hier, versucht alles, damit das klappt!
Der CEO des Jobvermittlers Stepstone, Sebastian Dettmers, hat vor einiger Zeit ein Buch geschrieben und es „Die große Arbeiterlosigkeit“ statt „Arbeitslosigkeit“ genannt. An dem Befund ist einiges dran, gerade wenn man auf unsere demografische Entwicklung schaut und darauf, wie viele sogenannte Babyboomer in den kommenden Jahren in Rente gehen werden.
Zugleich wissen wir: Es gibt kein Land der Erde, dessen Wirtschaft auf Dauer wächst und das dabei eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung hat. Deshalb müssen wir alles, wirklich alles daransetzen, um diejenigen, die bereits hier sind, möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Wie wichtig das ist, das zeigt der Blick auf zwei Zahlen:
Die Zahl ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist in den vergangenen zwölf Monaten um 283.000 Personen gestiegen. Ohne diese Beschäftigten wäre die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um 163.000 gesunken – und das innerhalb eines Jahres. Wer sich in Europa umschaut, sieht, dass ähnliche Entwicklungen sogar in anderen Ländern stattfinden, weil sie keinen Ausgleich über Arbeitskräfte aus anderen Ländern haben. Die Prognosen, die das für die Erwerbstätigkeit mancher Länder in Europa bedeutet, mag man sich gar nicht ausmalen. Aber sie sind doch sehr überraschend.
Deshalb – darauf will ich alle hinweisen – wäre es schon gut, wenn man ein offenes Verständnis für Arbeitskräfte, die im Arbeitsmarkt tätig sind und aus anderen Ländern kommen, beibehält und fortentwickelt. Das hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten geholfen – bei Sozialversicherungsbeiträgen, die nicht zu hoch geworden sind, beim Steueraufkommen, bei der Finanzierung unserer Aufgaben. Und, das kann man ziemlich einfach rechnen, das wird so bleiben.
Wir jedenfalls wollen, dass Deutschland ein wachsendes Land bleibt. Dafür haben wir ein modernes Einwanderungsrecht geschaffen, eine Wachstumsinitiative, die Arbeitsanreize setzt, bessere Betreuungsangebote auf den Weg gebracht und – last, but not least – eben den Jobturbo. Ihre Mitarbeit daran zu würdigen, ist mir ein wichtiges Anliegen. Deshalb sind wir heute hier.
Nun freue ich mich auf den Austausch und übergebe an Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, die hier natürlich nicht fehlen darf.
Schönen Dank fürs Zuhören!