Sehr geehrter Herr UN-Generalsekretär,
sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Präsident Golitsyn,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Wirtz,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren
Jeder Mensch hat das angeborene Recht auf einen Platz auf dem Erdboden, da, wohin der Zufall der Geburt ihn gesetzt hat, heißt es bei Kant in der Rechtslehre. Ein Sitz auf dem Erdboden. Soso. Das Land also. Hat Kant etwa das Meer vergessen?
Kluge Dinge hat Immanuel Kant über die In-Besitznahme von äußeren Gütern geschrieben, hat begründet, dass die Welt den Menschen zunächst gemeinsam gehört und dass es unumgänglich ist, diesen Naturzustand zu verlassen und ein Vernunftrecht zu schaffen. Auch die Prinzipien der Vereinten Nationen hat er vorausgedacht. Und der Kategorische Imperativ gilt auch auf hoher See. Aber man sieht selbst bei Kant: Viel zu oft beschränkt sich die Betrachtung dessen, was Recht und Gerechtigkeit ist auf das Land.
Die Meeresperspektive des Rechts findet man nicht bei den Grundsätzen der privaten Aneignung, sondern als Fragestellungen zur gemeinsamen Nutzung. Es war immer die Internationalisierung des Handels, die die rechtliche Perspektive auf das Meer öffnete: Um Gewürze aus Indien oder Zuckerrohr und Gold aus Brasilien nach Europa zu transportieren, stritten sich die Europäer darüber, wem das Meer gehört. Und so schrieb Hugo Grotius in Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen seines Landes den ersten Grundsatz des internationalen Seevölkerrechts:
Jede Nation hat die Freiheit, jede andere Nation auf dem Seeweg zu erreichen, um dort Handel zu treiben. Das sei ein evidentes und unanfechtbares Axiom des Völkerrechtes. Grotius, der später auf Grund religiöser Verfolgung die Niederlande verlassen und nach Hamburg fliehen musste, liefert mit dem Konzept von der Freiheit der Meere das Argument der Kleinen gegen die Großen. Gepocht wird auf die Gleichheit der Nationen als Grundlage der Meeresnutzung. Das war die Antwort auf eine ungeregelte oder nur machtbasierte Form des internationalen Handels.
Schon bei Grotius ist das verbunden mit der Einsicht, dass Interessensgegensätze nur friedlich gelöst werden können, wenn es internationale Verträge gibt.
Ein enorm schwieriges Unterfangen. Denn immer schon stand dem Prinzip der Freiheit der Meere das des territorialen Besitzes der Küstenstaaten entgegen. Wie viel komplexer wird es erst, wenn diese beiden Grundsätze von allen Nationen mit ihren konträren Interessen und unterschiedlichen Küstenformationen zu einem Vertragswerk zusammen gefügt werden müssen?
Neun Jahre, von 1973 bis 1982, dauerte die Dritte Seerechtskonferenz. Es war die bis dahin größte diplomatische Konferenz der Menschheit. Vertreterinnen und Vertreter aus mehr als 160 Staaten handelten den umfassendsten Vertrag der Geschichte des Völkerrechts aus: Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen umfasst insgesamt 320 Artikel. Dabei geht es nicht nur um Transportwege und Küstenrechte, sondern um die komplette Raumnutzung des Meeres und die gemeinsame Verwaltung der lebendigen Ressource Meer ein Menschheitseigentum.
Am 30. April 1982 nahm die Generalversammlung das Übereinkommen an. Im Original heißt es United Nations Convention on the Law of the Sea oder kurz UNCLOS. Am 10. Dezember 1982 wurde es in Jamaika der internationalen Staatengemeinschaft vorgelegt, 159 Staaten unterzeichneten. Eine rechtshistorisch und politisch einmalige Leistung. Dazu gehören besonders die im Teil XV festgelegten Mechanismen zur Streitbeilegung und die Entscheidung, unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen einen Seegerichtshof einzurichten. Und in Artikel 1 der Anlage VI heißt es: The seat of the Tribunal shall be in the Free and Hanseatic City of Hamburg in the Federal Republic of Germany.
Die Bewerbung für Deutschland war ein Großprojekt der Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher, des Hamburger Senats und der Hamburger Bundestagsabgeordneten. Hans-Ulrich Klose, der als Bürgermeister maßgeblich beteiligt war, sagt heute: Es war der Name Hamburg der zog Hamburg war in New York allen ein Begriff.
Ein Argument der Bonner Regierung war übrigens, dass unser Land besonders an einer friedlichen Konfliktlösung interessiert ist und von Deutschland keine Meeres-Grenzkonflikte zu erwarten sind. Mit der kurzen Küstenlinie gehöre Deutschland zu den benachteiligten, den land-locked Staaten.
Das sehen wir heute nicht mehr so. Die Küstenlinie ist nach der Wiedervereinigung deutlich größer geworden und wir haben uns auf dem Meer und auf dem Land zum Osten geöffnet. Deutschland hat als Exportnation ein großes Interesse an der maritimen Wirtschaft. Wir haben eine riesige Containerflotte und sind die am meisten verflochtene Wirtschaftsnation.
Die Kodifizierung des Seerechts, des Seehandelsrechts und die friedliche Lösung von Konflikten ist ein essentielles Anliegen der Bundesrepublik Deutschland. Das gilt übrigens auch für die zwischenstaatliche Handelsgerichtsbarkeit. Auch dafür wäre die Hansestadt Hamburg ein guter Standort.
Mit dem Seerechtsübereinkommen UNCLOS haben sich die Völker der Vereinten Nationen ein erstes gemeinsames und vollkommen neues Seerecht gegeben. Das Seerechtsübereinkommen ist der verpflichtende Rahmen für alle Nationen, die Verfassung der Meere. Alles ist verbindlich geregelt: UNCLOS enthält Bestimmungen zur Fischerei, über Schifffahrt, den Tiefseebergbau und Fragen des Umweltschutzes.
In Kraft treten konnte dann das Seerechtsübereinkommen erst als Deutschland und viele andere Industriestaaten ihm zwölf Jahre später nach einem Konsens zum Tiefseebergbau beitraten. Deshalb startete auch die Arbeit des Seegerichtshofs erst 1996. Die komplexe Materie des Seerechtsübereinkommens brachte viele neue Fragen, etwa durch die Bestimmung, dass die Grenzen der Küstenstaaten bis zu 12 Seemeilen weit im Meer liegen.
So stritten sich Bangladesch und Myanmar um die Grenzen in der Bucht von Bengalen. Der Seegerichtshof musste sowohl die beiden Küstenmeeransprüche gegeneinander abgrenzen, als auch die ausschließlichen Wirtschaftszonen und den Festlandsockelbereich. Das Urteil des Seegerichtshofs schrieb Rechtsgeschichte: Neu war, dass erstmals auch der Festlandsockel jenseits der 200 Seemeilen-Zonen aufgeteilt wurde. Der ISGH beendete damit einen Streit, der das Verhältnis der Nationen mehrere Dekaden lang belastet hatte. Beide Staaten haben die Entscheidung in nationales Recht umgesetzt.
Übrigens: Der Seegerichtshof trägt personell auch zur Schiedsgerichtsbarkeit bei. So waren die Richter Cot, Pawlak und Wolfrum in dem international beachteten Verfahren zum Streit im südchinesischen Meer die Schiedsrichter.
Zu Streiterinnen für den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg gehörte auch die Seerechtsexpertin Elisabeth Mann-Borgese. Ihren intellektuellen Einfluss sieht man daran, wie stark das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen darauf gerichtet ist, die lebendige Ressource Meer zu erhalten. Entsprechend ist die Hauptperson in einer der ersten Grundsatzentscheidungen des Internationalen Seegerichtshofs zum Umweltschutz ein Fisch: thunnus thynnus.
Der Rote Thun wird gewöhnlich bis zu 3 Meter lang, ist ein in Asien und Australien beliebter Speisefisch, sein Fang ist international geregelt, denn er ist vom Aussterben bedroht. Im Thunfisch-Fall, einer Einstweiligen Anordnung, die der ISGH auf Antrag von Australien und Neuseeland gegen Japan 1999 erlies, entwickelte das Gericht das sogenannte Vorsorgeprinzip. Danach reicht die plausible Annahme, dass die Umwelt maßgeblich geschädigt wird, um Aktivitäten zu verbieten. Auch diese Entscheidung des ISGH wurde von Vertragsparteien vollständig akzeptiert und umgesetzt.
Um Fische ging es auch in dem Gutachten für die Sub-Regional Fisheries Commission über den Umgang mit illegaler, nicht gemeldeter und unregulierter Fischerei. Der gewerbliche aber unlizenzierte Fischfang ist eine enorme Bedrohung der Wirtschaft der jeweiligen Küstenstaaten. Deshalb gilt die Unterbindung der Fischpiraterie auch als Schlüssel zur Beseitigung von ökonomischen Fluchtursachen, etwa in westafrikanischen Staaten. Das Gutachten des ISGH bestimmt sowohl die Rechte und Pflichten der Küstenstaaten als auch die der Flaggenstaaten, also der Nationen, zu denen die Schiffe der sogenannten Fischpiraten gehören (und empfiehlt ein Fisch-Moratorium).
Mit den Grundsatzentscheidungen ist der Internationale Seegerichtshof auch hervorragend auf mögliche Streitfragen im Tiefseebergbau vorbereitet. Auch für die Regelung der Rechte von Anrainerstaaten und der Weltgemeinschaft in der immer mehr vom Eis befreiten Arktis bietet das Seerechtsübereikommen den rechtlichen Rahmen.
Der Internationale Seegerichtshof ist ein wesentliches Element der Konfliktbereinigung und Friedenssicherung. Frieden zu erhalten ist die Kernaufgabe der Vereinten Nationen. Dabei geht es immer darum, im Gespräch zu bleiben. Das ist mühsam und langwierig, es geht immer, wie Artikel 33 der UN-Charta sagt um (Zitat): Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder andere friedliche Mittel eigener Wahl (Zitatende). Das sind hochkomplexe und niemals zu unterschätzende Formen kommunikativ-institutionalisierter, prozeduraler Vernunft auf Weltniveau.
Sie sehen schon, nicht immer muss ein Urteil her, es gibt Vieles, das im Vorwege geregelt wird. Übrigens gehört dazu auch die Ausbildung junger Juristinnen und Juristen. So wie es etwa die International Foundation for the Law of the Sea (IFLOS) mit einer Sommerakademie zu Seevölker- und Seehandelsrecht seit zehn Jahren macht. Denn obwohl zwei Drittel der Erdoberfläche mit Meer bedeckt ist, sind Juristen, Politiker und Diplomaten, die sich im maritimen Recht auskennen, immer noch in der Minderheit. Diese jungen Leute werden langfristig daran arbeiten, dass das Seerecht noch mehr geachtet wird.
Wir, die Völker der Vereinten Nationen, heißt es in der Präambel der UN-Charta. Und dieses wir das sind Hamburg oder Deutschland und Europa, und alle Völker der Welt, die die Meere nutzen.
Wir haben die Vereinten Nationen um das Menschheitsproblem Umweltschutz zu lösen, die Meeresressourcen zu nutzen und gemeinsam zu bewahren, um Fluchtursachen zu bekämpfen und vor allem, um der friedlichen Streitbeilegung immer wieder eine Chance zu geben.
Die Vereinten Nationen haben mit dem ISGH in Hamburg einen besonders passenden Ort gewählt. Wir sind sehr stolz darauf, dass das Gericht hier in Hamburg ist, auch wenn es rechtlich gesehen auf internationalem Gebiet steht.
Vom Internationalen Seegerichtshof und aus Hamburg geht die unmissverständliche Botschaft aus: Seevölkerrecht ist Friedensrecht.
Ich gratuliere herzlich zum 20-jährigen Jubiläum!
Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.