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20.09.2013

Rede im Bundesrat zum Thema "Werkverträge"

 

 

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

 

Wenn wir sicherstellen wollen, dass diejenigen, die arbeiten, dabei gut zurechtkommen, müssen wir dafür sorgen, dass sie ordentliche Bedingungen vorfinden. Das geschieht nicht von alleine. Dafür muss man etwas tun. Historisch wurde das durch die Gewerkschaften erreicht, die Tarifverträge und vieles andere sehr mühsam erkämpft und zustande gebracht haben.

 

Dass das nicht selbstverständlich ist, können wir feststellen, wenn wir uns an die Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Jahre 1896 erinnern. Das, was unser Leben heute in vielen Fällen so sehr bestimmt, das Arbeitsverhältnis, ist dort praktisch gar nicht vorgekommen. Es gab und gibt Regelungen zum Dienstvertrag. Es gab und gibt Regelungen zum Werkvertrag. Aber damals wie heute wird so getan, als ob eine Welt existiert, in der keine Fabriken existieren, in denen Arbeitnehmer tätig sind. Entsprechend sind keinerlei Schutzstandards für die Beschäftigten vorgesehen.

 

Wenn wir uns das allmählich gewachsene und veränderte Bürgerliche Gesetzbuch heute anschauen, dann sehen wir, dass viele neue Bestimmungen hinzugekommen sind, die das Arbeitsverhältnis im Rahmen des Dienstvertrages - so quasi nebenbei - regeln. Das führt natürlich dazu, dass unsere Rechtsordnung ausgesprochen anfällig ist für solche, die die Idee entwickeln, "Werkvertrag" oder "Dienstvertrag" irgendeiner Art, "freie Mitarbeit", "Honorarvereinbarung" oder "selbstständige Tätigkeit" draufzuschreiben. Sie glauben, dass sie durch irgendeine beschriebene Rechtsform etwas anders geregelt bekommen können, als wir mit den vielen Schutzstandards des Arbeitsrechts und der Sicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern heute erreicht haben.

 

Deshalb gehört es schon seit vielen Jahrzehnten zur Rechtsprechung auch der höchsten deutschen Gerichte, dass sie sagen: Ein Arbeitsverhältnis ist immer dann gegeben, wenn es wirklich vorliegt, egal was draufgeschrieben worden ist, egal was sich jemand konstruiert hat, egal was jemand behauptet, dass es. Es wäre viel zu verführerisch, die Vorschriften zu umgehen, indem man irgendeine Rechtsform wählt, für die die Schutzstandards unseres Arbeitsrechts nicht gelten.

 

Das ist der Grund, warum die deutsche Rechtsprechung über viele Jahrzehnte zum Beispiel gesagt hat: Ein befristetes Arbeitsverhältnis wird nur von einem Arbeitgeber gewählt, der tatsächlich nur für befristete Zeit etwas zu tun hat. Wir sind übrigens viele Jahrzehnte - die ganze Zeit des Wirtschaftswunders - mit einer solchen Regelung gut gefahren. Wie Sie wissen, wird eine sozialdemokratisch geführte Regierung nach der Bundestagswahl wieder einführen, was wir über viele Jahrzehnte hatten.

 

Außerdem hat man gesagt, man kann nicht einfach ausweichen. Deshalb gibt es unter anderem die Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung, die ja nicht nur dazu da sind, das zu erlauben, sondern auch dazu, das zu regeln. Diese müssen wieder auf einen Standard und ein Maß zurückgeführt werden, dass klar ist: Von der Arbeitnehmerüberlassung macht ein vernünftiger Arbeitgeber, ein vernünftiger Unternehmer dann Gebrauch, wenn er das einsichtigerweise braucht. Zum Beispiel weil es eine vorübergehende Auftragsspitze gibt oder weil ein Arbeitnehmer plötzlich ausgefallen ist, den er ein paar Monate vertreten lassen muss. Aber nicht zum Lohndumping, um mit einer anderen Rechtsform etwas zu umgehen, was durch ein festes, tarifvertragliches, sozialversichertes Arbeitsverhältnis eigentlich gut geregelt ist. Darum muss die Arbeitnehmerüberlassung rechtlich wieder so geregelt werden, dass Missbrauchsmöglichkeiten, die sich einige erobert haben - übrigens in diesem Fall ganz ohne Absicht des Gesetzgebers -, nicht mehr funktionieren.

 

Was wir auch brauchen, ist Schutz derjenigen, von denen man plötzlich behauptet, sie seien selbstständige Unternehmer, oder die in Werkvertragsverhältnissen bei Unternehmen beschäftigt werden, obwohl es möglicherweise keine sind oder obwohl es in Wahrheit nur um eine Form der Arbeitnehmerüberlassung mit Lohndumping geht.

 

Deshalb ist die Frage, die uns bewegt und über die wir hier miteinander zu beraten haben: Trauen wir uns zu, Regeln zu finden, die sicherstellen, dass kein Missbrauch stattfindet, sondern alles so gehandhabt wird, wie es ein ordentlicher Arbeitgeber vernünftigerweise auch ohne Gesetze tun würde, so dass diejenigen, die die Gesetze umgehen wollen, nicht gewissermaßen durch ihre Taktiken schlechte Arbeitsbedingungen durchsetzen können?

 

Darum geht es. Darum muss man der Niedersächsischen Landesregierung für den Vorschlag, den sie gemacht hat, ausgesprochen dankbar sein. Sie belegt eines vor allem anderen: Es geht - man muss nur wollen! Es ist nicht so, dass man hilflos dem Schicksal ausgeliefert ist und Verhältnissen zuschauen muss, die einem leidtun, gegen die man aber nichts tun kann. Hier bestehen Handlungsmöglichkeiten. Die Niedersächsische Landesregierung hat sehr konkrete aufgeschrieben, mit denen man erreichen kann, dass der Missbrauch, den wir heute alle beobachten, beendet wird.

 

Dazu gehört natürlich auch, dass wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn - den wir bisher nicht haben - beschließen. Ich will das kurz begründen: Wir brauchen ihn, um sicherzustellen, wie die Verhältnisse auch in den "hintersten Ecken" zu regeln sind, so dass man nicht 40 verschiedene Vorschriften beachten muss, bis man das herausgefunden hat. Der Zoll, der für diese Aufgaben zuständig ist, muss Möglichkeiten haben, schlechte und falsche Arbeitsverhältnisse, schlechte und falsche Bezahlung zu identifizieren. Wenn wir einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn hätten, wäre das schon einmal geklärt.

 

Die Briten haben sich ja viel früher als wir dazu durchgerungen, neben all den anderen Vereinbarungen einen flächendeckenden Mindestlohn zu etablieren. Sie haben das hinterher für sich in folgendem Satz zusammengefasst: Das Wichtigste ist, dass man in den großen Massenzeitungen - damals waren das noch "Sun" und "Mirror" - lesen kann, wie hoch der Mindestlohn in Großbritannien ist. Deshalb ist es von größter Bedeutung, dass auch in Deutschland in der Zeitung mit vier Buchstaben einmal im Jahr zu lesen ist, wie hoch der Mindestlohn für alle ist. Wer in einer Lagerhalle arbeiten will, wer in einem Imbiss arbeiten will oder in einem Schlachthof arbeitet, weiß dann: Das steht mir mindestens zu.

 

Dies ist notwendig als Ergänzung der vielen branchenbezogenen Mindestlöhne, die möglich sind, nachdem es während der Regierung von SPD und CDU unter Verantwortung eines sozialdemokratischen Arbeitsministers gelungen war, ein Entsendegesetz mit Branchenmindestlöhnen zu schaffen.

 

Weil es in unseren gegenwärtigen öffentlichen Gesprächen eine große Rolle spielt, möchte ich diese kleine Bemerkung doch noch loswerden: Damals musste jeder einzelne Branchenmindestlohn von dem sozialdemokratischen Teil der Regierung dem nicht sozialdemokratischen mühselig aus der Nase gezogen werden. Heute hören wir: Branchenmindestlöhne sind toll! - Das betrachte ich als politischen Fortschritt, aber nicht als Einwand gegen den flächendeckenden Mindestlohn als Ergänzung. - Schönen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.