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29.10.2004

Rede im Deutschen Bundestag am 29.10.2004

Olaf Scholz (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen über ein in der Tat sehr wichtiges Gesetz, das - wie man erkennen kann - die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in unserem Land, die es verdient, wohl nicht bekommen wird. Es geht um Wirtschaftspolitik, ganz handfeste sogar. Alles, worüber wir hier entscheiden, hat etwas damit zu tun, wie sich unsere Unternehmen auf den internationalen und nationalen Kapitalmärkten refinanzieren können, ob es ihnen gelingt, im Wettbewerb kräftig dazustehen oder nicht. Wer kein Gefühl für das Thema hat, wird dies vielleicht nicht gleich denken, aber man muss wissen, dass es von großer Bedeutung ist, Bilanzen trauen zu können. Deshalb ist es richtig, Bilanzen für die internationalen Finanzmärkte so zu erstellen, dass
ihnen geglaubt wird.

Im Wettbewerb der verschiedenen Bilanzierungsmöglichkeiten hat diesbezüglich eine Entwicklung stattgefunden. International akzeptiert wird das, was auf dem amerikanischen Kapitalmarkt üblich ist, die dortigen Ac-counting Standards und eine internationale Variante davon, die jetzt für die Europäische Union und damit auch für uns verbindlich wird. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Wäre unser Markt kapitalisierter, würden sich unsere Unternehmen an den Börsen besser refinanzieren, als sie das real tun, dann hätte das deutsche Bilanzrecht dabei sicherlich eine größere Rolle gespielt. Aber so ist es eben nicht; man muss die Realität anerkennen. Das hat Europa getan und das tun auch wir mit dem Gesetz, das wir heute beschließen wollen.

Natürlich stellen sich damit auch neue Fragen: Wie kommen diese Bilanzierungsregeln zustande? Es ist zunächst einmal nicht wichtig, ob dabei ein Mangel an Demokratie vorliegt. Wir haben letztendlich schon vor längerer Zeit entschieden, dass Unternehmen internationale Rechnungslegungsstandards anwenden dürfen. Diese Entscheidung wollen wir nicht zurücknehmen - das können wir auch nicht. Aber je internationaler es wird, desto weniger hat natürlich eine nationale Kultur - auch eine nationale Rechtsetzungskultur - Einfluss auf das, was geschieht. Dann kommt es immer wieder vor, dass man feststellt: Wäre doch schön, wenn dabei ein Diskussionsprozess, wie er bei uns stattfindet, eine größere Rolle spielen könnte.
Zwei aktuelle Beispiele, mit denen wir heute konfrontiert sind: Nach den neuen  Rechnungslegungsvorschriften wird das Kapital der Genossenschaften - auch der Genossenschaftsbanken - nicht mehr ohne weiteres als Eigenkapital anerkannt.

(Rainer Funke [FDP]: Es muss ja Fremdkapital sein!)

Was über Jahrzehnte richtig funktioniert hat, wird jetzt nicht mehr ohne weiteres akzeptiert; wir als Gesetzgeber in Deutschland können dabei kaum helfen. Das Gleiche gilt - juristisch und intellektuell abgeleitet analog zur Rechtsprechung und Meinungsbildung bezüglich des Genossenschaftskapitals - für die Bilanzierung des Genussrechtskapitals. Wir haben vor kurzem lesen können, dass ein Unternehmen eine ganz neue Konstruktion gewählt hat, weil es darauf reagieren musste, dass etwas, was immer ging, jetzt nicht mehr geht.
Es ist also notwendig, etwas zu tun. Darum wollen wir nicht nur diese beiden Gesetze einvernehmlich beschließen, sondern wir wollen heute auch einen Entschließungsantrag auf den Weg bringen, über den wir gerne gemeinsam weiter diskutieren wollen. Es geht darum, herauszufinden: Was sollen wir eigentlich wollen? Was könnten wir politisch bewegen, damit wir in Europa nicht immer nur vor der Wahl stehen Friss, Vogel, oder stirb", wenn es etwa um die Frage geht, wie wir uns gegenüber IAS 32 und IAS 39 verhalten; um die erwähnten Beispiele wieder aufzugreifen. Das haben wir getan und ich glaube, das war richtig.

Das Gesetz insgesamt ist von meinen Vorrednern so ausführlich besprochen worden, dass ich nicht alles wiederholen will. Ich erwähne aber noch einmal die bessere Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer börsennotierter und börsenorientierter Unternehmen. Dies war unbedingt richtig und das haben wir erreicht. Wir sind aber nur so weit gegangen, wie wir glaubten, verantworten zu können. Es macht auch Sinn, dass man als Gesetzgeber erst einmal schaut, was man anrichtet; denn durch dieses Gesetz werden wir natürlich Verschiebungen auf dem Markt der Wirtschaftsprüfer verursachen. Vielleicht werden sich auch weitere Kosten daraus ergeben. Das muss man ja immer mit bedenken.
Deshalb glaube ich, dass es richtig war, stückweise vorzugehen und zu schauen, was eigentlich geschieht. Dadurch können wir später Veränderungen vornehmen, wenn wir erste Erfahrungen gesammelt haben. Aus meiner Sicht ist dies der richtige Weg. Die Unabhängigkeit wird trotzdem gleichzeitig gestärkt.

Ich habe mir bis zum Schluss aufgehoben, Folgendes zu sagen: Ich denke, dass wir hier eine sehr gute Gesetzgebung machen. Das Ministerium hat ein intellektuell sehr hoch stehendes Gesetz entwickelt. Ich glaube, dass das in der öffentlichen Debatte gegenwärtig ein wenig untergeht. Deutschland verfügt über eine Rechtsordnung auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau.

(Otto Fricke [FDP]: Ja!)

Dieses Niveau zu erreichen ist uns mit der vorgelegten Gesetzgebung wieder gelungen. Wir als Abgeordnete haben uns bemüht, mitzuhalten, weshalb wir hier gemeinsam ein sehr gutes Gesetz vorgelegt haben.
Warum sage ich das? Bei all dem, was gegenwärtig in diesem Bereich geschieht, kommt es immer auch darauf an, dass wir das hohe Niveau unserer Rechtsordnung bewahren; denn sie ist auch ein Standortvorteil. Diesen berücksichtigen die Unternehmen, wenn sie sich entscheiden, wo ihr Konzernsitz sein soll. Darüber wird immer wieder diskutiert. Es gibt in der Debatte viele Schlagworte. Unsere gut funktionierende Rechtsordnung in Deutschland, auf die man sich verlassen kann und die intellektuell gut durchdrungen ist, ist für die Unternehmen oft viel wichtiger als das, was uns sonst aufregt. Insofern leisten wir heute auch einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsförderung.
Schönen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)