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07.09.2005

Rede im Deutschen Bundestag am 7. September 2005 - Bericht des Untersuchungsausschusses

Olaf Scholz (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass die etwas langatmigen Reden, die wir teilweise bisher hören konnten,

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Vor allem die erste heute! - Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Fünf Stunden achtzehn sind zu schlagen! - Gegenruf des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper: Das schaffen Sie aber nicht!)

auch Ausdruck der Tatsache sind, dass die von einer Zeitung getroffene Feststellung "Schlamperei, aber kein Skandal" richtig ist. Deshalb haben Sie, glaube ich, mit diesen Beiträgen, die etwas zum Gähnen waren, die richtige Form gefunden, weil sie letztendlich deutlich machen, dass es für all die Aufregung, das Engagement und die Hysterie, die Sie zu erzeugen versucht haben, keinen wirklichen Anlass gab. Das ist das eigentliche Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses ist so beeindruckend, dass Sie in Ihrer Zusammenfassung und Ihren politischen Stellungnahmen gar keinen Bezug darauf nehmen. Da produzieren wir nun 1 000 Seiten

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 2 000!)

mit sorgfältigen Analysen und allen möglichen Erkenntnissen, die dann für das, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern in der öffentlichen Debatte über den Untersuchungsausschuss mitteilen wollen, ohne Belang sind. Der Verdacht, dass die Ursache darin liegt, dass Sie Ihre übertriebenen Schlussfolgerungen aufgrund der Erkenntnisse nicht rechtfertigen können, liegt jedenfalls sehr nahe. Ich schlage vor, dass die Bürgerinnen und Bürger das ebenfalls so bewerten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?

Olaf Scholz (SPD):
Ja.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte, Herr von Klaeden.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
Herr Kollege Scholz, ich weiß ja nicht, ob Sie den Sachstandsbericht gelesen haben. Aber sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich alle Zitate, die ich verwendet habe, im Sachstandsbericht wiederfinden?

Olaf Scholz (SPD):
Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie zwar ein paar politische Bewertungen zusammengefasst, und zwar Äußerungen von Politikern,

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es waren nur Zitate!)

und aus Zeitungen zitiert haben,

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich habe keine einzige Zeitung zitiert!)

dass Sie aber keinerlei Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses vermittelt haben. Ich jedenfalls habe keine Erkenntnis aus dem Untersuchungsausschussbericht in Ihrer Rede gehört.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie haben keine gehört! Das glaube ich!)

Ich wiederhole deshalb, dass Sie hier völlig frei geschöpft haben, dass Sie die Ergebnisse und Erkenntnisse nicht verwendet haben und dass das die wirkliche Ursache ist, warum es bisher hier so langweilig zugeht.
Ich denke, es gibt eine wichtige Erkenntnis: Es hat gar keine wirkliche Veränderung der Visapraxis der Bundesrepublik Deutschland gegeben, seitdem der Eiserne Vorhang hochgezogen worden ist. Die Probleme waren seit Anfang der 90er-Jahre die gleichen, genauso wie die bürokratischen Schwierigkeiten. Die zuständigen Beamten waren weitgehend ebenfalls die gleichen. Diese haben in bestimmten Bereichen - das mussten wir feststellen - sehr eigenständig Politik gemacht, egal wer gerade Minister war, ob er nun Genscher, Kinkel oder Fischer hieß. Das hat ein Problem ergeben, mit dem wir uns auf irgendeine Weise auseinander setzen müssen. Aber das ist für die aufgeregten Feststellungen, die Sie gerne treffen wollten, keine gute Basis; denn tatsächlich ist die Kontinuität das eigentlich Neue, was wir in der Ausschussarbeit kennen gelernt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es hat schon vor 1998 eine ganze Reihe von Missbrauchsproblematiken an verschiedenen Botschaften und Konsulaten gegeben. Das Beispiel der Botschaft in Polen ist schon erläutert worden. Aber auch in der Ukraine ist die Bearbeitungspraxis über die Jahre eigentlich besser geworden. Der richtige Schub zu einer Verbesserung hat sogar erst nach 1998 eingesetzt. Deshalb kann ich Ihnen die Aussagen des Herrn von Schoepff im Untersuchungsausschuss nicht ersparen. Er hat gesagt: Natürlich ist in dieser Zeit ganz klar Missbrauch und Visaerschleichung festzustellen. Dann hat er noch etwas über die räumliche Ausstattung gesagt - ich darf zitieren -:
Der erste Grund ist die völlig unzureichende räumliche Ausstattung des damaligen Konsulates zunächst im Bereich Visa. Da saßen die Sachbearbeiter, Bürosachbearbeiter, Ortskräfte in zwei Räumen. Der eine Raum war 19 Quadratmeter, der andere circa 15 Quadratmeter groß. Die Spitzenzahl an Mitarbeitern in diesem Bereich, die ich im Visabereich betreut habe, war 1996 25. Dazu kamen vier Ortskräfte, die als Sicherheitsleute draußen zum Einsatz kamen, die sich im Winter natürlich aufwärmen mussten, die Weisungen entgegennehmen mussten. Die mussten auch eine Möglichkeit haben, sich hinzusetzen. Das heißt, dass in dem einen zentralen Raum von 19 Quadratmetern zehn bis zwölf Arbeitsplätze waren. Das heißt, pro Person standen nicht ganz 2 Quadratmeter zur Verfügung.
Er hat uns noch die Situation bei den Kontingentflüchtlingen sehr sorgfältig beschrieben. Dort ist in einem Container ohne Heizung gearbeitet worden. Er hat dann auf die Situation der Außenstelle hingewiesen, die dort für Aussiedler zuständig war, und zitiert, was ihm andere gesagt haben:
Die Außenstelle der Botschaft war nur über eine mit Exkrementen übersäte Treppe zu erreichen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Mäusekot!)

Das sind all die Feststellungen, die wir dort für die Zeit Anfang der 90er-Jahre getroffen haben. Es ist ebenfalls festgestellt worden, dass dort, als dieser Mitarbeiter 1993 eintraf, für die Visavergabe des damals zweitgrößten Konsulats der Welt nur ein Beamter des mittleren Dienstes zuständig war, der sieben ukrainische Ortskräfte führen sollte. Dort sind zunächst 100 000 Visa ausgegeben worden. Diese Ortskräfte sind von der Diplomatenbetreuungsagentur gestellt worden. Er hat uns sehr sorgfältig die Verdächtigungen - diese haben dann auch zu Entlassungen geführt - erläutert, dass es sich zu der Zeit auch um Mitarbeiter der nationalen Sicherheitsdienste der Ukraine gehandelt haben könnte. Das hat ebenfalls zu vielen Problemen geführt. Er hat gesagt: Tatsächlich sind dort etwa 20 000 Visen im Monat erteilt worden; das hat viele Schwierigkeiten nach sich gezogen. Diese Schwierigkeiten beschreibt er alle miteinander.
Ich will Ihnen seine zusammenfassende Feststellung in Bezug auf die Situation Anfang und Mitte der 90er-Jahre in der Ukraine nicht ersparen:
Das sind beschämende Vorgänge. Dass eine bürgerliche Regierung für solche Zustände zuständig ist - das muss ich Ihnen so offen sagen; das sage ich Ihnen als CSU-Mitglied -, ist für mich eine einzige Schande. Eine einzige Schande!

(Sebastian Edathy [SPD]: Hört! Hört!)

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse - wir könnten viele hinzufügen - ist es jedenfalls richtig, etwas leisere Töne anzuschlagen,

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein! 25 Zeugen dagegen! Das war der einzige!)

sich zusammenzureißen und zuzugeben - das ergibt sich wirklich aus der Ausschussarbeit -: Die Kontinuität hat überwogen und es hat weniger Veränderungen gegeben, als einige gedacht haben.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Einen einzigen Zeugen haben Sie dafür! Nicht mehr und nicht weniger!)

Nun gibt es natürlich auch etwas zu den verschiedenen Erlassen zu sagen, die der Ansatz für unsere Arbeit gewesen sind. Wenn die Erlasse dazu gedacht gewesen sein sollten, eine Praxisänderung durchzusetzen, dann waren sie dazu - das haben wir herausgefunden - untauglich. Selbst wenn nicht sämtliche Absichten gut gewesen sein sollten: Sie haben jedenfalls keine Änderung bewirkt. Die eigentliche Erkenntnis ist: Es gab Kontinuität. Hinzu kommt die Tatsache, dass das große Ausmaß an Missbrauch, das hier geschildert worden ist, nicht festgestellt werden konnte.

Mittlerweile sind all die Missstände in der bürokratischen Abwicklung, von denen wir gehört haben, angesichts der Veränderungen abgestellt. Auch das ist eine gute Botschaft, die der Untersuchungsausschuss den Menschen, die uns zuhören, mitteilen sollte. Ich glaube, es war richtig, dass wir diesen Untersuchungsausschuss hatten. Er hat deutlich gemacht: Es hat keinen Skandal gegeben, lediglich Fehlentwicklungen. Diese Fehlentwicklungen sind korrigiert worden. Die ganze Aufregung, die sich um diesen Untersuchungsausschuss abgespielt hat, war nicht berechtigt. Durch unsere gute Arbeit war es möglich, herauszufinden, dass es sich um etwas "auf viel kleinerer Flamme" handelt und dass es viel weniger Hitze und Wallung verdient, als einige hier meinen.

Schlussbemerkung: Für die sozialdemokratische Partei bedanke auch ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats und auch bei unseren eigenen Mitarbeitern, die in vielen Überstunden und nächtlichen Sitzungen mitgeholfen haben, diesen Bericht zu erstellen. Ich hoffe, dass die vielen Seiten, die wir miteinander verfasst haben, von irgendjemandem gelesen werden. Das wäre jedenfalls schön und hilfreich.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Fangen Sie mal an!)

Ich glaube, dass die Lektüre zu so sachlichen und seriösen Schlussfolgerungen führt wie die, die ich hier habe vortragen dürfen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)