Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!
Es ist das sechste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Bundeskanzler den Antrag nach Artikel 68 des Grundgesetzes stellt. Zweimal wollten sich Vorgänger von mir dadurch den Rückhalt ihrer Regierungskoalition sichern. In den anderen drei Fällen nutzten Willy Brandt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder den Artikel 68, um Neuwahlen zu ermöglichen. Die Bundestagswahl vorzuziehen, das ist auch mein Ziel. Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs unseres Landes vorgeben. Darum geht es.
Die Vertrauensfrage richte ich deshalb heute an die Wählerinnen und Wähler. Sie lautet: Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren? Haben wir Vertrauen in uns und unser Land, oder setzen wir unsere Zukunft aufs Spiel? Riskieren wir unseren Zusammenhalt und unseren Wohlstand, indem wir längst überfällige Investitionen verschleppen, indem wir die notwendige Unterstützung der Ukraine und Investitionen in unsere Bundeswehr aufrechnen gegen gute Gesundheit und Pflege, gegen stabile Renten und leistungsfähige Kommunen?
Diese Entscheidung ist so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst getroffen werden muss, von den Wählerinnen und Wählern. Diese Entscheidung ist so grundsätzlich, dass ich die Uneinigkeit darüber in der von mir geführten Regierung nicht länger dulden konnte. Deshalb habe ich im November den Bundespräsidenten gebeten, den Bundesminister der Finanzen zu entlassen.
Politik ist kein Spiel. In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife. Wer in eine Regierung eintritt, der trägt Verantwortung für das ganze Land, Verantwortung, die über das eigene Parteiprogramm, die eigenen Wählerinnen und Wähler hinausgeht, Verantwortung für 84 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Mit dieser Maßgabe habe ich eine Koalition aus drei sehr unterschiedlichen Parteien gebildet. Das war nicht einfach; aber das ist gelungen. Das musste gelingen, weil es dem Auftrag der Wählerinnen und Wähler nach der letzten Bundestagswahl entsprach.
Über drei Jahre hinweg habe ich diese Koalition immer wieder zu Ergebnissen und Kompromissen zusammengeführt. Dafür brauchte es viel Kraft. Kraft brauchte schließlich auch meine Entscheidung, die Koalition zu beenden, weil es so nicht mehr weiterging.
Und damit meine ich nicht nur die wochenlange Sabotage der eigenen Regierung durch die Freien Demokraten. Die Wahrheit über dieses Schauspiel ist inzwischen ans Licht gekommen. So etwas schadet nicht nur dem Ansehen einer Regierung, sondern dem Ansehen der Demokratie insgesamt. Das ist der Schaden, den dieses Schauspiel angerichtet hat. Diesen Schaden bedaure ich zutiefst. Denn wir schulden den Bürgerinnen und Bürgern Anstand und Ernsthaftigkeit.
Wie schon gesagt: Ursächlich für meine Entscheidung, die Regierungskoalition zu beenden, war aber etwas anderes. Ursächlich war eine noch viel bedeutendere Frage, nämlich die Frage, ob und wie wir in unser Land investieren, kraftvoll und entschlossen oder kleinkrämerisch und verzagt? Von dieser Frage hängt alles andere ab: unsere Sicherheit, unser künftiger Wohlstand, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, gute Arbeit und Bildung und nicht zuletzt der soziale Zusammenhalt im Land.
Wir werden hier sicherlich gleich wieder hören, Deutschlands Wirtschaft wachse zu wenig im internationalen Vergleich. Und das stimmt: Wir brauchen mehr Wachstum. Aber dann müssen wir uns doch fragen: Wie viel stärker könnte unsere Wirtschaft wachsen, wenn unsere Infrastruktur auf Vordermann wäre, wenn wir schon heute die Stromnetze, Windräder und Solarparks hätten, die wir für eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung brauchen, Stromnetze, Windräder und Solarparks, die einige der hier vertretenen Parteien jahrelang bekämpft haben? Solche Kurzsichtigkeit mag kurzfristig Geld sparen. Die Hypothek auf unsere Zukunft aber ist unbezahlbar. Und deshalb: Ja, es ist höchste Zeit, kraftvoll und entschlossen in Deutschland zu investieren. Das ist in den letzten Jahrzehnten zu kurz gekommen.
Und vergessen wir nicht: Wir leben heute in einer neuen Zeit. Rund um den Globus – in Asien, Afrika und Lateinamerika – entstehen neue, wirtschaftlich starke Machtzentren. Sie verlangen zu Recht mehr Mitsprache und einen größeren Anteil am weltweiten Wohlstand. Die Jahrzehnte, in denen eine immer engere Zusammenarbeit zwischen den Kontinenten quasi automatisch für Stabilität und steigenden Wohlstand gesorgt hat, sind vorbei. Davor darf niemand die Augen verschließen.
Keine Wählerin, kein Wähler konnte bei der vergangenen Bundestagswahl die Herausforderungen voraussehen, mit denen wir in den letzten drei Jahren zu kämpfen hatten. Heute führt eine hochgerüstete Atommacht Krieg in Europa, nur zwei Flugstunden von hier. Wir müssen massiv in unsere Sicherheit und Verteidigung investieren, um diese Herausforderung zu bestehen. Heute sind wir mit schweren wirtschaftlichen Verwerfungen konfrontiert: Energiekrise, Abschottung, unfairer Wettbewerb. Das trifft gerade unsere weltweit vernetzte Wirtschaft härter als andere.
Viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich: Geht das für mich gut aus? Geht es überhaupt noch um meine Familie, um mein Dorf, meine Stadt? – Dass solche Fragen heute gestellt werden, ist doch kein Wunder. Züge fahren unpünktlich, Straßen sind nicht instand, unsere Bundeswehr war bis zur Zeitenwende in einem bedauernswerten Zustand, 5G und schnelles Internet kommen in Deutschland erst jetzt flächendeckend voran. Mit solchen Versäumnissen aufzuräumen, das ist eine Generationenaufgabe; das ist die Aufgabe unserer Generation.
Künftige Generationen werden sicher nicht den Vorwurf machen: Ihr habt diese Aufgaben zu entschlossen angepackt. – Im Gegenteil: Künftige Generationen würden uns fragen: Warum um alles in der Welt habt ihr diese Aufgabe nicht gelöst?
Es ist ja nicht damit getan, nur das Liegengebliebene aufzuarbeiten. Wir müssen uns auch auf das Kommende vorbereiten: ein neues, verlässliches Energiesystem, Zukunftstechnologien wie Quantencomputer, Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Halbleiter- oder Batterietechnik. Alles das brauchen wir in Deutschland dringend, damit wir ein starkes Industrieland bleiben.
Strukturelle Probleme kommen hinzu, die sich über die Jahre aufgetürmt haben: zu viel Bürokratie, zu viele unnötige Regeln, Berichtspflichten an Brüssel, die keinem Menschen wirklich helfen. Wir sind dabei, damit aufzuräumen. Und das muss weitergehen!
Die USA, China und viele andere Länder locken Unternehmen mit handfesten Steuervorteilen und milliardenschweren Förderprogrammen. Dieser weltweite Wettbewerb ist hart. Unternehmen und Arbeitsplätze, die einmal weg sind, die kommen nie mehr wieder. Wenn wir Unternehmen und Arbeitsplätze hier in Deutschland halten und auch noch mehr davon haben wollen, dann müssen auch wir solche Anreize schaffen. Sonst ziehen wir im Wettbewerb den Kürzeren. Dafür brauchen wir jetzt mehr Investitionen – jetzt, nicht irgendwann.
Diese Einsicht haben nicht alle in der bisherigen Koalition geteilt. Aber mit dieser Wirklichkeitsverweigerung muss Schluss sein. Dafür braucht es das klare Signal der Wählerinnen und Wähler.
Der neue Nobelpreisträger für Wirtschaft, Daron Acemoğlu, hat kürzlich gesagt, Deutschlands größtes wirtschaftliches Problem sei die bröckelnde Infrastruktur. Recht hat er! Der Internationale Währungsfonds und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beknien uns geradezu, endlich mehr zu investieren. Die Wirtschaftsweisen, die Unternehmensverbände, die Gewerkschaften, alle raten dazu. Haben die alle keine Ahnung? Machen denn all die Länder alles falsch, die jetzt kräftig investieren? Sogar Länder übrigens, die viel weniger finanziellen Spielraum haben als wir! Wenn es ein Land auf der Welt gibt, das es sich leisten kann, in die Zukunft zu investieren, dann sind wir das. Alle Länder der G7 zum Beispiel, der wirtschaftsstarken Demokratien, haben eine Staatsverschuldung von über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Unsere sinkt in Richtung 60 Prozent. Wir müssen den Hebel umlegen, und zwar jetzt.
Ich habe Vorschläge gemacht, wie wir unser Land auf Vordermann bringen: mit einem „Made in Germany“-Bonus ähnlich wie in den USA als Booster für private Investitionen, mit stabilen Energiepreisen und einem Deckel für die Netzentgelte von drei Cent, mit einem Deutschlandfonds, gespeist aus öffentlichen und privaten Mitteln, und ja, auch indem wir die Schuldenregeln im Grundgesetz klug modernisieren. Mein Vorschlag ist eine maßvolle Öffnung, klar begrenzt auf Investitionen, Investitionen in Deutschlands Erneuerung und Sicherheit.
Schon in der kommenden Legislaturperiode müssen wir unsere Verteidigung vollständig aus dem laufenden Haushalt finanzieren. Das macht 30 Milliarden Euro mehr pro Jahr spätestens ab 2028. Dazu kommt die Tilgung der Coronakredite und der Kredite für die Ahrflut. Wem bürden wir diese Kosten auf? Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern? Den Familien? Setzen wir Investitionen dann auf null? Erleben wir harte Einschnitte bei Pflege und Gesundheit oder Rentenkürzungen, wie sie unser Land noch nie gesehen hat?
Ja, ich sage ganz bewusst „Rentenkürzungen“. Denn nichts anderes ist es, was manche hier vorhaben. Laut dem Grundsatzprogramm der CDU soll das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Heißt das dann im Klartext, arbeiten bis 70 oder sogar darüber hinaus? Auch die Rente nach 45 Beitragsjahren wollen Konservative abschaffen. Das trifft alle, die nach der Schule eine Ausbildung angefangen haben und seither hart arbeiten. Und das ist hochgradig ungerecht.
Wir schlagen stattdessen vor, das Rentenniveau zu stabilisieren, und zwar schnell. Denn die Rentengarantie läuft schon am 1. Juli nächsten Jahres aus – in weniger als sieben Monaten. Wenn wir diese Garantie nicht verlängern, dann sinkt das Rentenniveau Jahr für Jahr. Was ist denn das bitte anderes als Rentenkürzung?
Ich habe die vergangene Bundestagswahl auch mit dem Versprechen gewonnen, dass jede Bürgerin und jeder Bürger in unserem Land Anspruch hat auf Respekt. Woher sie auch kommen, wo sie auch leben, was sie auch tun: Respekt verdient nicht nur, wer 200.000 Euro im Jahr verdient, sondern auch, wer jeden Tag für den Mindestlohn arbeiten geht. Respekt verdienen alle, die privat fürs Alter vorsorgen können, aber eben auch alle, die sich auf die staatliche Rente verlassen müssen. Respekt verdient, wer im eigenen Haus wohnt, aber genauso alle Mieterinnen und Mieter. Politik zugunsten der einen auf dem Rücken der anderen, das lehne ich entschieden ab.
Es war in den vergangenen drei Jahren nicht immer leicht, die Politik des Respekts durchzusetzen. Die Gründe dafür kennen Sie. Manchmal vor, sehr viel häufiger noch hinter den Kulissen habe ich dennoch hart dafür gekämpft.
Wir haben die explodierenden Energiepreise unter Kontrolle gebracht und die schlimmsten Preissprünge abgefedert. 26 Millionen Beschäftigte haben bis zu 3.000 Euro als Inflationsausgleich bekommen, steuer- und abgabenfrei. Schon das fünfte Quartal in Folge legen nun die Reallöhne kräftig zu – endlich! Arbeit zum Niedriglohn haben wir mit unserer Politik rapide verringert. Früher arbeitete noch jeder vierte Beschäftigte im Niedriglohnsektor, heute nur noch jeder siebte.
Und dennoch spüren viele bei jedem Einkauf an der Supermarktkasse, wie stark gerade die Lebensmittelpreise in den vergangenen Jahren gestiegen sind. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent senken. Ja, das ist ein Brot-und-Butter-Thema im wahrsten Sinne des Wortes, und deshalb kämpfe ich dafür – für diejenigen, die mit 10 oder 20 Euro genau rechnen müssen.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, Politik kann das Leben der ganz normalen Leute besser machen. Und das muss immer das höchste Ziel von Politik sein. Das ist mein Ziel, mein Antrieb, seitdem ich politische Verantwortung trage für unser Land – als Minister in Land und Bund, als Bürgermeister meiner Heimatstadt und seit drei Jahren als Bundeskanzler.
Respekt bedeutet auch, von der eigenen Arbeit leben zu können. Im letzten Wahlkampf habe ich einen Mindestlohn von zwölf Euro versprochen, und das Versprechen habe ich gehalten. Sechs Millionen Frauen und Männer hatten dadurch von einem Tag auf den anderen mehr Geld im Portemonnaie. Auch das meine ich, wenn ich sage: Leistung muss sich lohnen.
Leistungsfeindlich dagegen ist, dass der Mindestlohn seitdem nur um mickrige 82 Cent gestiegen ist – um 82 Cent mitten in der größten Inflation seit Jahrzehnten! Nimmt man nur mal den Anstieg der Durchschnittslöhne als Maßstab, dann müsste der Mindestlohn heute schon bei deutlich über 14 Euro die Stunde liegen. Deshalb kämpfe ich bei der kommenden Bundestagswahl für 15 Euro Mindestlohn. Davon würden rund sieben Millionen Frauen und Männer profitieren, die jeden Tag für wenig Geld fleißig arbeiten. Denn die Leistung aller Leistungsträgerinnen und Leistungsträger zählt und nicht nur der oberen Zehntausend.
Lassen Sie uns im kommenden Wahlkampf auf die Weltuntergangsszenarien verzichten, wenn es um gerechte Löhne geht! Die Welt ist nicht untergegangen, als wir den Mindestlohn eingeführt haben, und auch nicht, als wir ihn auf zwölf Euro erhöht haben. Im Gegenteil: Die Zahl der Beschäftigten ist seither gestiegen, weil gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen Arbeitskräfte anziehen. Das ist wichtig, gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels. Mehr Arbeitskräfte und mehr Beschäftigung, mehr Produktivität und mehr gute Löhne, das muss in einer alternden Gesellschaft Ausgangspunkt und Ziel von Politik sein.
Das ist der einzige Weg, unseren Wohlstand zu erhalten. Das ist auch der einzig vernünftige Weg, für stabile Renten und eine verlässliche Kranken- und Pflegeversicherung zu sorgen – nicht Leistungen zu kürzen, sondern mehr Leute, die in die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einzahlen –, und das ist uns gelungen in den vergangenen Jahren. Da darf es keinen Rückschritt geben nach der Wahl.
Wir müssen weiter in Ausbildung und Qualifizierung investieren. Wir müssen weiter Kitaplätze schaffen und den Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule durchsetzen. Dass wir gerade bei jüngeren Frauen in Deutschland eine so hohe Teilzeitquote haben, das hat doch nichts, wie manche sagen, mit Faulheit zu tun. Viele Eltern wissen einfach nicht, wohin mit den Kindern, und das gilt für Frauen und Alleinerziehende ganz besonders, Frauen und Alleinerziehende, die gern mehr arbeiten wollen und gern mehr Geld verdienen wollen, und dabei haben sie unsere volle Unterstützung.
Und noch etwas: Lassen Sie uns im Wahlkampf ehrlich miteinander sein! Lassen Sie uns im Wahlkampf ehrlich miteinander sein, wenn es um Arbeitskräfte aus dem Ausland geht! Wir alle wissen: Es geht nicht ohne sie. Das sagen uns die Handwerksbetriebe und Unternehmen. Das sagen uns die Krankenhäuser und die Pflegeheime. Das sagen uns die Beschäftigten über ihre Kolleginnen und Kollegen mit einem Zuwanderungshintergrund.
Ich bin deshalb heilfroh, dass wir Deutschland endlich ein modernes Einwanderungsrecht gegeben haben. Parallel dazu haben wir die irreguläre Migration drastisch reduziert. Allein die Zahl der Asylgesuche ist in den vergangenen Monaten um mehr als die Hälfte gefallen. Der jahrelang übliche Anstieg im Herbst ist dieses Jahr ausgeblieben. Das zeigt: Nicht mit starken Sprüchen kommt man in der Migrationspolitik voran, sondern mit beherztem Handeln.
Ich bin heilfroh, dass wir endlich ein Staatsangehörigkeitsrecht geschaffen haben, das Selbstverständlichkeiten anerkennt, zum Beispiel die Selbstverständlichkeit, dass für viele von uns das Wort „Heimat“ auch im Plural existiert, für 25 Millionen von uns, um genau zu sein. Jede und jeder Vierte von uns hat eine Einwanderungsgeschichte. Wir alle machen Deutschland aus, und alle verdienen Respekt.
Wer hier wohnt und arbeitet, wer unsere Sprache spricht, wer gut integriert ist, der und die soll auch zu unserem Land gehören, soll auch mitbestimmen können über die Geschicke unseres Landes. Auch dieser Satz sollte unter Demokratinnen und Demokraten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein; aber bei der anstehenden Wahl steht auch diese Selbstverständlichkeit auf dem Spiel.
Ich habe darüber gesprochen, dass wir in einer grundlegend anderen Zeit leben als vor fünf oder zehn Jahren. Ich habe Russlands brutalen Angriffskrieg erwähnt, der seit fast drei Jahren in der Ukraine tobt. Dieser Krieg beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger vor der kommenden Wahl.
Deutschland ist der größte Unterstützer der Ukraine in Europa. Ich will, dass das so bleibt. Denn machen wir uns nichts vor: Wenn Putin die Ukraine besiegt, dann ist die Sicherheit Europas auf Dauer in großer Gefahr, dann ist unsere Sicherheit auf Dauer in großer Gefahr. Ich habe Präsident Selenskyj bei meiner Reise nach Kyjiw deshalb gesagt: Auf Deutschland ist Verlass.
Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen. Das heißt zugleich: Wir tun nichts, was unsere eigene Sicherheit aufs Spiel setzt, und deshalb liefern wir keine Marschflugkörper, eine weitreichende Waffe, die tief nach Russland hineinwirken kann, und wir schicken ganz sicher keine deutschen Soldatinnen und Soldaten in diesen Krieg – nicht mit mir als Bundeskanzler. Worum es geht, ist klar: Wir schützen die Souveränität der Ukraine – sie wird bestehen –, und wir wollen, dass das Töten endlich endet.
In wenigen Wochen tritt Präsident Trump sein Amt an. Wichtig ist, dass Europa seine Einheit wahrt und stärkt. Das ist uns in den vergangenen Jahren gelungen. Ich bin froh, dass wir das Weimarer Dreieck mit Frankreich und Polen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs wiederbeleben konnten.
In der Europäischen Union und in der Nato haben wir gemeinsam umgesteuert und halten seither Kurs. Wir alle haben die Landes- und Bündnisverteidigung wieder zur Priorität Nummer eins gemacht, national und auch in der Nato. Wir alle unterstützen die Ukraine. Wir alle stärken unsere eigene Verteidigung und arbeiten in Sachen Rüstung viel enger zusammen.
Diesen Schulterschluss will ich bewahren. Deutschlands Wohlstand und Stärke ist untrennbar mit der Europäischen Union verknüpft. Ihr Erfolg, ihre Einigkeit ist Deutschlands wichtigstes nationales Interesse.
Nach dieser Maßgabe habe ich in den vergangenen Jahren gehandelt. Mit dieser Haltung reise ich Ende der Woche zum Europäischen Rat, und in diesem Geist werde ich auch mit der neuen Europäischen Kommission von Ursula von der Leyen und mit dem neuen Ratspräsidenten zusammenarbeiten, mit meinem Freund António Costa.
Das Bekenntnis zum vereinten Europa und zur transatlantischen Partnerschaft, das Bekenntnis zu einer Außenpolitik, die das Völkerrecht achtet und verteidigt, das waren Grundkonstanten der Bundesrepublik Deutschland, solange sie besteht. Damit ist unser Land 75 Jahre lang gut und sicher gefahren. Bei diesem Grundkonsens muss es bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sofern Sie und der Herr Bundespräsident meinem Wunsch nach einem Vorziehen der Bundestagswahl folgen, könnten erstmals gleich mehrere Parteien in den Bundestag gelangen, die diesen Grundkonsens unserer Republik ablehnen. Wie stark sie werden, auch darüber werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Sie alle bitte ich: Lassen Sie uns die Errungenschaften bewahren, die Deutschland stark und wohlhabend gemacht haben!
Haben Sie Vertrauen in unser Land! Ich weiß, dieses Vertrauen ist in den vergangenen Jahren strapaziert worden. Dass die wichtigsten Entscheidungen der Regierung fast immer mit lautem Streit verbunden waren, hat da nicht geholfen. Aber Schlechtreden, Meckern oder gar Aufgeben, das hat noch nie irgendwas besser gemacht. In Deutschland brauchen wir nicht mehr Missmut und Verzagtheit, sondern mehr Vertrauen in unsere Fähigkeiten, mehr Vertrauen auch in unsere Demokratie.
Zur Demokratie gehört, dass Parteien mit unterschiedlichen Vorschlägen gegeneinander antreten, so wie wir alle das in dem nun beginnenden Wahlkampf tun. Dazu gehört aber auch, dass alle Demokratinnen und Demokraten nach einer Wahl bereit sind, zum Wohl des Landes zusammenzuarbeiten, Brücken zu bauen, Kompromisse zu schmieden. Ohne sittliche Reife, ohne Anstand und Ernsthaftigkeit geht das nicht, sondern nur mit Verantwortungsbewusstsein für unser ganzes Land, für alle Bürgerinnen und Bürger. Das wissen die Wählerinnen und Wähler. Ich vertraue auf ihre Vernunft und ihre Urteilskraft.
Ich bitte Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, heute um Ihr Vertrauen und um Ihre Unterstützung, um Ihre Unterstützung dafür, dass wir kraftvoll in unser Land investieren, in sichere Arbeitsplätze und eine gute Zukunft, um Ihre Unterstützung dafür, dass Respekt gegenüber jeder und jedem von uns herrscht und das Leben bezahlbar bleibt, mit guten Löhnen und sicheren Renten, um Ihre Unterstützung dafür, dass wir in Fragen von Krieg und Frieden standhaft und besonnen bleiben, und um Ihre Unterstützung dafür, dass wir unseren Zusammenhalt stärken und uns die Zuversicht nicht abhandenkommt.
In unserem Land steckt so viel Gutes. Wir sind ein Land, das jeden Tag anpackt; ein Land, das Zusammenhalt über Spaltung stellt; ein Land, das seine besten Tage nicht hinter sich hat, sondern vor sich. Für unser Land, für Deutschland werde ich jeden Tag weiter alles geben. Und dafür bitte ich Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, um Ihr Vertrauen.
Schönen Dank.