Inhaltsbereich
Detail
Scholz: Corona-Hilfen verlängern
Funke: Die Corona-Zahlen steigen, die Impfbereitschaft sinkt. Steuert Deutschland in den nächsten Lockdown, Herr Scholz?
Scholz: Nein, beim Impfen hat es große Fortschritte gegeben. Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind mindestens einmal geimpft, die Hälfte bereits vollständig. Wichtig ist jetzt, gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger impfen lassen. Dafür braucht es Informationen, Vorbilder und unkomplizierte Impf-Angebote – etwa mit mobilen Teams an beliebten Treffpunkten. Der Impfstoff muss jetzt barrierefrei zu den Leuten kommen, ohne lange Anfahrten, ohne Termine. Jedem und jeder sollte klar sein: Wer sich nicht impfen lässt, riskiert, schwer zu erkranken und andere anzustecken, die sich nicht impfen lassen können.
Gehören Sie zu jenen, die sich weniger an der Zahl der Neuinfektionen orientieren wollen, wenn es um neue Schutzmaßnahmen geht?
Viele Fachleute verweisen richtigerweise darauf, dass wir neben den Inzidenzen auch die Situation in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen im Blick behalten müssen. Die Infektionszahlen steigen wieder, damit müssen wir umgehen. Aber es ist schon ein großer Unterschied zum Winter und zum Frühjahr, weil so viele jetzt geimpft und damit geschützt sind.
Können Sie garantieren, dass es keinen weiteren Lockdown gibt?
Wenn diese Pandemie uns eines gelehrt hat, dann, mit solchen Aussagen vorsichtig zu sein. Wir sollten alle gemeinsam alles dafür tun, dass kein weiterer Lockdown nötig wird. Deswegen ist Impfen wichtig und die Einhaltung der Hygieneregeln. Ich glaube, auf die Regeln werden wir erstmal angewiesen bleiben. Wir werden Masken tragen in öffentlichen Verkehrsmitteln, in den Fabrikhallen oder in den meisten Schulen. Wir werden auch Abstandsregeln einhalten müssen, wo viele zusammentreffen. Und ich finde es vernünftig, wenn in Restaurants und Kultureinrichtungen nur Geimpfte, Genesene oder frisch Getestete Zutritt haben – um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern.
Kanzleramtsminister Helge Braun will sicherheitshalber nur Geimpfte ins Restaurant oder ins Kino lassen. Lehnen Sie das ab?
Ich finde, wir sollten weiterhin auch ermöglichen, dass man mit einem aktuellen Test ins Kino oder in die Kneipe kommt. Allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass ab einem gewissen Zeitpunkt diese Tests nicht mehr von der Allgemeinheit bezahlt werden, sondern von jedem einzelnen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber in absehbarer Zeit.
Nicht von heute auf morgen – bedeutet was?
Corona-Tests sollten kostenpflichtig werden, wenn alle sich hätten impfen lassen können – also in wenigen Wochen. Ausnahmen müssen natürlich für die gelten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können sowie für Kinder und Jugendliche.
Frankreich hat eine Impfpflicht eingeführt. Schließen Sie das für Deutschland dauerhaft aus?
Ich halte nichts von einer Impfpflicht. Sie lenkt uns von der eigentlichen Aufgabe ab: Wir müssen unsere Freundinnen und Freunde davon überzeugen, dass sie sich impfen lassen. Das ist eine Sache, die berührt jeden von uns. Wir alle sollten bei der Arbeit oder im Sportverein sagen: Ich habe mich impfen lassen, das war gut. Wer sich so verhält, leistet einen Beitrag, auch diejenigen zu überzeugen, die skeptisch sind. Wir alle hier am Tisch sind geimpft und haben die Impfung gut verkraftet, niemand ist zu einem Alien geworden.
Wie denken Sie über Politiker wie den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, die sich demonstrativ nicht impfen lassen?
Es gibt keine Impfpflicht. Aber: Leute in öffentlicher Verantwortung haben eine Vorbildfunktion. Der sollte man schon nachkommen.
Zwei Impfstoffe – von Biontech und von Moderna – sind inzwischen für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren zugelassen. Ist es klug, dass die Ständige Impfkommission immer noch von einer Empfehlung absieht?
Wir haben eine Ständige Impfkommission, die uns – unabhängige – Empfehlungen gibt auf Grundlage aktueller Erkenntnisse und Studien. Das ist gut so. Klar ist: diese Impfstoffe sind zugelassen und stehen zur Verfügung. Deswegen haben auch junge Leute die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Ich traue 15-Jährigen zu, gemeinsam mit ihren Eltern eine solche Entscheidung treffen zu können.
Wie groß ist die Gefahr, dass das neue Schuljahr mit Schulschließungen beginnt?
Ich halte den Präsenzunterricht für ganz ganz wichtig. Deswegen sollte das unsere Priorität sein. Die Vorsichtsmaßnahmen müssen sicherstellen, dass der Schulbetrieb aufrechterhalten werden kann.
Was ist besser geworden seit dem vergangenen Sommer?
Alle Lehrerinnen und Lehrer haben die Möglichkeit erhalten, sich impfen zu lassen. Viele haben von dem Angebot Gebrauch gemacht. Das gleiche gilt für das Schulpersonal, die Eltern und Verwandte zu Hause. Die Gefahr, dass Schulkinder zuhause jemanden anstecken, ist geringer. Natürlich wird an jeder Schule jedes Kind und jeder Erwachsene regelmäßig getestet.
Wie kann es sein, dass es immer noch an Luftfiltern in den Klassenzimmern mangelt?
Mobile Luftfilter sind dort sinnvoll, wo man die Fenster nicht öffnen kann.
Sie wollen Kanzler werden, Herr Scholz, liegen aber mit der SPD acht Wochen vor der Bundestagswahl immer noch deutlich unter 20 Prozent. Lassen Sie den Gedanken zu, dass es nichts mehr wird?
Im Gegenteil: Gerade verspüren wir Aufwind. Die Stimmung dreht sich und wir merken alle, dass für die SPD ein Ergebnis möglich wird, mit dem wir die nächste Regierung führen können. Das wird eine Kanzlerwahl. Ich sage das mit aller Demut: Es berührt mich sehr zu sehen, wie viele Bürgerinnen und Bürger der Meinung sind, dass ich der nächste Regierungschef sein sollte.
Vertrauen Sie darauf, dass Annalena Baerbock und Armin Laschet, die Kanzlerkandidaten von Grünen und Union, sich weiter selbst beschädigen?
Ich konzentriere mich bei meiner Bewerbung auf die Sache. Die Herausforderung, vor der Deutschland steht, ist klar: Wirksamen Klimaschutz umsetzen und zugleich für Wohlstand und Arbeitsplätze zu sorgen. Mein Eindruck: Die Bürger wollen Führung und nicht Wischiwaschi.
Sie haben als Kanzlerkandidat zwei Untersuchungsausschüsse überstanden – und Baerbock stolpert über ihr eigenes Buch. Amüsiert Sie das?
Nein, Schadenfreude ist da völlig fehl am Platz. Wer sich darum bewirbt, Kanzler oder Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu werden, muss abkönnen, dass man hart, mitunter ungerecht kritisiert wird. Manche Kritik an Frau Baerbock finde ich übertrieben, da schwingt auch Frauenfeindlichkeit mit.
Im Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal haben Sie jegliche Einflussnahme auf das Steuerverfahren der Warburg-Bank bestritten, sich aber auf Erinnerungslücken berufen, als es konkret wurde. Das wirkt nicht besonders glaubwürdig …
Es hat keine politische Einflussnahme auf die Steuerverwaltung in Hamburg gegeben. Das habe ich von Anfang an gesagt – und das stellt sich in dem Ausschuss in Hamburg klar heraus. Alle betroffenen Stellen und die zuständigen Beamten haben in öffentlichen Befragungen dargelegt, dass es keinerlei Einfluss gab.
Der Bundesgerichtshof hat die Strafbarkeit der Cum-Ex-Geschäfte bestätigt und die Warburg-Bank zu einer Zahlung von 176 Millionen Euro verurteilt. Hat Sie das überrascht?
Die Entscheidung ist wirklich eine gute Sache für uns als Steuerzahler und für die Gerechtigkeit. Das Gericht hat klargestellt, dass Cum-Ex zu keinem Zeitpunkt legal war und die Steuerschuld nie verjährt ist. Man kann sich nicht eine einmal gezahlte Steuer mehrfach erstatten lassen und glauben, das sei rechtlich einwandfrei. Nun müssen auch diejenigen ihre Gewinne wieder hergeben, die vielleicht selber nicht strafbar gehandelt, aber wirtschaftlich davon profitiert haben. Das ist gut so. Damit hat sich die Auffassung von mir und der Finanzverwaltung voll und ganz bestätigt.
Wer Kanzler werden will, braucht Regierungspartner. Sehen Sie eine Machtperspektive?
Ich bin ziemlich sicher, dass mit dem Wahlergebnis eine klare Botschaft für die Regierungsbildung verbunden sein wird. Worum ich bitte, ist ein Mandat der Bürgerinnen und Bürger, damit ich die nächste Regierung führen. Dafür braucht es ein Kreuz bei der SPD.
Die FDP macht den Verzicht auf Steuererhöhungen zur Bedingung für einen Regierungseintritt, und ihr Parteichef Christian Lindner sagt: ‚In Deutschland zahlt niemand zu wenig Steuern – außer vielleicht Amazon und Google.’ Damit hat sich ein Bündnis doch erledigt, oder?
Niemand sollte in Hybris verfallen. Die Bürgerinnen und Bürger treffen die Wahlentscheidung. Eines ist klar: Steuersenkungen für Leute mit kleinen, mittleren und auch noch ganz guten Einkommen, wie wir sie vorschlagen, kann es nur geben durch ein gerechteres Steuersystem. CDU/CSU und FDP wollen Steuersenkungen für Leute, die ein paar hunderttausend Euro verdienen – und für Unternehmen, die sehr hohe Gewinne machen. Das könnten die nur finanzieren, wenn sie die Investitionen in Deutschland zusammenstreichen oder den Sozialstaat kürzen. Beides ist angesichts der unglaublichen Kredite, die wir in der Corona-Krise aufgenommen haben, nicht nur unfinanzierbar, sondern auch unmoralisch. Ich verstehe, dass Herr Laschet ins Lavieren kommt. Aber gut ist das nicht.
Wer zahlt mehr Steuern, falls Sie Kanzler werden?
Mehr als 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden weniger zahlen. Jahreseinkommen bis 100 000 Euro brutto für Singles und 200.000 für Ehepaare werden entlastet.
Die Frage war: Wer zahlt mehr Steuern?
Ich zahle dann mehr Steuern – und alle, die wie ich sehr sehr hohe Einkommen haben.
Eine andere Frage ist, was sie mit dem Geld machen. Wie lange wollen Sie Corona-Hilfen zahlen?
Niemand soll kurz vor der Rettung ins Straucheln geraten. Hilfen wie die Kurzarbeiter-Regelung und auch die Wirtschaftshilfen sind bis 30. September befristet. Ich will beides bis zum Jahresende verlängern. Möglicherweise müssen wir auch im nächsten Jahr dem einen oder anderen Unternehmen helfen.
Wer trägt die Kosten der Flutkatastrophe?
Die Situation in den betroffenen Gebieten ist furchtbar, deshalb war es wichtig, dass wir gemeinsam mit den Ländern die Soforthilfe schnell auf den Weg gebracht haben. Sie werden direkt vor Ort ausgezahlt und helfen in der ersten Not. Die Bürgerinnen und Bürger haben die Gewissheit: Wir lassen euch nicht im Stich. Und wenn noch mehr Geld nötig wird, wird es das geben. Der Wiederaufbau wird in den nächsten Jahren Milliarden kosten. Grundsätzlich muss sich unser Land auf solche Situation für die Zukunft vorbereiten. Der Klimawandel ist menschengemachte und wir dürfen die, die davon am heftigsten betroffenen sind, jetzt nicht mit dem Folgen allein lassen. Sonst spaltet das unsere Gesellschaft. Ich schlage einen Vorsorgefonds vor, in den Bund und alle Länder gemeinsam organisieren. Und wir müssen diskutieren, wie wir mit der Elementarschadenversicherung umgehen wollen.
Sind Sie für eine Pflicht-Versicherung?
Die Frage ist, ob man diese Verpflichtung allen Bürgern auferlegen möchte. Das würde die Preise fürs Wohnen wieder teurer machen. Diese Debatte müssen zunächst einmal die Länder führen. Wenn es eine Einigung gibt, wird der Bund dem sicher nicht entgegenstehen.
Die Flut wirft eine beklemmende Frage auf: Haben wir die Chance, eine Klimakatastrophe abzuwenden, schon verpasst?
Das Klima ändert sich leider schon. Aber Schlimmeres müssen wir verhindern, deshalb ist Klimaschutz so wichtig. Ich will, dass Deutschland als Industrieland da auch Vorbild und Vorreiter wird für andere Länder in der Welt.
Was bedeutet das für unser Leben?
Es geht nicht um Verzicht, sondern um die zweite industrielle Revolution. Wenn sie gelingt, wird es eine riesigen Wachstums- und Investitionsschub in Deutschland geben. Dafür braucht es aber klare Entscheidungen. Wir werden uns in die Zukunft nicht hineinlavieren können. 250 Jahre lang basierte unsere Industrie und unser Wohlstand auf der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas. In nicht mal 25 Jahren wollen wir komplett auf Erneuerbare Energie umsteigen. Das bedeutet, dass wir jetzt die Weichen dafür stellen müssen: Mehr Windkraft, mehr Solarenergie, mehr Leitungen für ein leistungsfähiges Stromnetz. Das muss Chefsache werden.
Wie steht es um den Klima-Umbau unserer Wirtschaft?
Mit der Union verschläft Deutschland seine Zukunft. Jahrelang hat das zuständige Wirtschaftsministerium sich geweigert, eine Kalkulation vorzulegen, wie viel Strom wir künftig brauchen und behauptet, es sei damit getan, die jetzigen Strommengen aus Erneuerbaren Energien zu generieren. Pünktlich zur Sommerpause bekundete das Ministerium, im Jahr 2050 braucht allein die Chemie-Industrie so viel Strom wie unser Land heute insgesamt. Vier Jahre wurden verschenkt! Das ist eine Kapitulationserklärung der Wirtschaftspolitik von CDU und CSU.
Stellt sich das Ziel, gleichzeitig aus Kern- und Kohlekraft auszusteigen, als zu ehrgeizig heraus?
Nein, aber es muss klar gesagt werden: Eine weitere von der Union geführte Bundesregierung würde Wohlstand und Arbeitsplätze kosten. CDU/CSU haben sich geweigert, den Ausbau von Windkraft und Solarenergie voranzutreiben. Wir müssen im ersten Jahr der nächsten Legislaturperiode die Vorschriften so verändern, dass eine Windkraftanlage nicht in sechs Jahren, sondern in sechs Monaten genehmigt wird. Sonst werden wir keines der Ziele, die wir in unserem Klimaschutzgesetz aufgeschrieben haben, rechtzeitig erreichen können. Die Zuständigen haben die Augen verschlossenen vor der wichtigsten Aufgabe für die industrielle Zukunft Deutschlands.
Sie haben die ganze Zeit mitregiert.
Der Umbau Deutschlands in ein klimaneutrales Land ist eine Führungsfrage. Wenn ich Kanzler bin, werden wir das hinbekommen. Dann wird Deutschland seinen wirtschaftlichen Wohlstand sogar ausbauen können. Und es wird gute Arbeitsplätze geben – gerade auch in der Industrie.