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27.08.2021

Scholz: "Dienen heißt für mich, sich in den Dienst eines Land zu stellen."

Herr Scholz, Sie sagen, ein Kanzler muss sich als Diener seines Landes verstehen. Was bedeutet dienen für Sie?

Scholz: Der Begriff klingt altmodisch, umfasst aber etwas Grundsätzliches. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, es geht um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Es geht um Führung, die man als Kanzler zeigen muss, um einen klaren Plan für die Zukunft. Dienen heißt für mich, sich in den Dienst eines Land zu stellen. Es geht nicht um einen selbst.

Wenn Sie Kanzler werden, würden Sie die Bundeswehr wieder in einen Einsatz wie in Afghanistan schicken?

Die Bundesrepublik muss in der Lage sein, sich an internationalen Einsätzen zu beteiligen – im Rahmen der Nato oder der EU, mit Mandat der Vereinten Nationen. Risiken und Chancen eines Einsatzes gilt es selbstverständlich vorher genau abzuwägen. Die Entscheidung, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center, die sich jetzt zum 20. Mal jähren, gegen Al-Qaida vorzugehen, war richtig. Und es war ebenso richtig zu versuchen, im Anschluss Afghanistan dabei zu unterstützen, staatliche Strukturen und eine Armee aufzubauen, die in der Lage ist, das eigene Volk zu beschützen und zu verteidigen. Dieser Ansatz ist, das gehört ausgesprochen, gescheitert – und das ist sehr bitter.

Die Opposition fordert einen Untersuchungs-Ausschuss zur Aufklärung. Unterstützen Sie das Ansinnen?

Zweifellos gibt es viel aufzuarbeiten. In welchem Format, muss der nächste Bundestag beschließen. Die Idee einer Enquete-Kommission, wie sie der SPD-Fraktionsvorsitzende vorgeschlagen hat, verspricht Erkenntnisgewinne, weil da in den Sitzungen auch viele Fachleute gehört werden können.

Die Evakuierung zeigt, wie wichtig gute Ausrüstung ist. Die Truppe braucht zusätzliche Milliarden, um altes Gerät auszutauschen. Würde der Etat unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung weiter steigen?

Die mageren Jahre für die Bundeswehr begannen in der schwarz-gelben Koalition, unter einem Finanzminister Schäuble, einer Kanzlerin Merkel (beide CDU) und unter dem Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU). Ich habe den Wehretat massiv erhöht und Investitionen in eine bessere Ausstattung der Bundeswehr erst wieder ermöglicht. Mittlerweile umfasst er etwa 50 Milliarden Euro. Was die weitere Entwicklung angeht, müssen wir auch ein bisschen auf Sicht fahren und sehen, wie sich Konjunktur und Steuereinnahmen entwickeln. Alles andere wäre finanzpolitisch unseriös, das überlasse ich gerne anderen.

Sie haben 1984 Zivildienst gemacht. Warum haben Sie den Dienst an der Waffe verweigert?

Aus Gewissensgründen habe ich den Wehrdienst bereits als Schüler verweigert. Seinerzeit profitierte ich zunächst von einer Gesetzesreform der sozialliberalen Koalition, die unter Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) stattfand. Damals konnte man ohne größere Begründung verweigern, eine Postkarte genügte. Bevor meine Verweigerung rechtsgültig anerkannt war, hat das Bundesverfassungsgericht diesen Weg aber verworfen. Ich steckte dann im Studium und habe später meine Verweigerung noch begründen müssen.

Dann aber ausführlich?

Natürlich, da war ich aber bereits Jurist und hatte im Studium am Verwaltungsgericht Station gemacht und Gutachten und Urteilsentwürfe zu Verfahren von Kriegsdienstverweigerern geschrieben. Diese Erfahrungen sind in meine Verweigerung eingeflossen; und wenn ich mich richtig erinnere, habe ich auch mit der Lektüre von Karl May argumentiert.

Wie haben Sie argumentiert?

Ich habe geschrieben, dass ich alle Bücher von Karl May gelesen hätte, aber die Helden, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi hätten niemals jemanden getötet. Das habe ich immer sehr ausführlich mit christlichen Motiven begründet. Dass die im Laufe der Geschichte manchmal doch zu Schaden gekommen sind, lag nie am Helden. (lacht herzlich). Da hatte ich wohl auch ein Glas Rotwein getrunken vorher.

Die SPD holt auf. Sie liegt in Umfragen teils vor der Union. Sind Sie überrascht, dass nach mehr als einem Jahr passiert, was Sie ein Jahr lang angekündigt haben – dass es aufwärts geht?

Nicht überrascht, aber erfreut. Ich war von Beginn an überzeugt, dass wir eine echte Chance haben, wenn wir früh den Kandidaten nominieren, als Partei geschlossen auftreten und ein zuversichtliches Programm für die Zukunft vorschlagen.

Nach dieser Wahl könnte es ein Dreierbündnis im Bund geben. Wie würde dies das Regieren verändern?

Ein Dreierbündnis ist keine unlösbare Aufgabe, in vielen anderen Ländern in Europa ist es Realität und in der Hälfte der Landesregierungen inzwischen auch. Und mit CDU und CSU konnten wir in dieser Legislaturperiode mitunter schon ähnliche Erfahrungen mit einer Art Dreierbündnis sammeln.

Deutschland, die größte Volkswirtschaft in der Mitte von Europa, galt gerade wegen der Zweierkoalition als besonders stabil.

Es gibt eine Voraussetzung für das Gelingen eines Regierungsbündnisses: Alle Beteiligten müssen gemeinsam erfolgreich sein wollen. Politische Kompromisse müssen für die Regierungsparteien, ihre Anhänger und für das Land gleichermaßen gut sein.

In Erinnerung ist vor allem, dass der Versuch einer Jamaika-Koalition 2017 scheiterte.

Ich fand es verantwortungslos, dass sich die FDP nach der Wahl 2017 am Ende einem Regierungsbündnis verweigert hat mit den Worten, lieber nicht zu regieren als falsch. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich Union und Grüne zuvor nicht sehr viel Mühe gegeben hatten, ein echtes Dreierbündnis zustande zu bringen. Sie haben letztlich untereinander verhandelt und der FDP nur eine Nebenrolle zugedacht. So geht das nicht.

Was würden Sie FDP-Chef Christian Lindner anbieten für ein Ampelbündnis?

Erstmal haben die Wähler am 26. September das Wort. Ich kämpfe darum, dass die SPD so stark wie möglich wird und den Auftrag erhält, eine Regierung zu bilden. Sollte das gelingen, verstehe ich es als meine Aufgabe, eine Koalition zu schmieden, die gut ist für Deutschland. Es wäre keine verantwortliche Politik, im Wahlkampf mit Koalitionsgesprächen zu beginnen.

Als die große Koalition 2018 startete, lagen rund 80 Milliarden Euro bereit, um parteipolitische Wohltaten zu finanzieren. Geld war der politische Kitt. Die nächste Regierung wird mit 400 Milliarden Euro Schulden starten. Was soll sie zusammenhalten?

Die gemeinsame Aufgabe: Unser Land will bis 2045 klimaneutral wirtschaften. Das heißt, wir steigen aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas aus und setzen auf Erneuerbare Energien, vor allem Wind und Sonne. Das ist eine riesige Herausforderung, vor der wir stehen, denn wir wollen Wohlstand und Industrie in unserem Land sichern.

Herr Lindner will Klimaschutz durch den Markt regeln. Sie wollen, dass der Staat regelt. Die Grünen haben eine Liste von Ver- und Geboten. Wie soll das zusammenpassen?

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt doch: Bei großen Veränderungen sichert das Gemeinwesen Risiken ab und schafft Sicherheit für neue Investitionen. Die Stromnetze, die Wasserstoff-Herstellung, die Entwicklung von Speicher-Technologien sind privatwirtschaftliche Investitionen, für die es einen klaren Rechtsrahmen braucht. Wir müssen jetzt klarmachen, dass sich diese Investitionen lohnen und am Ende rechtzeitig ausreichend Energie zur Verfügung steht, damit alles funktioniert.

Das Angebot an die FDP lautet also: Subventionen für Unternehmen statt Steuerentlastungen?

Das wäre mir jetzt etwas simpel. Dass Subventionen nicht auf Dauer funktionieren, wenn unsere Volkswirtschaft ihre Kraft erhalten soll, ist bekannt. Aber: In solch schwierigen Umstellungsprozessen, etwa in einem Stahlwerk, wo der Hochofen ersetzt werden soll durch Direktreduktionsanlagen, sind staatliche Anschub-Förderungen durchaus sinnvoll.

Robert Habeck von den Grünen, der einst Landesminister war, liebäugelt mit dem Finanzministerium. Und auch Lindner, der noch nie ein Ministerium geführt hat. Wer wäre Ihnen lieber?

Es entspricht nicht meinem Stil, vor einer Wahl schon öffentlich über Ministerien oder Ministerposten zu spekulieren. Das wäre der vorletzte Schritt vor dem ersten.

Sind die Grünen Ihnen näher als die FDP?

Ich bin Sozialdemokrat, das zählt. Mit den Grünen habe ich im Bund wie in Hamburg schon zusammengearbeitet, gerade in der Klimapolitik gibt es viele Überschneidungen, was die Ziele angeht. Allerdings sehe ich bei den Grünen ein gewisses Umsetzungsdefizit. Man kann nicht nur für Windkraft sein, und dann – wie in Baden-Württemberg – kaum Windkraftwerke bauen. Im Übrigen soll die Zusammenarbeit von SPD, Grünen und FDP in Rheinland-Pfalz gut funktionieren. Unter Führung von Malu Dreyer klappt da sogar der Windkraftausbau.

Was auffällt an den Wahlprogrammen, ist, dass kaum jemand den Bürgern was zumuten will. Der steigende CO2-Preis etwa soll nichts am Alltag ändern, sondern komplett kompensiert werden an anderer Stelle. Das klingt recht unrealistisch?

Wir muten uns allen gehörig was zu. Eines müssen wir klar aussprechen: Wenn wir zum Schutz des Klimas und der Umwelt aus der Atomenergie und der Kohle aussteigen, was ich beides für absolut richtig halte und was schnell geschieht, müssen wir einsteigen in die Alternativen: Die Erzeugung von viel mehr Strom aus Wind und Sonne ist der einzige Weg – sowie der Ausbau der Leitungsnetze. Es braucht vor allem mehr Windkraftanlagen, insbesondere auf See, aber auch an Land, und mehr Solarpanelen. Wenn wir aber sechs Jahre brauchen, um den Bau einer Anlage zu genehmigen, haut das nicht hin, das muss in sechs Monaten geschehen. Ich kann die Drückebergerei vieler in diesen Fragen nicht leiden.

Stünde die SPD auch als Juniorpartner in einer Ampel zur Verfügung?

Ich trete an, um zu regieren und der nächste Kanzler der Republik zu werden. Ausweislich der Umfragen ist das nicht unrealistisch.

Was sagt Ihre Frau Britta Ernst zu Ihren Plänen, Kanzler zu werden?

Sie findet das gut.

Und Ihr Privatleben? Ihre Frau ist Bildungsministerin in Brandenburg.

Unsere Partnerschaft ist uns beiden sehr wichtig und wir haben uns immer Zeit dafür genommen. Und wir sind zwei eigenständige Personen, die beide sehr engagiert ihrem Beruf nachgehen. Da geht es uns nicht anders als vielen anderen Paaren. Ich sage gerne auch hier nochmal: Die Liebe ist das wichtigste im Leben.

Ihre Frau würde weiter arbeiten, sollten Sie Kanzler werden. Besteht da nicht ein Interessenkonflikt, wenn etwa bei einem Bildungsgipfel die Frau des Kanzlers – Landesbildungsministerin – vorab die wichtigsten Linien kennt?

Sie dürfen schon auf ein hohes Maß an Professionalität setzen.

Kein Vorteil also für die Bildungsministerin Ernst?

Nein.

Sie sagen, Sie seien für paritätische Besetzungen. In Ihrem Ministerium aber herrscht an der Spitze das Patriarchat. Alle vier wichtigen beamteten Staatssekretäre sind männlich.

Einspruch: Ich habe sechs Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, zwei Frauen und vier Männer. Alles sechs tragen zum Erfolg des Hauses gleichermaßen bei.

Sie meinen zusätzlich die parlamentarischen Staatssekretärinnen?Trotzdem kann von Parität keine Rede sein. Und die parlamentarischen Staatssekretärinnen beantworten vor allem Anfragen aus dem Bundestag...

… sie sorgen dafür, dass unsere Politik eine Mehrheit im Parlament findet. Das ist für einen Minister eine unverzichtbare Aufgabe. Ich habe mich im Finanzministerium dafür engagiert, dass Frauen bessere Karrierechancen haben. Gleichstellung ist ein wichtiges Ziel, das ich erreichen will. Deshalb will ich eine Bundesregierung bilden, die aus mindestens gleich vielen Frauen wie Männern besteht. Und das soll sich möglichst auf allen Ebenen fortsetzen.

Andrea Nahles, die frühere SPD-Chefin, sollte die Partei nach der Niederlage 2017 wieder aufrichten, scheiterte aber. Stünde ihr unter einem Kanzler Scholz der Weg zurück in die Politik offen?

Wenn Andrea Nahles für sich irgendwann entscheidet, dass sie wieder in die Politik gehen möchte, dann würden sich viele sehr freuen. Dazu gehöre auch ich.

Ist der Abschied von Andrea Nahles ein Beispiel dafür, wie die SPD mit starken Frauen umgeht?

In der Politik ist es für Frauen unverändert schwieriger. Sie müssen mit anderen Widerständen rechnen als Männer. Das ist so, und das ärgert mich. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.

Es sagen ja viele Leute, der Scholz ist wie die Merkel. Finden Sie das auch?

Es ist für einen Mann nie schlecht, mit einer erfolgreichen Kanzlerin verglichen zu werden.