"Stadtentwicklung und Infrastruktur 2024 Akzente und Perspektiven ohne Olympia" Rede beim VNW Frühstücksgespräch der Wohnungswirtschaft
Sehr geehrter Herr Breitner
meine sehr geehrten Damen und Herren,
zwei bis drei Milliarden Menschen werden innerhalb der nächsten Jahrzehnte weltweit vom Land in die Städte ziehen. So sagt es eine neue Studie des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen voraus. Ihr Titel: Der Umzug der Menschheit.
Dieser vollzieht sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen ich zitiere aus der Studie: Der Umzug der Menschheit gestaltet sich als demographisches Wachstum innerhalb von Städten, durch Zuzug von Menschen vom Land in die Stadt oder von Klein- und Mittelstädten in die Metropolen, durch die Migration zwischen armen sowie zwischen armen und reichen Ländern sowie durch sozialen Aufstieg aus den Armutssiedlungen in die Quartiere der Mittelschichten. Der Umzug der Menschheit könnte der wirkungsmächtigste Prozess sozialen Wandels im 21. Jahrhundert werden.
Das klingt dramatisch, besonders für Asien und Afrika, wo 90 Prozent des Wachstums erwartet wird. Aber wir kennen längst auch die Chancen, die in diesem Prozess liegen: Wo Ankommende offen aufgenommen werden, wo sie Arbeit, Bildungschancen für die Kinder und eine Lebensperspektive finden, wird die Stadt vom Zuzug profitieren. Denn wenn die Voraussetzungen stimmen, geht mit dem Wachstum der Bevölkerung ein Wachstum des Innovationsvermögens und des Wohlstands einher.
Insofern blicken wir in Hamburg recht zuversichtlich auf unsere eigene Wachstumsprognose. Bis 2030 rechnen wir mit 1,9, vielleicht auch zwei Millionen Einwohnern, wobei der Zuzug von Geflüchteten oder andere Migrationsbewegungen noch nicht berücksichtigt sind.
In Hamburg stellen wir uns seit 2011 auf dieses Wachstum ein. Unser neues Ziel sind 10.000 Baugenehmigungen pro Jahr. Die Projekte von der Mitte Altona über den Hamburger Osten entlang der Elbe und der Bille sind Ihnen vertraut. Erst Ende April waren sie Thema auf der großen Fachkonferenz Wohnen in Hamburg.
Zurzeit beschäftigt uns besonders der Deckel über der A7, durch den bedeutende Flächen für ganz neue, zentrumsnahe Quartiere entstehen. Durch den Deckel und durch Nutzungsverlagerung gibt es in Altona Platz für mehr als 2.500 Wohnungen mitsamt Grünanlagen und Infrastruktur, während gleichzeitig der Autolärm und die Teilung des Stadtteils durch die Verkehrsschneise verschwinden da lösen wir eine regelrechte positive Wirkungskette aus.
Etwa 900 dieser Wohnungen sollen auf dem Gebiet der Trabrennbahn Bahrenfeld errichtet werden. Zu diesem Zweck wollen wir die Kleingärten südlich des Volksparks auf den Autobahndeckel verlagern. Die Trabrennbahn könnte mit Hilfe des Senats und nach Absprache mit den Betreibern nach Horn gehen. Vor einem Monat (am 30.3.16) haben wir einen städtebaulichen Wettbewerb für die Entwicklungsflächen westlich der Autobahn ausgelobt. In einem zweiten Schritt wird es um das Areal um die Trabrennbahn gehen. Wir hoffen, dass wir dort etwa 2019 mit dem Bau beginnen können.
Meine Damen und Herren,
wo wir Wohnungen bauen, entstehen oft auch neue Quartiere mit einer neuen Infrastruktur. Das sind wirklich große, die Stadt zu ihrem Guten verändernde Vorhaben. Wie Sie sehen, geht es mit der Stadtentwicklung auch ohne Olympia in großen Schritten voran. Da halten wir es in Hamburg mit dem Ausspruch des Philosophen Immanuel Kant: Es ist nichts beständig als die Unbeständigkeit. Der Satz passt auch insofern gut, als Kant 2024 die Jahreszahl wird Ihnen noch etwas sagen seinen 300. Geburtstag feiern wird.
Aber bis dahin gibt es noch viel zu tun. Seit 2011 sind fast 50.000 Wohneinheiten genehmigt und rund 20.000 fertiggestellt worden. Das sind gute Zahlen. Und wir werden das neue Ziel, jährlich mindestens 10.000 Wohneinheiten zu genehmigen, ebenso zuverlässig ins Auge fassen. Unsere Doppelstrategie Mehr Stadt in der Stadt und Mehr Stadt an neuen Orten, mit der wir weitere Flächen aktivieren, bildet hier eine solide und man darf inzwischen auch sagen: bewährte Grundlage.
Damit wir die Potenziale an Flächen auch mittel- und langfristig identifizieren und den Erschließungsprozess steuern können, haben wir zum Planrecht ein entsprechendes Monitoring implementiert. Außerdem hat der Senat beschlossen, 50 Ingenieure neu einzustellen. Mit dem erweiterten Ziel von 10.000 jährlichen Wohneinheiten muss das Personal in der Bauprüfung, der Stadt- und Landschaftsplanung und vor allem in dem erwähnten Planrecht entsprechend wachsen.
Um die Genehmigungsverfahren weiter zu beschleunigen, verbessern wir den städtischen Service in diesen Bereichen ständig. Dabei nutzen wir zunehmend auch digitale Verfahren. Ein Beispiel hierfür ist das zentrale webbasierte Auskunftssystem ELBE+, das sich kurz vor der Inbetriebnahme befindet. Bauunternehmen sind im Vorfeld von Tiefbaumaßnahmen verpflichtet, sich über im Boden befindliche Leitungen zu informieren. Da es bislang kein gemeinsames Leitungsregister gab, mussten diese bei jedem Leitungsbetreiber einzeln anfragen. Diese Anfragen lassen sich in Zukunft über ELBE+ in einem Schritt erledigen.
Die Erfahrungen mit dem Bau der Flüchtlingsunterkünfte mit Wohnperspektive haben uns noch einmal verstärkt darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig eine Beschleunigung der Verfahren ist. Ein anderes Thema sind die Baukosten, die wir nicht nur bei der Errichtung der sogenannten Expresswohnungen senken müssen, wenn wir nicht irgendwann auf ein Modell von Stadt zusteuern wollen, wie man es in London, San Francisco oder auch München vorfindet.
Diese drei sind zweifellos schöne Städte. Allerdings haben Bürgerinnen und Bürger mit durchschnittlichen oder geringen Einkommen dort in den zentrumsnahen Stadtteilen praktisch keine Chance mehr auf eine bezahlbare Wohnung. Abgesehen davon, dass sich dies bei der Gewinnung von begehrten Fachkräften nachteilig auswirkt ein solches Hamburg wollen wir nicht. Dass unsere Stadt als attraktiv gilt, liegt nicht nur an ihrer schönen Lage am Fluss oder der Wirtschaftskraft. Hamburg ist auch attraktiv, weil jeder dort seinen Platz finden kann. Einen Platz zum Lernen, zum Arbeiten und zum Wohnen.
Das erreichen wir nicht nur durch den Bau von Sozialwohnungen in Zukunft werden es 3.000 statt 2.000 pro Jahr sein. Wir brauchen auch ein größeres Angebot im mittleren Bereich und jenseits staatlicher Förderung. Es kann nicht angehen, dass Durchschnittsverdiener die Durchschnittspreise auf dem freien Immobilienmarkt nicht mehr zahlen können. Gerade Familien aber kommen auch in Hamburg immer öfter an ihre finanziellen Grenzen. Wie ist es also möglich, die Kosten für Wohnungen so weit zu senken, dass ihr Bau sich für die Wirtschaft auch bei niedrigeren Mietpreisen noch rechnet?
Wir schöpfen hier unsererseits bereits viele Möglichkeiten der Kostensenkung aus, von der bundesweit drittniedrigsten Grunderwerbssteuer über die Konzeptausschreibung für Flächen bis zur Abschaffung der gesetzlichen Pflicht zur Schaffung von Stellplätzen für neuen Wohnraum. Und so möchte ich heute eine weitere Möglichkeit ins Spiel bringen: den System- oder Serienbau.
Serielle Fertigung kann bei Wohnungen genauso sinnvoll sein wie bei Autos oder Möbeln. Nur nutzen wir diese Chance bislang nicht oft. Dabei sind die Vorbehalte, die sich großenteils aus den Fehlplanungen der 60er und 70er Jahre herleiten, obsolet geworden. Die bautechnischen Möglichkeiten sind heute ganz andere als zu Zeiten, in denen Serienbau mehr oder weniger mit Plattenbau, schalldurchlässigen Wänden und geringer Haltbarkeit gleichzusetzen war. Es wird ganz konventionell Stein auf Stein gebaut. Moderner Serienbau kann unsere energetischen Standards genauso erfüllen wie den Wunsch nach soliden Materialien und einer ansprechenden Architektur. Weshalb übrigens auch die Baukostensenkungskommission des Bundes zu Recht auf die Chancen von Modularisierung und Standardisierung hinweist.
Allerdings fehlen uns oft noch die Erfahrungen mit dieser schnelleren, flexibleren und günstigeren Form des Bauens. Um diese zu sammeln, bietet die Stadt nun über eine Konzeptausschreibung zwei Grundstücke an, auf denen frei finanzierte Wohnungen mit einer Einstandsmiete von 8 Euro/qm (netto kalt) errichtet werden sollen bei guter städtebaulicher, architektonischer und energetischer Qualität. Wir sind gespannt auf die Bewerbungen und werden das Projekt sorgfältig evaluieren.
Zwei Erkenntnisse müssen unsere Wohnungspolitik immer leiten:
- Die Hälfte aller Hamburger Haushalte ist förderberechtigt. Von allen Hamburger Haushalten können rund 38 Prozent sogar einen §5-Schein beanspruchen. Diese hohe Zahl an Förderberechtigten stellt uns nicht vor unlösbare Probleme. Aber sie sagt etwas über die Finanzkraft sehr vieler Haushalte aus. Immerhin: Etwa 130.000 Wohnungen werden in der SAGA GWG verwaltet und noch einmal so viele von den Genossenschaften angeboten. Hinzu kommen geförderte Wohnungen im Besitz privater Eigentümer. Und nicht wenige Mieterinnen und Mieter nutzen eine bezahlbare frei finanzierte Wohnung schon sehr lange.
- Auf der anderen Seite können wir davon ausgehen, dass ein Durchschnittsverdiener und diese machen stets die große Gruppe der Bevölkerung aus maximal eine Netto-kalt-Miete von etwa 8 Euro aufbringen kann. 8 Euro netto kalt: Ungefähr da liegt heute die Durchschnittsmiete in Hamburg. Für diejenigen, die nur den Mindestlohn verdienen das sind bei 40 Stunden die Woche nur 1.470 Euro im Monat , ist das schon zu viel.
Wenn sehr viele Mieterinnen und Mieter nur maximal 8 Euro zahlen können, ein Neubau aber so teuer wird, dass der Vermieter zwischen 10 und 12 Euro Netto-kalt-Miete nehmen muss, dann haben wir ein Problem. Wir sollten also Wege finden, die Baukosten zu senken. Diese liegen heute sogar bei Sozialwohnungen über 2.500 Euro. Wir brauchen aber Wohnungen, die für unter 2.000 oder noch besser: unter 1.800 Euro pro Quadratmeter gebaut werden.
Die Durchschnitts-Baukosten müssen auch für Neubauten wieder zum Durchschnittseinkommen passen. Ich komme noch einmal auf den Vergleich mit der Autoindustrie zurück: Die weiß, dass sie BMW 5er, Mercedes E-Klasse oder Audi A6 neu nicht an ein Massenpublikum verkaufen kann. Die deutsche Wohnungswirtschaft versucht aber im übertragenen Sinne genau das. Und daran müssen wir etwas ändern. Und zwar indem wir gemeinsam lernen, welche neuen Wege gangbar sind, ohne dass die Qualität leidet. Wenn dann ein bestimmter Haustyp öfter im Stadtbild auftaucht, in dieses aber gut hineinpasst, sollten wir damit alle zufrieden sein.
Meine Damen und Herren,
10.000 neue Wohneinheiten pro Jahr. Dazu zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte mit der Perspektive Wohnen. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, sollten sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen, so wie es sich bewährt hat. Ich freue mich sehr, dass die Verhandlungen für ein erneuertes Bündnis für das Wohnen das dürfen wir an diesem Tag annehmen bald zu einem guten Abschluss kommen werden.
Seit seiner Gründung 2011 gilt das Bündnis bundesweit für eine kooperative Stadtentwicklung als vorbildlich. Gerade in einer sich verdichtenden Stadt, in der alle Teile des Bauprozesses hochgradig voneinander abhängig sind, bringt die Kooperation der Akteure für alle Vorteile.
Eine Stadt im Wandel braucht den ständigen Dialog. Wir dürfen uns Stadtentwicklung nicht länger als Summe einzelner Bauprojekte vorstellen. Sie ist ein fortdauernder Prozess, in dem wir viele Bereiche gleichzeitig bedenken müssen. Dafür braucht es dauerhafte Strukturen des Austauschs, Verbindlichkeit und Vertrauen.
Letztlich werden die Preise für Wohnungen in begehrten Quartieren nur bezahlbar bleiben, wenn wir mehr Wohnungen und mehr begehrte Quartiere bauen. Quartiere, in denen man wohnt, einkauft, seine Freizeit verbringt und arbeitet.
Apropos Arbeit. Hamburg gehört zu den wenigen Städten in Europa, in denen Industrie, Gewerbe und Wohnungen noch heute an vielen Stellen nebeneinander existieren. Das entpuppt sich nun als riesiger Vorteil. Die Produktionsvoraussetzungen haben sich grundlegend gewandelt. Die technische Entwicklung macht es zunehmend möglich, den steigenden Anforderungen an Lärm- und Immissionsschutz zu entsprechen. Der Gewerbehof am Offakamp, die Bebauung des früheren Huckepackbahnhofs in Rothenburgsort, die Stadtentwicklungsprojekte an Elbe und Bille zeigen, wie gut Gewerbe und Wohnungen inzwischen nebeneinander existieren können und wie viele Vorteile dies für beide Seiten bringt.
Es ist vor allem anderen der technische Fortschritt, der den ökologischen Notwendigkeiten Rechnung trägt. Aber da können wir dem Jahr 2024 gelassen entgegensehen. 2024 Sie erinnern sich? Das Jahr, in dem wir den 300. Geburtstag von Kant feiern. Und in dem, was Sie vermutlich nicht aus dem Kopf wissen, in Deutschland das Betriebsverbot für Kaminöfen ohne Feinstaubfilter in Kraft treten wird. Für den Fall, dass es dann Öfen ohne Filter überhaupt noch gibt, was ich nicht für sehr wahrscheinlich halte.
Aber Sie wissen ja: Ich bin ganz zuversichtlich, dass es sich in Hamburg in Zukunft noch besser leben lässt und wir auch Herausforderungen wie den Feinstaub und den Umzug der Menschheit gut bewältigen werden. Der Bau von modernen, ansprechenden und bezahlbaren Wohnungen wird erheblich dazu beitragen.
Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.