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01.06.2013

WELT Interview: "Frau Merkel profitiert von Schröders Agenda 2010"

 

 

Die Welt: Peer Steinbrück hat die ersten Mitglieder seines sogenannten Kompetenzteams vorgestellt. Wann sind Sie an der Reihe, Herr Scholz?

Olaf Scholz: Die Ministerpräsidenten werden nicht Teil des Kompetenzteams sein, und das ist auch gut so. Wir haben wichtige Aufgaben zu erfüllen, und das wollen wir nach der erfolgreichen Bundestagswahl in unseren Ländern fortsetzen.


Die Welt: Der Kanzlerkandidat könnte Ihre Hilfe gut gebrauchen.

Scholz: Er bekommt meine Unterstützung und die der anderen stellvertretenden Parteivorsitzenden ohnehin. Unser Ehrgeiz ist, bei der Bundestagswahl mehr als 30 Prozent zu holen.


Die Welt: Steinbrück hat zwei der schärfsten Gegner der Agenda 2010 in sein Team geholt: Klaus Wiesehügel und Florian Pronold. Geht es mit der SPD zurück in die Zukunft?

Scholz: Nein, es geht in die Zukunft. Grundlage der Politik, die wir nach der Bundestagswahl machen wollen, ist natürlich auch die erfolgreiche Agenda 2010. Sie hat nach mittlerweile unbestrittener Auffassung dazu beigetragen, dass Deutschland heute so gut dasteht. Das heißt auch: Frau Merkel profitiert von der Reformpolitik eines sozialdemokratischen Kanzlers.


Die Welt: Die SPD will keine Korrekturen mehr vornehmen?

Scholz: Eine Reformmaßnahme, die eigentlich von Anfang an dazugehört hätte, wird inzwischen von fast allen für richtig gehalten: Wir wollen einen Mindestlohn etablieren, wie er in anderen marktwirtschaftlichen Demokratien bereits existiert. Bis vor wenigen Wochen konnte ich den Witz erzählen, dass eines Tages auch die FDP behaupten wird, ein Mindestlohn gehöre geradezu konstitutionell zu einer Marktwirtschaft. Neulich hat Herr Rösler es tatsächlich gesagt und außer mir hat keiner gelacht.


Die Welt: Sie haben in Hamburg mit einem Wirtschaftswahlkampf die absolute Mehrheit geholt. Warum orientiert sich der Kanzlerkandidat nicht am Erfolgsmodell Scholz?

Scholz: Peer Steinbrück ist ein ausgewiesener Wirtschafts- und Finanzfachmann. Er steht als Person für eine klare wirtschaftspolitische Kompetenz.


Die Welt: Hätte der Gewerkschaftsführer Wiesehügel auch Chancen, ins Team eines Kanzlerkandidaten Scholz aufgenommen zu werden?

Scholz: Ich habe als Bürgermeister kandidiert, und ich hatte gar kein Kompetenzteam.


Die Welt: Ist es zwingend, dass man sich als Kanzlerkandidat verbiegt?

Scholz: Nein. Es geschieht auch nicht.


Die Welt: Steinbrück vertritt Steuererhöhungen, von denen er lange nichts gehalten hat.

Scholz: Er vertritt ein Programm, das er für richtig hält.


Die Welt: Der Staat nimmt Steuern ein wie nie zuvor und der SPD fällt nichts anderes ein, als die Bürger stärker zu belasten ...

Scholz: Die Situation von Bund, Ländern und Kommunen wird im Augenblick als etwas zu rosig empfunden. Nach wie vor haben wir Finanzierungsdefizite, und es wird eine große Herausforderung sein, die Schuldenbremse einzuhalten, zu der wir uns mit gutem Grund verpflichtet haben. Was wird, wenn die Zeiten weniger einfach sind und nur einige der offenen Rechnungen in Europa bezahlt werden müssen? Dann kann alles noch sehr ungemütlich werden. Es gibt einen breiten Konsens bei den Bürgern, dass eine maßvolle Erhöhung der Steuerlast für diejenigen, die sehr viel verdienen, richtig ist.


Die Welt: Die Steuerpläne der SPD und vor allem der Grünen, mit denen Sie regieren wollen, belasten auch die Mittelschicht. Maßvoll ist das nicht ...

Scholz: Ich habe kein Parteibuch der Grünen. Auf die Kompetenz von Peer Steinbrück in Finanz- und Wirtschaftsfragen können sich die Bürger verlassen.


Die Welt: Soll heißen?

Scholz: Die SPD hat aus guten Gründen ein anderes Konzept. Wir wollen zum Beispiel den Spitzensteuersatz sehr viel später greifen lassen. Dafür treten wir nicht nur im Wahlkampf ein, sondern auch in Koalitionsgesprächen.


Die Welt: Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger macht Furore mit der Einschätzung, die Europäische Union sei ein Sanierungsfall. Liegt er richtig?

Scholz: Ich schätze Günther Oettinger als einen sehr kompetenten Kommissar. Was die Entwicklung Europas angeht, bin ich aber erheblich optimistischer, dass alle es schaffen, den beschriebenen Pfad zu Ende zu gehen. Vor allem kommt es darauf an, die Verschuldung zu begrenzen.


Die Welt: Gibt es ein Land, das Ihnen besondere Sorgen bereitet?

Scholz: Ich zeige nicht mit dem Finger auf andere. Ich bin davon überzeugt, dass alle sich anstrengen müssen auch Deutschland. Wir haben in der Regierungszeit von Gerhard Schröder zwar viele Fortschritte gemacht. Aber auch wir müssen darauf achten, dass wir unsere Aufgaben bewältigen. Keiner darf nachlassen. Dafür sind die Zeiten zu schwierig.


Die Welt: Worauf wollen Sie hinaus?

Scholz: Es geht um Wettbewerbsfähigkeit. Mit keiner staatlichen Intervention kann man ersetzen, dass am Ende die Unternehmen in der Lage sein müssen, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Produkte anzubieten und zu etablieren. Das ist eine gar nicht schlechte Folge der Globalisierung. Und es ist Deutschlands besonderes Glück, dass es über so viele gerade auch mittelständische Unternehmen verfügt, die auf dem Weltmarkt mitspielen. Gleichzeitig müssen wir uns um die Qualifikation der Bürgerinnen und Bürger bemühen, insbesondere der jungen. Wir beobachten Jugendunruhen selbst in einem so wohlhabenden Land wie Schweden. Das zeigt, dass es dieses Problem nicht nur im Süden Europas gibt. Auch in Deutschland dürfen wir nicht so tun, als hätten wir unsere Hausaufgaben schon gemacht. Vor Kurzem hatte ich in diesem Raum einen Besuch der Kantonsregierung von Bern, und bei denen ist es so, wie es in Deutschland sein sollte ...


Die Welt: ... nämlich wie?

Scholz: Im Kanton Bern bleiben nach deren Bericht gerade fünf Prozent der jungen Leute bis zum 30. Lebensjahr ohne berufliche Qualifikation. In Deutschland sind es 20 Prozent.


Die Welt: Kann Deutschland dann Vorbild für andere sein?

Scholz: Unser System der dualen Berufsausbildung ist selbst von Barack Obama lobend erwähnt worden. Es ist aller Mühe wert, in anderen Ländern etwas Ähnliches zu entwickeln. In Hamburg haben wir sehr konkrete Maßnahmen ergriffen und eine Jugendberufsagentur gegründet, die Jugendliche nach dem Ende der Schullaufbahn eng begleitet und in eine Ausbildung oder Berufstätigkeit führt. Wir wollen eine Perspektive für alle jungen Leute zwischen 15 und 25 schaffen. Besonders wichtig ist mir, dass eine Berufsausbildung in unserer Gesellschaft den gleichen Stellenwert bekommt wie ein Studium. Es muss deutlich werden, dass wir den meisten Jugendlichen eine gute Chance fürs Leben verschaffen können, wenn sie sich für eine Berufsausbildung entscheiden. Das hat im Wettbewerb größte Bedeutung für den Einzelnen und für das Land.


Die Welt: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat sich den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa auf die Fahne geschrieben. Ist sie da Ihre Verbündete?

Scholz: Es ist immer gut, wenn etwas getan wird. Ich glaube zugleich, dass die Größe der Herausforderung nicht unterschätzt werden darf. Mit Händeschütteln ist das nicht getan. Mein Rat an andere ist, ernsthaft zu bleiben und sich nicht auf Show zu beschränken.


Die Welt: Wie erfolgreich ist die europäische Flüchtlingspolitik?

Scholz: Die europäischen Länder müssen ein abgestimmtes Vorgehen entwickeln. Wir müssen uns aufeinander verlassen können. Wer in einem Land Aufnahme gefunden hat, darf nicht einfach in andere Länder weitergeschickt werden.


Die Welt: Genau das erleben Sie in Hamburg.

Scholz: Es gibt eine überschaubare Gruppe von Männern, die aus Afrika nach Italien geflüchtet sind und dort ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis haben. Gegenwärtig halten sie sich mit einem "Touristenvisum" in Hamburg auf, ohne dass sie hier arbeiten können oder Anspruch auf Sozialhilfe haben. Wir stellen sicher, dass sie Kleidung, Essen und medizinische Versorgung bekommen. Aber klar ist auch, dass sie nach Italien oder in ihre Heimatländer zurückmüssen.


Die Welt: Wann wird das der Fall sein?

Scholz: Darüber führen wir Gespräche. Das ist für keinen der Beteiligten eine einfache Situation. Aber die rechtlichen Bedingungen sind klar: Für diese Männer es sind etwa 150 gibt es keine Chance, hier zu bleiben. Die ersten kehren auch schon wieder zurück nach Italien.


Die Welt: Wer trägt dafür die Kosten?

Scholz: Das ist unser geringstes Problem. Wir werden jedem helfen, der sich verirrt hat. Und die italienische Regierung hat zugesagt zu kooperieren.


Die Welt: Rom behauptet, es habe eine Absprache mit Deutschland über die Weiterreise der Flüchtlinge gegeben.

Scholz: Das Bundesinnenministerium sagt das Gegenteil, und es besteht ja auch kein Zweifel: Wer einen sicheren Aufenthalt in einem anderen Land der Europäischen Union gefunden hat, kann nicht nach Deutschland kommen. Wenn wir über Flüchtlinge reden, will ich noch ein Thema ansprechen, das mich sehr bewegt ...


Die Welt: ... das wäre?

Scholz: Wir müssen eine klare Haltung haben: Diejenigen, die eine gute Integrationsleistung vollbracht haben zum Beispiel, weil sie eine Arbeit haben oder weil sie in Deutschland einen Schulabschluss erworben haben , müssen einen unsicheren Aufenthaltsstatus in einen sicheren verwandeln können. Immer wieder ist man berührt von sehr guten Schülern, die das Land verlassen müssen, weil der Aufenthaltsstatus ihrer Eltern unsicher ist. Hamburg wird sich weiter dafür einsetzen, die Gesetze entsprechend zu verändern. Für zentral halte ich auch: Wer lange hier lebt, soll die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben.


Die Welt: Wie denken Sie über die doppelte Staatsbürgerschaft?

Scholz: Das Optionsmodell gehört sofort abgeschafft. Es ist kaum zu ertragen, was da mit jungen Leuten passiert, die in Deutschland aufgewachsen sind, unsere Sprache sprechen und unsere Schulabschlüsse erworben haben. Wir dürfen sie nicht dazu zwingen, sich nach dem 18.Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsbürgerschaft und der ihrer Eltern zu entscheiden. Übrigens ist es doch heute schon so, dass die Hälfte aller Eingebürgerten mehrstaatig bleibt.

Die Welt: Wenn Sie im Ausland sind wie oft werden Sie eigentlich auf die Elbphilharmonie angesprochen?

Scholz: Selten. Ich sage dann: Kommt möglichst noch mal nach Hamburg, bevor die Elbphilharmonie fertig ist. Dann seht ihr auch hinter den Fassaden, was für eine beeindruckende Architektur hier entsteht.


Die Welt: Sie sind also nicht genervt.

Scholz: Na ja. Es wäre schon besser gewesen, das Projekt anders zu starten. Hätten die Verantwortlichen damals mehr Zeit und Geld in die Planung investiert, dann wäre vieles anders verlaufen. So kann man mit einem Projekt dieser Größenordnung und mit Infrastrukturprojekten ähnlicher Größenordnung nicht umgehen. Jetzt haben wir neu gerechnet, neue Vereinbarungen geschlossen, und es herrscht Klarheit für alle. Ich bin davon überzeugt: Die Elbphilharmonie wird großartig!


Die Welt: Haben Sie nie an Ausstieg gedacht?

Scholz: Daran darf man vielleicht eine halbe Sekunde denken, wenn es wieder mal ganz schwierig wird. Aber man kann schon lange nicht mehr aussteigen. Dafür ist zu viel Geld geflossen.


Die Welt: 789 Millionen Euro sollen es nun werden. Ist es möglich, dass die Kosten weiter steigen?

Scholz: Wir haben einen Vertrag verhandelt, der von vielen als einmalig angesehen wird. Wenn neue Komplikationen auftreten, tragen die Kosten nicht wir, sondern unsere Vertragspartner.


Die Welt: Sie könnten Hartmut Mehdorn engagieren und die Elbphilharmonie wie den Berliner Flughafen in Etappen öffnen.

Scholz: Drei Stühle gehen 2015 in Betrieb, zwölf dann 2016? Ich weiß nicht.

 

WELT Interview von Jochen Gaugele  und Karsten Kammholz