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26.01.2018

"Wir brauchen optimistische und realistische Antworten" Interview mit der "Wirtschaftswoche"

"Wir brauchen optimistische und realistische Antworten" Interview mit der "Wirtschaftswoche"

 

"Wirtschaftswoche": Herr Scholz, nach dem Ja des SPD-Parteitags verhandelt Ihre Partei nun mit der Union über eine große Koalition. Heißt der Bundesfinanzminister bald Olaf Scholz?
 
Olaf Scholz: Was soll diese Frage? Wir stehen am Anfang der Koalitionsverhandlungen, und es wird schwer genug, sie zu einem guten Ende zu führen. Wer sich jetzt mit Kabinettslisten beschäftigt, handelt nicht seriös. Uns interessiert jetzt nicht, wer was wird.
 
"Wirtschaftswoche": Uns aber.
 
Olaf Scholz: Dann sollten Sie wissen, dass ich sehr gerne Hamburger Bürgermeister bin.
 
"Wirtschaftswoche": Haben Sie Lust auf eine große Koalition?
 
Olaf Scholz: Mit Lust hat das wenig zu tun, und das muss es auch nicht. Jamaika hat nicht geklappt das lag nicht nur an der FDP, sondern auch daran, dass Frau Merkel es nicht geschafft hat, die verschiedenen Perspektiven und Interessen zusammenzuführen. Es reicht eben nicht aus, einfach zu warten, bis sich alle abgekämpft haben und die letzten Reste an Gemeinsamkeit dann als Kompromiss auszugeben. Diese Art, Politik zu machen, ist an ihr Ende gekommen.
 
"Wirtschaftswoche": Sie helfen mit, es zu erhalten.
 
Olaf Scholz: Nein, wir übernehmen Verantwortung für Deutschland. Ich hätte es bevorzugt, wenn andere, die nach diesem Wahlergebnis mit dem Regieren dran gewesen wären, sich nicht gedrückt hätten.
 
"Wirtschaftswoche": Klingt nicht gerade euphorisch. Gelingen SPD und Union mehr als ein paar müde Kompromisse?
 
Olaf Scholz: Das wird kein Spaziergang, für keine der drei Parteien.
 
"Wirtschaftswoche": An welchen Stellen im Koalitionsvertrag werden wir Punkte finden, die die Überschrift Aufbruch rechtfertigen?
 
Olaf Scholz: Es ist wichtig, dass unser Land eine Regierung erhält, die sich den Herausforderungen stellt; etwa der Weiterentwicklung der EU. Wir wissen alle, dass CDU und CSU schon damit zufrieden sind, sich an der Regierung zu halten. Ihnen fehlt der Anspruch, die Zukunft zu gestalten. Einen echten Aufbruch werden wir erst erleben, wenn wieder ein Sozialdemokrat im Kanzleramt sitzt.
 
"Wirtschaftswoche": Danach sieht es nicht aus. 1998 bekam die SPD bei der Bundestagswahl mehr als 40 Prozent, 2017 nur noch die Hälfte. Können Parteien sich zu Tode regieren?
 
Olaf Scholz: Das ist mir zu feuilletonistisch. Man kann in Regierungsverantwortung an Kraft verlieren aber nur, wenn man kein plausibles Konzept für die Zukunft hat.
 
"Wirtschaftswoche": Klingt auch ganz schön feuilletonistisch.
 
Olaf Scholz: Dann sage ich es mal so: Es gibt keine Gesetzmäßigkeit, dass es in der Wählergunst immer nur nach unten geht, wenn man regiert. Die SPD ist noch immer in der Lage, bei einer Bundestagswahl mehr als 30 Prozent zu holen. Dafür müssen wir ein gutes Programm haben und so auftreten, dass die Bürgerinnen und Bürger sagen: Denen kann man den Staat anvertrauen.
 
"Wirtschaftswoche": Olaf Scholz plädiert für Olaf Scholz?
 
Olaf Scholz: Ich plädiere für Selbstbewusstsein. Und im Rampenlicht stehen viele respektable Persönlichkeiten der SPD: mit Andrea Nahles, Malu Dreyer und Manuela Schwesig drei starke Frauen.
 
"Wirtschaftswoche": Inhaltlich setzen Sie trotz der Wahlniederlage weiter auf Gerechtigkeit. Hat der SPD-Vordenker Frank Stauss recht, wenn er der Partei ein Modernitätsdefizit bescheinigt?
 
Olaf Scholz: Wir spüren doch alle eine wachsende Unsicherheit in der Welt vor allem in den reichsten Ländern. Globalisierung und Digitalisierung bringen die Verhältnisse ins Rutschen und verunsichern viele Leute. Anders lässt sich die Trump-Wahl nicht erklären. Anders lässt sich auch nicht erklären, warum Deutschland wirtschaftlich eine der längsten Boomphasen seiner Geschichte erlebt, sich aber so viele Bürgerinnen und Bürger um ihre Zukunft und die ihrer Kinder Sorgen machen. Wir brauchen optimistische und realistische Antworten.
 
"Wirtschaftswoche": Wie sehen die aus?
 
Olaf Scholz: Die SPD ist mit dem Beginn des Industriezeitalters vor mehr als 150 Jahren entstanden. Wir haben die Demokratie und die soziale Marktwirtschaft errungen ...
 
"Wirtschaftswoche": ... na, na, na ...
 
Olaf Scholz: ... und nun stecken wir mitten im Second Machine Age. Die SPD muss für die veränderten Verhältnisse pragmatische Konzepte haben, an die man glauben kann.
 
"Wirtschaftswoche": Ist das Ihre Strategie, um 2021 falls nötig auch früher wieder Wahlen zu gewinnen?
 
Olaf Scholz: Plausible Konzepte für die Zukunft und Erfolge bei Wahlen bedingen einander. Wir als SPD werden uns erneuern damit wir als Volkspartei der linken Mitte sagen können, wie Wirtschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert fair organisiert werden sollen. Diese Politik muss modern und fortschrittlich sein; sie darf nicht rückwärtsgewandt nur das Gestern verteidigen. Wir brauchen dabei ein positives Verhältnis zu Wachstum und technologischem Fortschritt.
 
"Wirtschaftswoche": Klingt schön. Sollte die SPD dann mit der Union nicht lieber über das bedingungslose Grundeinkommen streiten als über Arzthonorare?
 
Olaf Scholz: Das bedingungslose Grundeinkommen halte ich für eine moralische Kapitulation. Man muss von seiner Arbeit leben können. Das ist eine Frage der Wertschätzung, die jedem zusteht. Deshalb sind im Arbeitsleben ein ausreichender Mindestlohn oder die berufliche Qualifizierung wichtig.
 
"Wirtschaftswoche": Sie haben zwölf Euro Mindestlohn gefordert quasi als bedingtes Grundeinkommen?
 
Olaf Scholz: Wenn fast alle meist US-amerikanische Ökonomen von Rang sagen, dass die Zahl der Niedriglohnempfänger zunehmen wird, dann müssen wir uns als demokratische Gesellschaft für das Schicksal der Bürger verantwortlich fühlen, die zu diesen Bedingungen arbeiten. Wer fleißig ist und sich anstrengt, der muss eine doppelte Gewissheit haben: dass er respektiert wird und dass sich das auch lohnt. Tun wir das nicht, lassen wir sie mit den Parolen der rechten Populisten alleine, die den globalen Eliten die Schuld an den Verhältnissen geben.
 
"Wirtschaftswoche": Was wollen Sie konkret bei der beruflichen Bildung erreichen?
 
Olaf Scholz: Die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, dass man auch mit Mitte 40 oder mit Anfang 50 noch einmal einen beruflichen Neustart wagen kann? Gerade dann, wenn der gelernte Job einen nicht mehr bis in die Rente trägt?
 
"Wirtschaftswoche": Sie werden für die Antworten gewählt.
 
Olaf Scholz: Richtig. Es muss ein Recht auf eine neue Berufsausbildung oder ein Studium auch in diesem Alter geben. Und wir müssen Unternehmen und Arbeitnehmer in die Lage versetzen, dass auch hinzubekommen. Es ist ein erster Schritt, wenn wir jetzt die Bundesagentur für Arbeit umbauen, damit sie bei der Weiterbildung unterstützen kann.
 
"Wirtschaftswoche": So weit wird die Union in den Koalitionsverhandlungen nicht gehen. Auf welche anderen Punkte werden Sie dann drängen?
 
Olaf Scholz: Manche Stellen im Sondierungspapier sind detailliert, andere noch knapp. Auch in Fragen, wo die künftigen Koalitionsparteien gar nicht weit auseinanderliegen. Konkret: Es muss noch eine Menge in Sachen Mobilität und Luftqualität geklärt werden. Deutschland ist bislang das Industrieland, in dem der Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs kein nationales Anliegen ist. Das muss sich ändern. Der Bau bezahlbarer Wohnungen ist eine der drängendsten Aufgaben, wie auch die Integration. Die Lebensperspektiven der befristet Beschäftigten sind noch umstritten. Und bei der Krankenversicherung sind viele offene Fragen.
 
"Wirtschaftswoche": Hamburg bietet seinen Beamten einen Wechsel in die gesetzliche Kasse an. Schafft es dieses Modell in den Koalitionsvertrag?
 
Olaf Scholz: Mir fällt jedenfalls kein Argument ein, warum man Beamten nicht die Wahl lassen sollte zwischen einer privaten Zusatzversicherung und einem Tarif in der gesetzlichen Krankenversicherung.
 
"Wirtschaftswoche": Und sonst? Geht bei Steuern noch etwas?
 
Olaf Scholz: Einig sind wir uns bereits über die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen beim Soli das Sondierungspapier folgt übrigens eng dem SPD-Konzept. Außerdem wird es bei den Sozialabgaben für Geringverdiener Entlastungen geben.
 
"Wirtschaftswoche": Der Soli wird nicht für alle Steuerzahler abgeschafft. Ist das nicht verfassungswidrig?
 
Olaf Scholz: Nein. Die Frage werden wir erst in der nächsten Legislaturperiode lösen können. Dafür ist ein gerechterer Steuertarif nötig, der mit der Union nicht zu machen ist.
 
"Wirtschaftswoche": Die USA haben ihre Steuern für Konzerne massiv gesenkt. Müssen wir reagieren?
 
Olaf Scholz: Wir haben unsere Unternehmensbesteuerung in den vergangenen Jahren international wettbewerbsfähig gemacht. Da gibt es keinen Anlass für hektische Korrekturen.
 
"Wirtschaftswoche": Wann ist der Koalitionsvertrag fertig?
 

Olaf Scholz: Bald. Niemand will das unnötig in die Länge ziehen, aber falsche Eile bringt auch nichts.

 

Das Interview führten Sven Böll und Max Haerder.