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16.06.2009

Wir haben dafür gesorgt, dass der Sozialstaat auch in der Krise funktioniert

Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung 

 

Herr Scholz, Kanzlerkandidat Steinmeier hat beim Sonderparteitag überraschend und ausdrücklich die politische Mitte für die SPD reklamiert. Ist das eine Panikreaktion nach der Europawahl?

Scholz: Was ist daran überraschend: Die SPD repräsentiert die solidarische Mehrheit unserer Gesellschaft. Das ist die politische Mitte.


Nach der Europawahl-Schlappe braucht die SPD Impulse. Woher sollen die kommen?

Scholz: Das Ergebnis war schmerzend, keine Frage. Aber der Parteitag am Sonntag hat ein ordentliches Aufbruchsignal gegeben. Ich bin sicher: Frank-Walter Steinmeier kann das, wir können das. Die SPD liebt Wahlkampf - ich persönlich auch. Eine Wahl ist schließlich das Fest der Demokratie. Da entscheiden die Bürger über die weitere Richtung des Landes und und jede Partei muss ihre Argumente vorbringen. Das können wir. Dass Deutschland jetzt so gut durch die Krise kommt, hat mit über zehn Jahren sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung zu tun. Wir haben dafür gesorgt, dass der Sozialstaat auch in der Krise funktioniert. Wenn Union und FDP Deutschland übernehmen, werden sie Dinge tun, die sich ihre Wähler noch nicht vorstellen können. Zur Disposition stünden dann zum Beispiel der Kündigungsschutz und die Betriebsverfassung, die jetzt für den Erfolg in der Krisenbekämpfung so wichtig sind.

Der Wirtschaftsminister kann mit seiner Haltung zu staatlichen Eingriffen bei Firmen in Not derzeit punkten. Rückt die SPD nun von ihrer Haltung ab, Arbeitsplätze um jeden Preis zu retten?

Scholz: Arbeitsplätze zu retten ist nicht nur in der Krise wichtig. Jeder weiß, dass das nicht immer gelingen kann. Unternehmen, die keine Zukunftsperspektive haben, kann man nicht mit einem Zauber davor bewahren. Es darf aber auch nicht sein, dass die Verwendung des Wortes Insolvenz zu einer Attitüde und mit dem Schicksal tausender Arbeitnehmer gespielt wird. Arbeitsplätze, die verschwinden, sind meistens dauerhaft weg. Deshalb war es richtig, dass wir eine Zukunft für Opel in Europa erkämpft haben. Ansonsten wäre ein wichtiges, zukunftsträchtiges, modernes Unternehmen mit erstklassigen Ingenieursleistungen verschwunden.

Dann erklären Sie uns doch mal den Unterschied zwischen Opel und Arcandor.

Scholz: Man muss sich immer genau angucken, was ist. Jetzt, wo es bei Arcandor zur Insolvenz gekommen ist, geht es weiter darum, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Ich habe mich mit den Betriebsräten getroffen und habe in meinem Ministerium eine Task Force gegründet. Wir werden kämpfen. Es ist uns aber klar: Die unternehmerische Zukunft muss aus unternehmerischen Aktivitäten entstehen.

Welche Rolle spielt im Wahlkampf der Kanzlerinnen-Bonus?

Scholz: Keinen. Auch Menschen, die die SPD nicht wählen, können sich vorstellen, dass Steinmeier ein guter Kanzler wäre. Das ist wichtig. Und: Es gibt aus der weltweiten Krise die Lehre, dass so ein Kapitalismus ohne Regeln nicht funktioniert. Für diese Regeln steht die SPD.

Binnen eines Jahres ist die Zahl der Kurzarbeiter von 100.000 auf 1,1 Millionen gestiegen. Haben Sie mit der Ausweitung der Kurzarbeit den großen Einbruch am Arbeitsmarkt verhindert - oder nur vertagt?


Scholz: Wir haben den großen Einbruch damit verhindert. Die Kurzarbeit ist eindeutig die effektivste Arbeitsmarkt-Maßnahme zur Bekämpfung dieser Konjunkturkrise. Deshalb sind die Arbeitsmarktzahlen besser als die düsteren Vorhersagen - und werden es hoffentlich bleiben. Wie sehr die Kurzarbeit wirkt, sehen wir daran, dass Konzerne, die überall in Europa Standorte haben, in Deutschland auf Kurzarbeit setzen und anderswo Mitarbeiter entlassen.

Wieviele Jobs wurden konkret durch die Kurzarbeit gerettet?


Scholz: Genau beziffern kann man das nicht. In der Regel wird die Arbeitszeit um ein Drittel reduziert. Man kann das hochrechnen: Wir gehen davon aus, dass durch die Kurzarbeit einige hunderttausend Arbeitsplätze gesichert wurden. Wir rechnen damit, dass sich die konjunkturelle Entwicklung bereits in diesem Jahr leicht bessert und im nächsten Jahr die Erholung beginnt. Dadurch, dass mit der Kurzarbeit die Arbeitsplätze erhalten werden, wird dann der Aufschwung schneller gelingen.

Was wollen Sie machen, wenn die Krise länger andauert als das 24-monatige Kurzarbeitergeld reicht? Kommen dann Massenentlassungen - oder eine nochmalige Verlängerung des Kurzarbeitergeldes?

Scholz: Wichtig ist, dass wir immer schneller sind als die Probleme. So war das, als wir das Kurzarbeitergeld verlängert haben. Wir handeln schnell, wenn und wie es die Situation erfordert.

Hätte die Bundesarbeitsagentur denn Luft für eine Ausweitung?


Scholz: Die Aufgaben der Agentur sollen mit den Anforderungen wachsen. Wenn die Einnahmen der Agentur und ihre Rücklagen nicht mehr ausreichen, dann wird der Bundeshaushalt aushelfen. Das wird in dem Haushaltsentwurf für das nächste Jahr auch abgebildet. Wir müssen also weder krisenverschärfend die Beiträge erhöhen, noch müssen wir krisenverschärfend die Leistungen und die Arbeitsmarktpolitik reduzieren.

Diese Woche treffen Sie sich mit Vorständen der Dax-30-Unternehmen. Wie konstruktiv sind diese Gespräche und wie gehen die Arbeitgeber mit der Krise um?

Scholz: Die Gespräche sind konstruktiv und getragen von einem pragmatischen Geist. Die Dax-30-Unternehmen arbeiten intensiv an Vorschlägen mit, alles zu tun, jetzt keine Mitarbeiter zu entlassen. Das funktioniert besser als alle vorhergesagt haben. Diese Zusammenarbeit lohnt sich. Wir müssen gemeinsam in der Krise das Richtige tun und wir müssen das rechtzeitig tun.

Spielen die Manager nur mit, weil sie wissen, dass Entlassungen auch kosten?

Scholz: Nein, es gibt bei den Unternehmen ein Problembewusstsein und Verantwortungsgefühl. Viele wissen, dass Deutschland in den nächsten zwei Jahrzehnten völlig andere Probleme haben wird, als die, an die wir uns gewöhnt haben und die wir in dieser Krise haben. Die zurückliegenden Jahrzehnte waren von Massenarbeitslosigkeit geprägt. In den nächsten beiden Jahrzehnten werden wir hingegen vor allem unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften leiden. Viele Unternehmen werden oft vergeblich nach geeigneten Arbeitskräften suchen. Das kann man nur verhindern, indem man jetzt zu den Beschäftigten steht, auf sie setzt, auch in einer so schwierigen Situation - und indem man ausreichend ausbildet und qualifiziert. Deshalb haben wir unser ganzes Programm zur Krisenbekämpfung auch immer mit Angeboten zur Qualifizierung verbunden.

Halten Sie Lockerungen beim Kündigungsschutz für eine passende Reaktion auf die Krise?

Scholz: Nein. Auch das deutsche Wirtschaftswunder hat mit dem Kündigungsschutz, so wie wir ihn heute haben, stattgefunden. Dass die Arbeitnehmer Sicherheit vor Willkür haben, ist ein Grund, warum die Deutschen nicht mit Angst erfüllt sind, wie sie normalerweise in solchen Krisensituationen entsteht. Die Deutschen sind zwar besorgt, aber besonnen in dieser Krise. Wer den Kündigungsschutz lockern will, verschärft die Krise.

Obwohl es teilweise schon an Facharbeitern mangelt, findet längst nicht jeder Jugendliche regulär einen Ausbildungsplatz. Was wollen Sie da tun?


Scholz: Wir brauchen genügend Ausbildungsplätze, das ist die Kernfrage für die Zukunft unserer Gesellschaft. Auch wenn wir den Anteil der Studierenden eines Jahrgangs erhöhen wollen: Die klassische Lehre bleibt die wichtigste Form der Ausbildung. Wir müssen sicherstellen, dass jeder dafür einen Schulabschluss in der Tasche hat. Dass Jahr für Jahr zig tausende Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen, ist nicht naturgegeben. Das ist Staatsversagen und das muss anders werden. Wir fördern auch überbetriebliche Ausbildungsangebote und unterstützen zum Beispiel Unternehmen, die Auszubildende mit einem nicht so guten Schulabschluss einstellen. Es bleibt letztlich aber eine Anstrengung, die vor allem die Unternehmen leisten müssen. Das ist eine Verpflichtung der gesamten Volkswirtschaft gegenüber - und sie sichern damit ihre eigene Zukunft. Den kommenden Fachkräftemangel löst man am besten, indem man selbst ausbildet.

Sie haben vor Jahresfrist davon gesprochen, dass 2015 Vollbeschäftigung erreicht werden könnte. Sehen Sie das jetzt, in der Krise, anders?

Scholz: Ich stehe dazu. Wir dürfen die Möglichkeiten der Zukunft nicht verpassen, nur weil sie noch in der Ferne liegen. Wir ringen jetzt mit der Wirtschaft, damit wir 600 000 Ausbildungsplätze erreichen. Man muss jedoch den demografischen Wandel sehen. 2020 werden wir keine 600 000 Jugendliche mehr haben, die eine Ausbildung anstreben. Wenn wir alles richtig machen, jeden qualifizieren, niemanden fallen lassen, dann werden wir die Arbeitslosigkeit auf ein Maß reduzieren können, wie es das im Westen der Republik Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre gab.

 

Hier finden Sie das Interview auf der Internetseite der Mitteldeutschen Zeitung.