arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

03.09.2017

"Wir haben ein sehr ehrgeiziges Programm für die weitere Entwicklung unserer Stadt" Interview mit der "Welt am Sonntag"

"Wir haben ein sehr ehrgeiziges Programm für die weitere Entwicklung unserer Stadt" Interview mit der "Welt am Sonntag"

 

"Welt am Sonntag": Wandern, so heißt es, macht den Kopf frei. Ist Ihnen das bei Ihrem jüngst beendeten Wanderurlaub gelungen?


Olaf Scholz: Ich habe mich erholt, aber natürlich ist so ein Urlaub auch immer eine gute Gelegenheit, um alles einzuordnen, was geschehen ist.


"Welt am Sonntag": Gleich in die erste komplette Arbeitswoche fällt die Konstituierung des G-20-Ausschusses, Sie selbst werden dort in den kommenden Monaten drei Mal geladen, die Erwartungshaltung ist hoch. Aber was kann man realistisch von Ihnen erwarten?


Olaf Scholz: Ich halte den Sonderausschuss für sinnvoll, denn wir müssen sorgfältig auswerten, was geschehen ist. Ich erhoffe mir manche neue Erkenntnis. Die Behörden werden den Ausschuss mit allen nötigen Informationen versorgen.


"Welt am Sonntag": Auf der Sachebene geht es um Fehlersuche. Welche Fehler würden Sie sich mit dem Abstand einiger Wochen zuschreiben?


Olaf Scholz: Wenn es einfache und schnelle Antworten auf Ihre Frage gäbe, bräuchte es ja keinen Ausschuss. Ich halte es unverändert für richtig, dass solche Formate der internationalen Politik auch in westlichen Demokratien und dort auch in Großstädten stattfinden. Der Ausschuss wird auch die Frage nach Fehlern beantworten.


"Welt am Sonntag": Viel diskutiert wird ihre Äußerung zur Polizeigewalt, sie lehnen den Begriff ab, weil er ein Kampfbegriff des radikalen Spektrums sei. Dass es aber auch unangemessene Gewalt durch die Polizei gegeben hat, würden Sie dem nach den bisherigen Erkenntnissen zustimmen?

 

Olaf Scholz: Mein Respekt vor der Arbeit der Polizei ist sehr groß. Die Polizei handelt sehr professionell. Zur professionellen Aufarbeitung eines solchen riesigen Einsatzes mit mehr als 20.000 Beamtinnen und Beamten gehört natürlich auch, dass die Polizei der Frage nachgeht, ob einzelne Polizisten sich nicht korrekt verhalten haben.

 

"Welt am Sonntag": Wie war denn ihre politische Vorgabe für den Polizeieinsatz?

 

Olaf Scholz: Fast die gesamte verfügbare Polizei Deutschlands befand sich zum G20-Gipfel in Hamburg, deswegen war die Einsatzführung sehr optimistisch, den Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Gipfelteilnehmer gewährleisten zu können. Jetzt müssen wir uns damit beschäftigen, warum das nicht überall gelungen ist.

 

"Welt am Sonntag": Sie hatten in einer ersten Reaktion harte Strafen für die G-20-Täter gefordert. Nun sind die ersten Prozesse gelaufen. Sind Sie mit der in einem Fall von vielen als hart empfundenen Strafe einverstanden?

 

Olaf Scholz: Als Hamburger Bürgermeister und Chef der Exekutive darf ich die Entscheidungen der Gerichte nicht kommentieren.

 

"Welt am Sonntag": Aber Sie haben es ja im Juli gemacht, als Sie harte Strafen forderten.

 

Olaf Scholz: Ich habe damals meinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass die Straftäter nicht ungeschoren davonkommen. Jetzt ist das eine Frage der Justiz.

 

"Welt am Sonntag": Dann zu den dezidierten Fragen der Politik: Sie haben gesagt, dass es so nicht weitergehen könne in der Roten Flora und dass es Signale der Veränderung aus der Flora geben müsse und aus dem Viertel. Was aber tun Sie, wenn die Signale wie bisher ausbleiben oder sehr unterschiedlich sind, wie es derzeit festzustellen ist?

 

Olaf Scholz: Wenn man die Hamburger fragen würde, ob sich im Umgang mit der Roten Flora etwas ändern sollte, dann würde wohl die überwiegende Mehrheit mit Ja antworten. Alle wollen eine klare Distanzierung von Gewalt. Man muss sich künftig sicher sein können, dass in den Räumen der Roten Flora keine Vorbereitungen für militante Aktionen stattfinden.

 

"Welt am Sonntag": Nochmal: Was, wenn es keine klaren Aussagen dazu gibt? Wenn die Strukturen in der Flora das gar nicht zulassen?

 

Olaf Scholz: Klar ist: Die Rote Flora hat jetzt ein Problem, mit Blick auf den Stadtteil und auf die ganze Stadt. Wenn die Politik hier etwas bewegen will, dann muss sie sich jetzt auf den Weg machen. Ich weiß, dass Journalisten sich immer gerne mit dem Ende des Weges beschäftigen. Als Praktiker weiß ich, dass wer sich damit aufhält, meist gar nicht loskommt.

 

"Welt am Sonntag": Moment! Die Kanzlerin sagt doch immer, man muss die Dinge vom Ende her denken. Und jede Mutter und Vater weiß, dass in der Erziehung eine Drohung ohne Sanktionsmöglichkeit unglaubwürdig ist.

 

Olaf Scholz: Ich weiß nicht, ob Sie pädagogisch da auf dem aktuellen Stand sind. Jetzt sind Klugheit und Klarheit erforderlich. Wir werden den Weg nicht verlassen, auf den wir uns begeben haben.

 

"Welt am Sonntag": Und kann am Ende dieses Weges auch eine Räumung stehen?

 

Olaf Scholz: So kommen wir in 100 Jahren nicht zusammen, wenn Sie sich immer damit beschäftigen, dass etwas nicht klappt. Wenn man klug handelt, klappt es meistens ja doch.

 

"Welt am Sonntag": Ihr Ruf als Politiker war der eines Machers, einer, der führen kann. Hat der aus Ihrer Sicht gelitten?

 

Olaf Scholz: Nein, das glaube ich nicht. Ich habe mich ja nicht aus der Verantwortung gestohlen, sondern klar bekannt, dass ich den Wunsch der Kanzlerin nach dem G20-Gipfel in Hamburg unterstützt habe. Und ich stehe zu den Entscheidungen, die ich getroffen habe. Unsere Stadt entwickelt sich in einer Geschwindigkeit, wie das über Jahrzehnte nicht der Fall gewesen ist. Ich erfahre ziemlich viel Zuspruch von den Hamburgerinnen und Hamburgern, das freut mich.

 

"Welt am Sonntag": In Hamburg haben wir die Hälfte der Legislaturperiode erreicht. Zunächst waren Wohnungsbau und Olympia bestimmend, dann die Flüchtlingspolitik, gefolgt von der Elbphilharmonie, zuletzt G20, das durch den Ausschuss noch lange ein Thema bleiben wird.  Viele Großthemen also. Welche Akzente wollen Sie in der zweiten Hälfte setzen, um wieder in die Offensive zu kommen?

 

Olaf Scholz: Wir haben ein sehr ehrgeiziges Programm für die weitere Entwicklung unserer Stadt. Dazu gehört unverändert der Bau von Wohnungen, das darf nie unterschätzt werden. Auch in einer erfolgreichen Metropole muss das Leben bezahlbar sein, doch das gelingt in vielen großen Städten nicht. Es wäre mein ganzer Stolz, wenn wir in Hamburg beweisen, dass beides eine boomende Stadt und eine hohe Lebensqualität zusammengeht. Allerdings gehört dazu noch mehr als die Bautätigkeit.

 

"Welt am Sonntag": Nämlich?

 

Olaf Scholz: Das erste Thema ist Verkehrspolitik. Ich setze auf die Elektro-Mobilität und darauf, die Möglichkeiten zu nutzen, die uns die Digitalisierung bietet. Alles, was an moderner Mobilität derzeit erprobt wird, findet in Hamburg statt. Wir haben da den Spitzenplatz eingenommen. Es geht um Luftqualität und Lärmbelastung, aber auch um mehr. Wir haben mit allen großen Car-Sharing-Anbietern Vereinbarungen getroffen, damit diese die Hälfte ihrer Flotte elektrifizieren und wir im Gegenzug die Ladeinfrastruktur ausbauen. Der Busverkehr wird in Zusammenarbeit mit der Industrie von 2020 an schrittweise auf emissionsfreie Antriebe umgestellt. Mit den meisten Logistik-Dienstleistern gibt es ähnliche Verabredungen.

 

"Welt am Sonntag": Das ist ein Zukunftsthema, fraglos wichtig, aber mit sehr langen Linien versehen.

 

Olaf Scholz: Gute Politik besteht nicht darin, bloß bunte Bilder aufzuhängen. Es gibt keine schnellen Wege für komplexe Themen alle wichtigen Probleme können nur entlang dieser langen Linien gelöst werden. Nehmen sie den umfangreichen Ausbau von Autobahnen, wie wir ihn in Hamburg gerade erleben, demnächst auch unter drei Deckeln im Hamburger Westen. Wir haben die neue Wilhelmsburger Reichsstraße im Bau, verbunden mit echten Perspektiven für den Stadtteil. Wir sorgen dafür, dass die A26 im Hamburger Süden endlich gebaut werden kann, zudem wollen wir die A1 auf acht Spuren erweitern. Mit Blick auf den Öffentlichen Nahverkehr: Die Verlängerung der U4 zu den Elbbrücken ist im nächsten Jahr fertig, neue Stationen von U- und S-Bahn werden gebaut, die S4 ist im Planfeststellungsverfahren und die U5 ist die erste U-Bahnlinie seit Jahrzehnten, die in Hamburg komplett neu entsteht. Ich mache keine Politik für drei Tage. Es geht um Entscheidungen, die weit über Wahlperioden hinausreichen. Ich kann Ihnen gern noch ein Beispiel dafür geben.

 

"Welt am Sonntag": Bitte!

 

Olaf Scholz: Bereits 2011 haben wir damit begonnen, Hamburg als Wissenschaftsstadt zu etablieren und auszubauen. Und auch hier sehen wir jetzt die konkreten Ergebnisse: Hamburg war das einzige Bundesland, das nicht in der Fraunhofer Gesellschaft war. Das haben wir geändert, nun wird ein großer Fraunhofer-Komplex entstehen. Und wir haben am Freitag den Startschuss für den European XFEL, den größten Röntgenlaser der Welt, gegeben. Viele neue Forschungsinstitute sind an diesem Standort entstanden, ein richtiger Campus mit hochmoderner Wissenschaft. Auch bei der Luftfahrtindustrie hier ist Hamburg der drittgrößte Standort der Welt sind wir in die Forschung eingestiegen. Das ist für Hamburgs industrielle Zukunft ungeheuer wichtig. Und aus dieser Forschung sollen auch Impulse für neue Arbeitsplätze entstehen. Deshalb entwickeln wir Technologieparks und fördern Start Ups.

 

"Welt am Sonntag": Wenn wir aber zu den noch konkreteren Themen der Bürger gehen, landen wir bei der Inneren Sicherheit. Vor vier Wochen gab es das Attentat in Barmbek, das zu neuen Ängsten geführt hat und auch zur Verärgerung darüber, dass der Mann nicht früher erkannt und eventuell eingesperrt worden ist. Der Bayerische Landtag hat ein Gesetz verabschiedet, nach dem erkannte Gefährder theoretisch auf unbegrenzte Zeit eingesperrt werden dürfen, obwohl sie noch gar keine Straftat begangen haben. Halten Sie das für nachahmenswert?

 

Olaf Scholz: Wir schauen uns immer alle Erfahrungen anderer sehr genau an. Tatsächlich habe ich mich selbst sehr dafür eingesetzt, dass Gefährder, die ausreisepflichtig sind, auch für sehr lange Zeit in Abschiebehaft genommen werden können. Wir haben als einziges Bundesland dafür Sorge getragen, dass es am Flughafen einen Abschiebegewahrsam gibt.

 

"Welt am Sonntag": Der allerdings wenig genutzt wird.

 

Olaf Scholz: Es ist gut, dass wir diese Einrichtung haben. Die Auslastung ist allerdings nicht der Maßstab. Wir können sie nutzen, wenn wir sie brauchen. Darauf kommt es an.

 

"Welt am Sonntag": Sie machen viel Wahlkampf in diesen Wochen vor der Bundestagswahl, zuletzt vor einem Millionenpublikum bei Anne Will. Da stritten Sie um die Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber nicht mit der CDU, sondern mit den Linken, mit Sahra Wagenknecht. Warum macht es das linke Parteienspektrum der Kanzlerin so leicht, erneut zu gewinnen?

 

Olaf Scholz: Ich bin stellvertretender Vorsitzender der SPD, der ältesten Partei Deutschlands. Für die demokratische Kultur des Landes ist es aus meiner Sicht wichtig, dass man klarstellt, was klarzustellen ist: Die Globalisierung und die Digitalisierung führen gerade in den klassischen Industriestaaten zu großen Veränderungen. In all diesen Ländern sind die Wachstumsraten in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen, gleichzeitig ist die Schere zwischen den oberen und unteren Einkommensgruppen größer geworden. In dieser Situation braucht man kluge und richtige Antworten. Was man nicht braucht, sind die Verschwörungstheorien von rechts und links. Und denen muss man auch entschlossen entgegentreten. Wenn Herr Trump in den USA behauptet, dass alle Probleme des Landes durch die Obama-Regierung entstanden sind, ist das schlicht falsch. Und wenn hier die Partei Die Linke ihre eigenen Verschwörungstheorien verbreitet, muss sie sich gefallen lassen, dass ihr das auch öffentlich vorgehalten wird. Ich würde nicht zögern, das wieder zu tun.

 

"Welt am Sonntag": Und am Ende fährt Kanzlerin Merkel im Schlafwagen an die Macht.

 

Olaf Scholz: Nein. Die SPD hat unverändert die Fähigkeit und Möglichkeit, die Führungsverantwortung in Deutschland zu übernehmen und den Kanzler zu stellen.

 

"Welt am Sonntag": Was ist denn aus Ihrer Sicht das wahlentscheidende Thema? Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs hat den Wahlkampf als langweilig und als Katastrophe bezeichnet.

 

Olaf Scholz: Die Bewertung eines Wahlkampfs gelingt am besten im Nachhinein. Das Fernsehduell am heutigen Sonntag wird wichtig sein, denn viele Menschen wissen noch nicht, wem sie am Wahltag ihre Stimme geben werden.

 

"Welt am Sonntag": Was ist mit dem Wissen um die heutigen Umfragewerte ein realistisches Ziel für Ihre Partei?

 

Olaf Scholz: Wir müssen die Umfragen ernst nehmen, weil sie die jetzige Situation spiegeln. Aber, wie eben schon gesagt: Viele können und wollen noch überzeugt werden, weil sie sich eben nicht ständig mit Politik beschäftigten und nun die Konzepte der Parteien in den Wochen vor der Wahl vergleichen. Diese Gelegenheit muss die SPD jetzt nutzen. Was möglich ist, welches Potenzial für meine Partei oberhalb von 30 Prozent besteht, haben wir in den Wochen nach der Nominierung von Martin Schulz zum Spitzenkandidaten gesehen. Für mich war das übrigens eine schöne Erfahrung, denn ich habe über viele Jahre in Interviews gesagt, dass die SPD nicht nur in den Ländern wie hier in Hamburg mit 48 und 46 Prozent gute Wahlergebnisse erreichen kann, sondern auch bundesweit.

 

"Welt am Sonntag": In Hamburg kursieren Spekulationen, dass sich je nach Wahlausgang für Sie neue berufliche Optionen in Berlin ergeben, die Sie nach den jüngsten Entwicklungen in Hamburg dann auch wahrnehmen würden. Was sagen Sie dazu?

 

Olaf Scholz: Ich bin Bürgermeister dieser Stadt und ich werde das bleiben.

 

Das Interview führte Jörn Lauterbach.