Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau
Perspektivlos im Herkunftsstaat, perspektivlos in Deutschland - das ist die Lebensrealität für Geduldete. Deutschland erlaubt Ausländern, die keinen Aufenthaltstitel erhalten, in besonderen Fällen vorübergehend zu bleiben. Das kann der Fall sein, wenn sie staatenlos sind, wenn sie wegen einer Krankheit nicht ausreisen können oder wenn ihr Herkunftsstaat sich weigert, sie aufzunehmen. Dann wird die Abschiebung für einige Wochen oder Monate ausgesetzt und sie werden geduldet. Doch was als Provisorium gedacht ist, wird in der Praxis oftmals zum Dauerzustand.
Wenn das Ausreisehindernis bestehen bleibt, kommt es zur Kettenduldung: Die Duldung wird wieder und wieder verlängert. Rund 100.000 Ausländer können derzeit nicht ausreisen, haben aber auch keine Aussicht auf eine Aufenthaltserlaubnis. Sie leben in stetiger Sorge vor der Abschiebung, denn die Duldung wird nur für wenige Monate, manchmal Wochen vergeben. Und das, obwohl die Betroffenen hier zur Schule gehen, Deutsch lernen, Freunde finden und sich ehrenamtlich engagieren.
Eine moderne Wissensgesellschaft sollte sich keine Minderheiten ohne jede Perspektive leisten, sondern Bildungserfolge belohnen. Wer Leistung zeigt und sich für die eigene Bildung engagiert, soll frei leben, sich frei bewegen und frei planen können. Mein Vorschlag: Wer in Deutschland einen Schulabschluss gemacht hat, wird aus dem Status der Duldung entlassen und bekommt eine Aufenthaltserlaubnis. Er kann hier mit gesicherter Perspektive leben und arbeiten.
Insbesondere die Leistungen Jugendlicher, die bereits mehrere Jahre hier gelebt haben, können so belohnt werden. Sie haben sich angestrengt und mit einem Schulabschluss den Grundstein für ihr berufliches Fortkommen gelegt. Sie haben das getan, weil sie hier ihren Platz gefunden, hier Freundschaften geknüpft, hier ihren Alltag gelebt haben.
Ein solches Angebot an die Jugendlichen wäre die Fortsetzung eines fortschrittlicheren Umgangs mit Geduldeten. Bereits 2007 hat es die Große Koalition ermöglicht, dass rund 35000 ehemals geduldete Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie ihren Lebensunterhalt überwiegend eigenständig bestreiten konnten. Seit 2008 bekommen zudem Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie eine qualifizierte Ausbildung abschließen, einen Hochschulabschluss machen oder zwei Jahre in einem ihrer Ausbildung angemessenen Beruf arbeiten. Jetzt konnten die SPD-geführten Länder in der Innenministerkonferenz einen weiteren Schritt durchsetzen. Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe, die zwischen Juli 2007 und Ende dieses Jahres einen Schulabschluss machen, bekommen eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.
Doch der Schulabschluss sollte generell den Weg zur Aufenthaltserlaubnis ebnen. Kaum jemand wird einen Schulabschluss machen, wenn er nicht bereits seit mehreren Jahren hier gelebt hat. Es gibt viele jugendliche Geduldete, die das Land ihrer Staatsangehörigkeit noch nie gesehen haben, weil sie in Deutschland geboren sind. Deutschland ist ihre Heimat. Und das empfinden nicht nur sie so. Sondern auch ihre Mitschüler, Nachbarn oder Vereinskameraden. Ganze Schulen oder Dörfer haben demonstriert, weil sie nicht verstehen konnten, dass ihr Klassensprecher ins Kosovo, ihr Torwart nach Bosnien oder die Klassenbeste in die Türkei abgeschoben werden sollte.
Wir müssen uns von einer Politik verabschieden, der nicht nur die Betroffenen, sondern auch die einheimische Bevölkerung verständnislos gegenübersteht. Wer lange hier gelebt und sich für das eigene berufliche Fortkommen engagiert hat, der soll nicht länger in Unsicherheit leben.
Hier finden Sie den Beitrag auf der Internetseite der Frankfurter Rundschau.