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09.10.2013

100 Jahre Hochschule für bildende Künste Lerchenfeld

 

 

Sehr geehrter Herr Professor Köttering,
sehr geehrte Frau Professor Weigel,
sehr geehrter Herr Professor Böhme,
liebe Studierende,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

100 Jahre Lerchenfeld: Ich habe mir vorgestellt, wie es wohl wäre, könnte man alles noch einmal sehen und hören, was hier in dieser langen Zeit gedacht, gemalt, gehauen, geschrieben, gedreht, konstruiert worden ist.

Die ganze Stadt würde sich in einen gigantischen Kunstraum verwandeln, die Erfahrungsschichten, die sich in 100 Jahren übereinander gelegt haben, würden wieder sichtbar. Man könnte sehen, was einmal als erinnerungswürdig galt und was nicht. Wie würden wir die vergessenen Projekte und Kunstwerke heute betrachten, mit dem Blick von 2013?

100 Jahre Lerchenfeld: Damit verbindet man bekannte Namen wie Fritz Schumacher, Harald Falckenberg, Martin Kippenberger oder Wim Wenders. Mit dem Architekten und Stadtplaner Karl Schneider, der von den Nazis als Kulturbolschewist verleumdet und entlassen wurde; mit dem Architekten Friedrich Borries, der zurzeit für den Hamburger Bahnhof die Ausstellung Weltverbesserungsmaschine kuratiert; Joseph Beuys, Bernhard Blume, Bazon Brock, Alfred Hrdlicka, Friedensreich Hundertwasser, Siegmar Polke sie alle haben am Lerchenfeld gearbeitet und gelehrt.

Auch viele, die einmal hier studiert haben, prägen heute die Gegenwartskunst: Stefan Balkenhol und Oliver Hirschbiegel, Rebecca Horn und Hermine Huntgeburt, Santiago Serra, Jonathan Meese und andere. Und wie ich erst kürzlich erfahren habe, waren auch Loriot und Otto Waalkes am Lerchenfeld.

Aber das ist nur die eine Seite. 100 Jahre Lerchenfeld, das sind auch 100 Jahre Alltag einer Kunstgewerbe- und später Kunsthochschule. Ein Alltag, der ungezählte Werke, Projekte, Versuche hervorgebracht hat. Und dieses ständige Versuchen, diese dauernde Produktion und Reflektion, die scheinen mir für eine Kunsthochschule ganz wesentlich.

Insofern sind die, an deren Namen und Werke wir uns heute kaum mehr erinnern, fast so wichtig wie jene, die in die Kunstgeschichte eingegangen sind. Erst gemeinsam machen sie alle das Lerchenfeld zu einem Raum, in dem Kunst, oder besser: Künstler sich entwickeln können, in dem Versuche verworfen werden und Projekte unvollendet bleiben dürfen. Und in dem gerade deswegen hin und wieder etwas entsteht, mit dem Betrachter auch nach 100 Jahren noch etwas anfangen können.

Dazu fällt mir zum Beispiel Pepe Danquardts Kurzfilm Der Schwarzfahrer ein. Damals, Anfang der Neunzigerjahre, gingen Viele extra dafür ins Kino, um diesen Vorfilm zu sehen, der dann zu Recht einen Oscar gewann. Seit 2008 ist Danquardt Professor für Film am Mediencampus.

Mir fallen auch die bei Kritik wie Publikum immens erfolgreichen Hamburg-Filme von Fatih Akin ein, der am Lerchenfeld studiert und gelehrt hat. Oder 2002 auf der documenta 11: Da hat Hanne Darboven, ebenfalls ehemalige Studentin und Professorin, die gesamte Rotunde des Fridericianums mit ihren Quersummen aus Kalenderdaten gefüllt.

Ein Lerchenfeld-Künstler hat auch zwei Leihgaben der Hamburger Kunsthalle gemalt, die freundlicherweise mein Rathausbüro schmücken: Reinhard Drenkhahn, Künstlerfreund von Horst Janssen und Paul Wunderlich, studierte bei Willem Grimm Malerei und gestaltete in den Fünfzigern im Auftrag der Hamburger Kulturbehörde mehrere Wände im Öffentlichen Raum. Drenkhahn wiederum war ein Nachkriegsradikaler, im Leben wie in der Kunst, dessen Strandläufer oder Ofenbilder ich mit dem Blick von heute zwar als modern, aber keinesfalls mehr als radikal empfinde.

Meine Damen und Herren,
zugegeben, das war jetzt eine sehr subjektive Rückschau. Aber sie zeigt, wie vielfältig die Spuren sind, welche die Hochschule für Bildende Künste hinterlässt. Hamburg ohne das Lerchenfeld kann und möchte ich mir nicht vorstellen wobei die Wirkung der Hochschule für Bildende Künste ja weit über Hamburg und Deutschland hinausgeht. Gleichwohl hat gerade Hamburg dem Lerchenfeld viel zu verdanken: Die intellektuelle und ästhetische Offenheit und Lebendigkeit der Stadt wird entscheidend auch durch ihre Hochschule für Bildende Künste geprägt.

Für diese Belebung der Stadt, für Anregungen und produktive Irritationen möchte ich mich sehr herzlich bedanken: bei allen Künstlern und Künstlerinnen, den berühmten wie den eher unbekannten, bei den Professoren und Professorinnen, bei den Studierenden und auch bei allen anderen, die an der Hochschule mitwirken.

Bedanken möchte ich mich auch für Kritik und konstruktive Auseinandersetzungen, etwa um die Zukunft des Gängeviertels: Sie haben eine Diskussion in Gang gebracht, die über das Quartier hinausgreift und danach fragt, was unsere Stadt lebenswert macht. Es ist enorm wichtig, dass solche Fragen in der Öffentlichkeit verhandelt werden, gerade wenn gegensätzliche Vorstellungen aufeinandertreffen.

Derartige Debatten in die Tiefe zu führen, daran hat die Hochschule für Bildende Künste mit ihrer Verbindung von Kunst und Wissenschaft einen nicht unerheblichen Anteil. Mehr denn je brauchen wir solche Ort, an denen Fragen zusammengebracht und  gedacht werden. Wo integrative Weltbilder die Komplexität nicht mehr ausreichend widerspiegeln, wo wir an ihrer Stelle Unmengen an Fakten und Wissen zur Verfügung haben, dieses aber nur noch schwer in Zusammenhänge bringen können, da vermag die ästhetische Erfahrung Prozesse anzustoßen und überraschende Verbindungen vorzuschlagen.

Die Kunst verstellt uns den Rückzug in die Selbstgewissheit. Sie lässt uns eine angebliche Alternativlosigkeit nicht durchgehen. Die Kunst verunsichert uns, indem sie Standpunkte zum Fließen bringt. Deshalb braucht die Demokratie die Kunst, aber die Kunst ist nicht ihre Dienerin.

Dass der Staat seinerseits verpflichtet ist, Kunst und Künstler zu schützen diese demokratische Errungenschaft dürfen wir nicht geringschätzen. Die Verfolgung eines Künstlers wie Ai Weiwei, um nur einen prominenten Namen zu nennen, erinnert uns daran, wie wenig selbstverständlich weltweit die Kunstfreiheit ist und auch in der Demokratie müssen wir uns dieser Freiheit immer wieder vergewissern und sie verteidigen.

Diesem Auftrag ist die heutige Hochschule für bildende Künste seit Langem verpflichtet.

Ihren Anfang nahm die Hochschule bereits 1767, als die Patriotische Gesellschaft die erste deutsche Gewerbeschule gründete, zu der auch eine Zeichenschule für Handwerker gehörte. Fast 100 Jahre später ging die Schule in hamburgische Trägerschaft über, 1896 wurde daraus die Staatliche Kunstgewerbeschule. 1913 folgte der große Wurf mit dem Gebäude von Fritz Schumacher, bis heute das architektonische Gesicht der Einrichtung.

Die Machthaber nach 1933 fürchteten offenbar das subversive Potenzial der Kunst: In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Lehrkräfte, die dem Hitlerregime kritisch gegenüberstanden, aus dem Lehrbetrieb gedrängt, der nun so genannten Hansischen Hochschule für bildende Künste wurde der Hochschulstatus verweigert.

Gleich nach dem Krieg aber nahm sie als Landeskunstschule ihren Lehrbetrieb neu auf ab 1955 als Hochschule für Bildende Künste, seit 1970 im Rang einer künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschule.

Und die Entwicklung geht weiter: Die Architektur ist inzwischen in die HafenCity-Universität angesiedelt. 2008 wurde das nicht unumstrittene Bachelor- und Mastersystem eingeführt, der interdisziplinäre Studiengang Bildende Künste vereint jetzt alle Fächer von Bildhauerei und Malerei bis Bühnenraum, Design, Film und Medien. Geblieben ist das harte Auswahlverfahren: von 1000 Bewerbern erhalten gerade mal 80 einen Studienplatz.

Dass dieses nun restaurierte Gebäude von Fritz Schumacher den Ansprüchen einer Kunsthochschule nach 100 Jahren immer noch gerecht wird, ist wahrscheinlich das größte Kompliment, das man diesem Architekten machen kann. Sein Herzstück ist damals wie heute die Aula, die Schumacher gemeinsam mit dem Maler Willy von Beckenrath gestaltete.

Dessen Monumentalfries Die ewige Welle wurde nun unter der grauen Dispersionsfarbe hervorgeholt und die Aula originalgetreu wiederhergestellt wie ich gehört habe, nicht unwidersprochen durch einige Studierende, die gegen den betriebenen Aufwand protestierten.

Sehr geehrter Herr Prof. Diers, sehr geehrter Herr Bingel, sehr geehrte Frau Groth, sehr geehrte Restaurateure und alle, die hier mitgearbeitet haben: Ich persönlich finde das Gebäude überzeugend und ich gratuliere Ihnen herzlich zu dieser neuen, alten Aula.

100 Jahre Lerchenfeld die Welt ist wahrlich eine andere geworden in dieser Zeit und mit ihr die Kunst. Und doch erfährt gerade das Jahr 1913 derzeit ein besonderes Interesse. In seinem gleichnamigen Montage-Roman beschreibt Florian Illies den Vorabend des Ersten Weltkriegs als ein kunstverrücktes Jahr: Brücke und Blauer Reiter lieferten sich die intellektuellen und ästhetischen Schlachten einer gerade vergehenden Zeit, während Malewitsch sein Schwarzes Quadrat und Duchamp sein erstes Ready Made entwarf.

Und 2013? Können wir mit solcherart Kunstverrücktheit noch etwas anfangen? Wie dringlich ist die Kunst heute? Haben wir ihr nicht längst den Zahn gezogen in unserem Versuch, alles Widerständige zu integrieren und nutzbar zu machen?

Für derlei Antworten ist ein Bürgermeister allerdings nicht zuständig, dafür gibt es ja eine Kunsthochschule wie das Lerchenfeld. Und deren Erfolg wird neben denen, die dort arbeiten und studieren, auch von zahlreichen Förderern mitgetragen. Ohne sie wären weder die Restaurierung der Aula noch das Festprogramm zustande gekommen.

Deshalb danke Ihnen ebenso wie den Freunden und Mäzenen, die in die gesellschaftsrelevante Kraft der jungen Künstlerinnen und Künstler vertrauen. Stellvertretend möchte ich den vom Hamburger Ehrenbürger Michael Otto initiierten Freundeskreis und die Karl-H.-Ditze-Stiftung nennen.

Wer in den Jubiläumsausgaben des legendären Magazins Spuren liest oder durch das Glossar 100 Jahre Lerchenfeld stöbert, der wird von der vorherrschenden Intellektualität genauso mitgerissen wie von Witz und Lebenslust. Dem Machbaren und Festgelegten wird das Durchlässige, Fragile, Einladende gegenüber-gestellt. Die Kunsthochschule wird dort als Institution beschrieben, die beständig mit ihrem eigenen Rahmen brechen und sich selbst aufs Spiel setzen muss.

Dem entspricht auch das Festprogramm: Drei Tage wollen Sie nun feiern mit Vorträgen, Podien, Kunstaktionen, Filmen, Musik und langen Nächten.

Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen und gratuliere Ihnen im Namen des Senats herzlich zum ersten Jahrhundert.

Alles Gute für die Zukunft ich bin gespannt auf das, was noch kommt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.