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29.09.2013

Interview mit den Harburger Anzeigen und Nachrichten (HAN)

 

 

HAN: Herr Scholz, in zwei Wochen endet die IGS - mit deutlich weniger Besuchern als erhofft. Was ist da schief gelaufen?

 

Olaf Scholz: Die Gartenschau ist attraktiv und es sind unglaublich viele Besucher gekommen. Allerdings nicht so viele wie erwartet. Da gibt es nichts zu beschönigen. Das lag sicherlich auch am schlechten Wetter vor allem in der Anfangszeit. Aber die IGS hat dennoch die gewünschte Wirkung entfaltet.

 

HAN: Welche meinen Sie?

 

Olaf Scholz: Viele Besucher aus Hamburg, der gesamten Metropolregion und noch darüber hinaus sind zum ersten Mal nach Wilhelmsburg gekommen. Sie haben die Elbinsel kennengelernt und den künftig frei zugänglichen Park. Dadurch ist Wilhelmsburg - für viele ein Stadtteil, von dem sie bisher bestenfalls gehört hatten - plötzlich ein Ort auf ihrer persönlichen Landkarte geworden.

 

HAN: Aber waren die Besucherprognosen nicht schlichtweg falsch?

 

Olaf Scholz: Die Planer hatten sich damals natürlich eine bestimmte Besucherzahl erhofft und daraufhin auch die Investitionen errechnet.

 

HAN: Jetzt rechnet die Stadt mit einem Defizit von bis zu 26 Millionen Euro: War es das wert?

 

Olaf Scholz: Mit meinem Regierungsantritt habe ich eines verbunden: dass man vorher richtig rechnet! Das gilt für große Bauvorhaben ebenso wie für eine Gartenschau. Das ist aber in den zehn Jahren zuvor offenbar nicht immer so geschehen.

 

HAN: Beim IGS-Park werden nun in absehbarer Zeit die Zäune verschwinden. Worauf muss die Stadt jetzt achten, damit dieser Park auch in Zukunft genutzt wird - bestenfalls so wie Planten und Blomen?

 

Olaf Scholz: Wir werden als öffentliche Hand - als Stadt und Bezirk - dafür Sorge tragen müssen, dass dieser Park gut gepflegt wird. Damit er sich zu einem Ort entwickelt, an dem Hamburgs Bürgerinnen und Bürger - und nicht nur die Wilhelmsburger - gern ihre Freizeit verbringen. Ich habe ja bereits den Test gemacht und bin die Jogging-Strecke gelaufen, die nach dem Ende der IGS frei zur Verfügung steht.

 

HAN: Ist es aus Ihrer Sicht eine gute Jogging-Strecke?

 

Olaf Scholz: Eine tolle Jogging-Strecke in einem schönen Park. Aber es gibt dort noch viele andere sportliche Angebote. Dazu zählt die Kletterhalle, demnächst entsteht dort eine große Basketballhalle, und es gibt das Schwimmbad. Das Thema Park und Sport spielt auch in Zukunft eine große Rolle, aber wir müssen das Areal gut pflegen. Zusammen mit den Projekten der IBA ist sehr viel Bewegung für Wilhelmsburg entstanden. Wichtig ist, dass wir jetzt mit den Investitionen nicht aufhören, sondern dass wir weitermachen. Gerade, wenn die Wilhelmsburger Reichsstraße verlegt sein wird.

 

HAN: Bis 2019 soll das geschehen sein. Was wird eigentlich aus der Fläche der ehemaligen Trasse der Reichsstraße?

 

Olaf Scholz: Der Planfeststellungsbeschluss für die neue Wilhelmsburger Reichsstraße liegt vor. Das ist erst einmal der erste Schritt.

 

HAN: Auch der erste Spatenstich ist ja erledigt.

 

Olaf Scholz: Und die ersten Baumaßnahmen vor allem für den Lärmschutz werden bereits umgesetzt. Ich bin sicher, dass wir einen zügigen Baufortschritt erreichen werden. Dadurch wird es in Wilhelmsburg insgesamt leiser, weil diese neue gemeinsame Trasse von Bahn und Reichsstraße besseren Lärmschutz bieten wird. So entsteht mehr Platz: nicht nur direkt auf der alten Trasse der Reichsstraße sondern insgesamt entlang der Wilhelmsburger Mitte. Hier haben wir ja bereits zu Beginn der IBA ein erstes Stadtentwicklungskonzept vorgestellt. Darüber muss jetzt breit diskutiert werden, mit einer intensiven Bürgerbeteiligung.

 

HAN: Und mit welchem Ziel?

 

Olaf Scholz: Wir müssen die Möglichkeiten, die sich jetzt beispielsweise für zusätzlichen Wohnungsbau und eine weitere Steigerung der Attraktivität Wilhelmsburgs ergeben, nutzen.

 

HAN: Zu einem anderem Thema. In den vergangenen Monaten hat sowohl der Ausbau der Kitas als auch die Einführung der Ganztagsbetreuung an Schulen die Hamburger beschäftigt. Denn für beides werden Erzieher gebraucht. Hat sich Hamburg da nicht übernommen?

 

Olaf Scholz: Nein, wir haben uns auf die wachsende Nachfrage nach Krippenplätzen und die flächendeckende Einführung der Ganztagsschulen sehr gut vorbereitet. Das geschah auch dadurch, dass wir die Zahl der Ausbildungsplätze für Erzieher erhöht haben. Dadurch können wir in Hamburg jetzt zum Beispiel für berufstätige Eltern eine ganztägige Betreuung ihrer Kinder zum Beispiel in Krippe, Kita und Grundschule anbieten. Natürlich war das eine große Herausforderung und natürlich erfordert sie an einigen Stellen Übergangslösungen.

 

HAN: Streiten sich Ihr Schulsenator Ties Rabe und Sozialsenator Detlef Scheele, der zuständig für die Kitas ist, um Hamburgs Erzieher?

 

Olaf Scholz: Die beiden haben sehr gut kooperiert, und deshalb haben wir diesen Wandel bisher so gut geschafft. Aber das ist die eigentliche Botschaft: Wir dürfen nicht nachlassen. Der Beruf des Erziehers ist - ebenso wie der des Altenpflegers auch - von großer Bedeutung für die Zukunft.

 

HAN: Eine der eben angesprochenen Übergangslösungen sind ja Container, in denen an zahlreichen Hamburger Schulen unterrichtet oder gegessen wird. Denn teilweise sind auch die Kantinen für die Ganztagsbetreuung noch nicht fertig. Ging der Ausbau zu schnell?

 

Olaf Scholz: Nein, die Eltern brauchen doch jetzt die Plätze für die Ganztagsbetreuung ihrer Kinder. Sowohl an den Schulen, als auch in den Kitas. Die wollen doch nicht erst dann, wenn ihr Kind den Schulabschluss gemacht hat, erfahren, dass endlich ein Platz in der Krippe frei ist. Aber Sie haben natürlich recht: Das alles ist eine große Herausforderung. Wir haben sehr viele Dinge auf einmal zu lösen. Krippenausbau, Ganztagsschulen . . .

 

HAN: . . .und damit die Möglichkeit, Mittag zu essen . . .

 

Olaf Scholz: . . . kleinere Klassen und dadurch mehr Klassenraumbedarf. Einige Schulstandorte werden aufgelöst und andere vergrößert. Außerdem ist Hamburg eine attraktive Stadt, und es werden mehr Kinder an unseren Schulen angemeldet. Das ist ein riesiges Programm, das die Stadt Hamburg zu bewältigen hat. Wir stecken deshalb auch bis zum Ende des Jahrzehnts zwei Milliarden Euro in die notwendigen Baumaßnahmen. Übrigens, auch wenn das jetzt blöd klingt: Aber ich bin während meiner Schulzeit auch in einem "Container" unterrichtet worden.

 

HAN: In welcher Zeit?

 

Olaf Scholz: Ich gehöre zur Baby-Boomer-Generation. Meine Grundschule in Rahlstedt hatte plötzlich einen riesigen Platzbedarf. Da gab es Klassen mit bis zu 35 Schülern und Unterricht in Holzcontainern.

 

HAN: Man kann es also auch von einem Schulcontainer ins Hamburger Rathaus schaffen?

 

Olaf Scholz: Ich wollte damit nur deutlich machen: So eine Zeit, in der ganz viele Schüler und neue Anforderungen auf die Schulen zukommen - und die Stadt auch baulich nicht ganz hinterherkommt - gab es schon einmal. Das sollte uns anspornen, es jetzt so gut und so schnell wie möglich zu schaffen.

 

HAN: Springen wir nach Harburg. Dort gibt es mit dem Phoenix-Center ein erfolgreiches Einkaufszentrum und in der restlichen Innenstadt Probleme mit Leerständen: Wie kann, beziehungsweise muss die Politik regulierend in die Entwicklung des Einzelhandels eingreifen?

 

Olaf Scholz: Man sollte in dieser - wie in so vielen anderen Fragen - einen pragmatischen Weg einschlagen und nicht allzu grundsätzlich werden. Ganz klar: Stadtentwicklungspolitik muss dafür Sorge tragen, dass nicht einfach mitten auf der grünen Wiese große Einkaufskomplexe entstehen. Das führt nur zu zusätzlichem Verkehr und dazu, dass traditionelle Einzelhandelsstandorte an Attraktivität verlieren. Daher ist es gut, dass das Phoenix-Center so zentral liegt. Natürlich wissen wir auch, dass es in Harburg Probleme mit den traditionellen Einzelhandelsstandorten gibt. Diese sind aber sicher nicht nur auf den Erfolg des Phoenix-Centers zurückzuführen und sie sind nicht so einfach zu lösen. Der Business Improvement District ist da ein sehr nützliches Instrument. Und es ist auch gut, dass es in Harburg politisch gelungen ist, dass das Phoenix-Center im Zuge der Erweiterung einen Beitrag auch für die Entwicklung der Lüneburger Straße und der Innenstadt leisten wird.

 

HAN: Eine der wichtigsten Herausforderungen, denen sich Hamburg derzeit stellen muss, ist die Suche nach Standorten für neue Flüchtlingsunterkünfte. Mehr als 70 Flächen hat die Stadt inzwischen geprüft, nur sehr wenige waren geeignet. Wie will Hamburg das schaffen?

 

Olaf Scholz: Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, nimmt zu. Sie sind aber noch nicht auf dem Niveau, auf dem sie schon einmal waren.

 

HAN: . . . Anfang der 1990er.

 

Olaf Scholz: Weil diese Veränderungen jetzt so plötzlich eingetreten sind, haben wir natürlich nicht über Nacht alle nötigen Plätze. Wir sind jetzt in der Phase, in der es besonders schwer ist, neue Unterkünfte zu finden beziehungsweise zu schaffen. Es ist ein sehr schwieriger, komplizierter Prozess, aber die Bürger verstehen im Großen und Ganzen, dass es eine gemeinsame Aufgabe ist. Hinzu kommt, dass Hamburg die geringste Wohnungsleerstands-Quote aller Bundesländer hat. Dadurch können wir nicht einfach leerstehenden Wohnraum nutzen.

 

HAN: In Berlin wurden Flüchtlinge mit Hitlergruß empfangen. Haben Sie als Bürgermeister eigentlich Angst, dass in der Bevölkerung auch hier Sorge in Hass umschlägt?

 

Olaf Scholz: Ich erlebe die Hamburgerinnen und Hamburger als sehr kluge Bürgerinnen und Bürger, die wissen, dass der Senat nicht zaubern kann. Es ist schwierig, aber wir werden es gemeinsam schaffen.

 

HAN: Wann werden Ihrer Einschätzung nach 100 Prozent der Hamburger Energienetze wieder in öffentlicher Hand sein?

 

Olaf Scholz: Das ist insgesamt schwer vorherzusagen. Die neue Konzession für das Stromnetz zum Beispiel läuft ab 1. Januar 2015. Klar ist, dass wir alles dafür tun werden, dass die Bewerbung der Stadt Hamburg bei der Konzessionsvergabe erfolgreich ist.

 

Das Interview führte Florian Kleist

 

Das Interview in den Harburger Anzeigen und Nachrichten